5220/J XXVII. GP

Eingelangt am 04.02.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Katharina Kucharowits, Julia Herr, Kai Jan Krainer, Nurten Yilmaz,

Genossinnen und Genossen,

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Ereignisse im Rahmen der Abschiebung von Kindern in der Zinnergasse am 28.01.2021

 

Am 27. Jänner 2021 wurde medial bekannt, dass eine Mutter mit ihren Kindern (5 und 12 Jahre alt) nach Georgien abgeschoben werden sollen. Beide Kinder wurden in Österreich geboren. Die ältere Tochter ist Schülerin des GRG Stubenbastei in Wien. Zeitgleich wurde publik, dass eine Familie aus Favoriten, deren Tochter kurz vor der Matura an der HLW Reumannplatz stand, nach Armenien abgeschoben werden sollte.

Diese Kinder und Jugendlichen, die bereits lange in Österreich leben und auch teilweise in unserem Land geboren wurden, sind durch die Abschiebung in den Morgenstunden des 28.01 aus ihrer Umgebung herausgerissen und in ihnen fremde Länder abgeschoben worden. Rausgerissen aus dem Leben, aus ihrem Zuhause. Weg von der Schule und ihren FreundInnen.

Die MitschülerInnen der betroffenen Kinder in Wien organisierten einen bemerkenswerten Protest, um diese Abschiebungen zu verhindern. Als bekannt wurde, dass diese Familien bereits am 28.1. in den frühen Morgenstunden abgeschoben werden sollten, haben sich ca. 150 Menschen in der Wiener Zinnergasse zusammengefunden um ihre Solidarität mit den betroffenen Familien auszudrücken. Zu beobachten war ein Großaufgebot der Polizei, inklusive Einsatz der WEGA und einer Hundestaffel. JournalistInnen und AugenzeugInnen berichteten von gewaltvollen Angriffen der Polizei auf DemonstrantInnen. Eine Schülerin wurde von einem Polizisten an den Haaren gezogen. Schließlich hat die Polizei die friedliche Kundgebung mit dem Argument „Bedrohung öffentlicher Ordnung“ beendet. Währenddessen mussten die betroffenen Familien stundenlang in Polizeiautos ausharren.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Inneres folgende

 

Anfrage

  1. An welchem Tag wurde durch welche Organisationseinheit des BM.I  entschieden, dass das 12-jährige Mädchen aus Wien mit seiner Schwester und seiner Mutter abgeschoben werden soll?
    1. Welche Organisationseinheiten des BM.I wurden auf jeweils welche Art und Weise in der Folge an jeweils welchem Tag über diese Entscheidung informiert?
  2. Wurden Sie als Minister vorab über die Abschiebung informiert?
    1. Wenn ja, an welchem Tag  genau und von welcher Organisationseinheit des BM.I??
    2. Wenn nein, warum nicht?
  3. Wurden vom BFA vor der Abschiebung die Lebensumstände der georgischen Familie und das Kindeswohl der Kinder (12 und 5 Jahre alt) geprüft?
    1. Wenn ja, welche Fakten waren Gegenstand dieser Prüfung?

i.      War insbesondere auch Gegenstand der Prüfung, ob es die Kinder in Georgien gleich gut oder nicht schlechter als in Österreich hätten?

ii.    Was war das Ergebnis dieser Prüfung im Allgemeinen und speziell im Hinblick auf die Frage nach 3.b?

iii.   In welchem Zeitraum erfolgte die Prüfung durch welche Organisationseinheiten des BM.I?

