8207/J XXVII. GP

Eingelangt am 12.10.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

§ 91 Abs. 1 GOG-NR

der Abgeordneten Jan Krainer, Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend „System Kurz“ – Missbrauch von Steuergeld zu persönlichen Zwecken und schwerwiegende Korruptionsvorwürfe

Die gerichtlich bewilligten Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium und in der ÖVP-Parteizentrale brachten schwerwiegende Verdachtsmomente ans Licht der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft belegt auf hunderten Seiten mit sichergestellten Nachrichtenverläufen und Analysen minutiös die Vorwürfe der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Sebastian Kurz soll dabei die zentrale Rolle zugekommen sein. Er soll beauftragt haben, dass manipulierte Umfrageergebnisse in der Tageszeitung „Österreich“ – zum alleinigen Vorteil seiner Person – veröffentlicht werden. Das besonders Verwerfliche daran: Finanziert wurden die Umfragen wie auch indirekt die Berichterstattung durch das Finanzministerium mit Steuergeld in Höhe von 1,3 Mio. Euro. Daher werden nun Sebastian Kurz und neun weitere seiner Vertrauten sowie die gesamte ÖVP-Bundespartei als Beschuldigte geführt. Sebastian Kurz werden somit nunmehr Verstöße gegen vier unterschiedliche Straftatbestände vorgeworfen. Ihm drohen im Fall einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft.

Neben der strafrechtlichen Relevanz offenbaren die ausgewerteten Nachrichten auch ein desaströses Sittenbild der türkisen Truppe rund um Sebastian Kurz. Dieser hat ein System aufgebaut, das Machterhalt als einziges Ziel kennt. Die ÖVP, die selbst als Partei Beschuldigte im Verfahren ist, stattete Kurz 2017 mit umfangreichen Vollmachten aus, die er auch nutzte. So konnte er sich seine Regierungsmitglieder freihändig aussuchen. Alle türkisen MinisterInnen sind so Regierungsmitglieder von Kurz‘ Gnaden, sind nur ihm verpflichtet und loyal. Das System Kurz besteht so auch trotz des „Seitentritts“ des ÖVP-Chefs unverändert weiter und alle ÖsterreicherInnen tragen das Risiko.

Die moralischen Abgründe der geschriebenen Nachrichten der türkisen Truppe offenbaren sich beim Lesen der Auswertungen der WKStA rasch und unverblümt. So wird in einem Nachrichtenwechsel zwischen Kurz und Thomas Schmid der ehemalige Vizekanzler Mitterlehner vom Kanzler als „Arsch“ bezeichnet:

In einer anderen Korrespondenz ist Sebastian Kurz bereit, zu seinem eigenen persönlichen Nutzen die Verbesserung der Kinderbetreuung in Österreich mit einem Investitionspaket von 1,2 Mrd. Euro zu torpedieren, weil er Christian Kern und Reinhold Mitterlehner keinen Erfolg gönnen will. „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ fragt der nunmehrige Kanzler seinen Freund Schmid.

Kurz, Blümel und ihr Umfeld beschäftigen die Justiz mittlerweile umfassend. Mittlerweile wird eine Vielzahl an Verfahren geführt. Beschuldigte sind u.a.:

-       Sebastian Kurz wegen vier unterschiedlichen Tatbeständen

-       Gernot Blümel

-       Thomas Schmid

-       Josef Pröll

-       Bettina Glatz-Kremsner (Kurz‘ ehemalige Stellvertreterin als Parteivorsitzende)

-       Kurz‘ und nunmehr Schallenbergs Kabinettschef Bernhard Bonelli

-       Kurz‘ Sprecher Johannes Frischmann

-       Kurz‘ Medienbeauftragter Gerald Fleischmann

-       Die ÖVP Bundespartei

Folgende Grafik zeigt das Ausmaß der Vorwürfe:

Im Akt der WKStA lautet der zentrale Vorwurf, „dass zwischen den Jahren 2016 und zumindest 2018 budgetäre Mittel des Finanzministeriums zur Finanzierung von ausschließlich parteipolitisch motivierten, mitunter manipulierten Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens im Interesse einer politischen Partei und deren Spitzenfunktionär(en) verwendet wurden“[1]. Die Anordnung der Durchsuchung und Sicherstellung[2] enthält zahlreiche Beweismittel, die zeigen, wie das BMF plötzlich und ohne erkennbaren anderen Grund die Inseratezahlungen an die Tageszeitung „Österreich“ massiv gesteigert hat. Die mutmaßliche Gegenleistung: Der Inhalt der Umfrageergebnisse wurde vor Veröffentlichung in Medien der Verlagsgruppe Österreich von der ÖVP selbst angeleitet und bestimmt – zugunsten von Sebastian Kurz.

