8100/J XXVII. GP

Eingelangt am 01.10.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Nurten Yılmaz, Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

betreffend Forschungsprojekt statt Chancenindex

Das österreichische Bildungssystem ist aktuell nicht in der Lage allen Kindern gleiche Chancen zu bieten. Diese hängen – wie alle wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zeigen – wesentlich vom ökonomischen und kulturellen Kapital des Elternhauses ab. Durch die Corona-Pandemie und Schulschließungen haben sich diese Ungleichheiten noch einmal verstärkt. Es ist daher höchste Zeit, dass Schulen mit besonderen Herausforderungen auch besondere Unterstützung erhalten. Zusätzliche Ressourcen und Investitionen wirken ungleichen und ungerechten Verhältnissen entgegen und bieten unseren Kindern ein besseres und egalitäreres Umfeld fürs Lernen und ihren Start ins Leben. Deshalb ist es prinzipiell zu begrüßen, dass die österreichische Regierung die Idee des Chancenindex aufgreift und endlich jenen Schulen besonders unter die Arme greifen will, die unter schwierigeren Rahmenbedingungen für die Bildung ihrer SchülerInnen brennen. Denn: Diese Schulen sind keine „Brennpunktschulen“, wie es medial oft abwertend heißt, sondern vielmehr brennen gerade an diesen Schulstandorten die PädagogInnen, SchülerInnen und Eltern für die Zukunft ihrer Kinder. Deshalb soll der Staat gerade an diesen Schulstandorten zusätzliches Geld in die Hand nehmen.

Anstatt nun auf existierende Konzepte bedarfsorientierter Mittelzuteilung oder sozialindexierter Schulfinanzierung zurückzugreifen und/oder diese einfach zu implementieren, wurde von Seiten der Regierung nur ein unterdotiertes Pilot- bzw. Forschungsprojekt gestartet. Statt mit ca. 300 Millionen Euro die größten strukturellen Defizite zu beheben – auf das schätzen ExpertInnen den Investitionsbedarf bei Schulen mit besonderen Herausforderungen –, werden erst ab dem Sommer 2022 15 Millionen Euro in die Hand genommen. 100 Volksschulen und Neue Mittelschulen sollen durch dieses Forschungsprojekt zusätzliche, standortspezifisch abgestimmte Ressourcen für ihren Standort erhalten. 32 dieser Schulen befinden sich laut Medienberichten in Wien, wobei zwei Drittel Volksschulen und ein Drittel NMS seien. Über den Sommer 2021 hätten all diese ausgewählten Schulstandorte angegeben, welche zusätzlichen Ressourcen sie konkret für ihre Kinder und an ihrer Schule bräuchten. Diese Arbeit geschieht im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Wien, das von Jänner 2021 bis Dezember 2023 läuft und Anfang März 2022 erste Erkenntnisse liefern soll (Wien Heute, 30.08.2021). Trotz der finanziellen Unterdotierung, dem bloßen Projektcharakter und dem verspäteten Start ist jeder zusätzliche Euro grundsätzlich zu begrüßen, der an diese Schulstandorte als Unterstützung fließt. Um für die zukünftige flächendeckende Ausrollung des Projektes in ganz Österreich den nötigen Rückhalt und Aufbruch generieren zu können, braucht es aber nachvollziehbare Prozesse und Transparenz im Laufe des gesamten Projektes.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.       Nach welchen Kriterien wurden die Schulen ausgewählt?

a.       Woraus setzt sich der „Chancen – und Entwicklungsindex“ (Regierungsprogramm) zusammen, anhand dessen diese Auswahl getroffen hätte werden sollen?

b.       Ist dieser Index ident mit jenem in der Presseunterlage des Ministeriums vom 16.März 2021 angegebenen „Index des Instituts für Qualitätssicherung (IQS)“?

                                                   i.      Wenn nein, in welchen Punkten nicht? Worin unterscheiden sich beide?

c.       In ebenjener Presseunterlage ist erwähnt, dass zusätzlich „Kriterien der Universität Wien“ für die Auswahl der Schulstandorte herangezogen wurden. Welche sind dies?

                                                   i.      Wo ergänzen diese den Index des Instituts für Qualitätssicherung (IQS)?

d.       Welche Rollen spielen die Ergebnisse der Schulen bei den Bildungsstandard-Überprüfungen für die Entwicklung der Auswahlkriterien?

e.       Wer hat diese verschiedenen Kriterien miteinander verknüpft, Universität Wien und/oder das Ministerium?

f.        Anfragebeantwortung 3054/AB (XXVII. GP) spricht von drei „gleichgewichteten Teilkomponenten“, die in die Bildung des Index einfließen: Anteil der Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss, sozioökonomischer Status der Familien und „Indikatoren zu Migrationshintergrund und Sprache der Schülerinnen und Schüler“ (ebd., 6)

                                                   i.      Wurde dieser Index seit damals abgewandelt bzw. weiterentwickelt?

