5456/J XXVII. GP

Eingelangt am 17.02.2021
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Mag. Christian Ragger

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Positionspapier Rettungsdienst

 

 

Der Bundesverband Rettungsdienst hat im November 2020 ein Positionspapier mit dem Titel: „Zukunft Rettungsdienst - Quo vadis, Berufsbild?

Tätigkeits- und Ausbildungsanforderungen an Sanitäter*innen“ publiziert. Aus diesem ist Folgendes zu entnehmen:

 

Executive Summary

 

Welche Anforderungen müssen Sanitäter*innen erfüllen, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen im Sinne einer patient*innen orientierten und bedarfsgerechten Versorgung zu entsprechen?

 

Wie lässt sich daraus ein neues, attraktives Berufsbild für Sanitäter*innen entwickeln?

 

Im Rahmen der Initiative Zukunft Rettungsdienst beschäftigen sich Sanitäter und Sanitäterinnen österreichweit und organisationsübergreifend seit Jahresbeginn auf Basis der oben genannten Fragestellungen mit dem Ziel, ihre Berufsgruppe weiterzuentwickeln und attraktiver zu machen.

 

Anlass für die Auseinandersetzung war die Diskussion um eine bevorstehende Novellierung des Sanitäter-gesetzes (SanG), die im öffentlichen und politischen Diskurs kaum Beachtung findet. Die große Sorge lautet, dass der Rettungsdienst als Säule einer rund um die Uhr verfügbaren, wohnortnahen Primärversorgung und als Gesundheitsdienstleister im Notfall übersehen wird. Gerade tiefgreifende Veränderungen wie eine Gesetzesnovellierung erfordern Diskurs und die Einbeziehung einer breiten Basis von Betroffenen. Eine Novellierung bietet die Chance, nachhaltige Veränderungen auf wissenschaftlicher Grundlage und einem Dialog mit den Sanitäter*innen zu erreichen. Nach unserer Kenntnis wurde jedoch bisher die Chance versäumt, sowohl gegenwärtige wissenschaftliche bzw. evidenzbasierte Standards für ein Berufs-bild heranzuziehen als auch Sanitäter*innen aus Österreich nach ihren Erwartungen und Vorstellungen zu befragen.

 

Engagierte Sanitäter*innen gründeten daher im Februar 2020 das Forum „Zukunft Rettungsdienst“. In regelmäßig stattfindenden Online-Treffen fanden Vorträge und Diskussionen statt. Es wurden Ideen entwickelt und schließlich gemeinsame Forderungen formuliert. Damit soll ein aktiver Impuls in Richtung Beteiligung von Sanitäter*innen gesetzt werden, um aktiv an deren Berufsbild mitzuwirken.

 

Wir Sanitäter*innen halten eine grundlegende Veränderung des Rettungsdienstes für notwendig, um angesichts bestehender und zukünftiger Herausforderungen eine hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Die Herausforderungen sind vielfältig, weitreichend und umfassen folgende Aspekte:

 

·       demographische Verschiebung der Altersstruktur in Österreich hin zu Älteren und eine damit ein-hergehende, erwartbare deutliche Zunahme von (Notfall-)Patient*innen, die den Rettungsdienst beanspruchen (Redelsteiner, 2016a, S. 189–206)

·       Veränderung der Einsatzindikationen weg von Unfällen und Verletzungen hin zu internistischen Erkrankungen und chronischen Verläufen, bedingt durch gestiegene Sicherheitsstandards und die Folgen einer Wohlstandsgesellschaft

·       kontinuierlich steigendes Fahrtenaufkommen in den Rettungsorganisationen, vor allem im Kranken-, aber auch im Rettungstransport

·       Die Interventionsstrategie des Rettungsdienstes ist hauptsächlich auf Hospitalisierung ausgerichtet. Dadurch kommt es häufig vor, dass Regionen über einen längeren Zeitraum ohne Rettungs-mittel bleiben (Redelsteiner, 2016a, S. 168–170).

