7656/J XXVII. GP

Eingelangt am 12.08.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Konsistenz der Menschenrechtspolitik am Beispiel Ägypten

 

Österreich betrachtet sich als Vorreiter in der Verteidigung von Menschenrechten. Auf der Webseite des Außenministeriums (https://www.bmeia.gv.at/europa-aussenpolitik/menschenrechte/) steht zum Thema unter anderem zu lesen: 

"Wussten Sie, dass Österreich...

 

 

Der Einsatz für die Menschenrechte ist ein Kernanliegen der Außenpolitik Österreichs. Schwerpunkte des österreichischen Engagements sind die Förderung der Rechte von Frauen und Kindern, der Schutz von JournalistInnen, die Förderung der Religionsfreiheit und der Schutz religiöser Minderheiten, der Kampf gegen Menschenhandel, der Schutz von Minderheiten und Menschenrechtsbildung. Dabei arbeitet Österreich eng mit seinen Partnern in der EU zusammen und engagiert sich intensiv im Rahmen der Vereinten Nationen, des Europarats und der OSZE."

 

Dieser Einsatz ist in praktischer Politik nicht immer klar und deutlich bemerkbar. In den Fällen von Belarus und Myanmar beteiligt sich die Bundesregierung zwar an europäischen Sanktionsregimen, im Hintergrund ist aber oft zu hören, dass Österreich aufgrund von Interessen wichtiger österreichischer Unternehmen bei den Verhandlungen oft auf der Bremse steht. Auch Anträge zu einer verschärften Sanktionspolitik mit China als Konsequenz der grausamen Behandlung der ethnischen Minderheit der Uiguren wurden vertagt oder verwässert. In der Russlandpolitik spricht sich Österreich zwar für Sanktionen aus, gleichzeitig nimmt Sebastian Kurz als einer von zwei Regierungschefs am von Vladimir Putin veranstalteten St. Petersburg Forum teil. (Der zweite Regierungschef war der Emir von Katar.) 

 

In anderen Fällen ist eine Menschenrechtsausrichtung überhaupt nicht zu bemerken. Ein Paradebeispiel ist Ägypten. Seit dem Militärputsch 2013 und der gewaltsamen Machtübernahme durch Militärchef Abdel Fatah al-Sisi 2014 hat sich die Situation der Menschenrechte in Ägypten dramatisch verschlechtert. Geschätzte 60.000 Regimegegner sind in Haft, besonders hart werden Journalist_innen und politische Aktivist_innen behandelt. Auf Oppositionsarbeit steht all zu oft die Todesstrafe. 

 

Amnesty International schätzt, dass sich die Zahl der Hinrichtungen im Jahr 2020 mehr als verdreifacht hat, auf 107. Seit dem Coup wurden hunderte Menschen zum Tode verurteilt, viele mehr fassten lange Haftstrafen aus, oft für ihre Teilnahme oder aktive Rolle beim Tahrir Square Aufstand, der zuerst für die Befreiung Ägyptens gerühmt wurde. Nachdem das höchste Berufungsgericht im Juni die Todesurteile für 12 oppositionellen Muslimbrüdern bestätigt hat, schrieb Human Rights Watch "Egypt's execution frenzy has to stop." HRW berichtet, dass alleine letzten Oktober und November 57 Männer und Frauen exekutiert wurden, zumindest 15 davon für politische Vergehen. Solche Vergehen beinhalten auch friedliche Platzbesetzungen. 

Seit dem Coup wurden in Ägypten 16 neue Gefängnisse gebaut worden, acht weitere sind in Bau. Unter al-Sisi wird Ägypten zum Straf- und Exekutionslager. Auch ein in Österreich studierender Mann ist in Ägypten in Haft für das Vergehen, in Österreich über Frauenrechte in Ägypten geforscht zu haben. Österreichs Bemühungen für den Mann, der seit Dezember 2020 ohne Anklage seiner Freiheit beraubt wird, stoßen in Ägypten auf taube Ohren. 

