5662/J XXVII. GP

Eingelangt am 05.03.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Vorgehensweise des Bundes hinsichtlich der Integration der Borealis in die OMV AG

 

Laut einem Anfang Dezember 2020 veröffentlichten Bloomberg-Bericht ("OMV Chairman, CEO Move to Ease Tensions Before Board Meeting"), der sich auf Aussagen aus OMV-Kreisen beruft, hätten der neue Aufsichtsratsvorsitzende des Mineralölkonzerns, Mark Garrett, und OMV-Vorstandsvorsitzender Rainer Seele versucht, aufkeimende Spannungen in den Führungsebenen noch vor der Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember 2020 abzubauen (siehe deutsche Version: https://de.finance.yahoo.com/nachrichten/omv-aufsichtsratschef-ceo-wollen-treffen-160532919.html).

Zu diesem Zweck habe sich Garrett nicht nur mit Seele, sondern auch mit Finanzminister Gernot Blümel sowie mit ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid getroffen. Der von Bloomberg zitierten anonymen Quelle zufolge sollte bei diesem Treffen ein Plan ausgearbeitet werden, durch den die vielfach kritisierte Übernahme des Petrochemieherstellers Borealis AG zu Beginn dieses Jahres doch noch zu einem Erfolg gemacht werden könne. 

Streitigkeiten im OMV-Management wegen Borealis-Deal

Die Maßnahme erfolgte inmitten einer heftigen Diskussion über angemessene Aufsicht und Governance, nachdem der umstrittene 4-Milliarden-Euro-Deal bereits zur Ablöse des vorherigen Aufsichtsratsvorsitzenden, Wolfgang Berndt, geführt hatte. Wichtige Aktionäre drängten darauf, mehr echte Branchenexpert_innen in den Aufsichtsrat zu holen, weil die internen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten die Integration der Borealis AG gefährden würden, zitierte Bloomberg den/die OMV-Insider_in. 

Am 11. Jänner 2021 berichtete auch der Kurier von massiven Unruhen und Uneinigkeiten innerhalb des Konzerns: "Der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV kommt intern nicht zur Ruhe. Im Gegenteil. Die vier Milliarden Euro schwere Übernahme der Mehrheit am Petrochemie-Unternehmen Borealis hat einen heftigen Clash der Kulturen ausgelöst. Das zieht sich vom Management bis zu den Betriebsräten." (siehe: https://kurier.at/wirtschaft/betriebsraetliche-machtkaempfe-bei-der-omv/401151528)

Im Zentrum dieses "Clash der Kulturen" steht die unübliche Vorgehensweise des OMV-Managements bei Ausverhandlung und Abschluss des Borealis-Deals. Auf einen Schlag wurde um USD 4,68 Mrd. eine zusätzliche 39%-Beteiligung erworben und damit eine plötzliche Aufstockung auf 75% der Anteile unternommen. Wie bereits in früheren Anfragen thematisiert wurde, war auf die marktübliche "Material Adverse Chance“-Klausel im Kaufvertrag verzichtet worden, die es ermöglicht hätte, eine Anpassung des Kaufpreises auch noch nach der Vertragsunterzeichnung durchzuführen (siehe:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_03601/index.shtml; https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_03575/index.shtml; https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_03436/index.shtml).

Anzeige gegen OMV-Vorstand wegen Borealis-Deal

Im September 2020 hatte der Kurier von einer anonymen Anzeige mit ausgesprochen viel Insiderwissen berichtet (siehe: https://kurier.at/wirtschaft/wirtschaft-von-innen/aufregungen-um-borealis-deal-der-omv/401038052):

"In einer nun eingegangenen anonymen Anzeige mit Datum 26. August wird der OMV bzw. Seele der Verdacht auf Untreue und Vorteilsannahme sowie die Verletzung der Sorgfaltspflicht des Vorstands nach Aktiengesetz vorgeworfen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Sachverhaltsdarstellung ist anonym, zeugt aber, ähnlich wie die Casinos-Anzeige, von gewissem Insiderwissen. Der Schaden wird mit "mindestens einer Milliarde Euro" beziffert." 

Die Bewertung von Borealis, heißt es in dem Papier, sei bereits im Dezember 2019 erfolgt, bis zum Abschluss sei dieser Preis aber nicht mehr nach unten korrigiert worden. Dem Aufsichtsrat sei kein aktueller Forecast der Quartalsergebnisse vorgelegt worden, obwohl dieser hätte verfügbar sein müssen. Dem Aufsichtsrat sei im Februar nur eine Tischvorlage ausgehändigt worden. Das wurde von Aufsichtsräten bereits bestätigt, die erklärten, sie hätten die Unterlagen mit der Zustimmung von Berndt erst in der Sitzung erhalten. Für eine Entscheidung über ein Milliardenprojekt höchst außergewöhnlich, aber nicht gesetzeswidrig. Die Aufsichtsräte forderten ausführlichere Informationen ein.

