5275/J XXVII. GP

Eingelangt am 08.02.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend Abschiebungen von Kindern nach Georgien und Armenien

In der Nacht vom 27. auf den 28.1.2021 wurden trotz lautstarker Proteste von Politiker_innen, Mitschüler_innen und Eltern Kinder mit Mutter bzw. Eltern nach Georgien bzw. Armenien abgeschoben. Auch vonseiten der ÖVP selbst gab es starke Kritik an deren Abschiebung (siehe https://orf.at/stories/3199353/). Es handelte sich in beiden Fällen um bestens integrierte Kinder, die hier geboren, hier zur Schule gingen bzw. schon sehr viele Jahre ihre Freunde und ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben. Zu den Herkunftsländern der Eltern haben die Kinder so gut wie keine Beziehung und sprechen zum Teil nicht einmal fließend die Sprache dieser Länder bzw. beherrschen die Schriftsprache nicht.

Medienberichten zufolge sei Vizekanzler Werner Kogler aber mit Innenminister Nehammer in Kontakt gewesen und habe darauf gepocht, die Fälle vor der Einleitung der Abschiebung nochmals zu prüfen. Eine "gründliche Prüfung" der Fälle hat dieser zugesagt (siehe https://www.derstandard.at/story/2000123677496/naechtlicher-protest-aufgeloest-und-abschiebungen-nach-georgien-durchgefuehrt). Dass die Abschiebungen doch durchgeführt wurden und es offensichtlich keine gründliche Prüfung der Fälle gegeben hat, kritisieren die Grünen seither stark und hat zu einem Streit der Koalitionspartner geführt (siehe z.B. https://kurier.at/politik/inland/abschiebungen-gruene-fordern-haertefallkommissionen-und-kritisieren-oevp/401172496).

Im Falle der georgischen Familie wurden zwei in Österreich geborene Mädchen im Alter von zwölf und fünf Jahren abgeschoben. Um dies zu verteidigen, berief der Innenminister sich auf die vermeintlich das Absehen von der Abschiebung nicht ermöglichende Rechtslage, eine rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von September 2019, wodurch der Asylantrag der Mutter endgültig abgelehnt wurde, sowie versuchte er die Bevölkerung mit dem ebenso völlig falschen Argument irre zu führen, dass ein Absehen von der Abschiebung Amtsmissbrauch sei. "Recht" müsse "Recht bleiben".

Apropos "Recht muss Recht bleiben": Es hätten nicht nur rechtliche Möglichkeiten bestanden, diese Personen nicht abzuschieben. Zu einer Prüfung im Sinne des Kindeswohls und im Sinne von Artikel 8 der Europäischen Konvention für Menschenrechte (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) wäre das Innenministerium insbesondere im Fall der georgischen Familie verpflichtet gewesen, da die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht schon fast zwei Jahre her und die in dieser daher getätigten Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Kindeswohl jedenfalls inaktuell ist. 

Erstens wurde Medienberichten zufolge für die Kinder, welche nach Georgien abgeschoben wurde, im Mai 2020 einen Antrag auf Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG gestellt. Eine Entscheidung vonseiten der Behörde ist weiterhin ausständig, obwohl dafür gesetzlich ein Frist von sechs Monaten vorgesehen ist.

Zweitens hat die Familie, welche nach sechs Jahren in Österreich nach Armenien abgeschoben wurde, gegen die negative Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingelegt. Die Beschwerde ist noch anhängig, ebenso ist die Entscheidung über eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde noch ausstehend (siehe https://www.derstandard.at/story/2000123744391/die-stilleren-abschiebungen-von-sona-und-ashot). In der Vergangenheit war es Usus in Fällen, in denen eine durchsetzbare Entscheidung vorlag, mit der zwangsweisen Außerlandesbringung zumindest bis zum Ablauf der sechswöchigen Revisions- bzw. Beschwerdefrist zuzuwarten. In den letzten Jahren hat sich die Behördenpraxis jedoch geändert und es werden vermehrt Abschiebungen während offener Rechtsmittelfrist an die Höchstgerichte bzw. vor Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durchgeführt. Zuletzt wurde der Fall des jungen zum Katholizismus konvertierten Afghanen E. Z. bekannt, der am 4. Februar 2020 während offener Rechtsmittelfrist nach Afghanistan abgeschoben wurde. Eine Woche später wurde seiner Revision die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 

Die rechtsstaatlich gebotene Überprüfung der Vereinbarkeit von Rechtsakten der Verwaltungsgerichte mit der Verfassung sollte auch in der Unzulässigkeit von Abschiebungen während offener Rechtsmittelfrist und bis zur Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ihren Ausdruck finden. Mit dem vorliegenden Antrag soll die Einhaltung des Non-Refoulement-Gebots sichergestellt werden, das besagt, dass Menschen nicht in ein Land abgeschoben werden dürfen, in dem ihnen Folter oder Gefahr für Leib und Leben droht. Das "Bekenntnis zum Refoulement-Verbot" wird auch im aktuellen Regierungsprogramm unterstrichen (Seite 196).

Die Volksanwaltschaft kritisierte in ihren Parlamentsberichten der vergangenen Jahre bereits, dass bei Abschiebungen bzw. Rückführungen Familien getrennt werden und beim Zeitpunkt von Rückführungen zu wenig Rücksicht auf das Kindeswohl und insbesondere die Bedürfnisse von Kindern, insbesondere von Kleinkindern, genommen wird (vgl. etwa PB 2017, 180 f; PB 2015, 157 f; PB 2014, 143 f). Die Volksanwaltschaft empfiehlt im Sinne des durch Artikel 8 EMRK gewährleisteten Schutzes der Kinder und des Familienlebens bei Abschiebungen bzw. Rückführungen die Trennungen von Familien und Abholungen von Kindern in der Nacht bzw. in der frühen Morgenstunden zu vermeiden. Zudem sollten Kinder nicht ohne den zur Obsorge berechtigten Elternteil abgeschoben bzw. rückgeführt werden.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Wann erlangten Sie von den geplanten Abschiebungen der beiden Familien nach Georgien und Armenien jeweils Kenntnis? Bitte um Nennung von Datum und Uhrzeit.

