6191/J XXVII. GP

Eingelangt am 09.04.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim und GenossInnen

an die Bundesministerin für Justiz

 

betreffend „Gefängnisse als Hort der Gewalt“

 

Vor drei Jahren hat der damalige Justizminister Dr. Josef Moser eine Studie über Gefängnisgewalt angeregt, durch die man erfahren sollte, wie die diesbezügliche Realität in den österreichischen Justizanstalten aussieht. Ergebnis dieses Auftrages ist eine aktuelle Studie des Institutes für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS), das zwar in Wien beheimatet ist, aber seit März 2021 der Universität Innsbruck zugerechnet wird. Studienleiterin Veronika Hofinger und Andrea Fritsche haben dazu 2019 386 zufällig ausgewählte Insassen in zehn österreichischen Justizanstalten befragt und darüber hinaus die Erfahrungen von Anstaltsleitern, Wachebeamten und Experten angehört. Die Studie wurde noch vor Beginn der Corona-Pandemie durchgeführt.

 

Ergebnisse der Studie sind insbesondere: 72% der Befragten gaben an, Haftopfer in Form von Gewalt geworden zu sein. Vier von zehn Interviewten berichten von körperlicher Gewalt. Jeder Zehnte gab an, Opfer von sexuellen Übergriffen geworden zu sein. Bei Letzteren dürften nach Angaben von Veronika Hofinger die Dunkelziffer höher sein. Nach dem Bericht sind die Erfahrungen der Häftlinge in den einzelnen Justizanstalten unterschiedlich. Die Lage der Häftlinge unterscheidet sich stark nach Justizanstalt, Abteilung, Zelle und Insassen, Beschäftigungsmöglichkeiten und Einfluss einzelner Bediensteter. In der Justizanstalt Korneuburg (eine relativ neue und moderne Justizanstalt) erfuhren 89% der Befragten Respekt und Menschlichkeit, in der Justizanstalt Josefstadt nur 53%.

 

Zustand und Belag der Justizanstalt dürften wirklich ausschlaggebend für die Situation sein: 105,8 Häftlinge teilen sich 100 Haftplätze, im europäischen Schnitt sind es 87,1. Auf einen Bediensteten kommen in Österreich 2,4 Häftlinge, im übrigen Europa sind es 1,6. Insgesamt ist die Gefangenenrate in Österreich relativ hoch, nämlich von 100.000 Einwohnern sind 100 in Haft. In Deutschland und der Schweiz ist die Rate wesentlich niedriger.

 

Die österreichischen Printmedien haben ausführlich über diese Studie berichtet. So ist der Betreff dieser Anfrage wortident mit dem Titel des diesbezüglichen Artikels des Standards vom 31. März 2021. Im Falter 13/2021 ist als Quintessenz zu lesen: „Wer in einer Wirtschaftskrise neues Geld für die Betreuung von Straftätern ausgibt, hat in der öffentlichen Meinung wenig zu gewinnen. Es ist an der grünen Justizministerin Alma Zadić, Lehren aus der Studie zu ziehen.“ In der Kronen Zeitung vom 1. April 2021 nimmt der Anstaltseiter der Justizanstalt Karlau, Josef Mock, Stellung und merkt an, dass Überbelag in Zellen einer der Hauptgründe für die Probleme sei. Er wünscht sich künftig Einzelunterbringungen. „Überbelag führt zu noch mehr Stress.“

 

Seine Mitarbeiter nimmt er indes in Schutz: „Sie leisten Großartiges. Übergriffe auf Häftlinge sind mir nur äußerst vereinzelt bekannt, da ziehen wir aber natürlich sofort die Konsequenzen.“

 

Die unterzeichnenden Abgeordneten sehen auf Basis der Studie dringenden Handlungsbedarf. Die verhängten Freiheitsstrafen sind in unserem Rechtsstaat die Folgen für begangene Delikte. Es darf aber nicht sein, dass Häftlinge in den Justizanstalten Gewalterfahrungen zu erleiden haben, die um vieles schlimmer sind, als der zurecht verhängte Freiheitsentzug.

 

Auch wenn man weiß, dass viele Insassen wegen Gewalt-, Drogen und Sexualdelikten in Haft sind und somit eine außerordentlich schwierige Klientel darstellen, ist es Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen herzustellen, dass Gewalthandlungen in den Justizanstalten soweit es eben irgendwie möglich ist, hintangehalten werden. Man muss auch bedenken, dass unter schweren Gewaltbedingungen die vom Strafvollzugsgesetz eingeforderte Resozialisierung der Häftlinge außerordentlich erschwert wird. Vielmehr ist zu befürchten, dass Häftlinge mit Gewalterfahrung in der Anstalt nach der Entlassung verstärkt zu Gewaltdelikten neigen, was wiederum für die Bevölkerung mit einem hohen Sicherheitsverlust verbunden ist. Gewalt in den Justizanstalten bewirkt somit auch letztlich Gewalt außerhalb der Justizanstalten.

 

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an die Bundesministerin für Justiz nachstehende

 

ANFRAGE

 

1.     Welche Maßnahmen gedenken Sie aufgrund der aktuellen Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie über Haftbedingungen und Hafterfahrungen in zehn österreichischen Justizanstalten zu setzen?

2.     Sind Sie bereit im Interesse der Sicherheit in den Justizanstalten, aber auch außerhalb der Justizanstalten sich für mehr Budgetmittel für die Justizanstalten einzusetzen?

3.     Welche Maßnahmen gedenken Sie gegen den Überbelag in den österreichischen Justizanstalten zu setzen?

4.     Sind Sie bereit, sich verstärkt für mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für die Häftlinge in den Justizanstalten und für die Wiederöffnung der „Betriebe“ einzusetzen?

5.     Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die Häftlingszahlen in Österreich deutlich höher sind als in Deutschland und der Schweiz?

6.     Gedenken Sie die großen Unterschiede bei den Haftbedingungen zwischen den Justizanstalten tendenziell zu beseitigen und zwar durch eine Nivellierung nach oben?

7.     Wie stehen Sie zur Forderung des Anstaltsleiters der Justizanstalt Karlau, der sich künftig Einzelunterbringungen wünscht?

8.     Zwei Drittel der Häftlinge kennen keine Opferschutzstellen wie den Weißen Ring oder die Volksanwaltschaft. Was gedenken Sie dagegen zu tun?

9.     Sind Sie bereit, für eine noch professionellere Aus- und Weiterbildung der JustizwachebeamtInnen einzutreten und dafür Budgetmittel zur Verfügung zu stellen?

10.  Sind Sie dafür, dass die Einsatzgruppen in den Justizanstalten mit Körperkameras ausgestattet werden?

11.  Werden Sie sich dafür einsetzen, dass endlich die 200 Planstellen für JustizwachebeamtInnen, die seit längerem vorgesehen sind, tatsächlich besetzt werden und darüber hinaus die Anzahl des Personals in den Justizanstalten auf das notwendige Maß erhöht wird?

12.  Sind Sie dafür – solange es noch nicht ausreichend Einzelunterbringungen gibt – die Trennung der Häftlinge nach verschiedenen Kategorien (z.B. Ersttäter und Wiederholungstäter, schwere Gewalttäter und Täter ohne Gewaltbezug etc.) deutlich zu verstärken?