6327/J XXVII. GP

Eingelangt am 16.04.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Echte Rettung und Hilfe für in griechischen Insellagern angehaltene Menschen

 

Die Umstände in den griechischen Insellagern sind seit Jahren menschenunwürdig und nun aufgrund der Entwicklungen der letzten Monate und des kalten und regnerischen Winters zunehmend lebensgefährlich. Aktuell leben insbesondere die Menschen (Asylwerber_innen sowie Asylberechtigte), die nach dem Brand des Lagers Moria auf Lesbos umgesiedelt werden mussten, in einem neuen Zeltlager namens Kara Tepe. Dort sind Zeug_innenberichten zufolge die Bedingungen zum Teil noch schlimmer als in Moria: Das Lager Kara Tepe ist nahe am Meer gebaut und daher den Winterstürmen ausgesetzt, die Zelte sind unbeheizt, Hautkrankheiten, wie Krätze, breiten sich aus, Kinder werden in der Nacht von Ratten gebissen. Da das Lager auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz errichtet wurde, legen Überschwemmungen regelmäßig zurückgebliebene Munition und Sprengsätze frei. Stress und Druck reichen so weit, dass Helfer_innen mit siebenjährigen Kindern über Selbstmordgedanken sprechen müssen. In diesem Jahr wurden alleine auf Lesbos 49 Kinder von Ärzte ohne Grenzen wegen Selbstmordgedanken oder nach Selbstmordversuchen behandelt (https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/article/griechische-inseln-immer-mehr-kinder-mit-selbstmordgedanken).

Um die wachsende Kritik zu kalmieren, wurde laut Medienberichten Außenminister Schallenberg beauftragt zu erklären, dass die Bundesregierung plant, im Lager Kara Tepe eine Kindertagesbetreuung einzurichten (https://www.derstandard.at/story/2000122653561/aufstand-in-der-oevp-landesraetin-und-buergermeister-fuer-aufnahme-von). Dazu wurde fälschlich kommuniziert, dass SOS-Kinderdorf als Erfüllungsgehilfe im Auftrag der Bundesregierung ein Projekt der Bundesregierung realisieren würde. Wahr ist vielmehr, dass SOS-Kinderdorf bereits seit dem Jahr 2015 Nothilfe für Kinder und Familien im Lager „Kara Tepe 1“ leistet. Die Bundesregierung hat daher lediglich auf eine vier Monate alte Anfrage nach Unterstützung bei Verhandlungen mit lokalen Behörden über den Zugang zum Flüchtlingslager „Kara Tepe 2“ reagiert, die mittlerweile abgeschlossen werden konnten.

Die österreichische Bundesregierung missbrauchte daher durch ihre PR-Aktion in zynischer Weise die Nothilfe einer Hilfsorganisation, um in Österreich die eigenen politischen Vorstellungen einer sogenannten „Hilfe vor Ort“ zu propagieren. Das Projekt ist - abgesehen von seiner Untauglichkeit - meilenweit von der Umsetzung entfernt (https://orf.at//stories/3197800). Nun hat SOS-Kinderdorf angeboten, bis zu 100 Flüchtlingskinder aus dem Ausweichlager auf Lesbos in ihren Dörfern in Österreich aufzunehmen. 

Die unmenschlichen Lebensbedingungen in Kara Tepe haben sich in den letzten Monaten durch Regen, Schnee und Kälte noch weiter verschärft. Nach jedem starken Regenfall versinkt das Lager im Schlamm. Die knapp 8.000 Bewohner_innen, darunter tausende Kinder, müssen in überschwemmten Sommerzelten bei Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt ausharren. Immer mehr von ihnen sind Asylberechtigte und sollten daher nicht mehr in den Lagern ausharren müssen. Auch in den Lagern auf Samos u.a. herrschen lebensgefährliche Zustände. Es gilt, die betroffenen Menschen dringend aus dieser Notlage zu retten und in Sicherheit zu bringen. Österreich ist in der Lage und damit in der Verantwortung zur Beendigung dieser humanitären Katastrophe auf EU-Boden durch Teilnahme an der Evakuierung einen Beitrag zu leisten.

Die österreichische Regierung weigert sich aber weiterhin, auch nur ein einziges Kind von den Lagern in Österreich aufzunehmen und verweist immer wieder auf die sogenannte "Hilfe vor Ort". So geht aus der Beantwortung der NEOS-Anfrage Nr. 3598/J (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_03598/index.shtml) hervor, dass Österreich im Jahr 2020 dreimal Zelte und andere Hilfsgüter an die griechischen Behörden übergeben hat. Ob diese jedoch auch wirklich den Betroffenen vor Ort zugute gekommen sind, konnte Innenminister Nehammer zumindest für die letzte Hilfeleistung im Oktober 2020 nicht beantworten. Dank zahlreicher Medienberichte ist bekannt, dass die Hilfe vor Ort jedenfalls nicht funktioniert: Die Zelte im Lager Kara Tepe 2 sind nicht beheizt, die Wasserversorgung und der Zugang zu medizinischer Versorgung sind unzureichend. Die Menschen dort leben weiterhin in lebensbedrohlichen Zuständen, vonseiten der österreichischen Regierung gibt es jedoch keine offenkundigen Bestrebungen, Menschen zu retten.

