5735/J XXVII. GP
Eingelangt am 09.03.2021
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Eva Blimlinger, Olga Voglauer, Markus Koza, David Stögmüller, Lukas Hammer, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres
betreffend sogenannte Anti-Corona- Demonstrationen am Samstag, 06. März 2021 in Wien
BEGRÜNDUNG
Am Samstag, 6. Februar 2021, fanden in der Wiener Innenstadt erneut Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung wie auch gegen die Bundesregierung selbst statt. Schätzungen zu Folge nahmen mehr als 20.000 Personen teil. Die Demonstrationen und Kundgebungen nehmen an Gewaltbereitschaft zu und das Erstarken der rechtsradikalen Kräfte samt Unterstützung durch die FPÖ ist massiv besorgniserregend. Die größte Gesundheitskrise in unserem Land dazu zu missbrauchen, Antisemit*innen und Neo-Nazis eine Bühne zu bieten und mit gezielter Fehlinformation die Gesellschaft zu spalten, ist untragbar.
Die Teilnehmer*innen der Kundgebung sowie der Demonstrationen wurden nicht zuletzt von Herbert Kickt (FPÖ) angefeuert, welcher sogar zwei Reden hielt. In der ersten, spontanen Rede am Heldenplatz nannte er Mitarbeiter*innen im Ministerium „Schmuddeltypen" und sprach von "Corona-Stahlhelmen in den Regierungsbüros". Nach der Auflösung der Kundgebung am Heldenplatz kam es zu zwei Demonstrationszügen Richtung Prater und zu der - von der FPÖ angemeldeten - Kundgebung auf der Jesuitenwiese.
Wie bereits bei den vergangenen Demonstrationen befanden sich unter den Teilnehmer*innen Vertreter*innen der Identitären Bewegung, „der Österreicher", „Querdenker", gewaltbereite Hooligans sowie weitere rechtsradikale und faschistische Gruppen und Organisationen. Die Demonstrationen wurde von rechtsextremen Parolen, „Sieg Heil“-Rufen, den Holocaust verleugnenden Symbolen, Fahnen der „QAnon" und der „Reichsbürger" begleitet, während die „Wiener Wehrmänner" in Einheitskleidung gesichtet wurden.
Am Samstagabend eskalierte die Lage. Zunächst zogen hunderte Menschen, nach der Kundgebung im Wiener Prater durch den zweiten Wiener Gemeindebezirk, ausgerechnet an Wohnungen jüdischer Familien vorbei, in die Innenstadt, wobei es zu „Sieg Heil“-Rufen kam. Schließlich stürmte an der Unteren Augartenstaße eine größere Zahl von Personen die Tiefgarage der Wiener Städtischen, aufgrund eines Polizeikessels samt Identitätsfeststellungen, und verletzte dabei zwei Wachmänner.
Laut Polizei kam es am Samstag zu mehr als 3.200 Anzeigen, darunter auch wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt sowie Verstößen gegen das Verbotsgesetz. Anzeigen wurden auch gegen FPÖ- Spitzenpolitiker erstattet. Weiters sind wohl 60 Festnahmen, vier verletzte Polizist*innen und zwei verletzte Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen die traurige Bilanz der Demonstrationen vom 6.3.2021.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1) Zu wie vielen angemeldeten und unangemeldeten Demonstrationen und Kundgebungen kam es am 6. März 2021 Wien? Bitte um genaue Auflistung - auch der Gegendemonstrationen. Wie viele dieser Demonstrationen und Kundgebungen waren angemeldet? Wann wurden diese Versammlungen angemeldet?
a) Für welche Orte bzw. welche Routen wurden Versammlungen oder Demonstrationen angemeldet? Bitte um genaue Angaben der jeweiligen Demonstrationszüge und Kundgebungen.
b) Welche Personen, Organisationen oder Parteien haben die jeweiligen Demonstrationen und Kundgebungen angemeldet?
c) Wie viele Personen haben daran teilgenommen? Führen Sie bitte auch eine ungefähre Anzahl an Teilnehmer*innen der einzelnen Demonstrationen und Kundgebungen an.
d) Wie lange hat jede dieser Demonstrationen und Kundgebungen gedauert? Welche Kundgebungen und Demonstrationen mussten von der Polizei aufgelöst werden?
e) Welche Versuche wurden von Seiten der Polizei unternommen, diese Demonstrationen und Kundgebungen aufzulösen?
2) Welche Angaben über die zu erwartende Zahl und Zusammensetzung an Teilnehmer*innen wurden gemacht?
3) Mit wie vielen Teilnehmer*innen haben die Behörden bei der Planung des Polizeieinsatzes gerechnet?
a) Aufgrund welcher Informationen wurde diese Einschätzung getroffen?
b) Wieviele Polizist*innen pro geschätzte Teilnehmer*innen werden für Demonstrationen bereitgestellt?
