Eingelangt am 15.09.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr.
Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister
für Inneres
betreffend
Dienstrechtliche Aufarbeitung der Verurteilung sechs Polizisten wegen
Amtsmissbrauchs und Körperverletzung
Am Wiener Landesgericht
sind Medienberichten zufolge am 12. Juli 2021 sechs Polizisten zu bedingten Haftstrafen verurteilt
worden. Die Polizei war am 13. Jänner 2019 wegen eines angeblichen
Raufhandels in ein Lokal in Wien-Favoriten gerufen worden. Dort soll ein Mann
tschetschenischer Herkunft in einem Spiellokal von den Polizisten
ohne ersichtlichen Grund geschlagen worden sein. Acht Beamte fanden sich in dem
Zwei-Zimmer-Lokal ein, wo sich neben dem Mann tschetschenischer Herkunft
nur ein weiterer Mann aufhielt. Obwohl die beiden in keinen Streit verwickelt
waren, führte die Polizei dessen ungeachtet eine Ausweiskontrolle durch.
Als der Mann tschetschenischer Herkunft seinen Führerschein
herzeigte, sei er von einem Beamten beleidigt worden. Der Polizeibeamte habe
ihn anschließend zu einer Couch gezogen und aufgefordert, die Hände
aus den Jackentaschen zu nehmen. Der Mann
tschetschenischer Herkunft habe wegen einer Operation an der Hand
diese nicht aus der Tasche nehmen wollen.
Als die Polizei feststellte, dass der Mann
tschetschenischer Herkunft ein zweites Handy dabei hatte und er
dieses nicht entsperren wollte, sondern stattdessen auf den Boden warf, sei die
Situation eskaliert. Er sei von einem Polizeibeamten am Nacken gepackt worden,
habe einen Kniestoß in den Unterleib und Schläge mit der Faust
zugefügt bekommen. Ein weiterer Polizeibeamter habe ihm obendrein gedroht,
er werde ihn die ganze Nacht verprügeln, wenn er das Handy nicht
entsperre. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, habe er angekündigt,
Anzeige erstatten zu wollen, daraufhin habe ihm ein zweiter Polizeibeamter mit
der Faust auf den Kiefer geschlagen.
Von acht angeklagten
Polizeibeamten wurden sechs schuldig erkannt, die beiden Hauptangeklagten
erhielten wegen Amtsmissbrauchs und Körperverletzung bedingte
Freiheitsstrafen von zwölf bzw. zehn Monaten. Sämtliche Urteile
fielen so aus, dass sie für keinen schuldig gesprochenen Polizisten den
zwingenden Amtsverlust bedeuten (Polizeigewalt: Sechs
Beamte verurteilt - wien.ORF.at).
Zwei Mitangeklagte wurden
wegen Amtsmissbrauchs jeweils acht Monate bedingt verurteilt, bei ihnen ging
der Schöffensenat davon aus, dass sie die Übergriffe ihrer beiden
Kollegen mitangesehen hatten und nicht dagegen eingeschritten waren. Zwei
weitere Beamte wurden wegen Missbrauchs der Amtsgewalt und Fälschung eines
Beweismittels zu je zehn Monaten bedingt verurteilt. Sie hatten nicht nur
zugesehen, sondern darüber hinaus die aus dem Ruder gelaufene Amtshandlung
nicht den Vorschriften entsprechend verschriftlicht. Einer von ihnen schickte
das Opfer der Polizeigewalt weg, als dieses am nächsten Tag auf einer Polizeiinspektion
Anzeige erstatten wollte.
Zwei Polizisten wurden im
Zweifel freigesprochen. Ihnen hielt das Gericht zugute, dass sie nicht von
Anfang an im Lokal waren und daher das Wesentliche womöglich nicht
wahrgenommen hatten. Die Hauptangeklagten nahmen die Urteile an, die
Staatsanwältin gab zu sämtlichen Entscheidungen keine Erklärung
ab. Die Urteile sowie die Freisprüche sind somit nicht rechtskräftig.
Der Vorfall wurde erst
öffentlich bekannt, nachdem im Juli 2020 ein Video aus einer im Lokal
angebrachten Überwachungskamera den Medien zugespielt wurde. Medien
berichteten am 17. Juli 2020, dass nach Bekanntwerden des Videos die
Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die beteiligten Polizeibeamten
aufgenommen habe und im Zuge dessen die acht involvierten Polizeibeamten
vorläufig suspendiert wurden (https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5841014/Wegen-Polizeigewalt_Staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-Wiener-Polizei).
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Welchen Stellen bei der
Polizei wurde der Vorfall, der zur Verurteilung des Landesgerichtes von
sechs Polizisten am 12. Juli führte, jeweils wann bekannt?
- Wann sind beim BMI an
welcher Stelle konkret Misshandlungsvorwürfe zum bezeichneten Vorfall
eingegangen?
- Welche Schritte unternahm
Ihr Ministerium zur Aufarbeitung des Vorfalles jeweils wann (um Angabe
einer chronologischen Auflistung aller wesentlichen Verfahrensschritte bei
der Aufklärung wird ersucht)?
- Wann wurden die
involvierten Beamten einvernommen?
- Wann wurde das Opfer als
solches einvernommen?