 

All diese dramatischen Menschenrechtsverletzungen beeindrucken die österreichische Bundesregierung jedoch wenig. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärte, „Ägypten ist keine Demokratie nach westlichem Zuschnitt. Wir haben das Recht, die Dinge anzusprechen, aber nicht, ein moralisches Urteil zu fällen." Bundeskanzler Kurz traf al-Sisi 2018 gleich zwei Mal – in Kairo und Wien) und lobte ihn dafür, dass er durch seine Unterstützung bei der Schließung der Mittelmeerroute zur "Ordnung für Europa" beigetragen habe. Der Bundeskanzler wollte anscheinend auch die die weitläufige Straflagerinfrastruktur nutzen, als er sich dafür aussprach, mit Ägypten über "Anlandeplattformen" für Migrant_innen zu sprechen, wo es bereits eine "sehr sehr gute Zusammenarbeit" gebe (APA, 29. Juni 2018). Obwohl Ägypten Kurz mit der Idee der Zwischenlager für Migrant_innen abblitzen ließ, lobte seine damalige Außenministerin Karin Kneissl am 6. Juli 2020 die Rolle Ägyptens bei der Eindämmung von Migrationsflüssen. Generell erscheint es bei Durchsicht der Aussagen des Bundeskanzlers über Ägypten, dass das österreichische Interesse einzig und allein der Eindämmung von Migration gelte. Menschenrechte werden nie offen angesprochen. 

In einem Entschließungsantrag im Außenpolitischen Ausschuss vom 16.03.2021 forderten NEOS "die Beziehungen zum Regime in Ägypten auf allen Ebenen - politisch , wirtschaftlich , kulturell, akademisch - zu evaluieren und Menschenrechte und Demokratie in allen als grundlegend einzustufen. Infolge dieser Neuevaluierung möge der Bundesminister für europäische und internationale Beziehungen dem Parlament ehestmöglich einen Bericht über die Menschenrechtssituation und die Lage der Demokratie in Ägypten vorlegen." Der Antrag fand nicht die Zustimmung des Außenministers und wurde von der Regierungsmehrheit vertagt. 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



  1. Laut BMEIA spricht Österreich in Treffen mit anderen Staaten den Schutz der Menschenrechte an. Was bedeute in der Praxis "den Schutz der Menschenrechte ansprechen?" 
    1. Gibt es Deliverables, die Österreich bei dieser "Ansprache" mit anderen Staaten einfordert?

                                          i.    Wenn ja, welche sind dies im Falle Ägypten?

                                        ii.    Wenn nein, welchen Sinn hat das Ansprechen eines Themas ohne Forderungen oder Konsequenzen?

  1. Wurden Menschenrechtsfragen bei den Treffen von Bundeskanzler Kurz und Militärchef Abdel Fatah al-Sisi öffentlich angesprochen? Welche und in welchem öffentlichen Forum? 
  2. Laut BMEIA interveniert Österreich gemeinsam mit der EU in hunderten Fällen zum Schutz von Einzelpersonen. In wie vielen Fällen hat Österreich seit dem Militärcoup in Ägypten interveniert? 
  3. Der Außen- und Europapolitische Bericht spricht sehr kurz von einer "angespannten" Menschenrechtslage in Ägypten. Wie bewertet das BMEIA die Situation im Detail? 
  4. Die Deklaration der Menschenrechte ist universell. Wie bewertet das BMEIA die Aussage, dass man nur Staaten, für Menschenrechtsverletzungen kritisieren kann, die Demokratien nach westlichem Zuschnitt sind?
    1. Sind Belarus und Russland Demokratien im westlichen Zuschnitt.
    2. Wie viele politische Gefangene sind zurzeit in Belarus in Haft? Wie viele in Ägypten?
    3. Wie viele politische Ermordungen sind unserer Botschaft in Belarus bekannt? Wie viele in Ägypten? Bitte unterscheiden Sie zwischen Ermordungen und politisch motivierten Todesurteilen.
    4. Wie bewertet das BMEIA die Situation in Belarus, und Ägypten in Hinblick auf politisch motivierte Verfolgung?
    5. Wie bewertet das BMEIA die Situation in Belarus, und Ägypten in Hinblick auf Folter und Rechtsverletzungen von Häftlingen in Gefängnissen?
  1. Welche Faktoren in Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte rechtfertigen die diametral unterschiedliche Behandlung von Belarus und Ägypten durch die österreichische Bundesregierung?
  2. Befürwortet das BMEIA in der gegenwärtigen Menschenrechtssituation Anhaltelager für Asylsuchende oder Migrant_innen in al-Sisis Ägypten?
  3. Mit Blick auf die Eskalation in Gewalt und Exekutionen in Ägypten, unterstützt das BMEIA derzeit den Antrag 1311A/E auf Neuorientierung der österreichischen Politik mit Ägypten?