6575/J XXVII. GP

Eingelangt am 07.05.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Georg Bürstmayr, Faika El-Nagashi, Ewa Ernst-Dziedzic, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend der Außerlandesschaffung des Angeklagten F.Ö. durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor dessen Hauptverhandlung zur Behandlung der Anklage im Verdacht der Ermordung Berîvan Aslans

 

BEGRÜNDUNG

Da der Verdacht naheliegt, dass ein Anschlag auf die Wiener Landtagsabgeordnete Berîvan Aslan verübt werden sollte, konnte sie monatelang ihre Wohnung nur mit Polizeischutz verlassen. Der Sachverhalt lässt sich nach Akteneinsicht in folgender Chronologie zusammenfassen:

F.Ö., italienischer Staatsbürger mit türkischen Wurzeln, hat sich am 15.09.2020 selbst bei der Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien) gestellt und (an diesem sowie an folgenden Tagen) angegeben, in Serbien den Auftrag erhalten zu haben, u.a. die österreichische Politikerin Berîvan Aslan zu töten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ging in einem Anlassbericht an die Staatsanwaltschaft Wien davon aus, dass F.Ö. vom türkischen militärischen Nachrichtendienst „MIT“ dazu angeworben und/oder beauftragt worden war. Seine Angaben hiezu wären aufgrund der Übereinstimmung mit anderen Erkenntnissen des BVT als glaubwürdig anzusehen.  

Am 24.09.2020 wurde die Festnahme von F.Ö. durch die Staatsanwaltschaft Wien (StA Wien) angeordnet, in weiterer Folge wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Nach umfangreichen weiteren Ermittlungsmaßnahmen, auch gegen weitere Drittstaatsangehörige mit mutmaßlichem Kontakt zum MIT nebst der Festnahme und vorübergehenden Verhängung von Untersuchungshaft über weitere Personen sowie der erstmaligen Verlängerung der über F.Ö. verhängten Untersuchungshaft erhob dieser gegen seine weitere Anhaltung in Haft Beschwerde. Dieser Beschwerde wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 21.10.2020 zwar keine Folge gegeben, jedoch festgehalten, dass

-          der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr mit 26.11.2020 begrenzt sei und

-          ab diesem Zeitpunkt die Untersuchungshaft gegen eine festzusetzende Kaution und Ablegung von Gelöbnissen, sich dem Strafverfahren zur Verfügung zu halten, aufzuheben sein werde.

In einer weiteren Haftverhandlung am 25.11.2020 wurde die Kaution mit € 8.000,00 festgesetzt.

Am 27.11.2020 wurde durch das Landesgericht für Strafsachen Wien die Verständigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl – BFA von einer Anklage gegen F.Ö. nach. § 319 StGB („Militärischer Nachrichtendienst für einen fremden Staat“) verfügt. Der Termin für die Hauptverhandlung wurde mit 04.02.2021 angesetzt.

Am 21.12.2020 beantragte die StA Wien – einem Ersuchen der OStA Wien entsprechend – die sofortige Enthaftung von F.Ö. aus der Untersuchungshaft. Die OStA Wien hatte dieses Ersuchen u.a. mit der Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft begründet.

F.Ö. wurde daraufhin aus der Untersuchungshaft entlassen. In weiterer Folge wurde über F.Ö. durch das BFA eine Rückkehrentscheidung bzw. ein Rückehrverbot erlassen und F.Ö. wurde nach Italien abgeschoben.

Die bereits angesetzte Hauptverhandlung zur Behandlung der Anklage gegen F.Ö. musste in weiterer Folge abgesetzt werden, am 22.01.2021 wurde F.Ö. zur Fahndung ausgeschrieben.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende 

ANFRAGE

1.    War dem Bundesministerium für Inneres (BM.I) die Anklageschrift und deren Inhalt gegen F.Ö. zu dem Zeitpunkt bekannt, als gegen den Beschuldigten F.Ö. eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde?

a.    Wenn ja: war dem BM.I der Hauptverhandlungstermin bekannt, welcher zur Zeit der Rückführung bereits feststand.