Zum Zeitpunkt des Abschlusses Anfang März sei längst klar gewesen, dass Borealis durch die Corona-Krise geschädigt werde. Bereits die Ergebnisse zwischen Dezember bis Anfang März 2020 hätten sich verschlechtert. Die OMV habe aber, heißt es, keine "Material Adverse Change"-Klausel in den Vertrag reklamiert. Diese MAC-Klausel ermögliche dem Käufer einen Vertragsrücktritt, wenn zwischen Abschluss und Vollzug beim Zielunternehmen oder im Marktumfeld wesentliche nachteilige Änderungen eintreten sollten. Die Klausel sei bei der OMV üblich gewesen."

Verkauf von Geschäftssegmenten nach Borealis-Deal

Anfang Februar 2021 verkündete OMV-Vorstandsvorsitzender Seele, dass man die Stickstoffsparte, zu der auch das Düngemittelgeschäft der erst kürzlich übernommenen Borealis gehört, nun abstoßen möchte: "Wir haben mit dem Düngemittelgeschäft einfach keine wettbewerbsfähige Größe. (...) Auch wenn es große Volumina sind - im Vergleich zu den Wettbewerbern und auch mit der Auslegung der verschiedenen Standorte hat die Borealis in diesem Geschäftssegment nicht die Economies of Scale." (siehe: https://kurier.at/wirtschaft/omv-chemietochter-borealis-will-duengemittelgeschaeft-verkaufen/401177782)

Laut dem Anfang Februar 2021 vorgelegten aktuellen OMV-Konzernbericht ist der Konzerngewinn 2020 um ein Drittel eingebrochen. Auch das Düngemittelresultat sei nach einer stabilen Entwicklung 2019 im vierten Quartal 2020 gesunken: "Zusätzlich sank der Geschäftserfolg der Düngemittelaktivitäten im Vergleich zu Q4/19 infolge operativer Einflüsse und geringerer Margen aufgrund höherer Erdgaspreise, die nicht vollständig an den Markt weitergegeben werden konnten." (siehe: https://www.omv.com/services/downloads/00/omv.com/1522197803741/omv-group-report-q4-2020)

Die Borealis ist einer der größten Düngemittelhersteller Europas und betreibt Anlagen für Pflanzennährstoffproduktion in Österreich und Frankreich. An ihrem Standort in Linz beschäftigt sie 1.200 Mitarbeiter_innen, die jährlich 1,5 Mio. Tonnen Pflanzennährstoffe und technischen Stickstoff produzieren. (siehe: https://www.tips.at/nachrichten/linz/wirtschaft-politik/526614-borealis-verkauft-seine-stickstoffsparte)

Zur Refinanzierung des Borealis-Deals hat die OMV nun ein 2-Mrd.-Veräußerungsprogramm hochgefahren (siehe: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210204_OTS0013/omv-2-milliarden-euro-veraeusserungsprogramm-auf-gutem-weg-zweites-veraeusserungspaket-angekuendigt), das auch einen Rückzug vom Standort Österreich bedeutet. Neben der geplanten Veräußerung der Stickstoffsparte der Borealis hat der Konzern den Verkauf seiner 51% -Beteiligung an der Gaslogistiktochter Gas Connect Austria in die Wege geleitet.

ÖBAG will "wegweisende Projekte für den Standort" einleiten

In einer auf das Jahr 2020 zurückblickenden Presseaussendung vom 30. Dezember erklärte die ÖBAG: "Bei der OMV konnte die Partnerschaft zwischen Österreich und Abu Dhabi um 10 Jahre verlängert werden. Die durch diese Vereinbarung geregelte Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen ÖBAG und Mubadala festigt nicht nur die Investorenbasis der OMV, sondern rüstet das Unternehmen auch für das wandelnde energiewirtschaftliche Umfeld." Weiters wird Schmid darin zitiert: „Unser erklärtes Ziel war es, 2020 trotz Corona-Krise breiter und langfristiger zu denken und durch aktives Beteiligungsmanagement als stabiler Anker einen Mehrwert für Österreich zu schaffen sowie wegweisende Projekte für den Standort einzuleiten.“ (siehehttps://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20201230_OTS0044/oebag-2020-jahr-der-strategischen-weichenstellungen-fuer-oebag). 

