5828/J XXVII. GP
Eingelangt am 17.03.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend "Ibiza"-Videos und "Strache-Kurz"-SMS - gesetzeswidrige exzessive Klassifizierung für "Ibiza"-Untersuchungsausschuss versus ministerieninterne Handhabung
Auf Grund entsprechender Aufforderungen nach § 27 Abs 4 VO-UA der Abgeordneten Krisper, Krainer, Kolleginnen und Kollegen wurden seitens des BMJ mit Lieferung vom 18. Dezember 2020 dem "Ibiza"-Untersuchungsausschuss die "Ibiza"-Videos, d.h. alle sich in Akten zum "Ibiza"-Verfahrenskomplex befindlichen Video- und Audiodateien, ohne Schwärzungen samt Transkript übermittelt.
Dabei erfolgte seitens des BMJ die Einstufung in die Klassifizierungsstufen "STRENG GEHEIM (4)" nach § 4 Abs 1 InfOG.
Hinsichtlich der Lieferung der "Ibiza"-Videos samt Transkript wurde am 27. Jänner 2021 seitens der Abgeordneten Krisper und Krainer bereits eine Herabstufung in Sicherheitsstufe 1 nach § 6 Abs 1 InfOG angeregt. Die diesbezügliche Entscheidung von Nationalpräsident Wolfgang Sobotka steht im Zeitpunkt der Einbringung gegenständlicher Anfrage weiterhin aus.
Bei der gewählten Sicherheitsstufen „STRENG GEHEIM“ handelt es sich um die höchste Sicherheitsstufe nach dem InfOG.
Eine solche Einstufung ist nach § 4 Abs 1 Z 4 InfOG vorgesehen, wenn das Bekanntwerden der Informationen eine schwere Schädigung der in Z 1 genannten Interessen wahrscheinlich machen würde (Stufe 4).
Bei den genannten Interessen handelt es sich nach § 4 Abs 1 Z 1 InfOG um folgende:
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, den wirtschaftlichen Interessen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der Vorbereitung einer Entscheidung oder dem überwiegenden berechtigten Interesse der Parteien zuwiderlaufen würde und die Informationen eines besonderen organisatorischen Schutzes bedürfen.
Im Ausschussbericht zum InfOG wurden als Beispiele für die berechtigte Einstufung einer Information als „STRENG GEHEIM“ genannt:
· unmittelbarer Verlust zahlreicher Menschenleben
· unmittelbare Gefährdung der inneren Stabilität Österreichs oder von Drittstaaten oder internationalen Organisationen
· schwere und langfristige Schädigung der österreichischen Wirtschaft
Zur Herstellung des entsprechenden Schutzniveaus ist u.a. vorgesehen (vgl. §§ 6, 8, 9 11 InfoV):
Sicherheitsstufe "STRENG GEHEIM":
· Aufbewahrung: nur in besonders geschützten Bereichen (d.h. solchen die einer ständigen, doppelten Zutrittskontrolle unterliegen) in einem Sicherheitsbehältnis mit ständiger Bewachung oder Kontrolle oder mit zugelassener Einbruchsmeldeanlage in Verbindung mit Bereitschaftspersonal im Sicherheitsdienst oder einem mit einer Einbruchsmeldeanlage ausgestatteten Tresorraum in Verbindung mit Bereitschaftspersonal im Sicherheitsdienst;
· Bearbeitung: nur in einem besonders geschützten Bereich
· mündliche Übermittlung: nur in geschützten Bereichen und in Anwesenheit von Personen, die für die jeweilige Stufe berechtigt sind; zusätzlich Maßnahmen gegen Abhören nötig
· Telefongespräche: ebenfalls nur bei Maßnahmen gegen Abhören möglich
· Dokumente dürfen nicht elektronisch verarbeitet werden
· Verbot der Herstellung von Notizen
· Anfertigung von Kopien ist unzulässig
Gemäß § 27 Abs. 6 VO-UA ist der Untersuchungsausschuss über den Zeitpunkt und die Gründe der Klassifizierung schriftlich zu unterrichten. Der Ausschussbericht führt dazu aus, dass diese Bestimmung sicherstellen soll, dass „bestimmte Informationen nicht erst aufgrund der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses klassifiziert werden“ (AB 440 BlgNR XXV.GP). Sie entspricht daher einem Verbot einer solchen Höherstufung. Ziel des InfOG (vgl AB 441 BlgNR XXV.GP) ist, ein einheitliches Schutzniveau auf Seiten der Organe der Gesetzgebung und der Vollziehung zu gewährleisten. Eine Erhöhung der erforderlichen Schutzmaßnahmen durch Einstufung gemäß InfOG im Vergleich zum gewährten Schutzniveau auf Seite der Organe der Vollziehung stellt daher eine unzulässige Höherstufung aus Anlass der Vorlage von Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss dar.
