7350/J XXVII. GP

Eingelangt am 08.07.2021
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Anfrage gemäß § 91 GOG-NR

 

der Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl

Kolleginnen und Kollegen

an die Frau Bundesminister für Justiz

betreffend falsche rechtliche Ausführungen über den Umfang des parlamentarischen Interpellationsrechts

 

In der Anfragebeantwortung 6397/AB von Frau BM Dr. Zadić betreffend „Fragwürdige Vorgänge im BVT rund um M.W.“ vom 28. Juni 2021 wird Folgendes ausgeführt:

„Ergänzend weise ich darauf hin, dass die Entscheidung darüber, ob und warum bestimmte Ermittlungshandlungen vorgenommen werden oder nicht und welche Schlüsse aus bestimmten Ermittlungsergebnissen gezogen werden, den Staatsanwält*innen in Wahrnehmung der ihnen als Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Art 90a B-VG) zukommenden Ermittlungsfunktion obliegt und daher darauf abzielende Fragen nicht vom parlamentarischen Interpellationsrecht umfasst sind.“

Diese Ausführungen sind rechtlich falsch.

Die Mitglieder der Bundesregierung sind dem Nationalrat rechtlich und politisch verantwortlich. Dies setzt voraus, dass sich der Nationalrat über die Amtstätigkeit der verantwortlichen Organe informieren kann, weil sonst keine Überprüfung stattfinden kann. Das B-VG sieht daher die notwendigen Instrumente vor, mit denen sich der Nationalrat Einblick in die Führung der Verwaltung verschaffen kann. Eines davon ist das in Art. 52 B-VG geregelte Interpellationsrecht, welches die Kontrolle der gesamten Vollziehung des Bundes umfasst, soweit diese durch die Bundesregierung bzw. deren Mitglieder zu verantworten ist.

Unbestritten ist, dass aufgrund der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften gegenüber dem Bundesministerium für Justiz auch deren Tätigkeit dem Interpellationsrecht unterliegt. Dies wird auch von der herrschenden Lehre so gesehen:

Univ.Prof. Dr. Gerhard Muzak hält in dem Kommentar zum Bundes-Verfassungsrecht, mit welchem das Werk von Univ.Prof. Dr. Dr. Heinz Mayer fortgeführt wird, Folgendes ausdrücklich fest:

„Der letzte Satz des Art 90a B-VG lässt erkennen, dass der Verfassungsgeber implizit von einer Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte ausgeht; letztlich weisungsbefugt ist der zuständige BM (Thienel in GS Walter 839). Der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte darf durch den einfachen Bundesgesetzgeber nur ausgestaltet, aber nicht beseitigt werden; ebenso unzulässig wäre die Schaffung einer Weisungsspitze, die nicht Mitglied der BReg ist. Die nach wie vor bestehende Weisungsunterworfenheit der Staatsanwälte unter den BMJ lässt dessen politische Verantwortung für die Staatsanwaltschaft bestehen.

Soweit der BMJ zuständig ist, die Tätigkeit der Staatsanwälte durch Weisungen zu lenken, handelt es sich um ‚Geschäftsführung der Bundesregierung‘ iSd Art 52 Abs 1 B-VG, in diesem Umfang besteht weiterhin die uneingeschränkte parlamentarische Kontrollbefugnis.

Daran ändert Art 90a B-VG, wonach staatsanwaltschaftliches Handeln nunmehr auch formell als gerichtliches Handeln zu qualifizieren ist (Burgstaller in Korinek/Holoubek Rz 16), nichts.“

Desgleichen stellen auch Grabenwarter/Frank in ihrem Kommentar zum Bundes-Verfassungsgesetz fest:

„Auch nach Schaffung des Art 90a sind Staatsanwälte aber keine Richter, Staatsanwaltschaften keine Gerichte (VfSlg 19.350/2011; 19.952/2015). Die organisatorische und dienstrechtliche Stellung der Staatsanwälte hat nämlich durch Art 90a keine Änderung erfahren: Staatsanwälte sind weiterhin in Ausübung ihres Amtes nicht unabhängig,
sondern – ebenso wie Verwaltungsorgane – an Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden.

