6604/J XXVII. GP
Eingelangt am 12.05.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Fakten zur Abschiebung nach Afghanistan am 30.3.2021
Am 30. März 2021 war eine Sammelabschiebung von ungefähr 50 Personen nach Afghanistan geplant. Medienberichten zufolge soll Österreich mit 15 Personen an der geplanten Sammelabschiebung beteiligt gewesen sein, ungefähr 12 davon verurteilte Straftäter (siehe https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/aktivisten-gegen-abschiebungen-legen-ostautobahn-lahm/401335905). Genaue Angaben zu den abzuschiebenden Personen, insbesondere deren Angehörigkeit zu vulnerablen Gruppen, sind nicht zu finden.
Während Abschiebungen aus Österreich weiterhin durchgeführt werden, findet sich für österreichische StaatsbürgerInnen eine Reisewarnung mit folgendem Wortlaut auf der Webseite des BMeiA (https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/afghanistan/#:~:text=Reisewarnung%20(Sicherheitsstufe%206)%20f%C3%BCr%20das,bewaffneter%20Raub%C3%BCberf%C3%A4lle%20im%20ganzen%20Land.):
"Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) für das ganze Land! Vor allen Reisen wird gewarnt!
Bestehendes Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle im ganzen Land.
Den in Afghanistan lebenden Auslandsösterreichern und Österreichern, die sich aus anderen Gründen in Afghanistan aufhalten, wird dringend angeraten das Land zu verlassen."
Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert. Es häufen sich nun auch Berichte und Studien darüber, dass besonders Rückkehrer_innen Gewalt ausgesetzt werden (Siehe z.B. https://www.vidc.org/detail/studie-from-austria-to-afghanistan). Auch aus der aktuellen Studie zum Verbleib von abgeschobenen Afghanen von Friederike Stahlmann, welche als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige in der Fachgruppe 23 - Länderkunde (insbesondere Menschenrechte) mit Schwerpunkt Afghanistan gelistet ist (https://suche.gerichts-sv.at/Default.aspx?LV=WNB&NG=23.05), geht ein hohes Risiko für die Betroffenen hervor: 90,3 % der Befragten sind nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan von Gewalt betroffen. Rund 50,5% haben speziell gegen Rückkehrende gerichtete Gewalt erfahren (https://www.asyl.at/files/93/43-am19-8-9_beitrag_stahlmann_vorab191009.pdf). Zahlreiche NGOs und Menschenrechtsexpert_innen haben bereits darauf hingewiesen, dass Abschiebungen nach Afghanistan gegen Artikel 3 EMRK verstoßen und daher menschenrechts- und verfassungswidrig sind (https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210223_OTS0072/abschiebungen-nach-afghanistan-sind-ein-verstoss-gegen-die-menschenrechte-sie-muessen-sofort-gestoppt-werden-bild).
Der totale Abzug der US- und NATO-Truppen bis zum 11. September (siehe z.B. https://www.derstandard.at/story/2000125812200/biden-will-offenbar-us-truppenabzug-bis-11-september-aus-afghanistan), wird die Sicherheitslage in Afghanistan voraussichtlich noch zusätzlich verschlimmern. Nach Abzug der ausländischen Truppen ist eine Machtübernahme durch die Taliban zu erwarten, was einerseits zu neuen Fluchtbewegungen aus Afghanistan führen aber auch in Österreich lebende afghanische Staatsbürger_innen, die sich mit einer Abschiebung konfrontiert sehen, in eine gefährliche Lage bringen wird.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Wie viele Personen wurden im Rahmen der Sammelabschiebung nach Afghanistan am 30.03.2021 aus Österreich abgeschoben?
a. Von welcher Nationalität waren die Personen?
b. Wie viele waren Frauen?
c. Wie viele waren minderjährig?
d. Wie viele davon waren in Österreich verurteilte Straftäter_innen?
i. Wegen welcher Straftaten waren die aus Österreich abgeschobenen Personen jeweils wann rechtskräftig verurteilt (bitte um anonymisierte Auflistung bzw. um Auflistung nach Vergehen und Verbrechen)?
2. Welche anderen EU-Mitgliedstaaten haben im Zuge der Sammelabschiebung am 30.03.2021 wie viele Personen nach Afghanistan abgeschoben?
a. Von welcher Nationalität waren die Personen jeweils?
b. Wie viele waren Frauen jeweils?
c. Wie viele waren minderjährig jeweils?
d. Wie viele davon waren in welchem Land jeweils verurteilte Straftäter_innen?
3. Welche Dokumente liegen der Einstufung des aktuellen Sicherheitsrisikos in Afghanistan zugrunde (bitte um Übermittlung aller relevanten Quellen)?
4. In welchen Abständen wird die Einstufung des aktuellen Sicherheitsrisikos eines Landes, insbesondere Afghanistans, durch wen überprüft und ggf. aktualisiert?
a. Gibt es Qualitätskontrollen der für die Einstufung des aktuellen Sicherheitsrisikos verwendeten Quellen, inklusive einer Kontrolle der Aktualität der Länderberichte?
5. Sind für das dafür zuständige Personal spezielle Schulungen vorgesehen?
a. Wenn ja, wann und wie oft muss das zuständige Personal Schulungen welchen Inhalts durchlaufen?
b. Wenn nein, warum nicht?