                                                 ii.      Woher hat man Daten über den sozioökonomischen Status der Familien an den in Frage kommenden Schulen?

                                               iii.      Wie genau wurde die dritte Teilkomponente – Migrationshintergrund/Sprache – entwickelt? Woraus setzt sie sich konkret auseinander?

                                               iv.      Wie – und von wem – wurden diese drei Teilkomponenten zueinander in Beziehung gesetzt bzw. gewichtet?

2.       Wie viele von den 100 Schulen wurden ausgewählt, die bei den Bildungsstandards unter den Erwartungen gelegen sind?

a.       Wie viele davon sind Volksschulen und wie viele NMS?

3.       Wie viele von den 100 Schulen wurden ausgewählt, die bei den Bildungsstandards über den Erwartungen gelegen sind?

a.       Wie viele davon sind Volksschulen und wie viele NMS?

4.       Laut 3054/AB (XXVII. GP) war eine Intention des Projektes, dass aus allen Bundesländern Schulen daran teilnehmen. So werde auf eine Verteilung der Schulen auf alle Bundesländer „geachtet“ (ebd., 7).

a.       Wie wurde dieses „Achten“ konkret umgesetzt?

b.       Mussten deshalb für einzelne Bundesländer die allgemeinen Auswahlkriterien bzw. der Index adaptiert bzw. verändert werden?

                                                   i.      Wenn ja, in welcher Hinsicht wurde die Kriterien adaptiert?

                                                 ii.      Wenn ja, für welche Bundesländer wurden die Kriterien in welcher Form adaptiert?

                                               iii.      Wenn ja, wer hat über diese Adaption der Auswahlkriterien entschieden?

5.       Laut 3054/AB (XXVII. GP) hätte die Entscheidung über die teilnehmenden Schulen im Projekt Ende September 2020 erfolgen sollen. Wurde dies, so wie geplant, umgesetzt?

a.       Wenn ja, bis wann wurden alle in Frage kommenden Schulen letztlich kontaktiert?

b.       Wenn ja, von wem wurden diese kontaktiert?

c.       Wenn nein, warum hat sich diese Kontaktaufnahme verzögert?

6.       Wie wurde sichergestellt, dass die Teilnahme der Schulstandorte freiwillig ist?

7.       Wie viele Schulen wollten nicht teilnehmen, obwohl sie kontaktiert wurden und den Kriterien des Pilotprojektes entsprochen hätten (Auflistung nach Bundesländern und Art der Schule)?

a.       Welche Gründe haben diese Schulen für ihre Nicht-Teilnahme angegeben? Woran ist die Kooperation gescheitert?

8.       Wann und nach welchen Kriterien wurden die „200 Schulen identifiziert, die für die Teilnahme am Projekt in Frage kommen“ (3054/AB, XXVII.GP)?

9.       Warum gerade 200 Schulen?

10.   Wie groß war ursprünglich der Pool an Schulen, die möglicherweise nachrücken können?

11.   Wurden alle Schulen, die nicht an dem Projekt teilgenommen haben, durch Schulen ersetzt, die in diesem Pool an Nachrückern waren?

12.   Wer hat konkret entschieden, welche Schulen aus dem Pool nachrücken konnten?

13.   Was waren die Kriterien dafür, dass eine Schule aus dem Pool nachrücken konnte?

14.   Wann wurden diese nachrückenden Schulen kontaktiert?

15.   Können Schulen im Laufe des Projektes aus ebendiesem aussteigen?

16.   Sind bis zum Tag der Beantwortung dieser Anfrage noch alle 100 Schulen Teil des Pilotprojektes?

a.       Wenn nein, wie viele sind abgesprungen?

b.       Wenn nein, was waren die Beweggründe für den Ausstieg aus dem Projekt?

17.   Haben sich auch Schulen von sich aus für das Projekt beworben?

a.       Wenn ja, wie viele und wie wurde mit diesen verfahren?

18.   Waren in die Auswahl der Schulstandorte auch die Bildungsdirektionen der Bundesländer eingebunden?

a.       Wenn ja, in welcher Form?

b.       Wenn nein, warum nicht?

19.   Wie viele von den für das Projekt ausgewählten 100 Schulen sind oder waren ebenso Teil des Projektes „Grundkompetenzen absichern“, das bis August 2022 laufen soll (vgl. 81/AB, XXVII. GP)?

