6303/J XXVII. GP
Eingelangt am 13.04.2021
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möglich.
Anfrage
Des Abgeordneten Lausch
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Zweite Folgeanfrage zur Anfrage „Terroranschlag in Wien" (3988/J)
In der parlamentarischen Anfrage vom 04.11.2020 betreffend „Terroranschlag in Wien“ (3988/J) wurden u.a. die Fragen gestellt, wie viele nach den „Terrorparagraphen“ §§ 278b ff, 282a StGB verurteilte Personen seit dem 01.01.2020 (vorzeitig) aus der Haft entlassen wurden.
Sie haben diese Fragen am 23.12.2020 unter 3966/AB wie folgt beantwortet:
„Dazu steht mir kein automationsunterstützt auswertbares Datenmaterial zur Verfügung, solches müsste händisch erhoben werden, weshalb davon im Rahmen der Interpellation Abstand genommen werden musste.“
In der am 12.03.2021 unter 4936/AB ergangenen Beantwortung der entsprechenden Folgeanfrage hat Ihre Karenzvertretung dann ausgeführt, dass eine automationsgestützte Auswertung sehr wohl möglich ist und auch entsprechende Zahlen genannt.
In der am 12.03.2021 unter 4936/AB ergangenen Beantwortung der Folgeanfrage hat Ihre Karenzvertretung auch ausgeführt, dass zu Kuijtim F. keine Risikobewertung mit dem VERA-2R vorgenommen wurde und ergänzt:
„[…] das genannte Verfahren befindet sich derzeit in Erprobung. Die Anwendung wird in den Justizanstalten derzeit vorbereitet.“
Allerdings wurden Ihnen bereits in der am 13.11.2019 – also fast genau ein Jahr vor dem Terroranschlag in Wien – ergangenen parlamentarischen Anfrage betreffend „die (Minder-)Qualität der deliktpräventiven Arbeit im Straf- und Maßnahmenvollzug“ (66/J) Fragen betreffend dieses Verfahren gestellt, die sie am 13.01.2020 unter 214/AB u.a. wie folgt beantwortet haben:
„Im Anschluss der VERA-2R Schulung im November 2018 wurde gemeinsam mit den Teilnehmer*innen beschlossen, eine einjährige Erprobungsphase in Form kleinerer Arbeitsgruppen durchzuführen, um erste Erkenntnisse gewinnen zu können. Bislang fanden sechs Arbeitsgruppen statt, bei welchen insgesamt neun Insass*innen anhand des VERA-2R Risk Assessments überprüft wurden.“
In der am 12.03.2021 unter 4936/AB ergangenen Beantwortung der Folgeanfrage hat Ihre Karenzvertretung ausgeführt, dass die Presseinformation des Justizministeriums vom 01.01.2017 so zu verstehen ist, dass mit „Screening-Verfahren“ das „Dynamische Risiko Analyse Systems“ (DyRiAS) gemeint war. Zudem wurde ausdrücklich festgestellt, dass der „Unterschied zwischen Screening und Riskassessment“ bekannt sei. Mit der am 14.01.2020 unter 214/AB ergangenen Beantwortung der parlamentarischen Anfrage betreffend „die (Minder-)Qualität der deliktpräventiven Arbeit im Straf- und Maßnahmenvollzug“ (66/J) haben Sie die unter Hinweis auf diese Pressemitteilung gestellte Frage nach der Einführung des dort genannten „Screening-Verfahrens“ allerdings ausschließlich unter Nennung des VERA-2R und eben nicht des DyRiAS beantwortet.
