6466/J XXVII. GP

Eingelangt am 28.04.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend  Fragwürdige Vorgänge im BVT rund um M. W.

 

Durch Berichte der Tageszeitung "Die Presse" vom 03.02.2021 und tagesschau.de vom 11.02.2021 wurde öffentlich bekannt, dass der ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinator unter der Bundesregierung Helmut Kohl, Bernd Schmidbauer, Kontakt zu Jan Marsalek pflegte. Es soll laut tagesschau.de zu einem Treffen in München gekommen sein. Gegenstand der Unterredung in der Münchner Villa von Jan Marsalek sollen nachrichtendienstliche Technik und die Lage in Libyen gewesen sein. Schon 2015/2016 wurde Bernd Schmidbauer für das BVT in einer Entführungslage in Libyen aktiv. Wie "Die Presse" berichtet, war in dieser Angelegenheit neben Bernd Schmidbauer sein langjähriger Weggefährte Michael H. involviert. Laut Recherchen der "Die Presse" soll H. eine der "teuersten Quellen in der Geschichte des BVT gewesen sein" (https://www.diepresse.com/5932392/fall-marsalek-belastet-beziehung-zu-deutschland?from=rss). 

In die andere Richtung sollen mehrere Mitarbeiter des BVT nebenberuflich für Wirecard die Hintergründe, damit die Zahlungsfähigkeit möglicher Wirecard-Kunden recherchiert und an Wirecard übermittelt - und dafür Schmiergeld erhalten haben können. So geht es aus der Anordnung zur Festnahme des ehemaligen BVT-Abteilungsleiters M. W. hervor. W. und mehrere namentlich nicht benannte Mitarbeiter des österreichischen Inlandsgeheimdienstes stehen demnach im Verdacht, nebenberuflich für Wirecard tätig gewesen zu sein. Er war unpassenderweise Abteilungsleiter für den Bereich Wirtschafts- und Industriespionage. Er soll demnach Jan Marsalek überdies zur Flucht verholfen haben, gemeinsam mit dem ehemaligen FPÖ-Abgeordnete Thomas Schellenbacher. Das Flugzeug, das Marsalek von Österreich nach Belarus geflogen hat, soll von den beiden organisiert worden sein. In Minsk verlor sich dann im Juni Marsaleks Spur (https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/wirecard-fluchthelfer-marsalek-101.html). 

M. W. erregte aber auch bereist im "BVT"-Untersuchungsausschuss die Aufmerksamkeit der Abgeordneten und der Behörden. Er soll einer der Verfasser des Konvoluts gewesen sein, das zur Hausdurchsuchung im BVT geführt hat (NEOS-Fraktionsbericht, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/I/I_00695/imfname_767298.pdf).

