6940/J XXVII. GP
Eingelangt am 16.06.2021
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Gutachten als Schlüsselfaktoren im Maßnahmenvollzug
Aufgrund der weitreichenden Folgen, die Gutachten für Betroffenen auslösen können – von der Entscheidung, ob eine Person in den Maßnahmenvollzug bedingt oder unbedingt eingewiesen wird, bis hin zur Frage, ob und wann diese Person bedingt entlassen werden kann – sollten diese besonderen Qualitätsanforderungen entsprechen.
Im April 2019 veröffentlichte die österreichische Volksanwaltschaft unter dem Titel „Gutachten als Schlüsselfaktoren im Maßnahmenvollzug“ einen Bericht, der sich ausführlich mit der Qualität von Gutachten auseinandersetzt.
Die Volksanwaltschaft hatte sich dieser Thematik angenommen, da sich wiederholt Untergebrachte mit Fragen und Beschwerden über die Qualität von Gutachten an sie gewendet hatten. So zitiert die Volksanwaltschaft aus dem Schreiben ei- nes Untergebrachten: „Ich hatte im Mai ein Gutachten, das feststellen soll, ob ich freikomme. Dieses Gutachten hat nur vier Minuten gedauert. Es wurde einfach mein erstes und altes Gutachten zur Hilfe genommen und eins zu eins kopiert. Wegen dieses Gutachtens komme ich jetzt nicht frei, obwohl es mir zustehen würde. Ich wollte Sie daher fragen, ob ein privates, selbst zu bezahlendes Gutachten vom Gericht anerkannt wird?“.
Der Faktor Zeit dürfte neben einem eklatanten Mangel an Gutachter*innen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie wesentlich auf die Qualität der Gutachten wirken. Der Bericht verweist in einem Beispiel aus dem Jahr 2013 darauf, dass „für den gesamten Sprengel des Oberlandesgerichtes Graz nur ein Gutachter zur Erstellung forensischer Gutachten zur Verfügung stand. Er hatte bis zu acht Personen an einem Tag zu befunden. Notfalls half ihm ein 80-jähriger pensionierter Kollege aus Salzburg.“ Zudem wird kritisiert, dass Gutachter „an einer einmal eingenommen Position unreflektiert festhalten“ und Vorgutachten unreflektiert übernehmen würden.
Qualitätsunterschiede konnte auch die durch die Volksanwaltschaft eingerichteten, Experten-Arbeitsgruppe im Rahmen einer Auswertung exemplarischer Gutachten feststellen. Der Bericht kommt insgesamt zu dem Schluss, „dass die Situation Österreich verbesserungswürdig ist“ und nennt konkrete Vorschläge für Maßnahmen, die zu mehr Qualität von Gutachten beitragen könnten.
Da Gutachten eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung spielen, ob eine Person in den Maßnahmenvollzug übernommen wird bzw. dort verbleibt, stellen die unter- fertigten Abgeordneten daher folgende
1. Ist Ihnen der Band VIII der Schriftenreihe der Volksanwaltschaft mit dem Titel „Gutachten als Schlüsselfaktoren im Maßnahmenvollzug“ bekannt?
a. Wenn ja, haben Sie diesbezüglich Kontakt zur Volksanwaltschaft aufgenommen?
b. Wenn nein, werden Sie diesbezüglich Kontakt zur Volksanwaltschaft aufnehmen?
2. Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um dem Missstand der zu geringen Zahl an Gutachter*innen zu beseitigen bzw. ihm angemessen entgegenzuwirken? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)
3. Da Ihnen als Ministerin entsprechende interne Berechnungen Ihres Hauses vorliegen werden. Welche budgetären Mittel benötigen Sie, in welcher Höhe und in welchem Zeitrahmen, um diesem Missstand angemessen begegnen zu können? (Um detaillierte Angaben wird ersucht. Sofern keine detaillierten Angaben gemacht werden können, wird um eine Schätzung ersucht.)
4. Sind die notwendigen budgetären Vorkehrungen von Ihnen oder seitens des Finanzministeriums für das Budget 2021 getroffen worden?
a. Wenn nein, warum nicht?