In der am 23.12.2020 unter 3966/AB ergangenen parlamentarische Anfrage betreffend „Terroranschlag in Wien“ (3988/J) haben sie ausgeführt:
„Im Fokus der Arbeit mit extremistischen Straftätern steht dem zufolge – neben allgemeinen kriminalpräventiven Ansätzen – die Herausarbeitung der ideologischen Haltung und der damit verbundenen Gewaltbereitschaft bzw. Rechtfertigung von Gewalt. Diese Aufgabe nimmt für den Strafvollzug der Verein DERAD wahr. Die gewählten Methoden entsprechen internationalen Zugängen. Ziel ist es, ein Disengagement, das heißt eine Abwendung von Gewalt als Methode zur Durchsetzung der jeweiligen Ideologie, zu erreichen.“
In der am 12.03.2021 unter 4936/AB ergangenen Beantwortung der Folgeanfrage hat Ihrer Karenzvertretung auch ausgeführt:
„DERAD trifft keine Aussagen zur Gefährlichkeit bzw. zur Legalprognose der Insass*innen, sondern beschäftigt sich mit deren weltanschaulichen bzw. ideologischen Einstellungen im Kontext eines auch religiös begründeten politischen Extremismus und der damit einhergehenden Bereitschaft Gewalt zu rechtfertigen, zu propagieren oder auszuüben.“
In der am 12.03.2021 unter 4936/AB ergangenen Beantwortung der Folgeanfrage hat Ihre Karenzvertretung zur Informationsbasis und wissenschaftlichen Methode der durch den Verein DERAD im Auftrag der Vollzugsbehörden abgegebenen Stellungnahmen ausgeführt:
„Neben einer Analyse auf Grundlage der Gespräche (Interviews) mit den betreffenden Insass*innen, werden vorhandene Daten, wie das persönliche Umfeld, konsumierte Medieninhalte, soziale Medien, Haltungen zu bestimmten zeitgeschichtlich relevanten Personen, Konflikten, anderen Menschengruppen, zum österreichischen Staat, Aqida, Kalam, Fiqh, Tawhid, Geschlechterfragen, Antisemitismus, Demokratie und Beziehungen zu Personen, die vom Verein DERAD mitbetreut werden, berücksichtigt. Die dabei erhobenen Informationen werden mit einem sozialwissenschaftlichen Ansatz zusammengeführt.“
Laut Beantwortung 4936/AB vom 12.02.2021 hat sich der Verein DERAD
„im Zuge des Vertrages verpflichtet, seine Mitarbeiter*innen anzuhalten, eine Sicherheitserklärung nach dem Sicherheitspolizeigesetz (Anlage B zur Sicherheitserklärungs-Verordnung BGBl II 2012/99) zu unterfertigen. Die Mitarbeiter*innen des Vereins erteilen dadurch nach § 55b Abs. 1 SPG gegenüber der Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehenden Maßnahmen im Bundesministerium für Justiz ihre Einwilligung, um die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung auf Basis der Sicherheitserklärung bei den Sicherheitsbehörden zu ersuchen“
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundes-ministerin für Justiz folgende
Anfrage
1. Warum haben Sie die genannten Fragen der parlamentarischen Anfrage betreffend „Terroranschlag in Wien“ (3988/J) unter Hinweis auf fehlende Abfragemöglichkeiten nicht beantwortet, obwohl Ihre Karenzvertretung entsprechende Zahlen sehr wohl automationsgestützt auswerten und nennen konnte?
2. Können die in der parlamentarischen Anfrage betreffend „die (Minder-)Qualität der deliktpräventiven Arbeit im Straf- und Maßnahmenvollzug“ (66/J) vom 13.11.2019 unter Hinweis auf fehlende Abfragemöglichkeiten nicht beantworteten Fragen 25 und 26 inzwischen beantwortet werden? (bspw. durch automationsgestützte Auswertung von entsprechenden Protokollen bzw. Berichten in der Applikation ELAK etc.).
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wie lauten die Antworten?
3. Welche „ersten Erkenntnisse“ haben Sie sich von der im Anschluss an die VERA-2R Schulung im November 2018 durchgeführten einjährige Erprobungsphase in Form kleinerer Arbeitsgruppen konkret erwartet?
