Eingelangt am 11.11.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr.
Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an
den Bundesminister für Inneres
betreffend "Schwerpunktaktionen"
zur Schlepperbekämpfung und das Recht auf Asylverfahren an der
österreichisch-ungarischen Grenze sowie in Ungarn
Laut einem Bericht
des Ö1-"Morgenjournal" waren seit Anfang September bei
Schwerpunktaktionen jeweils rund 30 österreichische Polizeibeamt_innen an
den ungarischen Hauptverkehrsrouten im Einsatz – mit Uniform und Waffe,
allerdings im Zivilfahrzeug. Im Innenministerium spricht man von
"gemischtem Dienst" zusammen mit den ungarischen Kolleg_innen (https://www.derstandard.at/story/2000129996324/oesterreichische-polizisten-auf-schleppersuche-in-ungarn).
Die rechtliche Grundlage
sei laut Dienstbefehl, der Ö1 zugespielt wurde, der Prümer Vertrag
von 13 EU-Staaten und ein Kooperationsvertrag zwischen Österreich und
Ungarn, wonach ein gemischter Streifendienst zur Verhinderung von Straftaten,
insbesondere zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität, möglich
ist. Demnach dürfen die österreichischen Polizeibeamt_innen in Ungarn
Personen anhalten, deren Identität feststellen, Kleidung und Gepäck
durchsuchen. Der Vertrag sieht für andere Maßnahmen und
Zwangsmaßnahmen die Zuständigkeit der ungarischen Behörden vor
- es sei denn der "Erfolg der Amtshandlung" sei dadurch
gefährdet. Der ungarische Einsatzbefehl gibt den österreichischen
Polizeibeamten jedoch mehr Handlungsspielraum. Er sieht vor, dass
diese Fahrzeuge und Menschen selbstständig verfolgen müssen und
Menschengruppen selbstständig anhalten können, gegebenenfalls auch
mit der Androhung von Zwangsmaßnahmen. In solchen Fällen müsse
die ungarische Einsatzzentrale verständigt werden. Schusswaffen
dürfen nur bei Notwehr eingesetzt werden.
Gerald Tatzgern, Leiter
des Büros zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Schlepperei im
Bundeskriminalamt, konnte im Ö1-Bericht keine Zahlen dazu nennen, wie
viele Schlepper konkret durch diese Schwerpunktaktionen aufgehalten wurden.
Laut Tatzgern seien die Grenzübertritte während der
Schwerpunktaktionen zurückgegangen, jedoch wies Bernt Koschuh während
des Berichts darauf hin, dass sich diese sehr wahrscheinlich nur auf andere
Routen verlagert hätten. Insgesamt hätten diese Schwerpunktationen
bisher keine beachtenswerte Wirkung auf die illegalen Grenzübertritte nach
Österreich gehabt.
Ungarn wurde bereits
mehrmals vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für den
Umgang mit Flüchtlingen verurteilt, zuletzt stellte Ende 2020 auch der
Europäische Gerichtshof fest, dass die ungarische Praxis der Push-Backs
EU-rechtswidrig ist. Die ungarische Regierung erschwere die Beantragung von
Asyl auf unzulässige Weise und sei für illegale Push-Backs
verantwortlich. Zusätzlich wurden bis Mitte 2020 Flüchtlinge in
gefängnisähnlichen "Transitzonen" festgehalten, wo diese
zum Teil nicht einmal Nahrung bekamen.
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Wie viele
Polizeibeamt_innen wurden in wie viele "Schwerpunktationen" seit
Anfang September wann jeweils an die Grenze mit bzw. nach Ungarn
entsandt?
- Auf Basis welcher
Rechtsgrundlagen wurden die Polizeibeamt_innen entsandt?
- Stützt sich die
Schwerpunktaktion auf den Vertrag zwischen der Republik
Österreich und der Republik Ungarn über die Zusammenarbeit bei
der Vorbeugung und Bekämpfung der grenzüberschreitenden
Kriminalität, BGBl. III 29/2006, und den Prümer Vertrag?
- Wenn nein, auf welche
andere Rechtsgrundlagen (bitte um detaillierte Schilderung)?
- Medienberichten zufolge
gab es einen Dienstbefehl für den Einsatz der Polizeibeamt_innen in
Ungarn. Von wann stammt dieser und wer fertigte ihn auf Weisung von wem
mit welchem Inhalt aus?
