6216/J XXVII. GP
Eingelangt am 09.04.2021
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Anfrage
Des Abgeordneten Lausch
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Zweite Folgeanfrage zur Anfrage „welche Studien und Dienstleistungen Ministerien in Auftrag geben" (3720/J).
Mit der unter 4930/AB durch das Justizministerium ergangenen Beantwortung der ersten Folgeanfrage zur Anfrage „welche Studien und Dienstleistungen Ministerien in Auftrag geben“ (3720/J) wurden diverse Fragen zu der am 7. April 2017 beim „Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie“ (IRKS) um € 29.910, -- in Auftrag gegebenen Studie „Wege in die Radikalisierung. Wie Jugendliche zu IS-Sympathisanten werden (und welche Rolle die Justiz dabei spielt)“ pauschal beantwortet und dabei unter anderem ausgeführt:
„Die grundlegenden Fragestellungen, mit denen sich die Folgestudie „Wege der Radikalisierung. Wie Jugendliche zu IS-Sympathisanten werden (und welche Rolle die Justiz dabei spielt)“ auseinandersetzte, waren:
- Wo und durch wen radikalisieren sich Jugendliche in Österreich?
- Warum radikalisieren sich in Österreich aufgewachsene Jugendliche?
- Motive der Radikalisierung“
Der Beantwortung zufolge „steht“ das Justizministerium „in laufendem Austausch“ mit „wissenschaftlichen und internationalen Institutionen“. Insofern ist den dort für den Straf- und Maßnahmenvollzug verantwortlichen Mitarbeitern sicher bekannt, dass durch den „Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds“ (AMIF) mit einer Laufzeitverlängerung bis zum 31. Jänner 2017 eine Studie des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien mit dem Titel „Radikalisierungsprozesse unter Jugendlichen - Eine empirische Studie am Beispiel von Österreich“ gefördert wurde; dies zumal für diese Studie in elf Justizanstalten biografisch-narrative Interviews mit insgesamt 29 Insassen durchgeführt wurden:
„Das als empirische Studie angelegte Forschungsprojekt "Radikalisierungsprozesse unter Jugendlichen" zielt darauf ab, die Lebenswelten von Jugendlichen, die sich in verschiedenen Phasen der Radikalisierung befinden zu verstehen. Dabei ist es wichtig, den Radikalisierungsprozess in seinem Kontext zu erfassen. Um die Komplexität des Phänomens zu erschließen, werden neben den betroffenen Jugendlichen auch Familienangehörige und Personen, die beruflich mit der Thematik befasst sind, interviewt. Die Studie soll einen wissenschaftlich fundierten Beitrag zu Radikalisierungsprozessen unter österreichischen Jugendlichen liefern. Die steigende Zahl von Jugendlichen, die sich mit radikalem Gedankengut identifizieren und auch entsprechende Handlungen setzen, macht eine solche Studie notwendig. Die Ergebnisse sollen zu einem nachhaltigen Verständnis der Problematik führen. Hiervon werden Personen und Institutionen profitieren, die sich beruflich mit der Thematik auseinandersetzen. Die Studie soll zudem neue Impulse im Bereich der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit setzen.“
In der unter 4930/AB durch das Bundesministerium für Justiz ergangenen Beantwortung der ersten Folgeanfrage haben sie als „Erkenntnisse“ der Studie des IRKS genannt:
„Auch die Folgestudie „Wege der Radikalisierung. Wie Jugendliche zu IS-Sympathisanten werden (und welche Rolle die Justiz dabei spielt)“ wurde nach deren Erstellung von den zuständigen Fachabteilungen ausgewertet, woraus etwa die Erkenntnis gewonnen wurde, dass das „Gefängnis als Brutstätte“ für Radikalisierung eher eine Art Randerscheinung ist:
Die Mehrheit der wegen § 278b StGB verurteilten Straftäter waren zuvor nicht in Haft, konnten also nicht in der Haft radikalisiert worden sein; jedoch könne nicht verhindert werden, dass man in Haft mit ISIS-Propaganda in Berührung kommt.
Entscheidend waren stets auch die Umstände und Einflüsse nach der Haft.
In keinem dieser Fälle hat ein einfacher Ursache-Wirkung-Zusammenhang in dem Sinne bestanden, dass auf eine Radikalisierung im Gefängnis nach der Entlassung unmittelbar terroristische Aktivitäten gefolgt wären.
Die Entscheidung für die extremistische Ideologie und die Begeisterung für den IS stehen wahrscheinlich mit einer gescheiterten Resozialisierung nach der Haft, insbesondere mit negativen Erfahrungen am Arbeitsplatz, in Zusammenhang und werden durch virtuelle „Freunde“ und radikale Prediger im Internet sowie in Moscheen angefeuert.