4. Wie wurde dieser Erprobungsbedarf erhoben bzw. festgestellt?
5. Durch wen wurde dieser Erprobungsbedarf erhoben bzw. festgestellt?
6. Wo wurde dieser Erprobungsbedarf dokumentiert?
7. Wurden dafür auch (internationale) Erfahrungsberichte und Evaluationen des Verfahrens eingeholt und ausgewertet?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, um welche Erfahrungsberichte und Evaluationen hat es sich dabei gehandelt? (bitte um konkrete Nennung)
c. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen wurden diese Erfahrungsberichte und Evaluationen ausgewertet? (bitte um konkrete Bekanntgabe der Ergebnisse in Bezug auf den eigenen Erprobungsbedarf)
8. Warum wurde die Dauer der Erprobungsphase auf ein Jahr festgelegt?
9. Wer hat diese Entscheidung auf welcher Informationsbasis und anhand welcher Kriterien getroffen? (bitte um genaue Darlegung)
10. Wann endete die einjährige Erprobungsphase?
11. Mit welchen „ersten Erkenntnissen“ endete die einjährige Erprobungsphase? (Bitte um konkrete Bekanntgabe)
12. Warum ist das Verfahren aktuell immer noch in Erprobung?
13. Gab es eine Verlängerung der Erprobung oder wurde eine neue Erprobung eingeleitet?
14. Wenn es eine Verlängerung gab, was waren die Gründe für diese?
15. Wenn es eine neue Erprobung gibt, was waren die Gründe für diese?
16. Bis wann ist mit einer diesbezüglichen Entscheidung bzw. einem Ende der aktuellen Erprobung zu rechnen?
17. Warum wurde die parlamentarische Anfrage vom 13.11.2019 nicht zum Anlass genommen, die rasche Ausrollung dieses Verfahrens zu forcieren?
18. Warum wurde zu Kuijtim F. keine Risikobewertung mit diesem Verfahren vorgenommen?
19. Durch wen wurde diese Entscheidung getroffen, dass bei Kuijtim F. keine Risikobewertung mit diesem Verfahren vorgenommen wurde?
20. Wie viele Risikobewertungen wurden mit diesem Verfahren bisher insgesamt durchgeführt? (Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr, Monat und Justizanstalt)
21. Bei wie vielen der im Jahr 2020 aus österreichischen Justizanstalten entlassenen insgesamt 27 (mutmaßlichen) terroristischen Straftäter wurden Risikobewertungen mit diesem Verfahren durchgeführt? (Bitte um Aufschlüsselung nach Monat und Justizanstalt)
22. Bei wie vielen der im Jahr 2021 aus österreichischen Justizanstalten entlassenen (mutmaßlichen) terroristischen Straftäter wurden Risikobewertungen mit diesem Verfahren durchgeführt? (Bitte um Aufschlüsselung nach Monat und Justizanstalt)
23. Wurde zu Erprobungs- bzw. Evaluationszwecken des Verfahrens inzwischen eine nachträgliche Risikobewertung zu Kuijtim F. mit den zum Zeitpunkt seiner vorzeitigen Entlassung vorliegenden Informationen vorgenommen?
a. Wenn ja, wann?
b. Wenn ja, durch wen?
c. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
d. Wenn nein, warum nicht?
24. Wurde zu Erprobungs- bzw. Evaluationszwecken des Verfahrens eine nachträgliche Risikobewertung zu dem „Austro-Jihadisten“ Mohamed M. mit den zum Zeitpunkt seiner Entlassung vorliegenden Informationen vorgenommen?
a. Wenn ja, wann?
b. Wenn ja, durch wen?
c. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
d. Wenn nein, warum nicht?
25. Wurden zu Erprobungs- bzw. Evaluationszwecken des Verfahrens eine nachträgliche Risikobewertung zu dem lntensivtäter albanischer Herkunft Lorenz K. mit den zum Zeitpunkt seiner letzten Entlassung vorliegenden Informationen vorgenommen?
a. Wenn ja, wann?
b. Wenn ja, durch wen?
c. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
d. Wenn nein, warum nicht?
26. Wurden zu Erprobungs- bzw. Evaluationszwecken des Verfahrens nachträgliche Risikobewertungen zu anderen Personen mit den zum Zeitpunkt ihrer Entlassung vorliegenden Informationen vorgenommen?
a. Wenn ja, bei wie vielen?
b. Wenn ja, mit welchem Ergebnissen?
c. Wenn nein, warum nicht?