- Wurde für die
Entsendung der Polizeibeamt_innen nach Ungarn überdies ein
Einvernehmen iSd § 1 Z 1 lit. a iVm § 2 Abs. 1 des
Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei
der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland
(KSE-BVG) mit dem Hauptausschuss hergestellt?
- Wenn ja, wann
inwiefern?
- Wenn nein, weshalb
nicht?
- Artikel 4 des
Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn
über die Zusammenarbeit bei der Vorbeugung und Bekämpfung der
grenzüberschreitenden Kriminalität, BGBl. III 29/2006, normiert
die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten auf Grund von Ersuchen. Wann
und mit welchem Inhalt wurde ein derartiges Ersuchen an die
Republik Österreich herangetragen?
- Um welche der in Art. 4
Abs. 4 des Vertrages aufgezählten Maßnahmen wurde wann durch
wen angesucht?
- Wie viele Personen
wurden insgesamt während dieser "Schwerpunktaktionen" auf
ungarischer Seite wann angehalten?
- Wie viele davon waren
Schlepper?
- Wie und von wem wurde
jeweils die Schleppereigenschaft festgestellt?
- Wie lautet die
Schlepperdefinition? Gibt es hier eine Deckungsgleichheit zwischen
Österreich und Ungarn?
- Wie vielen davon wurden
durch österreichische Beamt_innen Zwangsmaßnahmen angedroht?
- Bei wie vielen davon
wurden Zwangsmaßnahmen durchgeführt?
i. Welche jeweils durch österreichische
Beamt_innen?
ii. Welche jeweils durch ungarische Beamt_innen?
iii. Auf Grund welcher Rechtsgrundlage wurden
Zwangsmaßnahmen durch österreichische Beamt_innen gesetzt?
iv. Sollte die Zwangsmaßnahme auf Basis des Art.
18 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik
Ungarn über die Zusammenarbeit bei der Vorbeugung und Bekämpfung der
grenzüberschreitenden Kriminalität, BGBl. III 29/2006, gesetzt worden
sein: Wurde überprüft, ob der Erfolg der Amtshandlung ohne
Einschreiten der Beamt_innen des anderen Vertragsstaates gefährdet
wäre oder erheblich erschwert würde? Wie genau wurde diese
Voraussetzung eingehalten?
- Wie oft kamen
Schusswaffen zum Einsatz?
i. Wie oft durch österreichische Beamt_innen?
1. Wie viele davon handelten aus Notwehr (bitte um
Schilderung der konkreten Gefährdung der Beamt_innen)?
2. Wenn nicht aus Notwehr gehandelt wurde, auf welche
Rechtsgrundlage stützt sich die Maßnahme?
ii. Durch ungarische Beamt_innen?
- Wie viele Personen und
Fahrzeuge wurden jeweils selbstständig durch österreichische
Beamt_innen verfolgt?
- Auf Basis welcher
rechtlichen Grundlage?
- Wie vielen Personen
wurde Zwangsgewalt durch österreichische Beamt_innen angedroht?
- Auf Basis welcher
rechtlichen Grundlage?
- Welche
Rechtsschutzinstrumente stehen den Betroffenen offen?
- Ist das Einbringen
einer Maßnahmenbeschwerde möglich?
- Steht den Betroffenen
ansonsten nach ungarischem Recht ein Rechtschutzinstrument zur
Verfügung?
i. wenn ja, welches Rechtsmittel kann der/die
Betroffene geltend machen?
- Wurden die Personen von
den österreichischen Beamt_innen darüber aufgeklärt? Wenn
ja, in welcher Sprache?
- Wurden die
österreichischen Beamt_innen in ihren Amtshandlungen durch
Dolmetscher_innen unterstützt?
- Wurden Rechtsmittel
eingebracht?
- Wenn ja, wieviele wegen
welchen Vorfalls gegen wen jeweils?
- Wie oft wurde in welchen
Fällen von den österreichischen Beamt_innen die ungarische
Einsatzzentrale kontaktiert?
- Wie wurde bzw. wir mit
den angehaltenen Personen in der Folge verfahren (bitte um detaillierte
Schilderung der unterschiedlichen möglichen Verfahrensschritte ab
Anhalten der Person)?
- Wie wird mit Personen
verfahren, die im Rahmen des Kontaktes mit Beamt_innen um Asyl ansuchten
(bitte um detaillierte Schilderung der folgenden Verfahrensschritte bis
zur Einbringung des Asylantrages)?
