6776/J XXVII. GP
Eingelangt am 26.05.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Tod in Gefängnis
Die Justizanstalt Stein, zweitgrößtes Gefängnis Österreichs, gilt als chronisch überbelegt, die Bedingungen des Freiheitsentzuges werden aus unterschiedlichen Gründen immer wieder kritisiert, der Mangel an ausreichendem Personal aus den unterschiedlichen notwendigen Disziplinen wiederholt festgestellt.
Laut uns vorliegenden Informationen ist die anstaltseigene sozialtherapeutische Maßnahmenabteilung für maximal 44 Personen ausgelegt. Diese Kapazität ist jedoch aufgrund massiver Überbelegung ständig über die Maßen ausgeschöpft. Die daraus resultierenden inadäquaten Betreuungsstrukturen führen in der JA Stein zu weit über dem österreichischen Durchschnitt liegenden Anhaltezeiten.
Weiters werden als Folge der bei weitem nicht ausreichenden Kapazität die im Maßnahmenvollzug Untergebrachten auch in anderen Abteilungen verwahrt.
Anlass dieser Anfrage ist der Tod eines in der
Justizanstalt Stein Inhaftierten.
Seit dem Jahre 2016 verbüßte Ali C. in Stein eine Haftstrafe wegen
diverser Eigentumsdelikte. Am 6. April 2021 gegen 7 Uhr fanden ihn Beamte der
Justizwache bewusstlos in seiner Einzelzelle. Der Notarzt ließ den
Häftling in das Klinikum Krems überstellen, wo er im Laufe des
Vormittags verstarb.
Bis das Ergebnis des toxikologischen Blutbefundes vorliegt, kann es dem
Vernehmen nach noch Wochen dauern.
Laut Information des Vaters von Ali C. soll dessen jüngerer Bruder
ebenfalls in der JA Stein eine Haftstrafe verbüßt und im Laufe
derselben nach einem Zusammenbruch eine "Beruhigungsspritze"
verabreicht erhalten haben. Während dieser jüngere Bruder
mittlerweile verlegt wurde, befürchtet die Familie, dass Ali C. an den Folgen
eines Beruhigungsmittels, umgangssprachlich "Depotspritze" genannt,
gestorben ist.
Ali C. hätte die JA Stein Anfang Mai verlassen können, war aber von
einer Abschiebung nach Tschetschenien bedroht. Ein fremdenrechtliches Verfahren
war bereits eingeleitet.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Wie viele Häftlinge wurden bzw. werden seit 01.01.2018 in den Justizanstalten und wie viele Untergebrachte wurden bzw. werden davon im Maßnahmenvollzug in Österreich angehalten (es wird um eine tabellarische Auflistung jeweils zum Monatsletzten vom 01.01.2018 bis 31.12.2020, gegliedert nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, jeweils nach Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
2. Wie viele Todesfälle ereigneten sich seit 01.01.2018 in den österreichischen Justizanstalten (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
a. Bei wie vielen davon wurden Ermittlungen eingeleitet?
i. Wann und mit welchem Ergebnis jeweils?
b. Bei wie vielen davon wurden disziplinarrechtliche Prüfungen vorgenommen?
i. Wann und mit welchem Ergebnis jeweils?
3. Wie viele Suizide ereigneten sich seit 01.01.2018 in den österreichischen Justizanstalten (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
a. Bei wie vielen davon wurden Ermittlungen eingeleitet?
i. Wann und mit welchem Ergebnis jeweils?
b. Bei wie vielen davon wurden disziplinarrechtliche Prüfungen vorgenommen?
i. Wann und mit welchem Ergebnis jeweils?
4. Mit welchen anderen Konsequenzen wurde sonst auf Todesfälle in der Haft wann jeweils reagiert?
5. In welchen Situationen werden Häftlingen und Untergebrachten im MVZ Beruhigungsmittel verabreicht?
a. Liegen jeweils im Einzelfall ärztliche Verordnungen zugrunde oder gibt es sogenannte "Bedarfsmedikation"?
6. In welchen Situationen werden Häftlingen und Untergebrachten im MVZ Depotspritzen verabreicht?
a. Ist die Verabreichung von Depot-Medikation die Regel oder stehen andere Applikationen von Dauermedikation im Vordergrund?
7. Wie häufig wurden Häftlingen und Maßnahmenuntergebrachten seit 01.01.2018 Beruhigungsmittel verabreicht (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
8. Wie häufig wurden Häftlingen und Maßnahmenuntergebrachten seit Anfang 2018 intramuskuläre Depotpräparate verabreicht (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
9. Welche Medikamente werden in der Regel in intramuskulärer Depot-Form verabreicht?
10. Wie viele Häftlinge wurden bzw. werden seit 2018 in den Justizanstalten und wie viele Untergebrachte wurden bzw. werden davon im Maßnahmenvollzug in Einzelzellen angehalten (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
a. Wieviele Todesfälle ereigneten sich in Isolationshaft (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
b. Wieviele Suizide ereigneten sich in Isolationshaft (es wird um eine tabellarische Auflistung nach Anstalt, Anzahl der Häftlinge in Maßnahmenvollzug, dann jeweils nach Jahr, Geschlecht und Staatszugehörigkeit gebeten)?