20.   Welche 100 Schulen sind konkret Teil des Pilotprojektes? (Auflistung nach Bundesland, Adresse, Anzahl der SchülerInnen, Volkschule oder NMS, Teilnahme am Projekt Grundkompetenzen absichern „Ja“ oder „Nein“)

21.   In welcher Art und Weise begleitet und unterstützt die Universität Wien die Schulen im Laufe des Projektes?

22.   Steht die Universität selbst in direktem Kontakt mit den Schulen oder läuft dieser über andere Organisationen und Kommunikationswege?

23.   Laut 3054/AB (XXVII. GP) sollten die ausgewählten Standorte den Bildungsdirektionen bekannt gegeben werden.

a.       Wurde dies auch umgesetzt?

b.       Wann haben die Bildungsdirektionen von den ausgewählten Standorten erfahren?

c.       Wurde die Auswahl der Schulen durch einzelne Bildungsdirektionen beeinsprucht?

                                                   i.      Wenn ja, welche Schulen hat dies betroffen und welche Gründe wurden dafür von den Bildungsdirektionen eventuell angegeben?

24.   Laut 3054/AB (XXVII. GP) solle die Kommunikation mit den Schulen „jedenfalls“ über die zuständige Schulaufsicht erfolgen. Warum?

a.       Wird dies auch so umgesetzt?

b.       Gibt es unterschiedliche Kommunikationswege zwischen den Schulen und den Schulaufsichten je nach Bundesland?

c.       Wer koordiniert innerhalb des Ministeriums die Kommunikation zwischen den Schulen und den jeweiligen Schulaufsichten der Bundesländer?

d.       Inwieweit ist das Projektteam der Universität Wien in diese Kommunikation eingebunden?

25.   In welcher Art und Weise begleiten und unterstützen die ebenfalls in der Pressemitteilung vom 16.März 2021 erwähnten Schulqualitätsmanager die Schulen im Laufe des Projektes?

26.   Wie viele Schulen haben bis heute diese Arbeit von Schulqualitätsmanager in Anspruch genommen?

27.   Welche Form der Unterstützung bieten die Schulqualitätsmanager den Schulen?

28.   Die ausgewählten Schulstandorte können sich „im Bedarfsfall bei der Projektanbahnung bei einem Call der Bildungsinnovationsstiftung beteiligen“ (Pressemitteilung, 16.03.2021), wenn sie Unterstützung bei der Beschreibung ihrer Herausforderungen brauchen. Wie lautet dieser Call?

a.       Wie viele an dem Projekt teilnehmenden Schulen haben dieses Angebot in Anspruch genommen?

b.       Worin genau bestand diese Hilfestellung der Bildungsinnovationsstiftung für die Schulen?

29.   In welcher Form haben die Schulen ihre IST-Analyse – die Beschreibung der jeweiligen Herausforderungen am Schulstandort und der benötigten Ressourcen – gemeldet?

30.   Haben schon alle Schulstandorte ihre IST-Analyse eingereicht?

31.   Wurden manchen Schulstandorten ihre IST-Analyse zur nochmaligen Überarbeitung bzw. Präzisierung zurückgeschickt?

a.       Wenn ja, wie viele Schulstandorte mussten ihre IST-Analysen überarbeiten?

32.   Wer hat diese Ist-Analysen erhalten, das Forschungsteam der Universität Wien, die Bildungsdirektionen und/oder das Ministerium?

33.   Wie umfangreich waren diese IST-Analysen der einzelnen Schulstandorte?

34.   Welche Ressourcen brauchen die Schulstandorte basierend auf den eingereichten IST-Analysen? Was ergibt dies bisherige Auswertung?

35.   In der Pressemitteilung vom 16.März 2021 heißt es: „Wenn es dringenden Bedarf gibt, kann sofort reagiert werden.“

a.       Wurde bis heute schon bei dringenden Bedarfsfällen sofort reagiert?

                                                   i.      Wenn ja, in welcher Form, an wie vielen Schulstandorten und mit Kosten in welcher Höhe?

                                                 ii.      Wenn ja, werden diese Kosten aus dem 15 Millionen EUR Topf des Pilotprojekts beglichen?

                                               iii.      Wenn nein, warum wurde noch nicht reagiert?

36.   Laut Regierungsprogramm soll die „Ursachenanalyse am Standort unter Einbeziehung aller Schulpartner“ vollzogen werden. Wie wurde dies umgesetzt? Wie wurde dies im Rahmen des Projektes sichergestellt?

a.       Haben die Vertretungen der SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern aller teilnehmenden Schulen ihre Vorschläge für die Bedarfsanalyse eingemeldet?

b.       Wer hat an den jeweiligen Standorten diese Sammlung der Vorschläge koordiniert? Das Schulleitungsteam, die MitarbeiterInnen der Universität Wien und/oder die Schulqualitätsmanager?