Zu M. W. wurde durch Recherchen des "Kurier" wiederum öffentlich bekannt, dass durch dessen Unterstützung ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Österreich Asyl erhielt und sich seit 2015 in Österreich befand: der ehemalige syrische General Khaled H. Khaled H. reiste laut Kurier im März 2013 aus Rakka in die Türkei aus. In Rakka soll er als Brigadier des Staatssicherheitsdienstes Erschießungen und Misshandlungen von Demonstrant_innen der syrischen Opposition angeordnet und zugelassen haben. Aus der Türkei reiste er 2014 über Jordanien nach Frankreich, wo er einen Asylantrag stellte. Doch die französischen Behörden schöpften Verdacht, dass er in Menschenrechtsverletzungen involviert war. Im Frühjahr 2015 trafen sich der damalige stellvertretende Direktor des BVT, Wolfgang Zöhrer, in Israel mit einem hochrangigen Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad, wobei sie eine Kooperationsvereinbarung bzgl. des Generals getroffen haben sollen. "Zöhrer bestreitet das zwar bis heute massiv, aber es gibt Aktenvermerke darüber. Die Kooperation betrifft den syrischen Staatssicherheitsgeneral, der sich in Frankreich aufhält und dort offensichtlich Probleme hat, Asyl zu erhalten. Die Israelis versichern dem BVT aber, dass der Syrer nichts mit Kriegsverbrechen zu tun habe und „sauber“ sei. (...)  Vier Tage nach dem Treffen in Israel wird im BVT jedenfalls ein elektronischer Akt mit dem Namen „White Milk“ angelegt. Das wird künftig im gesamten Schriftverkehr der Deckname des Generals sein. Im Mai 2015 gibt es ein gemeinsames Treffen des österreichischen Verfassungsschutzes mit dem Mossad und dem französischen Geheimdienst. Letzterer will nicht, dass der General nach Österreich überstellt wird. Offenbar beschließt der Mossad daraufhin, ihn auf eigene Faust mit dem Auto nach Österreich zu schmuggeln. Am 13. Juni 2015 wird „das Paket“, wie es in einem geheimen Protokoll heißt, geliefert. Der General und die Begleiter kommen mit einem Pkw am Grenzübergang Salzburg/Walserberg an. Der General wird dem BVT übergeben und nach Wien gebracht. Er übernachtet in einem Hotel in Wien-Schwechat. Zwei Tage später schickt das BVT den General per Taxi zur Erstaufnahmestelle nach Traiskirchen, eine erste Befragung in Sachen Asylantrag findet statt. Der Verfassungsschutz besorgt Khaled H. wenig später in Wien-Favoriten eine Mietwohnung" (https://kurier.at/chronik/oesterreich/so-versteckte-das-bvt-einen-mutmasslichen-kriegsverbrecher-in-oesterreich/401097066). In der Folge habe das BVT Druck auf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ausgeübt, um Asyl für den General zu erhalten. In einem Eilverfahren wurde es ihm aufgrund einer Gefährdungslage in Frankreich, die es laut internen Papieren des BVT, die der Kurier einsehen konnte, aber nicht gegeben hat, noch 2015 zugestanden. Hierauf lebte der General in Wien und habe zwischen 2015 und 2018 angeblich 50.000 Euro an Sozialleistungen bezogen. Allerdings erhielten auch die österreichischen Behörden Hinweise auf die Verwicklungen von H. in Menschenrechtsverletzungen in Syrien. Im Jahre 2016 übergab die NGO CIJA dem Justizministerium ein Schreiben mit Hinweisen auf die Vergangenheit des Generals. Während das BVT es unterließ, von sich aus Aktionen zu setzen, legte die Staatsanwaltschaft Wien im Jahre 2016 einen Verschlussakt über Khaled H. wegen Verdachts der Folter an. Einvernommen oder festgenommen wurde er allerdings nicht, weil das BVT befürchtet haben soll, dass er in der Folge aus Österreich flüchten könnte. Letztes Jahr wurde der General dann doch noch von der Staatsanwaltschaft einvernommen (https://kurier.at/chronik/oesterreich/staatsanwalt-verhoerte-syrischen-stasi-general/401127366). In Österreich soll er sich seit 2018 nicht mehr befinden. Im Oktober 2018 lief die Kooperation zwischen dem Mossad und dem BVT aus, nachdem der Verbindungsbeamte des Mossad sein Pendant beim BVT bereits am 1. August 2018 darüber informierte, dass "er sich am Vortag mit dem stellvertretenden BVT-Direktor (Anmk. Dominik Fasching) getroffen hat. Dort sei abgemacht worden, dass „White Milk“ – so der Deckname des Generals – außer Landes gebracht wird" (https://kurier.at/chronik/oesterreich/so-versteckte-das-bvt-einen-mutmasslichen-kriegsverbrecher-in-oesterreich/401097066). Der damalige stv. BVT-Direktor Mag. Fasching bestritt, dass er über die bevorstehende Ausreise informiert worden sei.

