6780/J XXVII. GP
Eingelangt am 26.05.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesministerin für Landesverteidigung
betreffend GSVP Solidarität im globalen Sicherheitsumfeld
Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) legt in Artikel 42 des Vertrags über die Europäische Union den rechtlichen und institutionellen Rahmen für die militärischen Strukturen der Europäischen Union sowie für ihre militärischen Auslandseinsätze fest. In Art. 42 (7) sind die Verpflichtungen der Mitgliedsländer festgelegt: "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung ... ."
Zusätzlich formulierte die EU 2016 eine Globale Strategie mit fünf Prioritäten für die EU-Außenpolitik:
1. die Sicherheit der Union;
2. die Widerstandsfähigkeit von Staaten und Gesellschaften in der östlichen und südlichen Nachbarschaft der EU;
3. die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts für den Umgang mit Konflikten, kooperative regionale Ordnungen, die Sicherheit der Union, Widerstandsfähigkeit von Staat und Gesellschaft in der östlichen und südlichen Nachbarschaft der EU;
4. ein integrierter Ansatz zur Bewältigung von Konflikten, auf Zusammenarbeit beruhende regionale Ordnungen; und
5. eine globale Ordnungspolitik für das 21. Jahrhundert.
Innerhalb dieses Rahmens führt die EU heute Friedensmissionen (Mali, Somalia, Zentralafrikanische Republik), bringt europäische Armeen durch den European Defense Fund näher an Interoperabilität heran, unternimmt zivile GSVP Missionen in Konfliktzonen (Moldau & Ukraine, Ukraine, Kosovo, Georgien, Irak, Palästina, Somalia, Libyen, Niger und Mali). In Summe formuliert die GSVP gemeinsame Ziele für vertiefte Kooperation, Interoperabilität der nationalen Armeen, verbesserte Effizienz der militärischen Ressourcen und gemeinsame Planung, Forschung und Entwicklung.
Österreich bekennt sich durch die Sicherheitsstrategie des BMLV zur GSVP. So stellt etwa Generalmajor Dr. Johann Frank in seinem einführenden Kapitel zur Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2021 die Stellung Österreichs als eingebettet in ein geopolitisches Sicherheitsumfeld von Weltmächten und regionalen Akteuren dar und schreibt: "Für Österreich ist und bleibt die Handlungsfähigkeit der EU von entscheidender Bedeutung. Daher sollte Österreich jedes Eigeninteresse haben, die strategisch-konzeptionellen Prozesse aktiv mitzugestalten und nach besten Kräften zu einer Verbesserung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der EU beizutragen."
Kritisch wird, so Frank, die Frage sein, "welche Rolle die GSVP bei der Stärkung der innereuropäischen Resilienz etwa beim Schutz der Außengrenzen, beim Schutz kritischer Infrastrukturen oder bei der Bekämpfung von Pandemien oder sonstigen resilienzgefährdenden Extremereignissen spielen kann und soll."
BMLV Kabinettschef Arnold Kammel beschreibt in der selben Publikation eine zunehmend konfrontative geopolitische Lage, in der globale und regionale Akteure das Völkerrecht in Frage stellen. Er zeichnet ein Risikobild bis zum Jahr 2030 in dem die relevantesten Herausforderungen "hybride Bedrohungen, sich verschärfende Konflikte im südlichen und östlichen Krisenbogen, die Weiterentwicklung der GSVP, souveränitätsgefährdende Angriffe [und] resilienzgefährdende Extremereignisse" darstellen.
Beide Autoren erkennen Österreichs Einbettung in eine vermehrt konfliktgefährdete Welt, in der allerdings nicht klassische, sondern hybride Konflikte und andere, meist grenzüberschreitende Gefahren, die Hauptbedrohung darstellen. Daher stellt die GSVP eine Hauptsäule der österreichischen Sicherheitspolitik dar. So stellt Kammel fest: "Angesichts der Herausforderungen, die nicht mehr alleine national bewältigt werden können, muss der Trend zu Kooperationen als Grundprinzip der Verteidigungspolitik verstärkt werden. Viele der auch für Österreich relevanten Krisen sind nur in Zusammenarbeit mit anderen Staaten oder Staatsbündnissen lösbar. Dies lässt sich meist nur durch die aktive Mitwirkung Österreichs an der Weiterentwicklung der GSVP beantworten."
Im April 2021 überführte die tschechische Regierung nach Jahren von Ermittlungen den russischen Militärgeheimdienst GRU, im Jahr 2014 ein tschechisches Waffenlager gesprengt zu haben. Zwei Tschechen kamen dabei ums Leben und die tschechische Armee musste wochenlang Aufräumungsarbeit leisten. Der Grund für den Anschlag ist der hybride Krieg Russlands in der Ostukraine: Im gesprengten Depot waren Waffen für die Ukraine gelagert. Ein Angriff eines militärischen Geheimdienstes gegen eine militärische Einrichtung eines anderen Staates auf dessen Hoheitsgebiet deckt sich mit den im BMLV gängigen Definitionen für hybride Kriegsführung, souveränitätsgefährdenden Terrorangriffen und Attacken gegen strategische Infrastruktur, welche in der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau wiederholt aufgeführt und beschrieben werden.