Die näheren Bestimmungen über die Bindung der Staatsanwälte an Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe werden durch BG getroffen. Gegen eine ausdehnende Auslegung dieser Bestimmung spricht vor allem das demokratische Prinzip der Bundesverfassung. Eine parlamentarische Kontrolle der Strafverfolgung ist nämlich nur dann gewährleistet, wenn das für Angelegenheiten der Gerichtsbarkeit zuständige Mitglied der BReg – der
Justizminister – auch die Möglichkeit hat, auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane Einfluss zu nehmen. Unter den angesprochenen nähren Bestimmungen sind daher lediglich die Modalitäten des Weisungsrechts zu verstehen; so etwa die Regelung, dass Weisungen generell schriftlich zu erteilen und zu begründen sind oder dass der Justizminister vor Erteilung einer Weisung eine Äußerung des Weisungsrates einzuholen hat (§ 29c StAG.)“

Einfachgesetzlich ist dieser Umstand darüber hinaus im Staatsanwaltschaftsgesetz und dort insbesondere in den §§ 2 ff, 8 ff sowie 29 ff StAG geregelt. Demnach sind die Staatsanwaltschaften den jeweiligen Oberstaatsanwaltschaften und diese der Bundesministerin für Justiz untergeordnet und weisungsgebunden. Die Bundesministerin für Justiz ist dazu berufen, die Berichte der Oberstaatsanwaltschaften über das beabsichtigte Vorgehen in Ermittlungsverfahren zu prüfen. In diesem Zusammenhang kann die Bundesministerin den Oberstaatsanwaltschaften Weisungen erteilen, wobei in bestimmten Fällen der Weisungsrat zu befassen ist.

Die Bundesministerin hat dem Parlament jährlich über die erteilten Weisungen in abgeschlossenen Ermittlungsverfahren zu berichten. Diese Berichte haben insbesondere auch jene Fälle zu umfassen, in denen die Bundesministerin der Äußerung des Weisungsrats im Ergebnis nicht Rechnung trägt.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen in diesem Zusammenhang an die Frau Bundesminister für Justiz folgende

 

 

Anfrage

 

1.         Das Interpellationsrecht stellt unzweifelhaft eines der wichtigsten Instrumente der parlamentarischen Kontrolle der Vollziehung dar. In der ZIB 2 am 10.06.2021 führten Sie aus, dass dem derzeitigen Sektionschef Christian Pilnacek insofern eine große Verfehlung vorzuwerfen sei, als er an der Erstellung einer parlamentarischen Anfrage „gegen Sie“ beteiligt gewesen sein soll.

a.         Aufgrund welcher Begründung kann die mögliche Einbindung bei der Erstellung einer parlamentarischen Anfrage disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, sofern im Zuge dieser Einbindung keine der Amtsverschwiegenheit unterliegenden Informationen an Unbefugte weitergeben wurden, was nach dem Text der aller „gegen Sie“ gerichteten parlamentarischen Anfragen auszuschließen ist? Wie kann also der Umstand, bei der Erarbeitung einer parlamentarischen Anfrage eingebunden zu sein, also die Unterstützung von Abgeordneten bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten, disziplinär relevant sein?

b.         Welche Haltung nehmen Sie zum Interpellationsrecht ein bzw. wie bewerten Sie das Interpellationsrecht, wenn Sie die Formulierung wählen, dass eine parlamentarische Anfrage „gegen Sie“ eingebracht wurde und eine mögliche Einbindung an der Erstellung einer parlamentarischen Anfrage ein disziplinäres Verhalten darstellt, wo doch das Interpellationsrecht ein wesentliches – auf Ebene der österreichischen Bundesverfassung geregeltes – Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Vollziehung und die parlamentarische Kontrolle der Vollziehung eine der grundlegenden Aufgaben des Nationalrates darstellt?

