6605/J XXVII. GP
Eingelangt am 12.05.2021
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ANFRAGE
des Abgeordneten Mag. Stefan
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend vorzeitige Enthaftung eines Terrorverdächtigen
Die steirische Tageszeitung „Kronen Zeitung“ deckte heute, am 12.05.2021 einen gewaltigen Justizskandal[1] auf. So wurde ein bis vor Kurzem in Untersuchungshaft befindlicher Terrorverdächtiger, dem u.a. der Vorwurf der terroristischen / kriminellen Vereinigung und des Mordes gemacht wird, enthaftet, weil die Justiz bestimmte Fristen, die in der Strafprozessordnung normiert sind, nicht eingehalten hat. Die Kronen Zeitung berichtete wie folgt:
„Ein handfester Justizskandal beschäftigt derzeit die Gerichte: Weil eine Frist nicht eingehalten wurde, musste ein Tschetschene aus der U-Haft entlassen werden - trotz Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz!
Als radikaler Islamist und gefährlich-charismatischer Prediger in Wiener und steirischen Moscheen brachte Mirsad O. Menschen dazu, in den Krieg nach Syrien zu ziehen und Unschuldige zu töten. Dafür wurde er im Februar 2018 in Graz zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Juli steht er nach einer Anklage der Staatsanwaltschaft Graz - eingebracht am 3. November 2020 - erneut vor Gericht, diesmal in Wien. Abermals wegen terroristischer Straftaten.
Mordverdächtiger enthaftet
Fünf weitere Verdächtige sitzen mit ihm auf der Anklagebank - vier Frauen und ein Tschetschene (32), der sich unter anderem wegen terroristischer und krimineller Vereinigung, staatsfeindlicher Verbindung und Ausbildung für terroristische Zwecke verantworten musste. Ermittelt wurde gegen ihn wegen Mordes und teils versuchten Mordes - er soll Menschen geköpft haben.
Ob er auftauchen wird, ist aber fraglich. Denn er wurde kürzlich enthaftet! Der unfassbare Grund: Die Zweijahresfrist - der Zeitpunkt ab der verhängten U-Haft bis zum spätestmöglichen Termin der Hauptverhandlung - wurde nicht eingehalten, was Hansjörg Bacher, Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz, auf „Krone“-Anfrage bestätigt.
Akt lag mehrere Monate lang beim OGH
Fakt ist, dass der Akt binnen kurzer Zeit vom Grazer Gericht zum Oberlandesgericht Graz wanderte. Das OLG Graz geht davon aus, dass dieser kurz nach einem Entscheid vom 22. Dezember an den Obersten Gerichtshof (OGH) weitergeleitet wurde. Dort lag er mehrere Monate! Dabei sollte der OGH nur entscheiden, ob in Graz oder in Wien verhandelt wird. Die Zuständigkeit ging - nach kurzer Zwischenstation beim Oberlandesgericht Wien - ans Landesgericht Wien, wo man aber nur noch wenige Tage Zeit für eine fristgerechte Hauptverhandlung hatte - zu spät!
Die Konsequenz: Die Enthaftung des vom Verfassungsschutz als brandgefährlich eingestuften Mannes, der sich nun völlig frei in unserer Bundeshauptstadt bewegen kann. Eine Anfrage der „Krone“ an den OGH blieb bislang unbeantwortet.“
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende
Anfrage
1. Wurden das Justizministerium und allen voran Sie als zuständige Ministerin VOR der Enthaftung über den Umstand einer möglichen anstehenden Enthaftung aufgrund der Nichteinhaltung von Fristen informiert?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann genau wurde das Justizministerium bzw. Sie zum ersten Mal darüber informiert?
c. Wenn ja, wie oft wurde das Justizministerium bzw. Sie über den Umstand einer möglichen anstehenden Enthaftung aufgrund der Nichteinhaltung von Fristen informiert? (Bitte um Angabe genauer Kalenderdaten)
d. Wenn ja, wer hat das Justizministerium bzw. Sie darüber informiert?
e. Wenn ja, welche Maßnahmen haben Sie gesetzt, damit es zu keiner Enthaftung und Einhaltung der Fristen kommt?
2. Im Falle dessen, dass das Justizministerium bzw. Sie nicht vor der Enthaftung informiert wurden:
a. Warum wurden das Justizministerium bzw. Sie nicht vor der Enthaftung informiert?
b. Wann wurde das Justizministerium bzw. Sie über die Enthaftung zum ersten Mal informiert?
c. Wer informierte das Ministerium bzw. Sie über die Enthaftung?
d. Welche Maßnahmen haben Sie ab Kenntnis der Enthaftung gesetzt?
3. Wurde von Seiten der Justiz das LVT / BVT von der Enthaftung des Terrorverdächtigen informiert?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann genau wurde das LVT / BVT informiert?
c. Wenn ja, wer genau wurde beim LVT / BVT über die Enthaftung informiert?
4. Warum konnten die maßgeblichen Fristen nicht eingehalten?
5. Bei welchem Gericht sehen Sie die Verantwortlichkeit für die Nichteinhaltung der maßgeblichen Fristen?
6. Bitte erläutern Sie so genau wie möglich den Aktenlauf unter Angabe der einzelnen „Stationen“ und Zeiträume in denen sich der Akt bei den jeweiligen Behörden / Gerichten von Inhaftierung bis Enthaftung des Terrorverdächtigen befand.
7. Warum dauerte die Entscheidung des OGH über die Zuständigkeit „mehrere Monate“?
8. Wann erfuhr das OLG Wien von seiner Zuständigkeit in dieser Causa und wann wanderte die Zuständigkeit zum LG Wien?
9. Wann erfuhr das LG Wien von seiner Zuständigkeit?
10. Wie viele Tage genau blieb dem LG Wien, um eine fristgerechte Hauptverhandlung anzusetzen?
11. Wurde vom LG Wien bereits ein Termin für eine Hauptverhandlung angesetzt?
12. Wie viele Enthaftungen aufgrund von Fristversäumnissen gab es in den Jahren 2017 bis 2021? (Mit dem Ersuchen aus welchen Gründen, wegen welcher Delikte hätte es eine Anklage geben sollen und welche Gerichte waren davon betroffen?)