37.   Dieses Pilot- und Forschungsprojekt ist mit 15 Million EUR dotiert. Wofür sollen diese 15 Millionen EUR konkret ausgegeben werden?

38.   Wie viele zusätzliche Lehrkräfte bzw. Unterstützungspersonal können mit den zusätzlichen 15 Mio. Euro zum Einsatz kommen (z.B.: SchulpsychologInnen, SchulsozialarbeiterInnen, BeratungslehrerInnen, etc.)? Bitte um detaillierte Darstellung.

39.   Wie hoch sind die Kosten für das Forschungsprojekt der Universität Wien?

40.   Sind diese Kosten Teil der 15 Millionen EUR?

41.   Wie viel der 15 Millionen EUR sollen direkt in die an die Schulstandorte fließen?

42.   Wie viele Personen sind in ihrem Ministerium und Kabinett mit dem Projekt 100 Schulen – 1000 Chancen befasst?

43.   Wie oft gab es bezüglich dieses Projektes Treffen zwischen ihrem Ministerium und dem Forschungsteam der Universität Wien?

44.   Gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, der das Projekt begleitet?

a.       Wenn ja, aus welchen Personen besteht dieser?

b.       Wenn nein, warum nicht?

45.   Welche Kosten sind bis heute für das Pilotprojekt entstanden?

46.   Wie lange läuft der Vertrag mit dem Forscherteam der Universität Wien?

47.   Seit wann läuft dieser Vertrag?

48.   Wie viele ForscherInnen sind konkret an der Universität Wien involviert?

49.   Laut Zeitungsberichten hätten die ersten Fördermaßnahmen des Projektes schon im Schuljahr 2020/21 anlaufen sollen (u.a. https://www.derstandard.at/story/2000114857636/oesterreich-sucht-seine-brennpunktschulen). Auch 3054/AB (XXVII. GP) hält fest, dass ab diesem Zeitpunkt „die Schulen Ressourcen in Form von definierten und in der Folge vom Schulstandort ausgewählten Ressourcen- und Maßnahmenpaketen erhalten“ (ebd.). Warum hat sich das Projekt verzögert?

50.   Wann wird das Forschungsprojekt jene „Faktoren“ identifiziert haben, „die Schulen in herausfordernder Lage darin unterstützen können, kontextspezifische Problemstellungen besser begegnen und der Lage geschuldete, höhere Anforderungen besser bewältigen zu können“ (3054/AB, XXVII. GP)?

51.   Wie will das Forschungsteam der Universität Wien messen, ob die zusätzlichen Ressourcen einen positiven Effekt haben? Anhand welcher Kriterien findet eine Evaluierung statt? Gibt es eine Vergleichsgruppe an Schulen, mittels derer man einen möglichen Impact der Investitionen begründen kann? Wann ist das Projekt ein Erfolg?

52.   Dieses Pilotprojekt solle es ermöglichen in Zukunft Schulen mit besonderen Herausforderungen „flächendeckend“ zu unterstützen, so Andreas Thaller, Sektionschef des Bildungsministerium, am 30.August in der Sendung ORF Wien Heute.

a.       Ab wann soll dies der Fall sein?

b.       Sind dafür Novellierungen bestehender Gesetze angedacht?

c.       Wie hoch werden die Kosten für den flächendeckenden Chancenindex sein?

d.       In welcher Art und Weise soll sich diese flächendeckende Finanzierung von den bereits existierenden Modellen bedarfsorientierter Mittelzuteilung oder sozialindexierter Schulfinanzierung unterscheiden?

53.   Im Zuge des Projektes wurde für alle Schulen eine Chancenindex-Wert generiert, der auch als Kriterium für die Auswahl dient.

a.       Soll in Zukunft die Finanzierung der Schulen im Zuge der Ausrollung des Projektes generell an diesen Wert gekoppelt werden?

                                                   i.      Wenn ja, in welcher Weise?

                                                 ii.      Wenn nein, warum nicht?

b.       Was passiert mit dieser Information abseits ihrer Nutzung für dieses Pilot- und Forschungsprojekt?

c.       Ist den teilnehmenden Schulen ihr jeweiliger Chancenindex-Wert bekannt?

54.   Wann werden die Ergebnisse des Pilotprojektes im Rahmen eines Abschlussberichtes voraussichtlich veröffentlicht?