2.         Vor dem Hintergrund der Ausführungen in der Begründung dieser Anfrage halten Sie Ihre Rechtsansicht aufrecht, wonach staatsanwaltschaftliche Entscheidungen, ob und warum bestimmte Ermittlungshandlungen vorgenommen werden und welche Schlüsse aus bestimmten Ermittlungsergebnissen gezogen werden, nicht vom parlamentarischen Interpellationsrecht umfasst sind?

3.         Wie beurteilen Sie den Umstand, dass eine Bundesministerin die Ihr qua Bundesverfassung auferlegte Verantwortung gegenüber dem Nationalrat in Frage stellt?

4.         Wie oft haben Sie im Kalenderjahr 2020 gem. § 29a StAG Weisungen an die Oberstaatsanwaltschaften erteilt?

a.         Wie viele davon waren darauf gerichtet, Verfahren einzuleiten oder fortzusetzen bzw. konkrete Erhebungen durchzuführen?

b.         Wie viele davon waren darauf gerichtet, Anklage zu erheben?

c.         Wie viele davon waren darauf gerichtet, Verfahren einzustellen bzw. nicht einzuleiten?

d.         Wie viele davon waren darauf gerichtet, die Anklage zurückzuziehen?

e.         Wie viele davon waren darauf gerichtet, Rechtsmittel zu erheben?

5.         In wie vielen Fällen haben Sie gem. § 29a StAG Ermittlungs- oder Strafakten angefordert?

a.         Aus welchen Gründen ist dies erfolgt?

b.         Haben Sie daraufhin auch eine Weisung erteilt?

6.         Wie oft wurde im Kalenderjahr 2020 gem. § 29b StAG der Weisungsrat befasst?

7.         Wie oft hat der Weisungsrat gem. § 29c StAG dem Erledigungsentwurf des Bundesministeriums für Justiz zugestimmt?

8.         Wie oft wurde von Ihnen im Kalenderjahr 2020 der Äußerung des Weisungsrates im Ergebnis nicht Rechnung getragen?

a.         Und aus welchen Gründen war dies der Fall?

9.         Wie oft hat im Kalenderjahr 2020 der Weisungsrat gem. § 29c StAG eine Weisung auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens erteilt?

10.      Gab es im Kalenderjahr 2020 Weisungen, welche von den Staatsanwaltschaften nicht befolgt wurden?

a.         Wenn ja, in welchen Fällen war dies der Fall?

b.         Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

11.      Wie oft kam es im Kalenderjahr 2020 vor, dass ein Staatsanwalt eine ihm erteilte Weisung für rechtswidrig hielt?

a.         Wie oft musste eine derartige Weisung schriftlich erteilt oder wiederholt werden?

b.         Wie oft wurden daraufhin Weisungen zurückgezogen?

12.      Wann werden Sie dem Nationalrat dem § 29a Abs. 3 StAG den Bericht über die erteilten Weisungen für das Kalenderjahr 2020 vorlegen?

13.      Wie oft haben Oberstaatsanwaltschaften Weisungen an Staatsanwaltschaften erteilt?

14.      Wie viele/welche Dienstaufsichtsmaßnahmen wurden gegenüber Staatsanwält/innen vorgenommen?

15.      In wie vielen Dienstbesprechungen zwischen OStA und StAs wurden wie viele Akten besprochen?

16.      Wie viele Berichte der StAs an die OStAs bzw. an das BMJ wurden im Jahr 2020 erstattet?

a.         Wie viele wegen einer generell angeordneten Berichtspflicht?

b.         Wie viele wegen im Einzelfall angeordneter Berichtspflicht?

c.         Wie viele wegen im Einzelfall ohne Anordnung erstatteter Berichte?

17.      In wie vielen Fällen hat eine OStA oder das BMJ aufgrund eines Berichtes, einer Dienstbesprechung oder aus sonstigem Anlass eine StA ohne formelle Weisung „instruiert“ oder „ersucht“, wie weiter vorzugehen sei?