Klassifizierungen haben außerdem gemäß § 5 InfOG nur in jenem Ausmaß und Umfang zu erfolgen, als dies unbedingt notwendig ist.
Aufgrund der Lieferung vonseiten des BMJ an den Untersuchungsausschusses in der Klassifizierungsstufe "streng geheim" stellt sich die Frage, wie innerhalb des BMI und BMJ mit denselben Beweismitteln seit deren Sicherstellung umgegangen wurde.
Soweit den AnfragestellerInnen bekannt, werden die gegenständlichen Akten in Ihrem Haus, Frau Bundesministerin für Justiz, als Verschlusssache gemäß Verschlusssachenverordnung, BGBl. II Nr. 3/2015 idgF, geführt. Die Verschlusssachenverordnung kennt keine mit dem InfOG vergleichbaren Klassifizierungsstufen. Das materielle und persönliche sowie organisatorische Schutzniveau, das durch die Verschlusssachenverordnung für klassifizierte Informationen hergestellt wird, entspricht jenem der Stufe 1 des InfOG. So ist die elektronische Aktenführung in § 4 der Verschlusssachenverordnung explizit vorgesehen. Für die Aufbewahrung verfügt § 6 Abs 1 lediglich die Aufbewahrung in einem versperrbaren Aktenschrank. Kopien sind unter der Beachtung gewisser Regularien zulässig (§ 9).
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Welche gesetzlichen und sonstigen rechtlichen Bestimmungen sind im Umgang mit Beweismitteln in Ihrem Haus einschlägig?
2. In welchen Fällen werden Beweismittel in jeweils welcher Form unterschiedlich klassifiziert?
a. Auf Basis welcher gesetzlichen und sonstigen rechtlichen Bestimmungen geschieht dies jeweils?
3. Wie wird in diesen Fällen jeweils mit den Beweismitteln verfahren?
a. Auf Basis welcher gesetzlichen und sonstigen rechtlichen Bestimmungen geschieht dies jeweils?
b. Welche Schutzmaßnahmen sehen diese Bestimmungen jeweils vor?
4. Inwiefern werden diese Bestimmungen jeweils in der Praxis umgesetzt?
5. Wann wurden die in der Begründung genannten Akten und Unterlagen ("Ibiza"-Videos samt Transkript) vonseiten des BMI an das BMJ übergeben?
a. Durch wen an wen?
6. Nach welchen Bestimmungen wurden die in der Begründung genannten Akten und Unterlagen ("Ibiza"-Videos samt Transkript) klassifiziert?
7. Wer nahm die Klassifizierung aufgrund eines Auftrages von wem wann vor?
8. Welchen organisatorischen Schutzmaßnahmen unterliegen die in der Begründung genannten Akten und Unterlagen ("Ibiza"-Videos samt Transkript) seit wann jeweils?
9. Wer entschied über das Setzen dieser organisatorischen Schutzmaßnahmen aufgrund eines Auftrages von wem jeweils wann?
10. Befinden sich diese Unterlagen in einem besonders geschützten Bereich (d.h. einem solchen, der einer ständigen, doppelten Zutrittskontrolle unterliegt) in einem Sicherheitsbehältnis oder Tresorraum?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
11. Werden diese Unterlagen ausschließlich in einem besonders geschützten Bereich (d.h. einem solchen, der einer ständigen, doppelten Zutrittskontrolle unterliegt) bearbeitet?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
12. Erfolgt(e) die mündliche Übermittlung von Inhalten nur in geschützten Bereichen und in wie weit ist der Personenkreis, der potentiell Zugang zu diesen Informationen hat in einer den Bestimmungen des InfOG für die Sicherheitsstufen 3 und 4 vergleichbaren Art und Weise beschränkt?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
13. Erfolg(t)en bei (fern-)mündlicher Übermittlung von Inhalten dieser Dokumente Maßnahmen zum Abhörschutz?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
b. Wenn ja, welche?
c. Wenn ja, auf Basis welcher Bestimmung?
14. Werden die Akten und Unterlagen auch elektronisch verarbeitet?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
b. Wenn nein, besteht ein diesbezügliches Verbot?
i.Wenn ja, auf Basis welcher Bestimmung?
15. Besteht ein Verbot der Anfertigung von Notizen betreffend der Akten und Unterlagen?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
b. Wenn ja, auf Basis welcher Bestimmung?
16. Ist die Anfertigung von Kopien generell unzulässig?
a. Wenn ja, jeweils seit wann?
b. Wenn ja, auf Basis welcher Bestimmung?
c. Wenn nein, unter welchen Bedingungen ist die Anfertigung von Kopien zulässig?