    1. Wenn nein, warum wurde diese Prüfung vom BFA nicht durchgeführt?
  1. Haben Sie in diesem Fall eine Prüfung nach humanitärem Bleiberecht (Paragraf 55 und 56 Asylgesetz) angeregt?
    1. Wenn nein, warum nicht?
    2. Wenn ja, an welchem Tag erfolgte die Anregung und welche Organisationseinheit des BM.I war mit der Prüfung in welchem Zeitraum befasst?
    3. Wenn ja, was war das Ergebnis dieser Prüfung?
  2. Dem Anwalt der georgischen Familie, Wilfried Embacher, zufolge wurde im Mai 2020 ein Antrag auf humanitäres Bleiberecht eingereicht, der bis heute unerledigt beim BFA liegt.
    1. An welchem Tag langte dieser Antrag in welcher Organisationseinheit des BFA ein?
    2. Durch welche Organisationseinheit des BM.I erfolgt die Bearbeitung dieses Antrages und in welchem Zeitraum wurde er geprüft?
    3. Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?
    4. Wenn  der Antrag nicht geprüft wurde, warum nicht?    
  3. Wurde bei diesem Antrag die Entscheidungsfrist von 6 Monaten durch das BFA eingehalten?
    1. Wenn nein, warum nicht?
    2. Bis wann ist mit einer Erledigung  dieses Antrags zu rechnen?
  4. Die Anwältin der armenischen Familie hat in einer öffentlichen Stellungnahme gesagt, dass eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch anhängig ist. Hat das BFA von diesem anhängigen Rechtsmittel im Vorfeld der Abschiebung gewusst?
    1. Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt (Tag)  erlangte welche Organisationseinheit von der Einbringung des Rechtsmittels Kenntnis und an welche weiteren Organisationseinheiten des BM.I wurde diese Information an welchem Tag weitergegeben?
    2. Welche Organisationseinheiten des BM.I hat in welchem Zeitraum auf welche Art und Weise geprüft, ob dieser Beschwerde eine aufschiebende Wirkung zukommt? Wurde dabei insbesondere eine Information des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholt?
    3. Wenn ja, warum wurde die Abschiebung trotzdem durchgeführt?
    4. Wenn nein, warum nicht?
  5. Kann die armenische Familie wieder nach Österreich einreisen?
    1. Wenn ja, wie erfolgt die Rückholung?
    2. Wer übernimmt die Kosten der Rückholung?
  6. Welche Organisationseinheit des BM.I  legt in der Regel die Uhrzeit der Abschiebungen fest?
  7. Welche Organisationseinheit des BM.I  hat in diesem konkreten Fall die Uhrzeit der Abschiebung festgelegt und angeordnet?
  8. Ist es üblich, dass Abschiebungen in der Nacht durchgeführt werden? Wenn ja, mit welcher Begründung?
  9. Ist es üblich, dass Abschiebungen von Kindern in der Nacht durchgeführt werden? Wenn ja, mit welcher Begründung?
  10. Wie viele Personen wurden am 28.01.2021 abgeschoben? Bitte aufgelistet nach Anzahl der Familien, Anzahl der minderjährigen Kinder, Nationalitäten der betroffenen Personen und Wohnorte in Österreich.
  11. Wie viele PolizistInnen sind üblicherweise bei Abschiebungen involviert?
  12. Wie viele PolizistInnen waren bei der Durchführung der Abschiebung am 28.1.2021 involviert?
  13. Hat es bei dem konkreten Fall vom 28.01.2021 , im Vergleich zu anderen Abschiebungen ein Mehraufgebot an Polizei gegeben?
    1. Wenn ja, in welcher Form und in welchem Ausmaß?
    2. Wenn ja, warum und auf Anweisung welcher Organisationseinheit des BM.I?
  14. Welche Einheiten der Polizei werden herangezogen, um Abschiebungen durchzuführen?
  15. Welche Einheiten und Sondereinheiten der Polizei waren im Rahmen der geplanten Abschiebung in den Morgenstunden des 28.01.2021 in der Zinnergasse im Einsatz?
  16. Wann (Uhrzeit) wurde die WEGA angefordert?
    1. Warum wurde diese angefordert?
    2. Welche Organisationseinheit des BM.I bzw. der LPD Wien  hat diese angefordert?
  17. Wann (Uhrzeit) wurde die Hundestaffel angefordert?
    1. Warum wurde diese angefordert?
    2. Wer hat diese angefordert?
  18. War das BVT und/oder das LVT Wien vor Ort?
    1. Wenn ja, warum?
  19. Welche Organisationseinheit des BM.I bzw. der LPD Wien hatte die Leitung des gesamten Einsatzes inne?
  20. Kam es zu Festnahmen und Anzeigen im Zuge des Einsatzes rund um die Abschiebungen der abgeschobenen Kinder und ihrer Familien am 28.01.2021?
    1. Wenn ja, wie viele, um welche Uhrzeit und aufgrund des Verstoßes gegen jeweils welche rechtliche Vorschrift?
  21. Gab es Identitätsfeststellungen im Zuge des Einsatzes rund um die Abschiebungen der abgeschobenen Kinder und ihrer Familien am 28.01.2021?
    1. Wenn ja, wie viele und um welche Uhrzeit?
  22. Wie hoch waren die Kosten der Polizeiaktion in den Morgenstunden des 28.1.2021 im Rahmen des Einsatzes in der Zinnergasse?
  23. Können PolizistInnen unabhängig von dem vorliegenden Fall verweigern Abschiebungen durchzuführen?
    1. Wenn ja, aus welchen Gründen?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  24. Gab es in den vergangenen 30 Jahren Fälle, in denen PolizistInnen sich weigerten Abschiebungen durchzuführen?
    1. Wenn ja, bitte um Auflistung nach Datum und Anzahl der Verweigerungen