Als Konsequenz einer gerichtlichen Verurteilung wegen § 278b StGB haben alle Nicht-Österreicher außerdem mit schweren fremdenrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, nämlich z.B. mit einer Aberkennung des Status als anerkannter Flüchtling. Das bedeutet, dass diese Personen in und nach der Haft mehr denn je am Rande der Gesellschaft stehen und Re-Integrationsbemühungen konterkariert werden.“
Zudem wird unter Hinweis auf die hohe Bedeutung des parlamentarischen Interpellationsrechts folgende, in der unter 4930/AB durch das Justizministerium ergangenen Beantwortung der ersten Folgeanfrage zur Anfrage „welche Studien und Dienstleistungen Ministerien in Auftrag geben“ (3720/J) nicht beantwortete Fragen erneut gestellt:
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundes-ministerin für Justiz folgende
Anfrage
1. Welche ihrer oben genannten „grundlegenden Fragestellungen“ haben die verantwortlichen Mitarbeiter des Justizministeriums in der Studie der Universität Wien nicht beantwortet gesehen, sodass um € 29.910, -- die weitere Studie des IRKS beauftragt wurde? (bitte um genaue Darlegung!)
2. Wann wurde dieser weitere Informations- bzw. Forschungsbedarf strukturiert erhoben und dargestellt bzw. kommuniziert (bitte um genaue Darlegung!)
3. Wie wurde dieser weitere Informations- bzw. Forschungsbedarf strukturiert erhoben und dargestellt bzw. kommuniziert? (Bitte um genaue Darlegung)
4. Durch wen wurde dieser weitere Informations- bzw. Forschungsbedarf strukturiert erhoben und dargestellt bzw. kommuniziert? (Bitte um genaue Darlegung)
5. Hat die Studie des IRKS diesen weiteren Informations- bzw. Forschungsbedarf sodann im erwarteten Ausmaß gedeckt?
a. Wenn ja, mit welchem konkreten Ergebnis bzw. welchen konkreten Ergebnissen? (bitte um genaue Darlegung!)
b. Wenn nein, warum nicht und welche Maßnahmen wurden daraufhin ergriffen? (bitte um genaue Darlegung!)
6. Wieso konnte das Justizministerium nicht auch ohne das IRKS (d.h. durch eigene Erhebungen) zu der „Erkenntnis“ kommen, dass die Mehrheit der wegen § 278b StGB verurteilten Straftäter zuvor nicht in Haft waren, somit auch nicht in der Haft radikalisiert worden sein konnte?
7. Wieso konnte das Justizministerium nicht auch ohne das IRKS (d.h. durch eigene Erhebungen) zu der „Erkenntnis“ kommen, dass nicht verhindert werden kann, dass man in Haft mit ISIS-Propaganda in Berührung kommt?
8. Wieso konnte das Justizministerium nicht auch ohne das IRKS (d.h. durch eigene Erhebungen) zu der „Erkenntnis“ kommen, dass kein einfacher Ursache-Wirkung-Zusammenhang in dem Sinn bestanden hat, dass auf eine Radikalisierung im Gefängnis nach der Entlassung unmittelbar terroristische Aktivitäten gefolgt wären?
9. Wieso konnte das Justizministerium nicht auch ohne das IRKS (d.h. durch eigene Erhebungen) zu der „Erkenntnis“ kommen, dass alle Nicht-Österreicher als Konsequenz einer gerichtlichen Verurteilung wegen § 278b StGB mit schweren fremdenrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben, nämlich z.B. mit einer Aberkennung des Status als anerkannter Flüchtling?
10. Wurde erhoben, welche sonstigen Institute bzw. Forschungseinrichtungen über eine zumindest gleichwertige fachliche Kompetenz zur Beantwortung der Forschungsfragen verfügen?
a. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
b. Wenn nein, warum nicht?
11. Wurden Vergleichsangebote von sonstigen Instituten bzw. Forschungseinrichtungen eingeholt, insbesondere von solchen mit ausgewiesener forensisch-psychologischer Kompetenz sowie ausgewiesener wissenschaftlicher Expertise in Bezug auf (Präventions-)Maßnahmen gegen extremistisch motivierte Gewaltdelikte?
a. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
b. Wenn nein, warum nicht?
12. Wurden die Freischaltungen für Lesezugriffen auf die „Verfahrensautomation Justiz“ (VJ) wieder aufgehoben? (bitte um genaue Angaben, aus denen alle Zeiträume ersichtlich sind, in welchen den beiden Mitarbeitern des IRKS Lesezugriffe technisch möglich waren bzw. immer noch möglich sind).
13. Endeten sämtliche Freischaltungen für Lesezugriffen in der „Verfahrensautomation Justiz“ (VJ) zum jeweils vorgesehenen Zeitraum, d.h. spätestens mit dem Ende des jeweiligen Forschungsprojekts?