17. Hinsichtlich der Fragen 10 bis 17 seit wann gelten die jeweiligen Regularien jeweils?
a. Auf welcher Rechtsgrundlage beruhen diese?
b. Wer verfügte diese Regularien?
18. Sollte sich aus den Fragen 10 bis 17 ergeben, dass kein Schutzniveau, welches durchgehend und in all seinen Facetten der Klassifizierungsstufe 4 des InfOG entspricht, gewährleistet ist: warum ist diese Ungleichbehandlung (geringeres Schutzniveau in Ihrem Ministerium, höheres Schutzniveau im Untersuchungsausschuss) gerechtfertigt und auf welcher rechtlichen Basis beruht diese Ungleichbehandlung?
19. Wer argumentierte im Sinne dieser Ungleichbehandlung innerhalb Ihres Ressorts jeweils wann?
20. Gemäß § 5 Abs. 2 InfOG soll die Klassifizierung einer dem Nationalrat zugeleiteten Information nur in dem Ausmaß und Umfang erfolgen, als dies unbedingt notwendig ist. Der Urheber soll nach Möglichkeit eine klassifizierte Information auch in einer Form übermitteln, die zur Veröffentlichung geeignet ist. Eine pauschale Klassifizierung – wie sie im gegenständlichen Fall offenbar erfolgte - ist daher in jedem Fall unzulässig: Weshalb erfolgte die Einstufung der in Rede stehenden Akten und Unterlagen pauschal und vollumfänglich in Klassifizierungsstufe 4?
a. Beruht diese Einstufung in Klassifizierungsstufe 4 auf der Brisanz einzelner Passagen oder auf der Brisanz der gesamten Akte und Unterlagen?
21. Wer argumentierte im Sinne dieser Klassifizierung innerhalb Ihres Ressorts jeweils wann?
22. Welche Stelle erstattete diesbezüglich einen Erstvorschlag, wie lautete dieser und wie wurde dieser begründet?
23. Wenn dieser Erstvorschlag abgeändert wurde: durch wen und mit welcher Begründung (bitte um detaillierte Auflistung)?
24. Gab es hinsichtlich der Einstufung Meinungsverschiedenheiten zwischen WKStA, OStA Wien und BMJ?
a. Welche Stelle vertrat welche Position jeweils wann, und wie kam es letztlich zur finalen Entscheidung?
25. Durch welche Stelle erfolgte die Letztentscheidung über die Einstufung der betreffenden Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss als "streng geheim" wann in Rücksprache mit wem?
26. Durch welche Person in dieser Stelle erfolgte die Letztentscheidung über die Einstufung der betreffenden Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss als "streng geheim" wann in Rücksprache mit wem?
27. In wie weit war die OStA Wien und LOStA Fuchs in diesen Prozess eingebunden?
28. Warum kam es bei der Lieferung der "Kurz-Strache"-SMS, die von Vizekanzler Kogler für den 20. Februar 2021 avisiert wurde, zu derartigen Verzögerungen?
29. Durch welche Stelle erfolgte die Einstufung der "Kurz-Strache"-SMS anlässlich der Übermittlung an den Untersuchungsausschuss?
30. Welche Stelle erstattete diesbezüglich einen Erstvorschlag, wie lautete dieser und wie wurde dieser begründet?
31. Wenn dieser Erstvorschlag abgeändert wurde: durch wen und mit welcher Begründung (bitte um detaillierte Auflistung)?
32. Gab es hinsichtlich der Einstufung Meinungsverschiedenheiten zwischen WKStA, OStA Wien und BMJ?
a. Welche Stelle vertrat welche Position, und wie kam es letztlich zur finalen Entscheidung?
33. In wie weit war die OStA Wien und LOStA Fuchs in diesen Prozess eingebunden?
34. Durch welche Stelle erfolgte die Letztentscheidung über die Einstufung der betreffenden Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss als "geheim" wann in Rücksprache mit wem?
35. Durch welche Person in dieser Stelle erfolgte die Letztentscheidung über die Einstufung der betreffenden Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss als "geheim" wann in Rücksprache mit wem?
36. Wie erklärt sich das "technische Problem" welches zu einer weiteren Verzögerung der Lieferung an den Untersuchungsausschuss führte?
a. Welche Stelle im BMJ wäre für die korrekte Übergabe in haptischer Form zuständig gewesen?
37. Aus welchen Gründen wurden einzelne Passagen trotz der sehr hohen Einstufung geschwärzt?
38. Wer traf diese Entscheidung wann in Rücksprache mit wem?
39. Warum erfolgte nur 2 Tage nach der Lieferung der SMS eine Herabstufung von Sicherheitsstufe 3 auf Stufe 1?
40. Wer traf diese Entscheidung wann in Rücksprache mit wem?