7600/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.07.2021
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Meri Disoski, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres

betreffend 200 Euro Strafe, statt Hilfe?

BEGRÜNDUNG

Am 27. Juli 2021 berichtet die Tageszeitung Heute und auch derStandard.at von einem Polizeieinsatz Folgendes: Sarah H. habe (an einem in dem Bericht nicht angeführten Tag) um 20:30 Uhr die Polizei zu ihrem Wohnort gerufen, weil „ihr Noch-Ehemann betrunken und aggressiv war". Sarah H. habe die Beamten um Hilfe gebeten und ihnen mehrmals erklärt, „dass sie und ihre Kinder {drei und zehn Jahre alt} Angst hätten". Die Frau habe, so der Bericht, die Beamten mehrfach um Hilfe gebeten. Weiter heißt es in dem Artikel:

„Doch anstatt zu helfen, ließen die drei Beamten die Frau kaum zu Wort kommen.

Der ganze Polizeieinsatz wurde von Sarah H. auf Tonband festgehalten. Die Aufnahmen liegen „Heute" vor. Einer der Männer erklärte: ,Wenn Sie Streit haben, ist mir das prinzipiell egal (...) Es ist mir eigentlich egal, wer wen schlägt (...) Was sollen wir jetzt machen, was stellen Sie sich vor, dass wir ihn rauswerfen?' Die Wienerin erklärte daraufhin: ,Ja, bitte. Wir haben Angst vor ihm. Er trinkt viel Alkohol.' Der Polizist erwiderte: ,Es haben immer alle Angst. Schauen Sie, Sie wirken auf mich eher bedrohlich als der Mann (...) Sie müssen sich das selbst ausmachen wer geht und nicht geht. Wir können niemanden aus der Wohnung werfen."[1]

Auch derStandard.at zitiert aus dem Tonbandmitschnitt:

„Wenig später wird der Polizist ungeduldig:,Schauen Sie, wenn Sie Streit haben, ist mir das prinzipiell egal, solange er Sie nicht schlägt (...) oder Sie ihn schlagen (...) Was stellen Sie sich vor, was wir machen sollen, sollen wir ihn rauswerfen?"[2]

Heute berichtet zudem, dass einer der Polizisten Sarah H. angeschrien habe:

„Ich hab schon Frauen und Kinder eingesperrt, weil sie nicht aufgehört haben zu reden. (...) Wenn Sei mir ihrem Mann auch so reden, wundert es mich nicht, dass er irgendwann zum Schreien anfangt. Ich werd auch laut mit ihnen."[3]

Dem Bericht zufolge sei der Polizeieinsatz nach 20 Minuten beendet worden - ohne dass die Beamten Schutzmaßnahmen eingeleitet hätten. Der It. Aussage von Sarah H. alkoholisierte und aggressive Mann durfte trotz des Polizeieinsatzes in der gemeinsamen Wohnung bleiben, obwohl Sarah H. mehrfach den Beamten gegenüber ihre Angst vor dem Mann artikuliert habe.

Nach dem Einsatz habe Sarah H. eine Strafverfügung erhalten, wegen „Lärmerregung und Anstandsverletzung" solle sie 200 Euro zahlen.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1.      Wann hat der in Heute und in derStandard.at beschriebene Polizeieinsatz stattgefunden? Wie viele Polizeibeamt*innen waren involviert?

2.       War unter den involvierten Polizeibeamt*innen auch eine*r mit spezieller Ausbildung in Gewaltprävention?

3.       Wenn nein: Wieso nicht?

4.       Wie viele Polizeibeamt*innen mit spezieller Ausbildung in Gewaltprävention gibt es derzeit in Österreich? Bitte um Beantwortung nach Bundesländern.

5.       Haben die Polizeibeamt*innen vor Ort aufgrund der von Sarah H. gemachten Angaben eine Gefährdungsanalyse durchgeführt?

6.       Wenn ja: Zu welchem Ergebnis kam diese Analyse?

7.       Wenn nein: Wieso nicht?

8.       Nach welchen Kriterien werden in solchen Fällen Gefährdungsanalysen durchgeführt?

9.       Ist es zutreffend, dass Sarah H. den Beamten gegenüber mehrfach ihre Angst geäußert und an die Beamten appelliert hat, den It. ihren Angaben alkoholisierten und aggressiven Noch-Ehemann zum Schutz ihrer Kinder und zu ihrem eigenen Schutz der Wohnung zu verweisen?

10.   Im Sicherheitspolizeigesetz wird in § 38a klar festgehalten: Wenn die Polizei aufgrund bestimmter Tatsachen annehmen muss, dass die Gesundheit, die Freiheit oder gar das Leben eines (möglichen) Gewaltopfers gefährdet ist, kann sie Gewalttäter sofort aus der Wohnung wegweisen und/oder ihm verbieten, den Wohnbereich zu betreten.