·       eine Vielzahl chronisch kranker, multimorbider Notfallpatient*innen (Redelsteiner, 2013, 2016a, 2018a)

·       „Drehtürpatient*innen“, die den Rettungsdienst in steigender Frequenz beanspruchen (Ander, 2009; Olsson, 2001)

·       Rückgang flächendeckender Versorgung durch niedergelassene Allgemeinmediziner*innen

·       Über- und Fehlbeanspruchung von Sonderrettungsmitteln aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Hausärzt*innen und des geringen Ausbildungsstandes der Sanitäter*innen (Prause et al., 2017, 2020; Prause & Kainz, 2014)

·       steigende Zahl von Patient*innen mit sozialen bzw. psychosozialen Problemen und Anliegen, wie zum Beispiel Einsamkeit, Obdachlosigkeit, Überforderung pflegender Angehöriger, Abhängigkeit, psychische Erkrankungen (Luiz, 2013; Luiz et al., 2002; Redelsteiner & Pflegerl, 2015)

·       die als gesundheitliche Ungleichheit beschriebene strukturelle Benachteiligung von Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeitslose, etc. (Cournane et al., 2017; Engel et al., 2011; Jungabuer-Gans & Gross, 2009; M. Richter & Hurrelmann, 2009; V. Richter & Schmid, 2011)

·       Zivildienermangel aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge und steigender Anzahl von untauglichen Zivildienern, der hohe Kosten für die Rettungsorganisationen verursacht

·       Veränderung im Engagement vieler Freiwilliger, die ihre Tätigkeit kürzer ausüben

·       drohender Personalmangel im Rettungsdienst

·       Die derzeitige gesetzliche Regelung, insbesondere auch durch neun verschiedene Landesrettungsgesetze, sorgt für ein uneinheitliches Versorgungsbild, was die Ausbildungsstufe der Besatzung, die Ausstattung und die Vorgangsweise der Rettungsdienste betrifft.

·       tatsächliche Ausbildungsdauer, Inhalte sowie Kriterien für den Einsatz im Rettungs- oder Krankentransport variieren je nach österreichischer Region bzw. Organisation

 

Unserer Ansicht nach braucht es aus den folgenden Gründen eine umfangreiche Auseinandersetzung mit anschließender Etablierung eines Berufsbildes Sanitäter*in:

 

•   International führten umfangreiche Bestrebungen zur Professionalisierung im Bereich des Rettungsdienstes und schließlich zur Schaffung eines etablierten Berufsbildes (Deutschland, Schweiz, Ungarn, Tschechische Rep., Großbritannien, USA)

•   Es hat sich eine wissenschaftliche Disziplin zur Erforschung des Rettungsdienstes etabliert, in der Österreich kaum eine Rolle spielt

•   Die gewerkschaftliche Vertretung der Interessen der Sanitäter*innen ist je nach Organisation und Bundesland unterschiedlich. Teilweise sind sie auch in anderen Berufsgruppen inbegriffen, was eine koordinierte Vertretung zusätzlich erschwert

•   Gesundheitsberufe, insbesondere die Pflege, haben sich in den letzten Jahren stark professionalisiert

•   Eine rasche und professionelle Versorgung von Patient*innen führt zu einer Verbesserung des Behandlungsverlaufs und damit zu einer Kostenreduktion im Gesundheitswesen.

•   Unabhängig vom Status (ehrenamtlich, beruflich, Zivildiener) wird dieselbe Verantwortung und Professionalität von Sanitäter*innen im Einsatz erwartet. Der Rettungsdienst bleibt aber der einzige Tätigkeitsbereich im Gesundheitswesen, bei dem keinerlei Unterschied zwischen der Art des Engagements gemacht wird und bei dem je nach Ort und Tageszeit unterschiedliche Helfer zur Verfügung stehen. Fehlende Anerkennung, der regelmäßige Zivildienerwechsel und Veränderungen im Ehrenamtlichen Engagement führen zusätzlich zu einer hohen Personalfluktuation.