27. Welche Kriterien und Arbeitsschritte bzw. Prozesse sind durch das Justizministerium für die Erprobung und für die Einführung von forensisch-psychologischen Tests, Screening- und Risikobewertungsverfahren im Straf- und Maßnahmenvollzug vorgesehen? (bitte um genaue Darlegung unter Nennung der entsprechenden Erlässe etc.)
28. Durch wen ergeht sodann die Entscheidung über die Erprobung und über die Einführung von (forensisch-)psychologischen Tests, Screening- und Risikobewertungsverfahren im Straf- und Maßnahmenvollzug?
29. Warum beantworten sie eine Frage nach der Einführung eines Screening-Verfahrens ausschließlich unter Beschreibung der Einführung eines Risiko-Assessments, wenn Ihnen der Unterschied doch bekannt ist?
30. Warum stellen Aussagen über die aus einer kontextspezifischen Gewaltlegitimation resultierende persönliche Gewaltbereitschaft eines Insassen aus Sicht des Justizministeriums keine Aussagen über seine Gefährlichkeit dar?
31. Welche „internationalen Zugänge“ sind hier gemeint, denen die „gewählten Methoden“ entsprechen? (bitte um konkrete Nennung)
32. Welche Informationen („vorhandene Daten“) über Insassen werden dem Verein DERAD durch die Justizanstalten in welcher Form zur Kenntnis gebracht bzw. Verfügung gestellt? (bitte um genaue Darlegung)
33. Handelt es sich dabei auch um sicherheitsbehördliche Unterlagen (bspw. diverse polizeiliche „Einlieferungspapiere“, Anhalteprotokolle, Anzeigen, Sachverhaltsdarstellungen, Niederschriften, Vernehmungs- oder Durchsuchungsprotokolle etc.)?
34. Handelt es sich dabei auch um staatsanwaltliche bzw. gerichtliche Unterlagen?
35. Welche Informationen über Insassen („vorhandene Daten“) werden dem Verein DERAD allenfalls auch durch das Justizministerium zur Kenntnis gebracht bzw. zur Verfügung gestellt?
36. Handelt es sich dabei auch um sicherheitsbehördliche Unterlagen (bspw. diverse polizeiliche „Einlieferungspapiere“, Anhalteprotokolle, Anzeigen, Sachverhaltsdarstellungen, Niederschriften, Vernehmungs- oder Durchsuchungsprotokolle etc.)?
37. Handelt es sich dabei auch um staatsanwaltliche bzw. gerichtliche Unterlagen?
38. Holt der Verein DERAD Informationen („persönliches Umfeld, konsumierte Medieninhalte, soziale Medien“) bei Dritten ein?
a. Wenn ja, welche? (bitte um genaue Darlegung)
b. Wenn ja, erfolgt diese Einholung von Informationen bei Dritten mit Wissen bzw. sogar im Auftrag der Vollzugsbehörden?
39. Nach welchem konkreten „sozialwissenschaftliche Ansatz“ und mit welchen konkreten Methoden werden die „erhobenen Information“ sodann „zusammengeführt“?
40. Sind durch das Bundesministerium für Justiz Mindestanforderungen an bzw. Qualitätsstandards für die laut Beantwortung 4936/AB vom 12.02.2021 durch den Verein DERAD vorgenommenen „Einschätzung über den Radikalisierungsgrad“ definiert?
a. Wenn ja, welche? (bitte um genaue Darlegung insb. auch der zugrundeliegenden Graduierung etc.)
b. Wenn nein, warum nicht?
41. Sind durch das Bundesministerium für Justiz Mindestanforderungen bzw. Qualitätsstandards für die laut Beantwortung 4936/AB vom 12.02.2021 durch den Verein DERAD vorgenommenen „Einschätzung über erforderlichen Interventionsmaßnahmen sowie über die individuelle Entwicklung“ definiert?
a. Wenn ja, welche? (bitte um genaue Darlegung)
b. Wenn nein, warum nicht?
42. Wie viele solche Sicherheitserklärungen wurden von Mitarbeitern des Vereins DERAD bisher insgesamt unterfertigt und abgegeben?
43. Wie viele Ersuchen um Sicherheitsüberprüfungen wurden durch das Justizministerium bei den Sicherheitsbehörden gestellt?