  25. Gibt es die Möglichkeit der Supervision im Rahmen des polizeilichen Angebots nach Abschiebungen von Kindern, die PolizistInnen in Anspruch nehmen können?
  26. Verfügen Sie über Informationen darüber, dass diese Supervisionen verstärkt in Anspruch genommen wird?
    1. Wenn ja, welche Auswirkungen hat dieser mögliche Anstieg auf die Abschiebepraxis?
    2. Wenn nein, warum führt ein möglicher Anstieg zu keinen geänderten Abschiebepraktiken?
  27. Obwohl es keine  gesetzliche Grundlage dafür gibt, hat die Polizei am 28.01.2021 gefordert, Videoaufnahmen der Amtshandlungen wegen angeblicher Unzulässigkeit zu unterlassen. Auf Anweisung welcher Organisationseinheit und mit welcher Begründung geschah dies?
  28. Warum wurde der Aufforderung nach Vorlage der Dienstnummern während der Amtshandlung nicht nachgekommen?
    1. Erfolgte in diesem Zusammenhang ein Verweis an den Einsatzleiter/die Einsatzleiterin? Wenn nein, warum nicht?
  29. Hatten die Familien vor Ort rechtlichen Beistand?
    1. Wenn ja, von wem?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  30. Eine Abschiebung kann eine extrem psychische Belastung für ein Kind sein. Zwei der vier Grundprinzipien der Kinderrechtskonvention beruhen auf dem Recht auf Gleichbehandlung und dem Wohl des Kindes als höchstes Gut. Können Sie garantieren, dass die Rechte der Kinder, welche am 28. Jänner 2021 aus ihren Leben in Österreich gerissen wurden, gewahrt wurden?
    1. Wenn ja, anhand welcher Indikatoren können Sie dies festmachen?
    2. Wenn nein, womit rechtfertigen Sie dann ihr Vorgehen?
  31. Wurde das Recht auf Gleichbehandlung und dem Wohl des Kindes vom BFA im Vorfeld der Abschiebung geprüft?
    1. Wenn ja, in welchem Zeitraum und mit welchem Ergebnis?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  32. Gibt es einen Widerspruch zu Kinderrechten, wenn Kinder mitten in der Nacht und gegen ihren Willen in ein Land abgeschoben werden, das sie nicht kennen?
    1. Wenn ja, wo liegen diese Widersprüche?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  33. Welche gesundheitlichen Vorschriften gibt es für Abschiebungen in Bezug auf die Corona-Pandemie?
  34. Wurden vor der Abschiebung medizinische Tests durchgeführt?
    1. Wenn ja, welche?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  35. Wurde vor der Abschiebung ein PCR-Test oder ein Antigen-Schnelltest auf eine mögliche Corona-Erkrankung durchgeführt?
    1. Wenn ja, gab es positive Ergebnisse?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  36. Die Kinder mussten mehrere Stunden in den stehenden Autos verharren. Konnten trotzdem alle Vorschriften und Maßnahmen in Bezug auf Corona gewährleistet werden?
    1. Wenn ja, wie wurde die Einhaltung dieser Maßnahmen kontrolliert?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  37. Warum wurde die Kundgebung in der Zinnergasse während der Abschiebung aufgelöst?
    1. Laut AugenzeugInnen wurde die Versammlung mit dem Argument „Bedrohung öffentlicher Ordnung“ beendet. In welcher Art und Weise wurde die öffentliche Ordnung bedroht?
  38. Haben Sie im Vorfeld der Abschiebungen Gespräche mit der für Kinder und Jugend zuständigen Ministerin Raab geführt?
    1. Wenn ja, mit welchen Inhalten und welchem Ergebnis?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  39. Wird bei Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen im Vorfeld Rücksprache mit dem für Kinder und Jugendliche zuständigen Ministerium geführt? Wenn ja, wie oft war dies 2020 der Fall?
  40. Gab es im Vorfeld der Abschiebung am 28.01.2021 Gespräche zwischen Ihnen als Innenminister mit Ihren RegierungskollegInnen bezüglich Möglichkeiten, diese Abschiebung zu verhindern?
    1. Wenn ja, mit welchen Regierungsmitgliedern?
    2. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
    3. Wenn nein, warum nicht?
  41. Haben Sie im Vorfeld der Abschiebungen vom 28.01.2021 mit ihrem Kabinett und/oder der Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt die Möglichkeit erwogen und besprochen, eine Prüfung auf humanitäres Bleiberecht anzuregen?
    1.  Wenn ja, wann?
    2. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
    3. Wenn nein, warum nicht?

 

  1. In einer öffentlichen Stellungnahme bezogen Sie sich auf die derzeitige Gesetzeslage in Österreich. Wieso gewährten Sie den betroffenen Familien kein humanitäres Bleiberecht, welches hier zweifelsfrei – auch nach der derzeitigen Gesetzeslage – anwendbar gewesen wäre?
  2. Welche Fluglinie hat die Abschiebung am 28.01.2021 durchgeführt? Bitte um Auflistung der Fluglinie, der Flugnummer, der Abflugzeit sowie der Zieldestination.
  3. Wie viele Personen wurden seit dem 01.01.2020 bis zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Anfrage abgeschoben? Bitte auch aufgelistet nach Anzahl der Familien, Anzahl der minderjährigen Kinder, Nationalitäten der betroffenen Personen, Wohnort in Österreich sowie Zieldestination.