Inzwischen "ermittelt die Korruptionsanwaltschaft gegen den früheren BVT-Abteilungsleiter W., den Ex-Spionageabwehr-Chef P. und zwei BVT-Beamte wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs. So soll der BVT-Sachbearbeiter L. für den General einen positiven Asylstatus und finanzielle Unterstützungsleistungen aus der Grundversorgung organisiert haben "obwohl er wusste, dass konkrete Verdachtsmomente vorlagen, wonach Khaled H. in Syrien Kriegsverbrechen begangen hat" (https://kurier.at/chronik/oesterreich/in-der-causa-um-mutmasslichen-folter-general-bvt-beamter-wehrt-sich/401104638). M. W. soll laut L. als Abteilungsleiter regelmäßig über den Fall informiert worden sein und auch mehrere Weisungen erteilt haben und damit maßgeblich an dem Fall beteilgt gewesen sein. Die Anwältin Ws. bestreitet, dass ihr Informant über die Rolle des Generals in Syrien informiert war. "Erstmals Ende Jänner 2016 habe W. durch die CIJA davon erfahren. Ende Februar 2016 wurden die Unterlagen zu Khaled H. an die Justiz übermittelt. Ab Juli 2016 sei ihr Mandant W. infolge eines Dienstunfalls nicht mehr in der BVT-Abteilung tätig gewesen" (https://kurier.at/chronik/oesterreich/in-der-causa-um-mutmasslichen-folter-general-bvt-beamter-wehrt-sich/401104638).

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Laut Medienberichten soll Michael H. eine hochbezahlte Informationsquelle für das BVT/BMI gewesen sein. Wurde dieser Verdachtslage in Ihrem Ressort nachgegangen?

a.    Wenn ja, wann inwiefern?

b.    Wenn ja, wann kam wer zu welchem Ergebnis?

c.    Kann diese Verdachtslage ausgeschlossen werden?

d.    Wenn ja, wann wurde dieses Ergebnis mit wem in welchen oberen Hierarchien Ihres Ressorts geteilt?

e.    Wenn ja, wann erlangten Sie Kenntnis von diesem Ergebnis? 

f.     War M.W. auch in diesem konkreten Fall für die Quellenbewirtschaftung verantwortlich?

                                      i.Wenn ja, in welchem Zeitraum?

2.    Am 30. September 2015 fand im Haus der Industrie eine Veranstaltung des BMI unter dem Titel "Internationale Wirtschafts- und Industriespionage" statt. Laut BMI-Website referierten auf der Veranstaltung sowohl M.W. als auch Bernd Schmidbauer (https://bmi.gv.at/magazinfiles/2015/11_12/files/wirtschafts_und_industriespionage.pdf).  

a.    War Jan Marsalek zu dieser Veranstaltung eingeladen?

b.    Wenn ja, hat er auch daran teilgenommen? 

3.    Welche Rolle spielte Michael H. bei der Geiselbefreiung von Alexander H. in Libyen 2015/2016?

a.    Wurden in diesem Zusammenhang durch das BVT/BMI Gelder an Michael H. transferiert?

b.    Welche Rolle spielte Bernd Schmidbauer in diesem Zusammenhang?

4.    Laut tagesschau.de vom 11.02.2021 lag Ihrem Haus im Jahr 2019 eine Erkenntnisanfrage des deutschen Bundeskriminalamts im Rahmen eines sog. Struk

turermittlungsverfahrens „Russische Dienste“ vor. Wurde in Ihrem Haus darauf reagiert?

a.    Wenn ja, inwiefern wann durch wen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

5.    Waren in Ihrem Haus zu diesem Zeitpunkt überhaupt Ermittlungen wegen möglicher Informationsabflüsse Richtung ausländischer Nachrichtendienste offen?

6.    Lagen Ihrem Haus zu diesem Zeitpunkt demnach überhaupt Erkenntnisse zu möglichen Informationsabflüssen Richtung ausländischer Nachrichtendienste vor?