In der Beantwortung der NEOS-Anfrage Nr. 3597/J geht auch Außenminister Schallenberg nicht auf die Fragen nach der Nicht-Einhaltung humanitärer Mindeststandards in den griechischen Lagern sowie der Grenzen der humanitären Hilfe durch Österreich aufgrund der legislativen Erschwerungen seitens der griechischen Regierung ein (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_03605/index.shtml). In einem gemeinsamen Ministerialbeschluss vom März 2020 und einem Gesetz vom Mai 2020 legte die griechische Regierung ein neues Migrations- und Asylgesetz in Griechenland fest. Dieses fordert die Registrierung von im Migration- und Asylbereich tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beim Ministerium für Migration und Asyl, sowie das Vorweisen eines Zertifikats im Falle eines Staats- oder EU-Förderantrags. Die administrativen Beschränkungen machen es quasi unmöglich, die Forderungen für die Registrierung oder das Zertifikat zu erfüllen und resultieren demnach oft in der Verweigerung einer Registrierung oder Ausstellung eines solchen Zertifikats seitens der Regierung. Die Regeln wurden als unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte auf Vereinigungsfreiheit, Privatsphäre und Freiheit von Diskriminierung kritisiert. Da diese Fragen unbeantwortet blieben, werden die Fragen 10 und 11 der Anfrage Nr. 3597/J (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_03597/index.shtml) noch einmal gestellt (ab Frage 7).

Innenminister Nehammer hat am 16.03.2021 im Ausschuss für innere Angelegenheiten, am 18.03.2021 im ständigen EU-Unterausschuss und am 11.04.2021 in der ORF-Pressestunde angemerkt, die "links-linksextremen" Regierungen Griechenlands wären schlecht mit den EU-Geldern, die zur Finanzierung eines nachhaltigen Aufnahmesystems in Griechenland übermittelt wurden, umgegangen, wobei die aktuelle Regierung sich um den Aufbau eines nachhaltigen Systems sowie die Verbesserung und Beschleunigung der Asylverfahren bemüht habe (siehe z.B. https://www.derstandard.at/story/2000125738122/nehammer-will-migranten-bereits-in-bosnien-abschieben-lassen). Zahlen der Asylanträge und erfolgten Entscheidungen werden von der griechischen Regierung seit 2020 jedoch nicht mehr veröffentlicht. In den Jahren 2018 und 2019 war die Anzahl der Entscheidungen (Ablehnungen und Anerkennungen) jedoch in etwa gleich (Quelle: https://www.laenderdaten.info/Europa/Griechenland/fluechtlinge.php).

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

1.    Hat es nach dem 12. September 2020 weitere Hilfeersuchen seitens Griechenlands gegeben?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn ja, wie haben Sie darauf reagiert?

2.    Haben Sie seit der Beantwortung unserer letzten Anfrage 3597/J weitere Anfragen seitens der EU-Kommission bezüglich der Aufnahme von vulnerablen Personen aus Griechenland erreicht?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn ja, wie haben Sie darauf reagiert?

3.    Welche konkreten Hilfsmaßnahmen wurden seit der letzten Lieferung Österreichs an die griechischen Behörden im Oktober 2020 zur Verbesserung der Situation der Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern umgesetzt?

a.    Wurden seit der letzten Lieferung Österreichs an die griechischen Behörden im Oktober 2020 weitere Hilfsgüter nach Griechenland geschickt?

                                      i.Wenn ja, welche und wann?

                                    ii.Wenn ja, wurden diese aufgrund eines erneuten Hilfeersuchen Griechenlands geschickt? 

                                   iii.Wenn ja, wurden diese aufgrund einer erneuten Anfrage der EU-Kommission geschickt?

                                   iv.Wenn ja, wo genau werden die jeweiligen Güter eingesetzt und seit wann? Bitte um Auflistung nach Lager.

                                    v.Wenn nein, warum nicht?

b.    Welche anderweitigen Hilfsmaßnahmen wurden seither umgesetzt und wann jeweils durch wen?

4.    Zu welchen Verbesserungen kam es durch Handlungen Ihrerseits in den Lagern allgemein, und insbesondere im neuen Lager Kara Tepe 2, bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung wann (bitte um ausführliche Erläuterung)?

5.    Wer informierte Sie wann darüber, dass Ratten auch Zelte durchnagen?

6.    Wie viele von Österreich an Griechenland übergebene Zelte sind zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung in den Flüchtlingslagern angekommen?

a.    Wie viele davon werden bewohnt?

7.    Wurde die elektrische Kapazität des Lagers Kara Tepe II ausgebaut?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn ja, wie viele Heizungen konnten seither angeschlossen werden?

c.    Wie viele Menschen sind zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung in beheizten Zelten untergebracht?

d.    Wenn nein, für wann genau ist der Ausbau der elektrischen Kapazität des Lagers geplant?