Im betreffenden Fall ist aufgrund der Alkoholisierung des Mannes und seines

aggressiven Verhaltens von einer Gefährdung von Sarah H. und ihrer Kinder auszugehen. Wieso leiteten die Beamt*innen trotzdem keinerlei Gewaltschutzmaßnahmen ein?

11.  Wieso wurde der aggressive, alkoholisierte Mann durch die Beamt*innen nicht der Wohnung verwiesen?

12.  Haben die Beamt*innen die Wohnung nach Schusswaffen durchsucht, bevor sie diese wieder verlassen haben?

13.  Wenn ja: Wurden vor Ort Schusswaffen sichergestellt?

14.  Sowohl Heute als auch derStandard.at zitieren aus dem Tonbandmitschnitt einen Beamten wie folgt:

„Wenn Sie mit ihrem Mann auch so reden, wundert es mich nicht, dass er irgendwann zum Schreien anfängt, ich werde auch laut mit Ihnen."

Dazu die Soziologin Laura Wiesböck auf twitter:

„Institutionalisierte misogyne Victim-Blaming Praktiken und das Schützen von Gewalttätern statt Gewaltopfern sind keine Ausnahmeerscheinungen - und für Frauen lebensgefährlich. "[4]

a)   In welcher Form setzen sich Polizist*innen in ihrer Ausbildung über „institutionalisierte misogyne Victim-Blaming Praktiken" auseinander?

b)   Sind Schulungen oder Vorträge dazu integraler Bestandteil der Ausbildung?

b)   Wenn ja: In Welcher Form?

c)   Wenn nein: Wieso nicht?

15.  Heute zitiert einen Beamten wie folgt:

„Wir können niemanden aus der Wohnung werfen."

Sowohl Heute als auch derStandard.at berichten, dass Sarah H. und ihr Noch­Ehemann gerade mitten in der Scheidung sind. Lt. Tätigkeitsbericht der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie sind Trennungs- bzw. Scheidungssituationen die gefährlichste Zeit für Frauen (vgl. Tätigkeitsbericht 2017, S. 3). Eine inadäquate Einschätzung des Gefährdungspotenzials durch Polizei­Beamt*innen kann in einer solchen Situation für Frauen lebensgefährlich sein.

„Wenn Sie einen Beziehungsstreit haben, warum sind wir dann hier?", soll ein Polizist gefragt haben.

a)   Aus beiden Aussagen lässt sich ableiten, dass der/die betreffende*n Beamte*n über unzureichendes, mangelhaftes Wissen über Gewaltdynamiken, Gewaltschutz

und Möglichkeiten des Sicherheitspolizeigesetzes verfügen. Werden Sie eine Intensivierung der Schulungen dazu veranlassen?

b)   Wenn ja: In welcher Form? Von wem sollen solche Schulungen und Seminare durchgeführt werden?

c)  Wenn nein: Wieso nicht?

16.   Seit 1997 waren zweitätige Seminare über „Gewalt in der Familie" Teil der Polizei- Grundausbildung, 2018 wurden diese Anti-Gewalt-Seminare eingespart. Ist eine Wiedereinführung vorgesehen?

a)   Wenn ja: Bis wann soll diese erfolgen?

b)  Wenn nein: Wieso nicht?

17.   Haben Sie bereits/Werden Sie eine Evaluierung des Vorgehens der Polizei anordnen?

18.   Wenn ja: Wann wird diese Evaluierung durchgeführt werden? Bis wann liegen die Ergebnisse zu dieser Evaluierung vor?

19.   Wann und in welcher Form werden Sie die Öffentlichkeit über die Ergebnisse und etwaige daraus abgeleiteten Maßnahmen informieren?

20.   Nach dem Einsatz hat Sarah H. eine Strafverfügung erhalten, wegen „Lärmerregung und Anstandsverletzung" soll sie 200 Euro Strafe zahlen.

a)   Wieso erging diese Strafverfügung an Sarah H., nachdem sie sich aus Angst vor ihrem Noch-Ehemann hilfesuchend an die Polizei gewandt hatte?

b)  Wird diese Strafverfügung zurückgezogen werden?

21.   Sarah H. sagt, dass die Polizei-Beamt*innen ihre Angst vor dem Noch-Ehemann nicht ernstgenommen hätten, was auch die in den Medien publizierten Zitate der
Beamt*innen belegen.

Welche dienstrechtlichen Konsequenzen gegen die Beamt*innen werden Sie ergreifen, so sich die Vorwürfe bewahrheiten?



[1] https://www.heute.at/s/frau-flehte-polizei-um-hilfe-an-bekam-200-euro-strafe-

100154495?fbclid=lwAR2mKA4hQu-OOMg8MycglOM7EHmSOZuoio4w-OqceShlRXrNbRdc2JmhG4, 27.72021

[2] https://www.derstandard.at/story/2000128489099/frau-bittet-polizei-um-hilfe-wegen-ehemann-und-erhaelt-strafe. 27.7.2021

[3] Ebd.

[4] https://twitter.com/laurawies/status/1419945209106939919?s=20, 27.7.2021