2.    Von wem erlangten Sie von den geplanten Abschiebungen jeweils Kenntnis?

3.    War Ihnen zwischen dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme und der Durchführung der Abschiebung bewusst, dass vor der Durchführung der Abschiebungen eine inhaltliche Prüfung nach Artikel 8 EMRK, der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta und dem BVG über die Rechte von Kindern verpflichtend durchgeführt werden muss?

a.    Wenn ja, von wem haben Sie wann davon erfahren?

b.    Wenn ja, haben Sie darüber mit dem zuständigen Innenminister Nehammer gesprochen?

                                      i.Wenn ja, bitte um Nennung des Datums und genauen Inhalts der Gespräche.

c.    Wenn ja, haben Sie sich für eine Prüfung eines Aufenthaltstitels nach §55 AsylG ausgesprochen? 

                                      i.Wenn ja, wem gegenüber wann?

                                    ii.Wenn nein, warum nicht?

4.    War Ihnen zwischen dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme und der Durchführung der Abschiebung bewusst, dass die im Fall der georgischen Familie rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits über 1,5 Jahre alt ist?

a.    Wenn ja, haben Sie sich dazu geäußert?

                                      i.Wenn ja, wann inwiefern gegenüber wem?

                                    ii.Wenn nein, warum nicht?

5.    War Ihnen zwischen dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme und der Durchführung der Abschiebung bewusst, dass im Fall der armenischen Familie eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und ein Antrag auf aufschiebende Wirkung dieser Beschwerde noch beim Verfassungsgerichtshof anhängig ist?

a.    Wenn ja, haben Sie sich dazu geäußert?

                                      i.Wenn ja, wann inwiefern gegenüber wem?

                                    ii.Wenn nein, warum nicht?

6.    War Ihnen im Fall der armenischen Familie bewusst, dass der Verfassungsgerichtshof der aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde noch stattgeben kann und die Familie in diesem Fall zurückgeholt werden muss?

a.    Wenn ja, haben Sie sich dazu geäußert?

                                      i.Wenn ja, wann inwiefern gegenüber wem?

                                    ii.Wenn nein, warum nicht?

7.    Wann haben Sie von wem das erste Mal von der Kritik seitens des Koalitionspartners erfahren?

a.    Wer vonseiten des Koalitionspartners hat wann bei wem welche Form von Kritik geäußert?

b.    Was haben Sie infolgedessen konkret veranlasst?

                                      i.Welche Gespräche haben Sie mit wem wann dazu geführt?

                                    ii.Welche Positionen haben Sie gegenüber wem wann vertreten?

8.    Hat sich die Kritik des Koalitionspartners bezüglich der bevorstehenden Abschiebungen auch auf eine Verletzung von Art. 8 EMRK, der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 der EU-Grundrechtecharta oder das BVG über die Rechte von Kindern bezogen?

a.    Wenn ja, wie haben Sie sich hier in Ihrer Replik inhaltlich positioniert? 

9.    Haben Sie im Vorfeld der Abschiebungen zu diesen Gespräche mit Innenminister Nehammer geführt? 

a.    Wenn ja, wann führten sie Gespräche welchen Inhalts? Bitte um Nennung von Datum, Uhrzeit und Erläuterung des genauen Inhalts der Gespräche.

b.    Wenn ja, welche Position vertraten Sie jeweils?

c.    Wenn ja, wurde die inhaltliche Prüfung der Fälle durch Innenminister Nehammer gemäß Art. 8 EMRK sowie der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 der EU-Grundrechtecharte und BVG über die Rechte von Kindern thematisiert?

                                      i.Wenn ja, erfuhren Sie, dass er eine solche Prüfung vornahm?

                                    ii.Wenn ja, haben Sie im Rahmen der Gespräche eine solche inhaltliche Prüfung der Fälle durch Innenminister Nehammer angeregt?

1.    Wenn ja, wann sollte die inhaltliche Prüfung der Fälle durchgeführt werden?

2.    Wenn nein, warum nicht?

                                   iii.Wenn nein, erfuhren Sie, dass er keine solche Prüfung vornehmen wollten?

1.    Wenn ja, wann? Bitte Nennung von Datum und Uhrzeit.

2.    Wenn ja, wie reagierten Sie in der Folge wann? Bitte Nennung von Datum und Uhrzeit.

3.    Wenn ja, mahnten Sie eine solche Prüfung ein?

a.    Wenn ja, wann? Bitte Nennung von Datum und Uhrzeit.

d.    Wenn ja, inwiefern war die Rückmeldung an den Koalitionspartner auf dessen geäußerte Kritik mit Ihnen abgesprochen?

e.    Wenn nein, warum nicht?

10. Wurde Kritik vonseiten des Koalitionspartners direkt an Sie herangetragen?

a.    Wenn ja, wann welche Kritik von wem? Bitte Nennung von Datum und Uhrzeit.

b.    Wenn ja, wie haben Sie wann wem gegenüber darauf reagiert? Bitte Nennung von Datum und Uhrzeit.

11. Setzen Sie sich in irgendeiner Form dafür ein, Abschiebungen von in Österreich geborenen und bestens integrierten Kindern in Zukunft zu verhindern?

a.    Wenn ja, inwiefern wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?