5631/J XXVII. GP

Eingelangt am 03.03.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten MMMag. Dr. Axel Kassegger

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie

betreffend „Klimaklagen“ beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – Gerichte werden zu Gesetzgebern? – Position der österreichischen Bundesregierung

 

Wie „Unzensuriert“ berichtete, hat eine Gruppe von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Portugal gegen 33 Staaten - darunter Österreich - beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Klagen eingereicht, weil sie die Länder für die schleppende Reduktion der Treibhausgasemissionen verantwortlich machen. Die Kläger behaupten, dass die dadurch verursachten Hitzewellen, ihre Lebensumstände und Gesundheit beeinträchtigt hätten.

 

Der EGMR erachtete diese Klage im vergangenen November 2020 nicht nur als zulässig, sondern sogar als vorrangig gemäß Artikel 41 der Verfahrensordnung des EGMR. Wie die NGO „Global Legal Action Framework“ am 26. Februar 2021 berichtete, hat der EGMR den Versuch der österreichischen und anderer Regierungen, die Rücknahme der Verfahrensqualifizierung als „vorrangig“ zu erwirken, zurückgewiesen. Auch das Ersuchen der Regierungen, die Unzulässigkeit der Klage darlegen zu dürfen, wurde vom EGMR zurückgewiesen. Das einzige Zugeständnis des EGMR an die Regierungen war offenbar, die ursprüngliche Frist zur Länderstellungnahme um drei Monate, auf den 27. Mai 2021 zu verlängern.

 

Interessant erscheint, dass die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler das Verfahren der jungen Portugiesen zugunsten des Klimas als nicht vorrangig angesehen hat, denn laut der britischen Anwaltskanzlei der Kläger habe auch die österreichische Bundesregierung argumentiert, dass die die Kläger keiner unmittelbar drohenden Gefahr durch den Klimawandel ausgesetzt seien. 

 

Möglich ist aber auch, dass Ministerin Gewessler von ihrem türkisen Bundespartner gar nicht um ihre Meinung gefragt und von der ÖVP überrumpelt wurde. Als Prozessvertreter Österreichs in Verfahren vor dem EGMR wurden von der Bundesregierung das BMEIA und der Verfassungsdienst des BKA bestellt, die beide von der ÖVP geführt werden. 

 

Jedenfalls dürften die von der österreichischen Bundesregierung vorgebrachten Argumente derart schwach ausgefallen sein, dass der EGMR nicht anders konnte, als die Vorrangigkeit des Verfahrens aufrechtzuerhalten. Ebenso ist es aber möglich, dass der EGMR jedwedes Argument beiseiteschob, um ein weiteres Zeichen zugunsten der Richter und des Establishments zu setzen. Richter sollen dieser Logik zufolge an Parlamenten und ihren gewählten Vertreter vorbei verbindliche Normen setzen. Der Umstand, dass die Europäische Menschenrechtskonvention (MRK) keinen einzigen Artikel zum Umwelt- oder Klimaschutz enthält, wäre ein beredtes Zeugnis dafür, wie sehr sich die Straßburger Richter von dem von den europäischen Parlamenten genehmigten Text entfernt haben.

 

Wie der EGMR bekanntgab, wurde auch die österreichische Bundesregierung aufgefordert, bekanntzugeben, wie sie im Rahmen des Verfahrens folgende Bestimmungen der MRK interpretiert: Artikel 1 (Zuständigkeit der Staaten), Artikel 2 (Recht auf Leben), Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Artikel 34 (Individualbeschwerden) und Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur MRK (Schutz des Eigentums) interpretiert.

 

In Europa muss sich nicht nur der EGMR mit eine „Klimaklage“ beschäftigen. In ganz Europa sehen sich nationale Verfassungsgerichtshöfe mit einer Flut solcher Klagen konfrontiert. In Deutschland läuft seit zwei Jahren eine Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung wegen „Verfehlung der Klimaziele 2020“. Der niederländische Staat wurde vor Gericht verpflichtet, die eigenen Klimaversprechen einzuhalten und in Irland hatte das Oberste Gericht die Regierung dazu verbindlich aufgefordert, die eigenen Klimaschutzpläne deutlich nachzubessern. Auch in Frankreich haben Umweltorganisationen den Staat wegen Untätigkeit beim Kampf gegen die Klimakrise verklagt. Das Pariser Verwaltungsgericht entschied, dass die Regierung für ihre mangelhafte Klimaschutzpolitik verantwortlich sei und handeln müsse. 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie folgende

 

Anfrage

 

1.    Wie lauten die von Österreich alleine und mit anderen Regierungen zu den obengenannten Klimaklagen eingereichten Schriftsätze an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)?

2.    Wurden diese Schriftsätze innerhalb der Bundesregierung akkordiert? Welche Bundesministerien waren dabei involviert?

3.    Hat die österreichische Bundesregierung ihre Schriftsätze an den EGMR mit anderen beklagten Regierungen akkordiert? Hat Österreich eine Koordinierungsrolle innerhalb eines allfälligen Akkordierungsprozesses eingenommen? 

4.    Gab es im Kreis der beklagten Regierungen Meinungsverschiedenheiten?

5.    Stimmt die Aussage der Anwälte der Kläger, dass u.a. die österreichische Bundesregierung im Klimawandel keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben sieht?

6.    Hat die österreichische Bundesregierung alleine oder gemeinsam mit anderen Regierungen gegenüber dem EGMR argumentiert, dass die Klage der jungen Portugiesen nicht vorrangig (Artikel 41 der Verfahrensordnung des EGMR) behandelt werden sollte?

7.    Erachtet die Bundesregierung die Klage der jungen Portugiesen als vorrangig im Sinne des Artikel 41 der Verfahrensordnung des EGMR ?

8.    Sieht der EGMR die Klage der jungen Portugiesen als vorrangig im Sinne des Artikel 41 der Verfahrensordnung des EGMR an? Wenn dies der Fall ist, wie begründet er dies gegenüber der österreichischen Bundesregierung?

9.    Welche Fragen hat der EGMR im Zusammenhang mit Artikel 1 (Zuständigkeit der Staaten), Artikel 2 (Recht auf Leben), Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), Artikel 34 (Individualbeschwerden) MRK und unter Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur MRK (Schutz des Eigentums) gestellt und wie gedenkt die Bundesregierung diese Fragen zu beantworten?

10. Falls eine oder mehrere der angeführten Fragen unter Verweis auf das Amtsgeheimnis nicht beantworten werden, beabsichtigt die Bundesregierung dies durch das in Begutachtung stehende Informationsfreiheitsgesetz zu ändern?