4) Mit wie vielen und welchen Gruppierungen haben die Behörden bei der Planung des Polizeieinsatzes gerechnet?
5) Wurden in Bezug auf die geltenden Corona-Maßnahmen (Maskenpflicht und Abstand halten gem. § 12 Abs 2 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung) den Anmelder*innen bzw. Organisator*innen der Demonstrationen die geltenden rechtlichen Vorschriften mitgeteilt, welche von den Teilnehmer*innen bei Versammlungen einzuhalten sind?
a) Wenn ja, welche waren dies genau? Bitte um detaillierte Aufzählung.
i) Wurde die Einhaltung dieser Maßnahmen durch die Polizei kontrolliert?
(1) Wenn ja, welche Kontrollen wurden durchgeführt?
(2) Wurden Maßnahmen bei Nichteinhaltung ergriffen?
(a) Wenn ja, welche waren das? Bitte um genaue Auflistung.
(b) Wenn ja, waren darunter auch Verwaltungsstrafen oder Anzeigen bei Nichteinhaltung von Maskenpflicht und Mindestabstand?
(c) Wenn nein, warum wurden keine Maßnahmen wegen Nichteinhaltung der geltenden Vorschriften ergriffen? Bitte um detaillierte Begründung.
b) Wenn nein, warum ist eine solche Information nicht erfolgt?
6) Offensichtlich wurde die Anzahl der Teilnehmer*innen von den Behörden unterschätzt.
a) Welche Gründe waren dafür ausschlaggebend? Bitte um genaue Darstellung der Planung des Polizeieinsatzes.
b) Lag den Behörden eine Gefahrenabschätzung über die teilnehmenden Personengruppen vor?
i) Wenn ja, welche und flössen diese in die Einsatzplanung mit ein?
ii) Wenn nein, wieso nicht?
7) Wie viele Personen sind aus den Bundesländern mit angemieteten Reisebusse angereist?
a) Wurden im Vorfeld Versuche gesetzt, diese Busse - etwa aufgrund der steigenden Zahl an zu erwartenden Personen bei den untersagten Kundgebungen - an der Weiterfahrt zu hindern oder deren Insassen am Erreichen der Kundgebungsorte zu hindern?
8) Wie viele Polizist*innen waren bei welchen Demonstrationen und Kundgebungen (einschließlich Gegendemonstrationen und Kundgebungen) am 6.3.2021 im Einsatz? Bitte um jeweils genaue Auflistung
a) Welche Polizeieinheiten waren in Dienst?
b) Welche Sondereinheiten waren im Einsatz?
c) Waren Zivilpolizist*innen bei den jeweiligen Demonstrationen/ Kundgebungen im Dienst, und wenn ja: wie viele.
d) Waren Personen des LVT/BVT vor Ort?
9) Welche Bedenken hatte die Landespolizeidirektion Wien hinsichtlich dieser Versammlungen und aufgrund welcher vorliegenden Fakten bzw. Wahrnehmungen? Bitte um genaue Darstellung und Nennung der Gründe.
10) Aus Medienberichten und mehreren Einträgen auf Sozialen Medien geht hervor, dass an den Demonstrationen zahlreiche namhafte und amtsbekannte Neonazis, Rechtsradikaler, gewaltbereite Hooligans, „Querdenker", „Wiener Wehrmänner", Identitäre und „Reichsbürger" teilgenommen haben.
a) Welche Maßnahmen wurden hinsichtlich dieser Personen getroffen?
b) Wurden Personen, die Messer, Schlaghandschuhe, Pfefferspray etc. mit sich führten und daher gegen das Waffenverbot des § 9a VersammlungsG verstießen, angezeigt?
c) Wurden ihnen solche Gegenstände abgenommen?
d) Wie viele derartige Amtshandlungen wurden gesetzt?
11) Welche Informationen liegen dem Innenministerium, der LPD Wien, dem LVT Wien und dem BVT über die „Wiener Wehrmänner" vor? Ist den Behörden bekannt, dass die „Wiener Wehrmänner" - welche am Samstag uniformiert gekleidet auftraten - aus der Gruppe der jungen Identitären hervorgehen und gemeinhin als rechtsradikal gelten?
a) Wenn ja, wird die Gruppe und deren Aktivitäten im Besonderen beobachtet?
b) Wie ist deren Gefahreneinstufung?
c) Sind bereits amtsbekannte Mitglieder in der Gruppierung aktiv?
12) Am Samstag wurden mehrere Fahnen der sog. „Reichsbürger" gesehen. Welche Informationen liegen dem Innenministerium, der LPD Wien, der LVT Wien und dem BVT über die „Reichsbürger" vor?
a) Ist den Sicherheitsbehörden bekannt, wie viele sog. „Reichsbürger*innen" in Österreich sind? Gewinnt die Gruppierung hierzulande an Bedeutung?
b) Wenn ja, werden die Gruppe und deren Aktivitäten im Besonderen beobachtet?
c) wenn nein: wieso nicht.
