8423/J XXVII. GP
Eingelangt am 29.10.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort
betreffend Ministeriumsaufträge für ehemalige Mitarbeiter von Ex-ÖVP-Innenminister Ernst Strasser mit fragwürdigen Verbindungen zu Wirecard und BVT
Im Zuge der Wirecard-Affäre wurde öffentlich bekannt, dass der frühere Kabinettschef von ÖVP-Innenminister Ernst Strasser, Christoph Ulmer, sowie dessen damaliger Stellvertreter, Wolfgang Gattringer, beide als Berater in Geschäftsbeziehungen mit Jan Marsalek und dessen Wirecard AG gestanden waren.
Wirecard-Aufträge und Lybien-Pläne
So berichtete das Nachrichtenmagazin profil Anfang dieses Jahres: "Ulmer war zwischen 2000 und 2003 Kabinettschef von ÖVP-Innenminister Ernst Strasser und hatte als solcher großen Anteil an der Schaffung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, das nun in den Strudel des Wirecard-Skandals geraten ist. Eine Beratungsfirma UImers machte für Wirecard „Social-Media“-Beobachtung und verrechnete dafür laut einer profil vorliegenden Rechnung aus dem Jahr 2018 (gerichtet an Marsalek) 25.000 Euro Honorar im Monat" (https://www.profil.at/oesterreich/wirecard-auftraege-fuer-strassers-ex-kabinettschef/401173144).
Aus Wirecard-internen Dokumenten, die unter anderen NEOS vorliegen, sowie aus der Befragung der persönlichen Assistentin Marsaleks durch den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages wird ersichtlich, dass auch Gattringer regelmäßig Rechnungen an Wirecard gestellt hatte - und zwar über seine Beratungsfirma Repuco.
"Herr Gattringer ist mir bekannt. Ich ordne ihn der Firma Repuco zu, sprich: auch ein Berater, der meiner Kenntnis nach auch monatlich abgerechnet hatte, eine in Wien, glaube ich, ansässige Beraterfirma, die auch Rechnungen namentlich an meinen Chef gestellt hatte, die auch über mich gingen zur Freigabe. Es habe sich dabei um Rechnungen an Wirecard gehandelt, die eben bei mir eingingen, dann mit den entsprechenden Dokumenten, Purchase Orders Numbers etc., an die Buchhaltung weitergegeben wurden, ab bestimmten Höhen auch natürlich von mehreren Vorständen freigegeben werden mussten; gerade wenn auch die Summe auf das Jahr vorgerechnet wurde, waren mehrere Vorstandsfreigaben ab bestimmten Beträgen nötig. An die konkreten Beträge habe die Zeugin keine Erinnerung gehabt: Die hatten sich kürzlich, in der jüngsten Vergangenheit, geändert. Deswegen: Ich kann Ihnen die letzten gültigen nicht mehr sagen, weil das wurde angepasst. Es wurde meiner Erinnerung nach erhöht, sodass jeder Vorstand praktisch mehr Freigabespielraum hatte in der Summe" (https://dserver.bundestag.de/btd/19/309/1930900.pdf).
Darüber hinaus kam es 2018 in München zu einem persönlichen Treffen zwischen dem österreichischen Bundesheer-Brigadier Gustav Gustenau, Marsalek, Gattringer und dem Flucht- und Migrationsexperten Kilian Kleinschmidt bezüglich „Stabilisierung und Migrationsmanagement in Libyen: Neue Ansätze zur Sicherheit und organisierten Kriminalitätsbekämpfung“. Initiiert wurde das Vorhaben internen Emails zufolge durch Gattringer und seine Repuco (https://www.ft.com/content/511ecf86-ab40-486c-8f76-b8ebda4cc669).
Im Wirecard-Untersuchungsbericht des deutschen Bundestages wird zu diesem Treffen unter anderem angeführt: "Dem Zeugen ist ein von Kilian Kleinschmidt in dessen Befragung durch den Untersuchungsausschuss wiedergegebenes Zitat von Jan Marsalek vorgelesen worden. Danach soll Jan Marsalek in einem Gespräch mit dem ehemaligen stellvertretenden Kabinettschef im österreichischen Bundesministerium für Inneres, Herrn Gattringer, und Herrn Gustenau gesagt haben: 'Ja, die neuen Bodycams, die sind ja „so geil“ und „Wir haben so viel geiles Videomaterial, aber das Dumme ist, das können wir ja nicht für die Werbung benutzen, weil die Jungs erschießen ja alle Gefangenen'" (ibid.).
Bezugnehmend auf eine Aussage Julian Hessenthalers heißt es in dem Bericht weiter: "Angesprochen auf eine E-Mail von Herrn Gattringer an Jan Marsalek aus dem Frühjahr 2016, in der Herr Gattringer der Wirecard Dienste bei der Informationsbeschaffung angeboten habe, hat der Zeuge erklärt: 'Ich weiß um die Rolle Gattringers in der von Kleinschmidt beschriebenen Causa Lybien. Mir ist bekannt, dass Gattringer wie auch U[…] wie auch noch eine dritte Person, die mir namentlich jetzt nicht einfällt, aus dem Umfeld des Ex-Innenministers Strasser stammen - [M.] K[…] war die dritte Person, Entschuldigung -, die sich da alle in irgendeiner Form für Wirecard nachher betätigt haben oder starkgemacht haben, aber ansonsten nichts Zusätzliches, nein'" (ibid.).
