6094/J XXVII. GP

Eingelangt am 26.03.2021
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Dringliche Anfrage

gem. § 93 Abs. 1 GOG-NR

 

der Abgeordneten Jörg Leichtfried,

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Sparen bei der Impfstoffbeschaffung – Wie die Bundesregierung leichtfertig mit Leben und Arbeitsplätzen der Menschen in Österreich spielt  

 

 

Begründung

 

Die Bunderegierung hat bei der Impfstoffbeschaffung schwere Fehler gemacht. Mittlerweile geht aus offiziellen Regierungsdokumenten eindeutig hervor, dass ausgerechnet beim Impfen nicht nach dem Prinzip „Koste es was es wolle“, sondern vielmehr nach dem Motto „Geiz ist geil“ gehandelt wurde. Im Ministerrat vom 29.07.2020 hat der Bundeskanzler gemeinsam mit seiner Bundesregierung einen Kostendeckel für die Impfstoffbeschaffung in der Höhe von 200 Mio. € beschlossen. Im Beschlusstext der Bundesregierung heißt es bzgl. der budgetären Bedeckung am 29.07.2020 dazu wörtlich:  

 

„… einem Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro …“

 

Dieser Beschluss einer Kostenobergrenze bei der Impfstoffbeschaffung wird in einem weiteren Ministerratsvortrag vom 15.09.2020 nochmals bekräftigt. Der entsprechende Beschlusstext lautet wörtlich:

 

„…aus Mitteln des COVID19-Krisenbewältigungsfonds, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen, ausschließlich im Rahmen der avisierten Obergrenze iHv. 200 Mio. EUR lt. Ministerrat 27/44 ihre Bedeckung finden.“

 

In den ersten Pressestatements hat der Finanzminister die Existenz einer Kostenobergrenze zunächst bestritten. Er hat dabei offenbar wissentlich die Unwahrheit gesagt. Danach hat man versucht zu behaupten, dass dieser Kostendeckel nicht relevant war. Diese Behauptung wird aber von einem weiteren Ministerratsvortrag vom 09.02.2021 völlig ad absurdum geführt. In diesem Ministerrat Anfang Februar (als es aber schon zu spät war) erkennt offenbar jemand in der Regierung, dass man mit 200 Mio. € nicht ausreichend Impfstoff beschaffen kann. Deshalb hebt die Regierung den Kostendeckel für die Impfstoffbeschaffung an. Wie dramatisch falsch die ursprünglichen Kalkulationen von 200 Mio. € waren erkennt man daran, dass die Kostenobergrenze fast verdoppelt wurde. Dazu heißt es im Beschlusstext wörtlich:

 

„Der gesamte Kostenrahmen für das oben beschriebene Risiko-Portfolio von 30,5 Millionen Dosen beträgt daher in Summe 388,3 Millionen Euro.“

 

Nachdem sich auch die Behauptung, man hätte ohnehin mehr als die 200 Mio. € für Impfstoffe ausgeben können, in Luft auflöst, greift der Finanzminister zur nächsten Lüge. Sinngemäß versucht Finanzminister Blümel zu argumentieren, dass das Gesundheitsministerium selbst eine Kostenobergrenze von 200 Mio. € vorgeschlagen hatte, da es sich ja um einen Ministerratsvortrag von Bundeminister Anschober handeln würde. Neue, regierungsinterne Dokumente enthüllen aber die gesamte Tragweite des Impfskandals. Es war tatsächlich nicht das Gesundheitsministerium, sondern das Finanzministerium, das auf eine Kostenobergrenze von 200 Mio. € beharrte, beim Impfen sparen wollte und damit vorsätzlich die Gesundheit der ÖsterreicherInnen gefährdete.

Wie „die Krone“ am 25.03.2021 aufdeckte, war im ursprünglichen Ministerratsvortrag des Gesundheitsministeriums bzgl. des Kostenrahmens für die Impfstoffbeschaffung folgender Beschlusstext vorgesehen:

 

„… einem Gesamtkostenrahmen von mehr als 200 Millionen Euro …“

Das BMF akzeptiert diese Passage des Ministerratsvortrags jedoch nicht und beharrt auf eine Änderung – der Formulierungsvorschlag des BMF lautet:

 

„…einem Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro …“

 

Das Onlinemedium „ZackZack“ zitiert aus regierungsinternen Dokumenten. Einer der engsten Mitarbeiter von Finanzminister Blümel schreibt am 28.07.2020 – am Tag vor dem Beschluss - eine E-Mail an das Spiegelressort mit den entsprechenden Änderungsvorschlägen des BMF.

 

 

In dieser Form („..bis zu 200 Millionen Euro“) wurde der Regierungsbeschluss letztlich gefasst und damit auch eine der wohl verheerendsten Fehlentscheidungen in der Pandemiebekämpfung.