7.    Wurden durch die Causa Wirecard nunmehr weitere Ermittlungsschritte wegen möglicher Abflüsse Richtung ausländischer Dienste gesetzt?

a.    Wenn ja, inwiefern wann durch wen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

8.    Gegen M.W. und den ehem. FPÖ-Nationalratsabgeordneten Thomas Schellenbacher wird bekanntlich in der Causa Wirecard/Marsalek ermittelt. Wurden Ermittlungen hinsichtlich der Frage gesetzt, ob M.W. während seiner Tätigkeit im BVT Berührungspunkte zu Thomas Schellenbacher und den ukrainischen Investoren rund um Ihor Palytsia und Vitor Babuschtschak hatte?

a.    Wenn ja, in welchem Zusammenhang?

b.    Gab es grundsätzlich in der Causa Schellenbacher/Semmering bzw. bei den involvierten Personen Ermittlungen durch das BVT?

9.    Wurde M.W. vor seiner Karenzierung im Jahr 2018 zu irgendeinem Zeitpunkt eine Nebenbeschäftigungserlaubnis gewährt?

a.    Wenn ja, wann durch wen?

10. Hat Khaled H. einen aufrechten Asylstatus?

a.    Wenn ja, läuft ein Aberkennungsverfahren gegen ihn?

b.    Wenn nein, von wann bis wann hatte er einen aufrechten Asylstatus in Österreich?

11. Was war die genaue als Grund für die Anerkennung von Asyl angeführte Gefährdungslage für Khaled H. in Frankreich?

a.    Auf welchen Beweisen beruhte diese Einschätzung?

b.    Woher und von wem bekam das BFA die Beweise für eine Gefährdung?

12. Haben Sie Wahrnehmungen dazu, dass das BVT intern davon sprach, dass die Gefährdungslage nicht real existent sei?

a.    Wenn ja, Wahrnehmungen dazu seit wann dies dem BVT bekannt war?

b.    Wenn ja, warum übermittelte das BVT die Information nicht dem BFA ?

13. Wurde Khaled H. eine Mietwohnung in Wien-Favoriten vom BVT zur Verfügung gestellt?

a.    Wenn ja, von wann bis wann?

14.  Der Kurier berichtete, dass der Mossad Khaled H. rund 5.000 Euro pro Monat zur Verfügung stellte. Wurde ihm auch vom BVT eine finanzielle Unterstützung zur Verfügung gestellt?

a.    Wenn ja, von wann bis wann und in welcher Höhe?

b.    Wurden ihm sonstige Sachleistungen oder Unterstützungen zur Verfügung gestellt?

15. Wurde Khaled H. die Wohnung in der Steinmüllergasse in Wien-Ottakring vom BVT zur Verfügung gestellt?

a.    Wenn ja, von wann bis wann?

b.    Wenn nein, wurde sie ihm durch das BFA vermittelt?

16. Wurden Khaled H. seit der Anerkennung des Asylstatus' Sozialleistungen ausbezahlt?

a.    Wenn ja, von wann bis wann, welche genau und in welcher genauen Höhe?

17. Wurden ihm sonstige Sachleistungen oder Unterstützungen zur Verfügung gestellt?

a.    Wenn ja, von wann bis wann, welche genaue und in welcher genauen Höhe?

18. Befindet sich Khaled H. derzeit in Österreich?

a.    Wenn ja, seit wann und wo?

b.    Wenn nein, haben Sie Wahrnehmungen zu seinem derzeitigem Aufenthaltsort?

19. Wurde Jan Marsalek am 19. Juni 2020 bei seiner Flucht via Bad Vöslau von der österreichischen Polizei kontrolliert?

a.    Wenn ja, durch wen wann (unter Angabe der Uhrzeit) durch die Vornahme welcher Handlungen?

b.    Wenn ja, wurde seine Identität bei der Kontrolle festgestellt?

                                      i.Wenn ja, wie reagierten die Beamt_innen wann (unter Angabe der Uhrzeit)?