11. Wie oft findet ein Kontrollgang bei einer in Isolationshaft angehaltenen Person statt?
a. Auf Basis welcher interner Regularien?
12. Aus welchen Gründen saß Ali C. zum Zeitpunkt seines Todes in Isolationshaft?
a. Seit wann?
13. Wie oft fand ein Kontrollgang bei dem in Isolationshaft angehaltenen Ali C. statt?
14. Wie viel Zeit verging zwischen dem Auffinden von Ali C. und dessen Transport in ein Krankenhaus?
15. Wurde bzgl. Ali C. eine Obduktion durchgeführt bzw. bis wann ist mit dem Ergebnis zu rechnen?
16. Welche Todesursache konnte bei Ali C. durch wen und wann festgestellt werden?
17. Wer teilte der Familie von Ali C. wann mit, man könne ihr einen Obduktionsbericht erst im Juni übermitteln?
18. Wurden Ermittlungen eingeleitet?
a. Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?
19. Wurden disziplinarrechtliche Prüfungen vorgenommen?
a. Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?
20. Seit wann war Ali C. in Haft? War er im Maßnahmenvollzug untergebracht?
21. Wie haben sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie die Bedingungen für Häftlinge und Maßnahmenuntergebrachte geändert?
22. Kamen Häftlinge mit ebenfalls tschetschenischer Abstammung nach Ali C.s Tod in Isolationshaft?
a. Wenn ja, warum?
b. Wenn ja, wieviele und wie lange?
23. Welche Schritte hat Ihr Ressort ergriffen, um die Situation im Maßnahmenvollzug zu verbessern?
24. Führen die Betreuungsstrukturen im Maßnahmenvollzug in der JA Stein zu weit über dem österreichischen Durchschnitt liegenden Anhaltezeiten?
a. Wenn ja, wie will man dies ändern?
25. Werden die Maßnahmenuntergebrachten im „Normalfall“ auch in anderen Abteilungen untergebracht?
a. Wenn ja, wie will man dies ändern?
26. Sieht das Justizministerium hier Reformbedarf?
a. Wenn ja, wie will man die herrschenden Umstände ändern?
b. Wenn nein, warum?
27. Per Stichtag 11. Juli 2009 befanden sich in der JA Stein 101 Personen im Maßnahmenvollzug, was von einer vom Justizministerium eingesetzten Expertenkommission zusammen mit vielen anderen Unregelmäßigkeiten bei dieser Vollzugsform evaluiert wurde. Zu welchem Ergebnis kam diese Expertenkommission?
28. Wurden daraus Konsequenzen gezogen?
a. Wenn ja, welche und wann?
b. Wenn nein, für wann sind solche geplant?
29. Im Jahr 2014 kam es in der Justizanstalt Stein im Maßnahmenvollzug zu einigen Vorfällen, die auch in der österreichischen Presse längere Zeit für Schlagzeilen sorgten und zur Suspendierung einiger Beamter führten. So wurde etwa ein Mann so lange in seinem Haftraum unversorgt und ohne jede Betreuung sich selbst überlassen, dass es zu nekrotischen Prozessen an seinen Extremitäten kam. Davon in Kenntnis gesetzt, ordnete Justizminister Brandstetter eine genaue Überprüfung des Maßnahmenvollzuges an. Zu welchem Ergebnis kam diese Überprüfung?
30. Wurden daraus Konsequenzen gezogen?
a. Wenn ja, welche und wann?
31. Das Ministerkomitee des Europarates hat eine Empfehlung verabschiedet, mit der die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze aus dem Jahr 2006 überarbeitet und aktualisiert wurden - Result details (coe.int).Entspricht der österreichische Strafvollzug, aber auch insbesondere der Maßnahmenvollzug, diesen Empfehlungen?
32. Die Empfehlung des Ministerkomitee des Europarates befasst sich auch eingehend mit der Frage der Einzel- bzw. Isolationshaft. Diese Maßnahme sollte immer nur als allerletztes Mittel zum Einsatz kommen, wobei auch die Gesundheit des betroffenen Häftlings zu berücksichtigen sei. Wegen der starken negativen Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit sollte eine derartige Maßnahme nur für eine genau festgelegte Dauer verhängt werden, die möglichst kurz zu halten sei. Entspricht die Situation in Isolationshaft in Österreich der Empfehlung? Unter welchen Voraussetzungen bzw. mit welcher Begründung wird Isolationshaft verhängt? Welche Vorschriften gibt es dafür?
33. Im Parlamentsbericht der Volksanwaltschaft aus dem Jahre 2019 wird ausgeführt, dass das BMVRDJ (jetzt BMJ) die angespannte Personalsituation bestätigte und diese – neben einem hohen Insassenstand – auf nicht besetzte Planstellen und vermehrte krankheitsbedingte Abwesenheiten zurückführte. Hat sich diese Situation inzwischen verändert bzw. verbessert?
a. Wenn ja, warum wann und wodurch?
b. Was gedenken Sie für (weitere) Verbesserungen zu tun?