6. Gab es infolge der Nachricht des US- und NATO-Truppenabzuges eine Aktualisierung der Einstufung der Sicherheitsrisikos Afghanistans?
a. Wenn ja, wann wurde welche Änderung vorgenommen?
b. Wenn nein, ist eine solche vorgesehen?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
7. Wie viele Personen mit rechtskräftiger Rückkehrentscheidung sind zum Zeitpunkt 1.5.2020 in Österreich aufhältig?
a. Wie viele Personen haben davon die afghanische Staatsangehörigkeit?
b. Wenn dazu keine Statistiken geführt werden, von welchen Zahlen geht das Innenministerium aus?
8. Aufgrund welcher Parameter werden Personen für Charter-Abschiebungen ausgewählt? Bitte um Auflistung.
9. Werden Personen, die straffällig geworden sind, prioritär für Charterabschiebungen „angemeldet“?
a. Wenn ja, aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage erfolgt die prioritäre Behandlung straffälliger Personen?
10. Bitte beschreiben Sie die notwendigen Vorbereitungsschritte bei der Organisation einer Frontex-Charterabschiebung:
a. Wie erfolgt die Terminisierung einer Charterabschiebung?
b. Welche Organisationseinheiten des BFA bzw. des BMI sind hier involviert?
c. Mit welchen anderen Mitgliedsstaaten wurden im Jahr 2020 gemeinsam Charterabschiebungen nach Afghanistan durchgeführt?
d. In wie fern sind hier die Behörden Afghanistans bzw. die afghanische Vertretung Österreichs in diesen Prozess eingebunden?
e. Muss Österreich den afghanischen Behörden und/oder Frontex vorab Namen von abzuschiebenden Personen bekanntgeben?
i. Falls nur an Frontex, werden diese Namen an die afghanischen Behörden weitergegeben?
11. Bei der Abschiebung vom 30.3.2021:
a. Wie viele Personen waren für die Abschiebung geplant?
b. Wie vielen abgeschobenen Personen wurde ein Heimreisezertifikat ausgestellt?
i. Von welcher Behörde oder Institution?
ii. Ist hier die afghanische Botschaft eingebunden und wenn ja, in welcher Form?
c. Wie vielen abgeschobenen Personen wurde ein Laissez-passer ausgestellt?
i. Von welcher Behörde oder Institution?
ii. Ist hier die afghanische Botschaft eingebunden und wenn ja, in welcher Form?
d. Von welchen Umständen ist es abhängig, ob ein Heimreisezertifikat oder ein Laissez-passer ausgestellt wird?
e. Wer übernimmt die Auswahl der abzuschiebenden Personen?
12. In wie vielen Fällen musste Österreich nach Afghanistan abgeschobene Personen wieder rückübernehmen? Bitte um Auflistung nach Jahr seit 2015.
a. Warum mussten Personen wieder rückübernommen werden?
b. Wurden jemals Personen mit nichtafghanischer bzw. nicht geklärter Staatsangehörigkeit nach Afghanistan abgeschoben?
i. Wenn ja, warum?
ii. Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?
c. Ist Ihrem Ministerium bekannt, dass eine Person, die nach einer Abschiebung nach Afghanistan wieder rückgenommen werden musste, noch einmal nach Afghanistan abgeschoben wurde und dann in der Folge nochmals nach Österreich rückübernommen werden musste?
i. Wenn ja, wie oft ist das schon passiert?
ii. Wurde versucht, diese Person nochmals nach Afghanistan abzuschieben?
1. Wenn ja, warum?
13. Bilden Abschiebungen nach Afghanistan nach wie vor einen Schwerpunkt auf Außerlandesbringungen nach Afghanistan?
a. Wie viele Charterabschiebungen sind für das Jahr 2021 geplant bzw. anvisiert?
b. Wie viele Personen sollen insgesamt im Jahr 2021 nach Afghanistan abgeschoben werden?
14. Wie viele Personen wurden 2020 und 2021 per Einzelabschiebung (Linienflug) nach Afghanistan abgeschoben? Bitte um Auflistung nach Monat und Jahr.
15. Welche weiteren Schwerpunkte hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für das Jahr 2021?
16. Nach der Rechtsprechung der österreichischen Gerichte bildet Kabul grundsätzlich keine sichere innerstaatliche Fluchtalternative. Für die Städte bzw. Regionen Herat und Mazar-e-Sharif wird eine derart sichere innerstaatliche Fluchtalternative angenommen. Was ist der Zielflughafen von Abschiebungen nach Afghanistan?
a. Sollte dieser ausschließlich in der Region Kabul sein, wie gewährleistet Österreich, dass die abgeschobenen Personen tatsächlich die angenommenen sicheren Regionen Herat und Mazar-e-Sharif erreichen?
17. Wurde die Abschiebung am 30.3.21 durch Menschenrechtsbeobachter_innen der BBU begleitet?
a. Wenn ja, durch wie viele?
b. Wurden die Wahrnehmungen der Menschenrechtsbeobachter_innen dem Innenminister zur Kenntnis gebracht?
i. Wenn ja, in welcher Form/Prozess?
c. Was waren deren Wahrnehmungen?