8.    Planen Sie weitere konkrete Hilfsmaßnahmen zur Verbesserung der Situation der Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern allgemein, und insbesondere im neuen Lager Kara Tepe 2?

a.    Wenn ja, welche?

b.    Wenn ja, wann sollen diese umgesetzt werden?

c.    Wenn nein, warum nicht?

9.    Planen Sie, Kinder oder andere vulnerable Personen aus den griechischen Insellagern aufzunehmen?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?

10. In Moria und nun in Kara Tepe, sowie anderen Lagern wie Vathy auf Samos, wurden bzw. werden humanitäre Mindeststandards für die Versorgung der Menschen in Flüchtlingslagern - dazu gehören u.a. Wasser pro Kopf pro Tag, oder Sanitäreinrichtungen (zB. Nachtbeleuchtung für den Schutz von Frauen), Unterkunft pro Kopf, Fläche pro Person, usw. - sowohl in Quantität als auch in Qualität, nicht erreicht bzw. eingehalten. Der UNHCR kritisierte hierbei immer wieder, dass es für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) nicht genügend Platz zum Schlafen gab, weshalb diese oft gemeinsam mit fremden Erwachsenen untergebracht wurden (https://www.unhcr.org/news/stories/2019/10/5da059144/lone-childrenface-insecurity-greek-island.html?query=moria).

a.    Inwiefern waren diese Mindestvorgaben als Zielvorgaben Gegenstand bisheriger Verträge mit den jeweiligen Partnern vor Ort?

b.    Wie werden und wann wurden diese Mindeststandards bisher kontrolliert und evaluiert?

                                      i.Wie werden und wann wurden diese Mindeststandards bisher aus welchen anderen Quellen eruiert?

c.    Welche Zielvorgaben in den neu zu errichtenden Verträgen mit Auslandskatastrophenfonds-Fördernehmern finden seitens Ihres Ministeriums hierzu Berücksichtigung?

                                      i.Welche Bedürfnisse oder Mindeststandards werden seitens Ihres Ministeriums als Prioritäten wie und wo klar festgelegt?

d.    Wie stellen Sie sicher, dass Griechenland adequate Orte und Flächen für Lager zuweist?

                                      i.Wann haben Sie sich hierzu an wen mit welchem Resultat gewendet?

11. Laut Regierung ist der Beitrag, den Österreich für eine konstruktive Migrationspolitik im EU-Raum leistet, die "Hilfe vor Ort". Während der Begriff für Unterstützung auf EU-Boden verfehlt ist, wirft die Bereitschaft eines Einwirkens auf Griechenland folgende Fragen auf:

a.    Wie leistet Österreich Hilfe vor Ort, wenn griechische Behörden Hilfsleistung nun legislativ erschweren?

                                      i.Sind österreichische NGOs von den neuen bürokratischen Erschwernissen betroffen?

1.    Wenn ja, welche und inwiefern?

12. Was haben Sie wann durch aktive Kontaktaufnahme (Telefonate o.a.) mit Ihren griechischen Amtskolleg_innen für die Verbesserung der Umstände, in denen die Menschen auf den griechischen Inseln untergebracht sind, eingefordert?

a.    Mit welchen griechischen Amtskolleg_innen haben Sie jeweils zu welchem genauen Inhalt wann gesprochen?

13. Wer informierte Sie wann darüber, dass von den vorherigen griechischen Regierungen vor 2019 schlecht mit den EU-Geldern, die zum Zwecke eines nachhaltigen Asylsystems an Griechenland übermittelt wurden, umgegangen wurde (siehe Ausführungen von Innenminister Nehammer im letzten Innenausschuss und ständigen EU-Unterausschuss)?

a.    Welcher Betrag wurde von der EU zu diesem Zwecke an Griechenland seit 2015 übermittelt? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr.

b.    Welcher Betrag wurde von den vorherigen griechischen Regierungen für welche Maßnahmen wann verwendet?

c.    Welcher Betrag wurde von den vorherigen griechischen Regierungen für andere, nicht einem nachhaltigen Asylsystem dienende Zwecke verwendet? Bitte um Aufschlüsselung der finanzierten Maßnahmen/Zwecke.

d.    Welcher Betrag wurde von der aktuellen griechischen Regierung für welche Maßnahmen wann verwendet?

e.    Welcher Betrag wurde von der aktuellen griechischen Regierung für andere, nicht einem nachhaltigen Asylsystem dienende Zwecke verwendet? Bitte um Aufschlüsselung der finanzierten Maßnahmen/Zwecke.

14. Welche Maßnahmen haben Sie wann nach Kenntnis über diese Sachverhalte ergriffen, um diesem Missstand weiter nachzugehen?

15. Welche Maßnahmen haben Sie wann nach Kenntnis über diese Sachverhalte ergriffen, um diesem Missstand ein Ende zu bereiten?