Auf die Aufklärung der Tat folgte eine Reihe von gegenseitigen Ausweisungen von Diplomat_innen aus Prag und Moskau, bei der Russland überproportional viele Tschech_innen auswies. Die tschechische Regierung rief daraufhin europäische Partnerländer dazu auf, aus Solidarität ebenfalls russische Diplomat_innen des Landes zu verweisen. Die Visegrad-Staaten sicherten der Tschechischen Republik in einer gemeinsamen Erklärung ihre Unterstützung zu. Dem Aufruf zur Diplomat_innenausweisung folgten die Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Bulgarien. Der Nordatlantikrat äußerte seine "tiefe Besorgnis" über von Russland ausgehende "destabilisierende Aktivitäten," und der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik drückte der Tschechischen Republik die Solidarität der EU aus. Der deutsche Think-Tank SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) riet der deutschen Bundesregierung, "den Umgang mit Russland sowie das Thema hybride Bedrohungen zu einem sichtbaren Element des Dialogs mit Prag machen."
Auch war der Angriff kein Einzelfall. Bulgarien fand frappierende Ähnlichkeiten zwischen dem Attentat in Tschechien und Angriffen gegen Depots in Bulgarien. In den Jahren 2011 und 2020 explodierten auch in Bulgarien Waffenlager mit militärischem Gerät, das für die Ukraine bestimmt war.
Anders als die oben genannten Staaten hielt sich Österreich mit Solidaritätskundgebungen zurück. Außenminister Schallenberg verwies auf eine gemeinsame Linie der EU in der Zukunft. Auch im Jahr 2018, als der russische Doppelagent Sergey Skripal in Großbritannien mit einem militärischen Kampfstoff ermordet wurde und die Mehrheit der EU Staaten russisches diplomatisches Personal auswies, verweigerte Österreich zum Gefallen Russlands diese Geste.
Dieser Zurückhaltung scheint die Position des BMLV entgegenzulaufen. In der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2021 schreibt Kabinettschef Kammel zum Thema kooperative Sicherheitspolitik: "Kooperation darf in diesem Kontext allerdings nicht als Einbahnstraße verstanden werden, sondern es bedarf auch der Aufstellung entsprechender Fähigkeiten, um Kooperationen eingehen zu können. Wer auf Solidarität anderer zählt und europäische Sicherheitspolitik mitgestalten will, muss auch selbst in der Lage sein, relevante Beiträge zu erbringen."
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Entspricht die Sprengung eines militärischen Waffenlagers durch Agenten eines militärischen Geheimdiensts auf fremdem Boden der Definition von hybrider Kriegsführung?
a. Wenn nein, inwiefern unterscheidet sich dieser Angriff von der Definition des BMLV?
2. Gemäß dem österreichischen Verständnis einer solidarischen Verteidigungspolitik nach Art. 42 (7) des Vertrags über die Europäische Union, löst ein hybrider Angriff auf einen europäischen Partner eine österreichische Beistandspflicht aus?
3. Entspricht die Sprengung eines militärischen Waffenlagers durch Agenten eines militärischen Geheimdiensts auf fremden Boden der Definition einer Attacke auf strategische Infrastruktur?
a. Wenn nein, inwiefern unterscheidet sich dieser Angriff von der Definition des BMLV?
4. Gemäß dem österreichischen Verständnis einer solidarischen Verteidigungspolitik nach Art. 42 (7), löst eine Attacke auf strategische Infrastruktur eines europäischen Partners eine österreichische Beistandspflicht aus?
5. Entspricht die Sprengung eines militärischen Waffenlagers durch Agenten eines militärischen Geheimdiensts auf fremden Boden der Definition souveränitätsgefährdenden Angriffs?
a. Wenn nein, inwiefern unterscheidet sich dieser Angriff von der Definition des BMLV?
6. Gemäß dem österreichischen Verständnis einer solidarischen Verteidigungspolitik nach Art. 42 (7), löst ein souveränitätsgefährdender Angriff auf einen europäischen Partner eine österreichische Beistandspflicht aus?
7. Art. 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union regelt die Verpflichtungen von Mitgliedsstaaten im Falle von Terrorangriffen und Katastrophen (natürlichen wie menschengemachten). Ist der Anschlag auf ein Waffenlager in der Tschechischen Republik ein Auslöser für solidarische Unterstützung nach §222?
a. Wenn nein, welche Kriterien für eine Solidarleistung fehlen? Aufgrund welcher Kriterien würde eine Solidarleistung begründet werden?
8. Ein deklariertes Ziel der GSVP war es, ohne Exekutivbefugnisse Militärmissionen planen und durchzuführen zu können, da diese nicht immer auf Beratungen der Regierungschefs in Brüssel warten können. Ist es dem österreichischen Bundesheer im Ernstfall möglich, sich an gemeinschaftlichen Verteidigungsmissionen in Echtzeit zu beteiligen?
a. Wenn ja, bitte beschreiben Sie die Kriterien.
b. Wenn nein, ist solidarische Verteidigung ohne Echtzeitkapazität sinnvoll?