6400/J XXVII. GP

Eingelangt am 22.04.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Fiona Fiedler, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesministerin für Justiz

betreffend Gewalt in Haft

 

 

Eine Studie des Instituts für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Universität Innsbruck zeigt auf, dass rund 72 Prozent aller in Heimnischen Gefängnissen Inhaftierten Gewalt erlebt haben oder Gewalt erleben.

Laut Veronika Hofinger und Andrea Fritsche vom IRKS, die im Zuge einer Studie unter dem Titel "Gewalt in Haft" die  Haftbedingungen und Gewalterfahrungen in den Justizanstalten durch die Befragung von 386 Häftlingen erforschten, sei eine wesentliche Ursache die Überbelegung der Gefängnisse. Die Bandbreite der Erfahrungen, von denen Befragte berichteten, reichten von leichteren Formen psychischer Gewalt, wie aggressivem Anschreien, über Tritte und Schläge bis hin zu Vergewaltigung, erläuterte Veronika Hofinger. „Erwartungsgemäß gibt es am meisten Berichte über psychische Gewalt – 70 Prozent wurden mindestens einmal in Haft aggressiv angeschrien, beleidigt, bedroht, erpresst oder in ähnlicher Weise behandelt. Vier von zehn Befragten geben einen Vorfall körperlicher Gewalt an, sie wurden getreten, geschlagen, unnötig hart angefasst, gewürgt oder in ähnlicher Weise viktimisiert.“

Ein zentrales Ergebnis der Untersuchungen ist weiters das Alter der Gefangenen: Je jünger die Häftlinge sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie Opfer psychischer oder körperlicher Gewalt werden.

Heimische Gefängnisse zeigten 2019 – also vor Ausbruch der Corona-Pandemie – eine Auslastung von rund 106 Inhaftierten pro 100 Haftplätze auf. Jede sechste befragte Person war bereits in einem überbelegten Haftraum untergebracht. In der Justizanstalt Josefstadt gibt es nach wie vor zahlreiche Hafträume, in denen zehn Personen untergebracht werden können. Aus Platzgründen ist die an sich rechtlich verankerte Trennung der Ersthäftlinge von Insassen mit Hafterfahrung oft ebenso wenig durchführbar wie die Trennung von Insassen, die miteinander Konflikte haben. In gerichtlichen Gefangenenhäusern gibt es insgesamt weniger Arbeitsmöglichkeiten und längere Einschlusszeiten als in Strafvollzugsanstalten.

Um die Gewaltspirale zurückzudrehen, sind ausreichende Haftplätze sowie entsprechend geschultes und professionell agierendes Personal erforderlich. Die Personal-Insassen-Quote ist in Österreich deutlich niedriger als in unseren Nachbarländern. Wenn es zu Übergriffen durch das Personal kommt, brauche es ganz klare rote Linien und einen konsequenten Umgang damit, so Hofinger.

Hofinger und Co-Autorin Fritsche sprachen sich in diesem Zusammenhang dafür aus, dass Justizwachebeamte in konfliktträchtigen Situationen Bodycams tragen, damit gegen sie gerichtete Vorwürfe von unangemessener körperlicher Gewalt aufgeklärt werden können.

Essentiell für die Wissenschafterinnen ist auch eine „Anstaltskultur“, die keine Form von Gewalt duldet. „Zu einer zeitgemäßen Justizanstalt gehört eine Sensibilisierung, in der auch ‚kleine Fälle‘ von Gewalt nicht abgetan werden“, sagt Fritsche. In modernen, am aktuellen Stand der Strafvollzugsarchitektur ausgerichteten Anstalten herrscht tendenziell eher ein besseres Klima als in überfüllten, älteren Gebäuden mit baulichen Mängeln. Hofinger und Fritsche warnen jedoch davor, Personal durch Technik zu ersetzen. „Nur eine schicke Architektur bringt nichts“, meint Hofinger. Ausreichend vorhandenes und präsentes Personal sei unabdingbar, wobei sich die Autorinnen dafür aussprechen, sich bei den Aufnahmekriterien und der Ausbildung an skandinavischen Ländern zu orientieren.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage

1.    Haben oder werden Sie bezüglich der Studie vom IRKS Kontakt zur Volksanwaltschaft aufnehmen?

2.    Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um den Überbelag in Haftanstalten zu beseitigen bzw. ihm angemessen entgegenzuwirken? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)

3.    Welche budgetären Mittel benötigen Sie, in welcher Höhe und in welchem Zeitrahmen, um diesem Missstand angemessen begegnen zu können? (Um detaillierte Angaben wird ersucht. Sofern keine detaillierten Angaben gemacht werden können, wird um eine Schätzung ersucht.)

4.    Das Gesetz sieht eine  Trennung von Ersthäftlingen und Insassen mit Hafterfahrung vor - wie soll dies zukünftig garantiert werden?

5.    Vier von zehn Insassen erfuhren körperliche Gewalt, jeder Zehnte sexuelle Gewalt. Es gilt: Je jünger die Häftlinge sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Opfer psychischer oder körperlicher Gewalt werden. Welche Maßnahmen werden hier zukünftig getroffen, um gerade junge Häftlinge vor körperlicher sowie sexueller Gewalt zu schützen?

6.    Die Studie weist massive Diskrepanzen zwischen den Bundesländern auf. Inwieweit wird hier wie entgegengewirkt werden?

7.    Wie funktioniert der Austausch zwischen den österreichischen Justizanstalten derzeit und inwieweit ist das Ministerium hier eingebunden?

8.    In der Justizanstalt Graz Karlau werden 42% aller Befragten mit wenig bis keinem Respekt und Menschlichkeit behandelt. Welche Maßnahmen werden gesetzt werden um dem ein Ende zu setzen?

9.    Ins Auge sticht weiters die Frage nach sinnvoller Beschäftigung der Befragten. Insgesamt sieht nur ein Fünftel der Befragten ein völlig ausreichendes Angebot sinnvoller Beschäftigungen in der Haft. Ein Blick auf die Einzelitems zeigt, dass besonders Sport- und Bewegungsmöglichkeiten, aber auch Bildungsangebote, schlecht bewertet werden, jeweils ca. jede/r Zweite ist hier (eher) nicht zufrieden. Welche Maßnahmen werden hier gesetzt?

a.    Welche unterschiedlichen Beschäftigungsmöglichkeiten bieten die österreichischen Justizanstalten an? (Um detaillierte Aufschlüsselung wird ersucht)

10. Welche Sensibilisierungsaktionen werden gesetzt, damit auch kleine Fälle von Gewalt nicht vernachlässigt werden?

11. Gibt es Bestreben, die Strafvollzugsarchitektur österreichweit einheitlich zu gestalten?

12. Ausreichend vorhandenesund präsentes Personal ist unabdingbar- gibt es Bestrebungen, sich bei den Aufnahmekriterien zu der Ausbildung an skandinavischen Ländern zu orientieren?

a.    Wenn ja, wie und wann wird dies umgesetzt werden?

b.    Wenn nein, warum nicht?