- Aus welchem Grund wurde
das Opfer am Tag nach dem Vorfall, als es Anzeige erstatten wollte, von
dem Beamten weggeschickt?
- Handelte der Beamte
eigenständig oder nach Rücksprache?
- Wenn zweiteres:
nach Rücksprache mit wem?
- Wann wurde das Referat
für besondere Ermittlungen (RBE) von diesem Vorfall in Kenntnis
gesetzt?
- Welche Maßnahme
setzte das RBE wann in weiterer Folge (um detaillierte Erläuterung
wird ersucht)?
- Wann und in welcher Form
wurde die Staatsanwaltschaft informiert?
- Welche
disziplinarrechtlichen Schritte wurden wann und gegen welchen der
involvierten Polizeibeamten gesetzt?
- Wurde die Suspendierung
eines Polizeibeamten beschlossen?
- Wenn ja, wann erfolgte
sie und aus welchem präzisen Grund?
- Wenn nein, weshalb
wurde von einer Suspendierung Abstand genommen?
- Wenn nein, inwiefern
wurde das Ansehen des Amtes nicht als gefährdet eingeschätzt?
- Wenn nein, inwiefern
wurde kein anderer Grund für eine Suspendierung als gegeben
erachtet?
- Befindet sich die
involvierten Polizeibeamten derzeit im Polizeidienst?
- Wenn ja, ist er im
Außendienst oder im Innendienst tätig?
- Wenn er nur mehr im
Innendienst tätig sind - für welche Tätigkeiten wird er
genau eingesetzt?
- Befinden sich alle
anderen involvierten Polizeibeamten derzeit im Polizeidienst?
- Wenn ja, sind diese im
Außendienst oder im Innendienst tätig?
- Wenn die involvierten
Polizeibeamten nur mehr im Innendienst tätig sind - für welche
Tätigkeiten werden diese genau eingesetzt?
- Wie viele
Misshandlungsvorwürfe, Beschwerden o.ä. lagen bzw. liegen
insgesamt (d.h. aus allen möglichen anderen Verfahren) je gegen
den/die involvierten Beamten (ausführender Beamter und passive
Beamten im Video) vor?
- Wie viele solcher
Vorwürfe lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine
mögliche Suspendierung insgesamt je gegen diese involvierten
Polizeibeamten vor?
- Sollte es bereits in der
Vergangenheit Vorwürfe gegen die involvierten Polizeibeamten gegeben
haben: Welchem der Vorgesetzten wurden diese bzw. vorherige Verfehlungen
wann bekannt?
- Welche Maßnahmen
wurden in der Folge wann von wem gesetzt?
- Für das Jahr 2020
wird um folgende Daten gegliedert nach Bundesländern ersucht:
- Anzahl der
Strafanzeigen gegen Polizeibeamten_Innen wegen
Misshandlungsvorwürfen (aufgeschlüsselt nach Delikten und
Versuch- und Vollendungsstadium)
- Anzahl der
Maßnahmenbeschwerden wegen Misshandlungsvorwürfen
gegenüber Polizist_innen
- Anzahl der
Richtlinienbeschwerden wegen Misshandlungsvorwürfen gegenüber
Polizist_innen
- Wie viele
Aufsichtsbeschwerden gemäß § 89 SPG gingen in den Jahren
an die zuständigen Dienstbehörden zur Ermittlung des
Sachverhalts und der Prüfung der Frage von
Rechtsverstößen?
- In wie vielen von allen
Fällen von Vorwürfen polizeilicher Misshandlung von 2019 bis zum
heutigen Zeitpunkt wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet (um
Auflistung nach Jahren und Landespolizeidirektionen wird ersucht)?
- Ergeben sich für
das Innenministerium rückblickend aus dem Vorfall konkrete
Handlungsweisen, Taktiken, Strategien der Polizei, die einer Verbesserung
zugeführt werden sollen?
- Wenn ja, welche sind
dies (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)?
- Wenn ja, welche
konkreten Handlungsweisen, Taktiken, Strategien seitens der Polizei,
sollen durch welche Maßnahmen wann verbessert werden?
- Wenn nein, weshalb
nicht?
- Schon seit mehreren
Jahren üben internationale und nationale Organisationen sowie
Expert_innen aus dem Menschenrechtsbereich Kritik am derzeitigen System
der Untersuchung von Vorwürfen polizeilicher Misshandlung. Daran
schließt sich auch eine Kritik an der generellen Folgenlosigkeit bei
Beschwerden über polizeiliches Verhalten an. In ihrer
Anfragebeantwortung 605/AB unserer Anfrage (566/J) wird ausgeführt,
dass für die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle ein
umsetzungsfähiges Konzept bis Herbst 2020 vorliegen wird. Ein solches
wurde bis dato nicht erstellt. Wer ist dafür federführend
verantwortlich bzw. welche sonstigen Stellen sind in die Konzeption der
unabhängigen Beschwerdestelle eingebunden?
- Gibt es mittlerweile
einen konkreten Zeitplan für die Reform?
- Wenn ja, wie sieht
dieser aus?
- Welche Organisationen
werden sonst in die Reform eingebunden?
- Wird die
Volksanwaltschaft eingebunden?
- Werden ExpertInnen
eingebunden?
i. Wenn ja, welche und inwiefern?