                                  i.    Wenn ja: warum wurde dennoch eine Rückkehrentscheidung erlassen und vollstreckt?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?

b.    Wenn ja: hatte das BM.I Kenntnisse von den seitens des Beschuldigten abgelegten Gelöbnissen iSd § 173 Abs. 5 Z. 1 und 2 StPO und der Kaution iSd § 180 Abs. 1?

                                  i.    wenn ja: inwiefern sind diese Kenntnis von der Enthaftung gegen Gelöbnis und Kaution bei der Entscheidung über die aufenthaltsbeendende Maßnahme beim BMI berücksichtigt worden und auf welche Weise?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?

c.    Wenn ja: was waren die Gründe für die vorzeitige Außerlandesschaffung von F.Ö. durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl?

 

2.    War dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anklageschrift und deren Inhalt gegen F.Ö. zu dem Zeitpunkt bekannt, als gegen den Beschuldigten F.Ö. eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde?

a.    Wenn ja: war den zuständigen Behörden der Hauptverhandlungstermin bekannt?

                                  i.    Wenn ja: warum wurde dennoch eine Rückkehrentscheidung erlassen und vollstreckt?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?

b.    Wenn ja: hatte das BFA Kenntnisse von den seitens des Beschuldigten abgelegten Gelöbnissen iSd § 173 Abs. 5 Z. 1 und 2 StPO und der Kaution iSd § 180 Abs. 1?

                                  i.    wenn ja: inwiefern sind diese Kenntnis von der Enthaftung gegen Gelöbnis und Kaution bei der Entscheidung über die aufenthaltsbeendende Maßnahme beim BFA berücksichtigt worden und auf welche Weise?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?

c.    Wenn ja: was waren die Gründe für die vorzeitige Außerlandesschaffung von F.Ö. durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl?

 

3.    War den entscheidenden Organen des BFA bekannt, dass durch eine Aufenthaltsbeendigung und/oder Abschiebung von F.Ö. die Durchführung der bereits anberaumten Hauptverhandlung gegen F.Ö. erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht würde?

a.    Wenn ja, aus welchen Erwägungen wurde gegen F.Ö. dennoch ein aufenthaltsbeendendes Verfahren eingeleitet, abgeschlossen und umgesetzt?

 

4.    Wurden im Zuge dieses Verfahrens seitens des BM.I und/oder des BFA Schritte unternommen, um ein Erscheinen von F.Ö. zur anberaumten Hauptverhandlung sicherzustellen und/oder zumindest möglich zu machen?

a.    Wenn ja, welche Schritte wurden unternommen?

b.    Wenn nein, warum wurden Schritte unterlassen?

 

5.    Wurde F.Ö. auf Betreiben des BFA aus Österreich abgeschoben?

 

6.    Welche Richtlinien, Mechanismen und Kommunikationsstrukturen gibt es, damit Personen, welche sich in Österreich für ein Verfahren zur Verfügung halten müssen, aber bereits unter Gelöbnis aus der Untersuchungshaft enthaftet wurden, nicht abgeschoben werden?

 

7.    Existieren allgemeine Richtlinien zum fremdenpolizeilichen Vorgehen gegen Nicht-Österreicher*innen für den Fall, dass dem BFA das Vorliegen einer Anklage gegen diese (und / oder eines bereits festgesetzten Termins für eine Hauptverhandlung) bekannt ist?

a.    Wenn ja: sehen diese Richtlinien vor, dass das fremdenpolizeiliche Vorgehen Rücksicht auf Notwendigkeiten / Bedürfnisse der Strafjustiz zu nehmen hat? Und falls nein: wieso nicht?

 

8.    Gibt es im Zuständigkeitsbereich des BM.I und des BFA Richtlinien zur Berücksichtigung anhängiger Strafverfahren?

a.    Wenn ja: Wie lauten diese?

b.    Gibt es gesonderte Bestimmungen im Falle von verfügter Enthaftungen gegen Kaution bzw. gegen Gelöbnis?

c.    Wenn ja: Wie lauten diese?