•   Sanitäter*innen in Österreich neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht zu erkennen und das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht richtig einzuschätzen. Allerdings bestünde die Chance, durch Bildung und Übung nicht nur die Kompetenz zu steigern, sondern auch eine bessere Selbsteinschätzung zu erreichen (Kruger & Dunning, 1997)

 

Aus den genannten Gründen erachten wir die Schaffung eines Berufsbildes für Sanitäter*innen in Österreich für unbedingt notwendig. Diese soll umgesetzt werden durch:

      die Schaffung einer mehrjährigen Ausbildung zur Sanitäter*in

      die Etablierung organisationsunabhängiger österreichweiter Ausbildungsinstitutionen

      eine duale Ausbildung bestehend aus theoretischem Fachwissen, klinischer Praxis, Rettungspraxis auf Basis des Nationalen Qualifikationsrahmens

      eine Ausbildung auf Basis evidenzbasierter Standards nach internationalem Vorbild

      die Anwendung innovativer didaktischer Methoden wie Simulationstraining, Blended-Learning, Kompetenzfeldentwicklung, Professionelle Entwicklung

      innovative, interdisziplinäre Ausbildungskonzepte, wie die gemeinsame Ausbildung von Gesundheitsberufen und spätere Spezialisierung als Sanitäter*in

      die Möglichkeit für bestehende Sanitäter*innen, im Rahmen einer Übergangszeit das erforderliche Ausbildungsniveau zu erlangen

      die Anerkennung der Sanitäter*innen als Gesundheitsberuf und Aufnahme in das Gesundheitsberuferegister

      die Durchlässigkeit hin zu anderen Gesundheitsberufen und Arbeitsbereichen (innerklinisch sowie in der Primärversorgung)

      die Schaffung von Berufspfaden und Entwicklungsmöglichkeiten als Sanitäter*in

      die Etablierung einer einheitlichen, gewerkschaftlichen Standesvertretung

      die Bereitstellung von Mitteln zur Forschung in den Bereichen Versorgung, Qualität und Weiter-entwicklung im Rettungsdienst

      den gezielten Einsatz von Ehrenamtlichen in den Bereichen First-Responder, Ambulanzdienst, Katastrophendienst sowie Krankentransport und bei assistierenden Tätigkeiten im Rettungsdienst“

 

Dadurch kann gewährleistet werden, dass sich in Zukunft junge Menschen für den attraktiven Beruf Sanitäter*in entscheiden, Entwicklungspotentiale entstehen und langfristig Menschen für den Gesundheits-, Pflege und Sozialbereich gewonnen werden. Die wichtige Diskussion um den künftigen Einsatz der ehrenamtlich engagierten Personen in Rettungsorganisationen erfordert eine sachliche und objektive Herangehensweise, bei der das Wohl der Patient*innen im Vordergrund steht. Modelle aus europäischen Ländern zeigen, dass die Arbeit von ehrenamtlich engagierten Personen weiterhin eine bedeutende Rolle spielen wird.“

 

Positionspapier_Zukunft_Rettungsdienst.pdf (bvrd.at)

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz folgende

 

 

ANFRAGE

 

 

  1. In welchen Bundesländern wurden die Landesrettungsgesetze nach dem SanG aus 2002 novelliert?
  2. In welchen Bundesländern gibt es eine eindeutige Trennung (Personal, EN Ausstattung, etc.) zwischen Rettungswagen (RTW) und Krankentransportwagen (KTW)?
  3. Wann ist die Möglichkeit der Registrierung von SanitäerInnen im Gesundheitsberufsregister geplant?
  4. Wie viele Rettungssanitäter/Notfallsanitäter/Notfallsanitäter NKA, NKV/Notfallsanitäter NKI gibt es in Österreich?
  5. Wann ist die Novellierung des SanG geplant?
  6. Welche Teilnehmer sind für die Arbeitsgruppe der Novellierung des SanG geplant?
  7. Welche Maßnahmen zur Professionalisierung des Berufsbildes von Rettungs- und Notfallsanitätern sind angedacht.?
  8. Welche Maßnahmen zur fachlichen Einbindung von Sanitätern aus Bundesheer und ähnlichen Einsatzorganisationen sind angedacht?
  9. Welche Maßnahmen zur Kontrolle von Qualitätsstandards im Rettungsdienst gibt es bereits? Welche werden angedacht?
  10. Welche Qualitätsstandards im Rettungsdienst und Krankentransport werden in den Bundesländern zugrunde gelegt und wie werden diese überprüft?