5. Da Ihnen als Ministerin entsprechende interne Berechnungen Ihres Hauses vorliegen werden. Welche budgetären Mittel benötigen Sie, in welcher Höhe und in welchem Zeitrahmen, um die Sachverständigentätigkeit im Maßnahmenvollzug zu attraktiveren? (Um detaillierte Angaben wird ersucht. Sofern keine detaillierten Angaben gemacht werden können, wird um eine Schätzung ersucht.)
6. Sind die notwendigen budgetären Vorkehrungen von Ihnen oder seitens des Finanzministeriums für das Budget 2021 getroffen worden?
a. Wenn nein, warum nicht?
7. Wie viele Sachverständige sind im Fachgebiet „Psychiatrische Kriminalprognostik“ eingetragen? Um Auflistung nach Gerichtssprengeln wird ersucht.
8. Werden psychiatrische, psychotherapeutische und psychologische Sachverständige ohne einschlägige forensische Erfahrung in die Gerichtssachverständi- genliste aufgenommen?
9. Sind ausreichend viele Sachverständige in den Fachbereich „Psychiatrische Kriminalprognostik“ eingetragen, um in allen Fällen, in denen über die Zurechnungsfähigkeit und/oder die Unterbringung im Maßnahmenvollzug zu entscheiden ist, ein Sachverständiger mit der forensischen Zusatzausbildung („Forensisch- Psychiatrische Gutachten“) bestellt werden kann?
10. Wie viele Gutachter*innen waren im Zeitraum 2017-2020 österreichweit im Einsatz und wie viele Gutachten haben diese jeweils bewältigt? (Um detaillierte Aufschlüsselung nach Gerichtssprengel, Anzahl der Gutachten pro Jahr und Person wird ersucht.)
11. Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um die dringend benötigten Qualitäts(mindest)standards bei Gutachten einzuführen? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)
12. Sind Ihnen internationale Qualitäts(mindest)standards bekannt, die bis zu dem Zeitpunkt, an dem vergleichbare und verbindliche Standards in Österreich vorliegen, herangezogen werden könnten?
a. Wenn ja, welche? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)
13. Werden sich künftige Qualitäts(mindest)standards an internationalen Standards bzw. Richtlinien etc. orientieren und bundesweit einheitlich geregelt sein?
14. Wie wird in der Richterausbildung sichergestellt, dass die Richterinnen und Richter beurteilen können, ob ein Gutachten wissenschaftlich fundiert ist?
15. Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um Gerichte und Staatsanwaltschaften mit einer Hilfestellung zur Beurteilung der Qualität von Gutachten zu unterstützen (zb: Checklisten, etc.)?
16. Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um die Bandbreite der Sachverständigen sowie die multiprofessionelle Zusammenarbeit zu vergrößern? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)
17. Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um die Qualität im Bereich der Gutachtenerstellung regelmäßig zu evaluieren? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)
18. Werden Sie die Ergebnisse einer solchen Evaluation im Bereich der Gutachten-erstellung veröffentlichen?
a. Wenn nein, warum nicht?
19. Auch der Mangel an Ausbildungsrichtlinien wird wiederholt als Ursache für die mangelnde Qualität von Gutachten genannt. Welche konkreten Maßnahmen treffen Sie bzw. werden Sie in dieser Legislaturperiode treffen, um entsprechende Ausbildungsrichtlinien zu etablieren? (Um detaillierte Erläuterungen wird ersucht.)
20. Unterstützen Sie die Forderungen nach einem Zusatzfach „Forensik“ im Rahmen der Ausbildung von Ärzt*innen?
a. Wenn ja, warum?
b. Wenn nein, warum nicht?
21. Könnte die Schaffung eines Lehrstuhls für forensische Psychiatrie aus Ihrer Sicht eine Beitrag zu mehr Qualität forensisch-psychiatrischer/klinischpsychologischer Gutachten sein?
a. Wenn ja, warum?
b. Wenn nein, warum nicht?