- Wie viele Personen
haben im Kontakt mit österreichischen Beamt_innen um Asyl
angesucht (bitte um Aufschlüsselung nach Geschlecht, Alter und
Nationalität)?
i. Wann erfolgte dieser Antrag (bei Erstkontakt,...)?
ii. Wie wurde in der Folge verfahren?
- Wie viele Personen
haben in Kontakt mit ungarischen Beamt_innen um Asyl angesucht?
i. Wie wurde in der Folge verfahren?
- Welches
Verwaltungsverfahrensrecht war die Grundlage für das Handeln der
österreichischen Beamt_innen?
i. Falls das österreichische Verfahrensrecht:
Warum?
ii. Falls das ungarische Verfahrensrecht: Wie lauten
die konkreten anzuwendenden Verfahrensgesetze? Wie, von wem und in welchem
Ausmaß wurden die österreichischen Beamt_innen darin geschult?
- Wie stellen Sie sicher,
dass es zu keinen Menschenrechtsverletzungen kommt, wenn
österreichische Polizeibeamt_innen Antragsteller_innen an ungarische
Behörden übergeben?
- Wurden Personen bereits
durch die ungarischen Behörden in Folge einer Anhaltung durch
österreichische Beamt_innen abgeschoben bzw. in
Transitzonen/Lager oder Nachbarländer gebracht?
- Wenn ja, Menschen
welcher Nationalität jeweils wann wohin? Bitte um Auflistung nach
Destination.
- Wenn ja, wurde vor der
Abschiebung ein Verfahren durchgeführt? Welches nach welcher
Rechtsgrundlage?
i. Wenn nein, welche Maßnahmen haben Sie wann
gesetzt, nachdem Sie von den illegalen Push-Backs erfahren haben?
- Wohin wurden die
schutzsuchenden Personen nach Antragstellung gebracht? Nach welchem
Prozedere gingen die österreichischen Beamt_innen hier vor?
- Haben die
österreichischen Beamt_innen Kenntnis davon, dass der EuGH am
17.12.2020 festgestellt hat, dass die ungarische Praxis der Push-Backs
EU-rechtswidrig ist?
i. Welche Auswirkungen hat die Kenntnis der
gerichtlich als rechtswidrig festgestellten Praxis der ungarischen
Behörden auf die österreichischen Behörden?
1. Wurden Schulungsmaßnahmen durchgeführt?
Wenn ja, durch wen und in welchem Ausmaß?
2. Wurden rechtswidrige Praktiken beobachtet? Wenn ja,
wie gingen die österreichischen Beamt_innen dagegen vor?
- Sind die
österreichischen Behörden bei ihrem Handeln im Ausland an das
Non-Refoulement-Gebot gebunden?
- Wie stellen Sie sicher,
dass es zu keinen illegalen Push-Backs durch die ungarischen Behörden
kommt?
- Inwiefern haben Sie sich wann dafür
durch welche Maßnahme eingesetzt?
- Wann haben Sie von
illegalen Push-Backs durch ungarische Beamt_innen erfahren?
- Welche Maßnahmen
haben Sie in der Folge wann gesetzt?
- Wer entscheidet anhand
welcher Kriterien, welche konkreten Personen auf ungarischem Staatsgebiet
aufgehalten werden?
- Wie viel kostet(e) das
Vorhaben dieser "Schwerpunktaktionen" insgesamt aufgrund welcher
Kostenpunkte?
- Für wie lange ist
die Durchführung der "Schwerpunktaktionen" geplant?
- Seit wann existiert der Kooperationsvertrag
mit Ungarn? Wurde dieser primär zur Bekämpfung der
Schlepperkriminalität unterzeichnet? Von wem ging die Initiative aus?
- Warum werden
österreichische Beamt_innen zu derartigen Aktionen versandt, wo es
doch bei der Exekutive aufgrund von Versäumnissen in der
Personalpolitik seit vielen Jahren unter insb.
ÖVP-Innenminister_innen an Personal in Österreich
selbst mangelt?
- Mit welcher
Begründung wurde das BMLV um Unterstützung beim Einsatz an der
ungarisch-österreichischen Grenze gebeten?
- Wie lange wird die
Unterstützung durch Beamt_innen des BMLV aus Sicht Ihres Ressorts
noch benötigt werden?
- Sind die Ressourcen
Ihres Ressorts ausreichend um den Grenzeinsatz ohne Hilfe des
Bundesheeres durchzuführen?
- Aus welchen Ressourcen
kann die österreichische Polizei den Einsatz in Ungarn decken,
während Sie in Österreich das Bundesheer um Assistenz bitten
muss?