Über den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, ÖBAG-Vorstand Schmid - der, wie eben zitiert, "langfristiger denken" und durch "aktives Beiteiligungsmanagement (...) "wegweisende Projekte für den Standort" einleiten möchte - haben Finanzminister und BMF neben dem Kontakt zu Vorstandsvorsitzenden Seele auch Zugang zum höchsten Kontrollgremium der OMV. Schmid und der ÖVP-nahe Ex-OMV-Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Berndt hatten beide für den Borealis-Deal gestimmt. 

Abschließend sei erwähnt, dass der Finanzminister in seiner Beantwortung einer früheren Anfrage die Führung der OMV betreffend selbst ausgeführt hat, dass das BMF im Zuge eines "professionellen und effektiven Beteiligungsmanagements" seine "aktive Eigentümervertreterrolle gegenüber der ÖBAG" wahrnähme und "im Interesse der Republik" ein "strategischer Dialog sowohl mit Vertretern der ÖBAG, als auch mit Vertretern der zugehörigen Beteiligungsunternehmen laufend" geführt würde (siehe: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_03737/index.shtml).

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

Anfrage:



1.    Entspricht es den Tatsachen, dass Sie sich mit OMV-Aufsichtsratsvorsitzendem Mark Garrett und ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid über die Zukunft der OMV beraten haben?

a.    Wenn ja, welches inhaltliche Ergebnis hat das Gespräch gebracht? 

2.    Haben Sie sich in den vergangenen Monaten mit OMV-Chef Rainer Seele über die künftige Ausrichtung der OMV beraten?

a.    Wenn ja, zu welchen inhaltlichen Ergebnissen haben die Beratungen geführt?

3.    Haben Sie sich in den vergangenen Monaten mit ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid über die künftige Ausrichtung der OMV beraten?

a.    Wenn ja, zu welchen inhaltlichen Ergebnissen haben die Beratungen geführt?

4.    Wer hat Sie über den Rückzug des OMV-Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Berndt im vergangenen September informiert? 

a.    Womit wurde sein Rückzug begründet?

5.    Haben Sie sich bezüglich des Rückzugs des OMV-Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Berndt mit Thomas Schmid und/oder Rainer Seele abgesprochen? 

a.    Wenn ja, wer hatte seinen Rückzug gefordert und haben BMF und ÖBAG diese Forderung unterstützt?

b.    Wenn ja, haben Sie den Rückzug Wolfgang Berndts unterstützt?

6.    Wer hat die Entscheidung, Mark Garett für den OMV-Aufsichtsratsvorsitz zu nominieren, getroffen?

7.    Haben Sie sich bezüglich der Nominierung von Mark Garrett als neuer Aufsichtsratsvorsitzender mit Thomas Schmid und/oder Rainer Seele abgesprochen? 

a.    Wenn ja, wer kam mit diesem Vorschlag auf Sie zu? 

b.    Wenn nein, wann und von wem haben Sie von der Nominierung von Mark Garrett erfahren? 

8.    Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Nominierung von Ex-Borealis-CEO Mark Garett und der jüngsten Übernahme der Borealis durch die OMV?

9.    Als Vertreter der ÖBAG sitzen neben Thomas Schmid auch Stefan Doboczky, Elisabeth Stadler, Gertrude Tumpel-Gugerell, Cathrine Trattner und Christoph Swarovski im Aufsichtsrat der OMV AG. Nach welchen Kriterien wurden diese Personen ausgewählt?

10. Wurden Stefan Doboczky, Elisabeth Stadler, Gertrude Tumpel-Gugerell, Cathrine Trattner und Christoph Swarovsk vonseiten der Republik darüber aufgeklärt, dass sie für etwaige Schäden - in der Anzeige ist die Rede von "mindestens einer Milliarde Euro" - im Zusammenhang mit dem Borealis-Deal in der Haftung sind?

11. Existiert ein BMF-internes Assessment bzw. eine Evaluierung des Beteiligungsmanagements des Bundes hinsichtlich der Integration der Borealis?

a.    Wenn ja, mit der höflichen Bitte um Übermittlung an den Nationalrat.

b.    Wenn nein, wieso nicht?

12. Wie beurteilen Sie bzw. das BMF das Veräußerungsprogramm der OMV aus standortpolitischer Sicht? 

13. Wie beurteilen Sie bzw. das BMF den Borealis-Deal aus standortpolitischer Sicht?

14. Liegen Ihnen bzw. dem BMF Informationen vor, warum im Borealis-Kaufvertrag von einer „Material Adverse Change"-Klausel, die der OMV ermöglicht hätte, den Vertrag zu lösen oder anzupassen, wenn zwischen Abschluss und Vollzug eine gravierende nachteilige Veränderung beim Zielunternehmen oder im Marktumfeld eintritt, abgesehen wurde?

a.    Wenn ja, mit welcher Begründung wurde davon abgesehen?

b.    Wenn nein, wieso nicht?