13) Nach der Auflösung der Kundgebung im Wiener Prater zogen Personen mit rechtsextremen Parolen, darunter auch "Sieg Heil"-Rufen und missbräuchlich verwendeten Davidsternen durch den zweiten Wiener Gemeindebezirk. Wie konnte es dazu kommen, dass die Polizei in Wien es zulässt, dass Rechtsradikale ausgerechnet an Wohnungen mit bedeutender jüdischer Historie und Gegenwart vorbeimarschieren?
a) Kam es seitens der Polizei zu einer Unterbindung dieses Marsches?
i) Wenn ja, auf welche Weise hat die Polizei versucht einzuschreiten?
ii) Wenn nein: wieso nicht
b) Kam es zu Identitätsfeststellungen, Anzeigen und/oder Festnahmen im Zuge dieses.Marsches?
i) Falls ja: Bitte um eine genaue Aufschlüsselung.
ii) Wenn nein: wieso nicht?
c) In den Medien wurde von einem Livestream seitens der Demonstrat*innen berichtet, bei dem sie sich filmten, wie sie mit Parolen durch den Bezirk ziehen. Kam es hier zu einer Sicherstellung und Auswertung des Mobilgeräts?
d) Wurde in Zusammenhang mit Holocaust-Verharmlosung Anzeige erstattet bzw. Ermittlungen eingeleitet?
e) Welche Möglichkeiten sehen das Innenministerium und die LPD Wien, um in Zukunft das missbräuchliche Tragen von Davidsternen und weiteren den Holocaust verharmlosenden Symbolen zu unterbinden und zu ahnden und der verharmlosenden Verwendung von geschichtsträchtigen Symbolen vorzubeugen?
14) Am frühen Abend kam es an der Unteren Augartenstraße zunächst zu einer Kesselung von Demonstrant*innen durch die Polizei. In der aufgeladenen Stimmung stürmten mehrere Dutzend Personen in die Tiefgarage der Wiener Städtischen-Versicherung. Ein Wachmann wurde dabei schwer verletzt, ein weiterer leicht.
a) Kam es zu Identitätsfeststellungen, Anzeigen und Verhaftungen im Laufe dieses Ereignisses?
b) Waren polizeibekannte Personen der Identitären, der gewaltbereiten Rechtsextremen, Hooligans, „Österreicher", „Reichsbürger" und/oder „QAnon" Bewegung in die Stürmung involviert?
c) waren Politikeri*nnen der FPÖ und/oder der Alternative für Deutschland (AfD) in die Stürmung involviert?
d) Wie wurde auf die Stürmung des Gebäudes seitens der Polizei reagiert? Welche Maßnahmen wurden gesetzt?
e) War man auf Stürmungen und/oder ähnliches eskalatives Vorgehen von Seiten der Demonstrant*innen vorbereitet? Gab es im Vorfeld Einschätzungen, dass es zu solchen Ereignissen kommen könnte?
15) Zu wie vielen Festnahmen kam es im Verlauf der Demonstrationen am Samstag und aus welchen Gründen?
a) Wie lange wurden die festgenommenen Personen festgehalten?
b) Wurden Personen nach der Festnahme inhaftiert? Wenn ja, was waren die Haftgründe?
c) Wann wurden die Personen wieder auf freien Fuß gesetzt?
d) Kam es zu Anzeigen gegenüber Personen des öffentlichen Interesses wie z.B. Politiker*innen? Wenn ja, aus welchen Gründen?
16) Kam es bei der Demonstration am 6.3.2021 zu Angriffen oder Bedrohungen auf Medienvertreter*innen?
a) Wenn ja, wurden die mutmaßlichen Täter*innen angezeigt?
b) Wenn ja, wie viele Anzeigen wurden eingebracht?
c) Wenn nein, warum nicht? Bitte um ausführliche Begründung.
17) Wie viele Polizist*innen wurden bei den Demonstrationen verletzt und welcher Art waren diese Verletzungen?
18) Wie viele Teilnehmer*innen der Demonstration wurden bei dem Polizei-Einsatz aus welchen Gründen verletzt?
19) Wie viele unbeteiligte Personen wurden im Zusammenhang mit den Demonstrationen / Kundgebungen verletzt?
20) Welche Schlüsse zieht das Innenministerium, die LPD Wien und die LPD Wien aus den vergangenen Demonstrationen auf die Vorbereitung für weitere, ähnliche Demonstrationen?
21) Wie werden die Sicherheitsbehörden in Zukunft Wiener*innen, und insbesondere in Wien wohnende Bürger*innen aus der jüdischen Gemeinde, besser schützen?