6152/J XXVII. GP

Eingelangt am 26.03.2021
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Erwin Angerer

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Umgehung der Vollanwendung des Bundesvergabegesetzes durch BMDW und ÖRK Einkauf & Service GmbH

 

Das Bundesvergabegesetz regelt unter anderem die „Beschaffung von Leistungen (Vergabeverfahren) im öffentlichen Bereich“ wie auch „die Verfahren zur Beschaffung von Leistungen (Vergabeverfahren) im Sektorenbereich, das sind die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen durch Sektorenauftraggeber sowie die Durchführung von Wettbewerben durch Sektorenauftraggeber[1]. Das heißt, öffentliche Aufträge entsprechend BVerG müssen jedenfalls ein Verfahren durchlaufen, in dem unterschiedliche Unternehmen/Bieter bei der Angebotslegung Berücksichtigung finden, bevor diese vergeben werden. Je nach Auftragsart – ob Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag – ist laut BVerG ein Schwellenwert angegeben, ab welchem das BVerG greift. Als mögliche öffentliche Auftraggeber werden sämtliche Ministerien wie auch das AIT Austrian Institute of Technology GmbH, die Bundesbeschaffung Ges.m.b.H. sowie die Bundesrechenzentrum Ges.m.b.H. angeführt.[2] Wird ein Beschaffungsvorhaben des Bundes „einem Rechtsträger des Privatrechts, an dem der Bund nicht im Sinne des Abs. 1. beteiligt ist, durch eine privatrechtliche Vereinbarung zur Besorgung übertragen, und belasten die dem betreffenden Rechtsträger hieraus erwachsenden Kosten zum überwiegenden Teil oder im Einzelfall mit mehr als zwei Millionen Euro endgültig den Bund, darf eine solche Übertragung, sofern in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur unter sinngemäßer Anwendung des Abs. 1 im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Finanzen oder dem Bundesminister für Finanzen vorgenommen werden.[3]

 

Sieht man sich die Chronologie hinsichtlich der Beschaffungsvorgänge und Auftragsvergaben im Zuge der COVID-19-Pandemie zwischen BMDW (Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) und dem ÖRK (Österreichisches Rotes Kreuz) an, so lässt sich nicht ausschließen, dass hierbei zumindest die Vollanwendung des Bundesvergabegesetzes umgangen wurde:

 

12.03.2020                WHO erklärt COVID-19 Ausbruch zur Pandemie

09.-13.03.2020         Krisenstab SKKM im BMI beauftragt in Abstimmung mit den zuständigen Ressorts das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK), als zentrale Stelle für die dringliche Beschaffung des bundesweiten Bedarfs an Schutzgütern für die Dauer der Pandemie

16.03.2020                rückwirkender Beginn der Gültigkeit des Beschaffungsvertrages BMDW mit ÖRK Einkauf & Service GmbH

23.03.2020                finale Abstimmung des Vertragstextes

24.03.2020                Vertragsunterzeichnung BMDW und ÖRK Einkauf & Service GmbH

27.03.2020                Klärung EU-beihilfenrechtlicher Frage (Problem zu hohes Auftragsentgelt)

                                    Nachtrag zum Werkvertrag

30.06.2020                Auslaufen des Vertrages mit dem ÖRK

01.07.2020                Zuständigkeit für die Beschaffung geht zur Gänze zur BBG

 

Obwohl laut BVerG unterschiedliche Unternehmen zur Angebotslegung eingeladen werden hätten müssen (ursprüngliches Auftragsvolumen rund 116 Mio EUR), wurde ohne Vorliegen von Alternativangeboten das ÖRK mit Hinweis auf die Anwendung des § 37 Abs. 1 Z 4 iVm § 122 Abs. 3 BVergG aufgrund von „Dringlichkeitsgründen“ mit der Beschaffung des Bedarfs an Schutzgütern während der Corona-Pandemie beauftragt (Vertrag vom 24.3.2020). Zudem erscheint unklar, inwiefern das BMF entsprechend Bundeshaushaltsgesetz dieser Vorgehensweise zugestimmt hat.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Finanzen nachstehende

 

Anfrage

 

1.    Ist Ihnen der gegenständliche zwischen dem BMDW und der ÖRK Einkauf & Service GmbH abgeschlossene Vertrag vom 24.3.2020 bekannt?