 

Das „Beinschab Österreich Tool“ – ein Finanzierungsdreieck aus vermutlichen Scheinrechnungen – im Überblick:

Die WKStA erhob für den Zeitraum seit 2016 Zahlungen des BMF für Studien von „research affairs“ in Höhe von 587.400 Euro:

 

Durch die Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses (Aussagen mehrerer Auskunftspersonen wie insbesondere des früheren Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner sowie aus den dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Akten in Hinblick auf das „Projekt Ballhausplatz“ [vgl. AB 1040 BlgNR XXVII.GP, 475ff]) wurde bereits klar, dass im Umfeld des nunmehrigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz bereits im Jahr 2016 begonnen wurde, generalstabsmäßig, zentral koordiniert und mutmaßlich ohne Rücksicht auf bestehende gesetzliche Verpflichtungen vorzugehen und dafür auch auf staatliche Ressourcen zurückgegriffen wurde.[3] Die beteiligten Personen schlossen sich gerade zum Zwecke der parteipolitischen Machterlangung zusammen, ohne aber noch konkret jene Handlungen zu kennen, die zur Zielerreichung zu setzen sein werden.

So auch die WKStA in ihrer Anordnung (S. 66):

 

Die WKStA stellt außerdem fest (S. 16 der Anordnung), dass sich die Phasen der Inserate- und Medienkooperationsvereinbarung zwischen der ÖVP und den Gebrüdern Fellner auf Plänen des Projekt Ballhausplatzes basierte und nach dessen Phasen gegliedert war:

 

 

Zentraler Bestandteil der Bemühungen des Projekts Ballhausplatz war es außerdem, finanzielle Mittel für einen Wahlkampf einzuwerben. Entsprechende Dokumente waren dem Ibiza-Untersuchungsausschuss auf Grund einer von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft übermittelten Sachverhaltsdarstellung bekannt. In den Unterlagen ist etwa festgehalten: „Unternehmen animieren einzuzahlen“ und „Erstellung einer Sektionsleiterliste fürs BKA und mögliche Szenarien“. Als Zuständigkeiten werden u.a. „Inseratemanagement“, „Ablauf Wechsel Vizekanzler“ und „BMEIA managen“ sowie „BKA Reform“ angeführt. Außerdem sind mehrere Einrichtungen und Unternehmen genannt, die unterstützend tätig werden sollen. So insbesondere die Blink Werbeagentur und das Campaigning Bureau, außerdem das Alois-Mock-Institut und die Julius-Raab-Stiftung. Die Dokumente enthalten darüber hinaus umfassende Listen an potentiellen SpenderInnen, teils gekennzeichnet mit „€“-Zeichen, und deren jeweiligen politischen Interessenlagen.

 

Aus den Akten des Ibiza-Untersuchungsausschusses ergab sich außerdem, dass mehrere weitere Personen in diese Vorbereitungen eingebunden waren. So belegen Akten der Staatsanwaltschaft zu Korrespondenz zwischen Gernot Blümel und Thomas Schmid, dass letzterer dafür sorgte, dass dem BMEIA und somit Sebastian Kurz durch das BMF zusätzliche budgetäre Mittel zukommen, obwohl dies keine politische Zustimmung des damaligen Vizekanzlers gefunden hätte. Schmid schrieb – Zitat – „Kurz kann jetzt Geld scheißen“ sowie später an Kurz selbst: „Du schuldest mir was“. Die genaue Verwendung dieser zusätzlichen Mittel ist unklar, jedoch ergibt sich auf Grund eines Berichts des Rechnungshofs eindeutig eine beinahe Verdoppelung der Inserateausgaben des BMEIA zwischen 2016 und 2017, wofür offensichtlich keine sachliche Rechtfertigung besteht, sondern vielmehr in Erwartung einer Wahlauseinandersetzung erhöht wurde. Wiederum aus der Anordnung der WKStA (S. 11):

 

Die Konversation zwischen Gernot Blümel und Thomas Schmid lautete im Wortlaut und zeigt die umfassende Einbindung des nunmehrigen Finanzministers in die Machtübernahmepläne der türkisen Truppe:

Es gibt laut Staatsanwaltschaft Hinweise, dass die Vorgangsweise, manipulierte Umfragen in der Tageszeitung „Österreich“ veröffentlichen zu lassen, ab 2018 im Bundeskanzleramt durch Johannes Frischmann weitergeführt wurde: Schmid forderte laut seinen Nachrichten noch im März 2018 die Meinungsforscherin Sabine Beinschab auf, Fragen mit dem nunmehrigen Kurz-Pressesprecher Johannes Frischmann („Frischi“) abzuklären, der bis Mitte 2017 im Finanzministerium tätig gewesen war. In den Nachrichtenverläufen finden sich auch keinerlei Hinweise auf ein geplantes Ende des „Tools“.

Über den Kenntnisstand von Gernot Blümel geben die Auswertungen der WKStA ebenfalls interessante Aufschlüsse. Schmid fragte bei Blümel bereits im Mai 2017 nach, ob er „einmal eine Umfrage brauche“ und „mit ÖSTERREICH zufrieden“ sei:

Auch aus weiteren Korrespondenzauswertungen ergibt sich eine enge Einbindung von Gernot Blümel in die Beauftragung und Verwertung von Umfragen. Das Resümee der WKStA:

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage

1.    Wann haben Sie erfahren, dass gefälschte Umfragen und beschönigende Berichterstattungen mittels mutmaßlicher Scheinrechnungen durch Steuergeld aus dem Finanzministerium erkauft wurden?

2.    Von wem haben Sie dies erfahren?

3.    Haben Sie mit dem ehemaligen Bundeskanzler Kurz über den Themenbereich Umfragen und Inserate an „Österreich“ gesprochen? Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?

4.    Wurden Sie bei Ihrem Amtsantritt als Bundesminister für Finanzen über die Umfrageaufträge und Inseratevergabe des BMF unterrichtet bzw. haben Sie sich über diese beiden Themenbereiche informieren lassen?

5.    Wurden Sie von Bediensteten des Ressorts auf mögliche Ungereimtheiten bei der Vergabe von Umfragen an „research affairs“ bzw. der Inseratevergabe an „Österreich“ hingewiesen?

6.    Haben Sie selbst Fragen für Umfragen vorgeschlagen?

7.    War das „Österreich Beinschab Tool“ Ihre Idee?

8.    Wie oft wurden Sie von Thomas Schmid, Johannes Frischmann oder einer anderen Person über Ergebnisse von Umfragen von Research Affairs informiert?

9.    Haben Sie Wolfgang oder Helmuth Fellner jemals Inserate zugesagt und wenn ja, wann und in welchem Umfang?

10. Wann wurden Sie erstmals über die Manipulation der Umfragen informiert?

11. Haben Sie die Manipulation von Umfrageergebnissen jemals beauftragt?

12. Thomas Schmid schrieb Ihnen am 3. Mai 2017, ob Sie sich auch mal eine Umfrage wünschen. Haben Sie sich jemals bei Schmid oder Frischmann eine Umfrage gewünscht?

13. Welche Gegenleistungen für Inserate des BMF wurden mit der Tageszeitung „Österreich“ vereinbart bzw. besprochen?

14. Wie viele Studien, Umfragen oder sonstige Aufträge wurden in den Jahren 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020 und im laufenden Jahr jeweils an „research affairs“ vergeben, mit welchem Ziel und welche Kosten entstanden dadurch?

15. Welches Werk wurde dem BMF als Ergebnis der „research affairs“-Studien jeweils präsentiert? Welchen Umfang hatte die Unterlage jeweils? Wie wurden diese Studien intern verwendet?

16. Wann erfolgten die jeweiligen Aufträge und wann wurden die Studienergebnisse dem BMF vorgelegt?

17. Wie viele Seiten hatten die jeweiligen Studien, als sie dem BMF übermittelt wurden und wurden die Studien jemals veröffentlicht?

18. Wie hoch sind die zur Bewerbung der aktuell geplanten Steuerreform mittels Inseraten geplanten Mittel?

19. Welches Ergebnis hatte die Prüfung der Vereinbarkeit dieser Inserate mit § 3a Abs. 1 MedKF-TG?

20. Wie erfolgte die Kontrolle über die Angemessenheit der Leistungserbringung durch „research affairs“?

21. Haben Sie Johannes Pasquali bereits suspendiert oder andere Disziplinarmaßnahmen eingeleitet? Wenn nein: warum nicht?