Bei den Bestellungen im Herbst waren die BeamtInnen an die Kostenobergrenze von 200 Mio. € gebunden. Sie mussten daher bei den Bestellungen in erster Linie auf den günstigsten Impfstoff von AstraZeneca setzen. Österreich verzichtetet aufgrund dieses Beschlusses auf zusätzliche Impfdosen von den weitaus teureren Impfstoffen von BioNTech/Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson. Hätte man bei den Bestellvorgängen immer den maximalen Anteil für Österreich seitens der Bundesregierung abgerufen, hätte man alleine von Johnson & Johnson im 2. Quartal 2021 zusätzliche (!) 750.000 Impfdosen erhalten. Im Falle von Johnson & Johnson hätte man damit 750.000 Menschen impfen können, da bei diesem Impfstoff eine Dosis für eine Immunisierung ausreichend ist.

Im Ergebnis bedeutet dies: Aufgrund des Kostendeckels und dem damit verbundenen „freiwilligen“ Verzicht Österreichs auf mehr Impfstoff, werden wir in Österreich in der ersten Jahreshälfte um rund 1 Mio. Menschen weniger impfen können, als dies auf Basis unseres EU-Kontingents eigentlich möglich gewesen wäre. Insgesamt hat Österreich so auf rund 7 Mio. Impfdosen verzichtet.

 

Ein Tag im Lockdown kostet der österreichischen Wirtschaft mehr als 200 Mio. €. Das ist derselbe Betrag, den die Regierung für die Beschaffung von Impfstoffen insgesamt ausgeben wollte. Zum Vergleich: Israel hat bereits 660 Mio. € für die Beschaffung von Impfstoffen ausgegeben – bei einer Bevölkerung von 8,8 Mio. Menschen.

 

Die Österreicherinnen und Österreicher zahlen für das „Sparen beim Impfen“ einen hohen Preis – gesundheitlich, aber auch sozial und ökonomisch. Die Verantwortung für dieses Desaster zu Lasten der Österreicherinnen und Österreicher wird einstweilen seit Wochen zwischen Bundeskanzler, Gesundheits- und Finanzminister hin und her geschoben.

 

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgende

 

Dringliche Anfrage

 

1.    Hat der Bundeskanzler die Sitzungen des Ministerrats vom 29.07.2020 und vom 15.09.2020 geleitet?

2.    Ist es zutreffend, dass im Ministerratsvortrag vom 29.7.2020 bzgl. der Beschaffung von Impfstoffen folgender Beschlusstext beschlossen wurde: „Aufgrund der aktuell erst am Beginn stehenden Vertragsvereinbarungen und der Unabwägbarkeit verschiedener anderer Faktoren ist bei der angestrebten Impfung von 8 Millionen Menschen in Österreich jedenfalls von einem Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro auszugehen.“?

3.    Ist es zutreffend, dass das Gesundheitsministerium für den Beschlusstext in einer ersten Fassung, die an Ihr Kabinett ging, folgende Formulierung vorgeschlagen hat: „Aufgrund der aktuell erst am Beginn stehenden Vertragsvereinbarungen und der Unabwägbarkeit verschiedener anderer Faktoren ist bei der angestrebten Impfung von 8 Millionen Menschen in Österreich jedenfalls von einem Gesamtkostenrahmen von mehr als 200 Millionen Euro auszugehen“?

4.    Ist es zutreffend, dass ein Mitarbeiter Ihres Kabinetts den ursprünglichen Vorschlag des Gesundheitsministeriums im betreffenden Absatz wie folgt abgeändert hat: „Aufgrund der aktuell erst am Beginn stehenden Vertragsvereinbarungen und der Unabwägbarkeit verschiedener anderer Faktoren ist bei der angestrebten Impfung von 8 Millionen Menschen in Österreich jedenfalls von einem Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro auszugehen“?

5.    Ist es zutreffend, dass es in einem weiteren Ministerratsvortrag vom 15.09.2020 bzgl. der Beschaffung von Impfstoffen wörtlich heißt: „… aus Mitteln des COVID19-Krisenbewältigungsfonds, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen, ausschließlich im Rahmen der avisierten Obergrenze iHv. 200 Mio. EUR lt. Ministerrat 27/44 ihre Bedeckung finden.“?

6.    Hat Sie Ihr Kabinett über die – in den Fragen 1 bis 3 genannten - Abänderungen des Ministerratsvortrags informiert?

7.    Ist Ihnen dieser E-Mail-Verkehr zwischen einem engen Mitarbeiter in der Regierungskoordination von Ihnen und dem Spiegelressort bekannt?

 

 

8.    Haben Sie den Bundeskanzler über die betreffenden Passagen in den Ministerratsvorträgen vom 29.7.2020 bzw. 15.09.2020 informiert?

9.    Wie hoch schätzt man im Finanzressort die volkswirtschaftlichen Kosten pro Lockdown-Tag?

10. Haben Sie mit dem Bundeskanzler über das Nicht-Abrufen des österreichischen Impfstoffkontigents Gespräche geführt?

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 1 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und dem Erstanfragesteller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.