7662/J XXVII. GP

Eingelangt am 17.08.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Einbestellung von Botschafterin Bakhtari

Am 6. August 2021 sprach die Botschafterin Afghanistans in Wien, Manizha Bakhtari, über die Situation in ihrer Heimat. Sie charakterisierte die Bedingungen als Kriegszustand und beschrieb Gräueltaten der Taliban, einer fundamentalistischen islamischen Bewegung, in Gegenden, die bereits vor dem vollständigen Abzug der internationalen Truppen wieder unter ihrer Kontrolle stehen – damals gut zwei Drittel des Landes und die Hälfte der Provinzhauptstädte. Unter anderem beschrieb die Botschafterin öffentliche Auspeitschungen und Exekutionen durch Steinigung von Frauen. Im Zuge dieses Interviews wiederholte die Botschafterin die Bitte der afghanischen Regierung um Hilfe in der Bewältigung der dramatischen Situation durch temporäre Aussetzung von Rückführungen von abgewiesenen Asylwerber_innen. 

Bereits damals war internationalen Expert_innen klar, dass die Taliban in kurzer Zeit Afghanistan kontrollieren würden. Das Frontex Büro in Kabul, das für die Übernahme der abgeschobenen Flüchtlinge verantwortlich ist, hatte zu diesem Zeitpunkt Rückführaktivitäten aufgrund der Sicherheitslage bereits eingestellt. EU-Außenkommissar Josep Borrell und der für Krisenhilfe der EU verantwortliche Kommissar Janez Lenarcic sprachen damals von Gewalt und Kriegsverbrechen durch die Taliban. Auf der Webseite des BMEIA spracht das Ministerium eine Reisewarnung für das gesamte Land aus und warnte eindringlich (Sicherheitsstufe 6) vor Reisen ins und im Land: "Bestehendes Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle im ganzen Land. Den in Afghanistan lebenden Auslandsösterreichern und Österreichern, die sich aus anderen Gründen in Afghanistan aufhalten, wird dringend angeraten das Land zu verlassen. In Not geratenen Österreichern kann, solange sie sich auf afghanischem Staatsgebiet befinden, keine unmittelbare konsularische Hilfestellung geleistet werden." Das Ministerium informierte die Medien, dass nach zwei Österreichern, die sich in Afghanistan aufhielten, gesucht werde. 

Vor diesem Hintergrund ersuchte Botschafterin Bakhtari dringlich, der "Bitte" der afghanischen Regierung auf Aussetzung von Abschiebungen Folge zu leisten, stellte aber gleichzeitig fest, dass Rückführungen wieder aufgenommen werden, sobald sich die Sicherheitslage verbessert. Trotz der dramatischen Situation lud das Außenamt die Ministerin vor und zeigte sich "überrascht," obgleich die Bitte der afghanischen Regierung bereits international diskutiert wurde und mehrere Staaten ihr bereits nachgekommen waren. Auch verlautete aus dem BMEIA, dass es erst eine Woche zuvor "anderslautende Signale" aus der afghanischen Botschaft gegeben hätte, wollte diese aber gegenüber den Medien nicht beschreiben. 

Am 15. August, also gerade neun Tage nach dem Interview der Botschafterin, verließ Präsident Aschraf Ghani das Land und die Taliban vermeldeten die Einnahme des Präsidentenpalasts in der Hauptstadt Kabul. Überrascht über all diese Entwicklungen war anscheinend nur das österreichische Außenamt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



  1. Das BMEIA lud die Botschafterin Afghanistans nach einem Radiointerview vor, um ihre Bitte um temporäre Aussetzung der Abschiebungsflüge aufgrund der Situation in Afghanistan abzulehnen. Welche Kritik wurde der Botschafterin vorgehalten?
    1. Stimmte das BMEIA mit der Beschreibung der Sicherheitslage in Afghanistan durch die Botschafterin Stand 6. August 2021 nicht überein? Welche Prognosen gab es zu diesem Zeitpunkt im BMEIA, und aufgrund welcher Expertisen lag das BMEIA in seinen Einschätzungen so falsch?
    2. Stimmte das BMEIA mit der Beschreibung der humanitären Lage in von Taliban kontrollierten Gebieten durch die Botschafterin Stand 6. August nicht überein? Wenn nein, aufgrund welcher Informationen divergierten die Einschätzungen des BMEIA so deutlich von denen der Botschafterin und der großen Mehrheit der europäischen Experten?
  1. Wer hat die Frau Botschafterin im BMEIA empfangen und wer war an dem Treffen mit ihr beteiligt? 
  2. Von wem ging die Initiative für diese Vorladung aus?
  3. Das BMEIA sprach von "anderslautenden Signalen" durch die Botschafterin aus der Vorwoche, wodurch die Einbestellung der Botschafterin begründet wurde. Um welche Signale handelte es sich? 
    1. War dem BMEIA zum Zeitpunkt dieser "anderslautenden Signale" bekannt, dass die Regierung in Kabul dringend um eine Aussetzung von Rückführungsflügen gebeten hatte?

                                          i.    Wenn ja, wie konnte es Signale der Botschafterin dieser Regierung anders deuten? Wurde bezüglich der Diskrepanz zwischen diesen "Signalen" und der Bitte der Regierung klärend nachgefragt?

  1. Stand Minister Schallenberg in regelmäßigem Austausch mit der afghanischen Botschafterin um sich einen Überblick über die Lage in Afghanistan zu verschaffen?
    1. Wenn nein, warum nicht?
    2. Warum kam er zu einer (wie wir nun wissen völlig falschen) Einschätzung der Lage vor Ort?
  1. Innenminister Nehammer hat noch vor kurzem erklärt, Österreich werde weiter Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben, obwohl zu diesem Zeitpunkt ein schneller Vormarsch der Taliban zu beobachten war. Welche Informationen hatte das BMEIA über die Lage in Afghanistan in den letzten Wochen? Stand Minister Schallenberg in Austausch mit den Diensten anderer Länder?
    1. Wenn ja, welche Länder?
    2. Wenn ja, warum beurteilte das BMEIA die Lage so grundsätzlich anders als andere Länder, die die dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage vorhersahen?
  1. Das Frontex Büro in Kabul hat eine Aussetzung der Abschiebungen bis zur Verbesserung der Sicherheitslage verlangt. Das BMEIA stimmte offensichtlich mit der Einschätzung der Frontex Beamten in Kabul nicht überein? Aufgrund welcher Informationen kam das BMEIA zu einer von den Frontex Experten vor Ort unterschiedlichen (und wie wir heute wissen falschen) Einschätzung?
  2. Die Tagesschau (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/absage-abschiebung-afghanistan-101.html) berichtete, dass der Abschiebungsflug aus Österreich nicht wegen des Gerichtsurteils, sondern der bedrohlichen Sicherheitslage in Kabul (für das Flugpersonal) verschoben wurde. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung die Lage in Afghanistan bereits vor der Einbestellung der Botschafterin als zu bedrohlich einstuft, um Flugzeuge dorthin zu entsenden?
    1. Sind die Kommentare von Vizekanzler Kogler und Abgeordneter Ernst-Dziedzic eine Reflexion dieser Sicherheitsbedenken? Stimmt das BMEIA mit deren Einschätzung überein?
  1. Sind in der Rechtsansicht des BMEIA Rückführungen in Gebiete, die das Ministerium als unsicher ansieht, rechtlich möglich?
  2. Wird es Abschiebungsflüge geben, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Terrororganisation der Taliban ganzheitlich als unsicher einstuft?