1a. Wenn ja, seit wann?

1b. Wenn nein, warum nicht?

2.    Ist Ihnen bekannt, ob der gegenständliche Vertrag von der Finanzprokuratur geprüft wurde?

3.    Wenn ja, gab es Punkte, die die Finanzprokuratur kritisch betrachtete und welche?

4.    Wenn nein, zeigte sich die Finanzprokuratur mit der gänzlichen Vertragsgestaltung zufrieden?

5.    Wurde aufgrund der Vertragsprüfung durch die Finanzprokuratur eine Vertragsanpassung oder ein anderer Vertragszusatz erstellt?

6.    Wenn ja, welche?

7.    Wenn nein, warum nicht?

8.    Gab es eine anderweitige Zusatzvereinbarung zwischen dem Bund und dem ÖRK betreffend Beschaffungsvorgänge im Zuge der Corona-Pandemie?

9.    Wenn ja, welche und mit welchem Inhalt?

10. Wurde die Anhebung der ursprünglichen Auftragssumme von 116 Mio EUR auf 240 Mio. EUR vertraglich geregelt?

11. Wenn ja, inwiefern?

12. Wenn nein, warum nicht?

13. Welche Beschaffungen wurden auf Basis des ursprünglichen Vertrages vom 24.3.2020 abgewickelt (mit der Bitte um Auflistung aller Beschaffungen inkl. Name des Auftragnehmers und der jeweiligen Auftragssumme)?

14. Wurden bei diesen Aufträgen Vergleichsangebote eingeholt?

15. Wenn ja, bitte um Auflistung aller eingeladenen Firmen und deren Angebote.

16. Wenn nein, warum nicht?

17. In welchem Zeitraum erfolgten die jeweiligen Beschaffungen entsprechend dem ursprünglichen Vertrag (bitte um Auflistung aller Beschaffungen inkl. Name des Auftragnehmers, Bestelldatum, Lieferdatum und Betrag)

18. Wurde hinsichtlich der jeweiligen Beschaffungen bzw. der Übertragung der Beschaffungen an das ÖRK das Einvernehmen mit dem BMF hergestellt?

19. Wenn ja, wann und mit welcher Begründung erklärte sich das BMF einverstanden?

20. Wenn nein, warum nicht, und blieb somit das Bundeshaushaltsgesetz unberücksichtigt?

21. Warum wurden die Beschaffungsvorgänge im Hinblick auf Schutzgüter zur Bewältigung der Corona-Pandemie schlussendlich an die Bundesbeschaffung Ges.m.b.H übertragen?

22. Wann begannen die ersten Gespräche in Zusammenhang mit dem Übergang der Beschaffung von ÖRK Einkauf & Service GmbH auf BBG?

23. Aufgrund welcher Parameter wurde das Wegfallen der Grundlagen für die Dringlichkeitsbeschaffung gemäß Bundesvergabegesetz geprüft?

24. Erfolgte die Prüfung des Wegfallens der Grundlagen für die Dringlichkeitsbeschaffung gemäß Bundesvergabegesetz hinsichtlich jedes einzelnen zu beschaffenden Produktes bzw. jedes Artikels?

25. Wann konkret wurde bei welchen Produkten bzw. Artikeln das Wegfallen der Dringlichkeit festgestellt?

26. Wann erfolgten die ersten Beschaffungen durch die BBG?

27. Die Beschaffung welcher konkreten Produkte bzw. Artikel erfolgte seitens der BBG vor dem Auslaufen des Vertrages zwischen BMDW und der ÖRK Einkauf & Service GmbH?



[1] § 1 Abs. 1 und § 1 Abs. 2 BVerG 2018, abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20010295.

[2] Vgl. ebd.: Anhang III.

[3] § 71 Abs. 3 BHG 2013, abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20006632