Tetron und BVT-Verbindungen
Strassers damalige Mitarbeiter wussten bereits in der Vergangenheit ihren politischen Einfluss bestens zu nutzen, um persönlich an lukrative Aufträge zu gelangen. Ulmer war als Kabinettschef maßgeblich in Gründung und Ausgestaltung des BVT involviert (siehe hierzu etwa: https://www.derstandard.at/story/2000123836144/das-bvt-wirecard-und-die-politik-ein-ueberblick-ueber-eine); und auch in der Schmiergeldaffäre rund um das Konsortium Tetron spielte er eine zentrale Rolle. Nach seiner Karrenzierung im Jahr 2004 erhielt Ulmer mit seiner Agentur Headquarter einen lukrativen Tetron-Beratervertrag durch das BMI. So berichtete beispielsweise das profil im Jahr 2011: "Ulmer, Gattringer, Feiner, Rauch, Kloibmüller: Das war Strassers Buberlpartie - ehrgeizig, karrierebewusst und mit viel Macht ausgestattet. Schon damals begann Mensdorff, sich aufopfernd um die Freizeitgestaltung von Strassers Kabinett zu kümmern. Immer wieder flatterten Jagdeinladungen ins Haus, welche Ulmer via Mail an die Freunde im Kabinett weiterleitete. Ab 2003 wurde das Team neu aufgemischt. Gattringer hatte nun das Blaulichtprojekt zu leiten, Ulmer verließ das Kabinett - blieb dem Ministerium als Tetron-Konsulent aber erhalten. Feiner wechselte für kurze Zeit in die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Rauch stieg nach Strassers Rücktritt zum Pressesprecher auf und dann in die Tiroler Landespolitik um, Kloibmüller machte im Gesundheitsressort Karriere" (https://www.profil.at/home/schwarze-netzwerke-308680).
Aufträge durch Türkis-Blau
Aus dem Aktenbestand des "Ibiza"-Untersuchungsausschusses geht zudem hervor, dass Gattringers Beratungsfirma Repuco eine mindestens sechsstellige Summe an öffentlichen Geldern innerhalb von zwei Jahren durch Aufträge heimischer Bundesministerien unter Türkis-Blau verdiente. Dabei präsentierte sich das Unternehmen offenbar als eine Art Universalexperte, wie die inhaltlich stark variierenden Auftragsgegenstände nahelegen: So befand beispielsweise das BMK/BMVIT die Repuco als den bestgeeigneten Sicherheitsexperten, um ein Konzept für ein Trainingszentrum für Terroreinsatzlagen auszuarbeiten, während das BMI in ihr einen geeigneten Berater für Ausschreibungen betreffend Softwarelösungen sah und das BMLRT/BMNT ihr die Prozessbegleitung bei der Implementierung einer langfristigen Klimastrategie anvertraute.
Aufträge durch Türkis-Grün
Abschließend sei an dieser Stelle noch angeführt, dass den NEOS vorliegende Dokumente aus den Beständen österreichischer Bundesministerien nahelegen, dass Repuco auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie unter Türkis-Grün mehrfach zum Zug kam.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Wenn nein: Warum nicht?
ii. Wenn ja: Welches Ausschreibungsverfahren wurde mit welcher Begründung gewählt?
iii. Wenn ja: Wo, wann und in welcher Form erfolgte die Ausschreibung (Bitte um Bereitstellung von relevanten Weblinks oder anderen Quellenverweisen, wenn möglich)?
i. Wie viele Bewerber_innen kamen im jeweiligen Fall in die engere Auswahl?
ii. Wer traf im jeweiligen Fall die finale Entscheidung, ein Unternehmen ehemaliger Mitarbeiter_innen des früheren Kabinetts von Ernst Strasser zu beauftragen? War diese Entscheidung durch eine Kommission ermittelt worden?
1. Wenn ja: Aus welchen Entitäten (beispielsweise Vertreter_innen Ihres Kabinetts, Ihres Ministeriums im Allgemeinen, hinzugezogener Beratungsunternehmen, beteiligter Interessensvertretungen etc.) bestand diese Kommission im jeweiligen Fall?
i. Wenn ja: Aus welchen Entitäten (beispielsweise Vertreter_innen Ihres Kabinetts, Ihres Ministeriums im Allgemeinen, hinzugezogener Beratungsunternehmen, beteiligter Interessensvertretungen etc.) bestand diese Kommission im jeweiligen Fall?
i. Durch wen wurden die Geschäftsbeziehungen wann vermittelt?
i. Durch wen wurden die Leistungen wann vermittelt?