22. Wann haben Sie die interne Revision mit der Überprüfung der Vorwürfe beauftragt?

23. Wer beauftragte die Umfragen bei Research Affairs in den Jahren 2017 und 2018 konkret? Thomas Schmid, Johannes Pasquali oder eine andere Person?

24. Welche Aufträge mit welchem Zweck und welchen Kosten vergab das BMF seit 2017 an Unternehmen von Sophie Karmasin?

25. Welche anderen Meinungsforschungsinstitute wurden vom BMF seit 1.1.2017 zu welchem Zweck und welchen Kosten beauftragt?

26. Welches Volumen hatten die Inserateschaltungen des BMF in der Tageszeitung „Österreich“ in den Jahren 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020 und im laufenden Jahr jeweils?

27. Wer hat diese Schaltungen konkret innerhalb des BMF beauftragt?

28. Wann haben Sie von der geplanten Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt, im BMF oder bei der ÖVP erfahren?

29. Von wem haben Sie von den geplanten Hausdurchsuchungen erfahren?

30. Wie regelmäßig löschen Sie Ihre Kalendereinträge, SMS und E-Mails?

31. Welche und wie viele Gegenstände wurden vor der Hausdurchsuchung zur Vernichtung übergeben?

32. Verwenden Sie verschlüsselte Kommunikationsdienste?

33. Trifft es zu, dass Eduard Müller im Sommer/Herbst 2017 Einschau in Steuerakten der SPÖ oder ihrer Geschäftspartner genommen hat bzw. Abfragen in dienstlichen Datenbanken tätigte und wenn ja, zu welchem Zweck, auf wessen Anweisung und auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte dies?

34. Wurden in der Woche vor der Hausdurchsuchung im BMF Akten oder elektronische Daten des Kabinetts oder des Generalsekretariats vernichtet? Wenn ja, welche von wem?

35. Wurden seit der Hausdurchsuchung Akten vernichtet oder elektronische Daten des Kabinetts oder Generalsekretariats gelöscht? Wenn ja, welche von wem?

36. Nach welchem Zeitraum werden elektronische Daten des Ministerkabinetts gelöscht?

37. Wann wurde der Löschzeitraum zuletzt verändert?

38. Wann haben Sie die Finanzprokuratur zur Prüfung von Schadenersatzansprüchen beauftragt?

39. Wurde die Finanzprokuratur in den Jahren 2016 bis 2020 mit Fragen der Auftragsvergabe an Umfrageinstitute bzw. zu Fragen in Zusammenhang mit Inseratevergaben befasst? Wenn ja, aus welchem Grund und mit welchem Ergebnis?

40. Ist es korrekt, dass der damalige Bundesminister Schelling im Jahr 2016 die Inserateschaltungen in der Zeitung „Österreich“ stoppen wollte?

41. Gibt es Nachweise, dass Bundesminister Schelling schlussendlich doch die Inserate an die Tageszeitung „Österreich“ genehmigte bzw. dieser unter Druck gesetzt wurde, dies zu tun?

42. Wie viel haben Sie in den Jahren 2018, 2019, 2020 und 2021 bislang an Geldern für Inserate ausgegeben?

43. Welchen Medien flossen diese in welcher Höhe zu?

44. Welche konkreten Pläne hatte die Bundesregierung unter Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner im Juni 2016 um 1,2 Milliarden in Schulen und Kinderbetreuung zu investieren bzw. woran scheiterten diese Pläne?

45. Welche konkreten Pläne hatte die Bundesregierung unter Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner zur Abschaffung der „kalten Progression“ und woran scheiterten diese Pläne?

46. Hat Sebastian Kurz Reinhold Mitterlehner auch ihnen gegenüber als „Arsch“ bezeichnet?



[1] https://www.justiz.gv.at/wksta/wirtschafts--und-korruptionsstaatsanwaltschaft/medienstelle/pressemitteilungen/pressemitteilung-der-wksta-zu-den-am-6102021-durchgefuehrten-hausdurchsuchungen~aaf.de.html

[2] https://www.profil.at/oesterreich/die-komplette-anordnung-zur-oevp-hausdurchsuchung-das-sind-die-vorwuerfe/401760906

[3] https://www.falter.at/zeitung/20170919/projekt-ballhausplatz