8517/J XXVII. GP

Eingelangt am 11.11.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend "Schwerpunktaktionen" zur Schlepperbekämpfung und das Recht auf Asylverfahren an der österreichisch-ungarischen Grenze sowie in Ungarn

 

Laut einem Bericht des Ö1-"Morgenjournalwaren seit Anfang September bei Schwerpunktaktionen jeweils rund 30 österreichische Polizeibeamt_innen an den ungarischen Hauptverkehrsrouten im Einsatz – mit Uniform und Waffe, allerdings im Zivilfahrzeug. Im Innenministerium spricht man von "gemischtem Dienst" zusammen mit den ungarischen Kolleg_innen (https://www.derstandard.at/story/2000129996324/oesterreichische-polizisten-auf-schleppersuche-in-ungarn).

Die rechtliche Grundlage sei laut Dienstbefehl, der Ö1 zugespielt wurde, der Prümer Vertrag von 13 EU-Staaten und ein Kooperationsvertrag zwischen Österreich und Ungarn, wonach ein gemischter Streifendienst zur Verhinderung von Straftaten, insbesondere zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität, möglich ist. Demnach dürfen die österreichischen Polizeibeamt_innen in Ungarn Personen anhalten, deren Identität feststellen, Kleidung und Gepäck durchsuchen. Der Vertrag sieht für andere Maßnahmen und Zwangsmaßnahmen die Zuständigkeit der ungarischen Behörden vor - es sei denn der "Erfolg der Amtshandlung" sei dadurch gefährdet. Der ungarische Einsatzbefehl gibt den österreichischen Polizeibeamten jedoch mehr Handlungsspielraum. Er sieht vor, dass diese Fahrzeuge und Menschen selbstständig verfolgen müssen und Menschengruppen selbstständig anhalten können, gegebenenfalls auch mit der Androhung von Zwangsmaßnahmen. In solchen Fällen müsse die ungarische Einsatzzentrale verständigt werden. Schusswaffen dürfen nur bei Notwehr eingesetzt werden.

Gerald Tatzgern, Leiter des Büros zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Schlepperei im Bundeskriminalamt, konnte im Ö1-Bericht keine Zahlen dazu nennen, wie viele Schlepper konkret durch diese Schwerpunktaktionen aufgehalten wurden. Laut Tatzgern seien die Grenzübertritte während der Schwerpunktaktionen zurückgegangen, jedoch wies Bernt Koschuh während des Berichts darauf hin, dass sich diese sehr wahrscheinlich nur auf andere Routen verlagert hätten. Insgesamt hätten diese Schwerpunktationen bisher keine beachtenswerte Wirkung auf die illegalen Grenzübertritte nach Österreich gehabt. 

Ungarn wurde bereits mehrmals vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für den Umgang mit Flüchtlingen verurteilt, zuletzt stellte Ende 2020 auch der Europäische Gerichtshof fest, dass die ungarische Praxis der Push-Backs EU-rechtswidrig ist. Die ungarische Regierung erschwere die Beantragung von Asyl auf unzulässige Weise und sei für illegale Push-Backs verantwortlich. Zusätzlich wurden bis Mitte 2020 Flüchtlinge in gefängnisähnlichen "Transitzonen" festgehalten, wo diese zum Teil nicht einmal Nahrung bekamen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wie viele Polizeibeamt_innen wurden in wie viele "Schwerpunktationen" seit Anfang September wann jeweils an die Grenze mit bzw. nach Ungarn entsandt?
  2. Auf Basis welcher Rechtsgrundlagen wurden die Polizeibeamt_innen entsandt?
  3. Stützt sich die Schwerpunktaktion auf den Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über die Zusammenarbeit bei der Vorbeugung und Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, BGBl. III 29/2006, und den Prümer Vertrag?
    1. Wenn nein, auf welche andere Rechtsgrundlagen (bitte um detaillierte Schilderung)?
  1. Medienberichten zufolge gab es einen Dienstbefehl für den Einsatz der Polizeibeamt_innen in Ungarn. Von wann stammt dieser und wer fertigte ihn auf Weisung von wem mit welchem Inhalt aus?  
  2. Wurde für die Entsendung der Polizeibeamt_innen nach Ungarn überdies ein Einvernehmen iSd § 1 Z 1 lit. a iVm § 2 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG) mit dem Hauptausschuss hergestellt?
    1. Wenn ja, wann inwiefern?
    2. Wenn nein, weshalb nicht?
  1. Artikel 4 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über die Zusammenarbeit bei der Vorbeugung und Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, BGBl. III 29/2006, normiert die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten auf Grund von Ersuchen. Wann und mit welchem Inhalt wurde ein derartiges Ersuchen an die Republik Österreich herangetragen?
    1. Um welche der in Art. 4 Abs. 4 des Vertrages aufgezählten Maßnahmen wurde wann durch wen angesucht? 
  1. Wie viele Personen wurden insgesamt während dieser "Schwerpunktaktionen" auf ungarischer Seite wann angehalten?
    1. Wie viele davon waren Schlepper?
    2. Wie und von wem wurde jeweils die Schleppereigenschaft festgestellt?
    3. Wie lautet die Schlepperdefinition? Gibt es hier eine Deckungsgleichheit zwischen Österreich und Ungarn?
    4. Wie vielen davon wurden durch österreichische Beamt_innen Zwangsmaßnahmen angedroht?
    5. Bei wie vielen davon wurden Zwangsmaßnahmen durchgeführt?

                                          i.    Welche jeweils durch österreichische Beamt_innen?

                                        ii.    Welche jeweils durch ungarische Beamt_innen?

                                       iii.    Auf Grund welcher Rechtsgrundlage wurden Zwangsmaßnahmen durch österreichische Beamt_innen gesetzt? 

                                       iv.    Sollte die Zwangsmaßnahme auf Basis des Art. 18 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über die Zusammenarbeit bei der Vorbeugung und Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, BGBl. III 29/2006, gesetzt worden sein: Wurde überprüft, ob der Erfolg der Amtshandlung ohne Einschreiten der Beamt_innen des anderen Vertragsstaates gefährdet wäre oder erheblich erschwert würde? Wie genau wurde diese Voraussetzung eingehalten?

    1. Wie oft kamen Schusswaffen zum Einsatz?

                                          i.    Wie oft durch österreichische Beamt_innen?

1.    Wie viele davon handelten aus Notwehr (bitte um Schilderung der konkreten Gefährdung der Beamt_innen)?

2.    Wenn nicht aus Notwehr gehandelt wurde, auf welche Rechtsgrundlage stützt sich die Maßnahme?

                                        ii.    Durch ungarische Beamt_innen?

  1. Wie viele Personen und Fahrzeuge wurden jeweils selbstständig durch österreichische Beamt_innen verfolgt?
    1. Auf Basis welcher rechtlichen Grundlage?
  1. Wie vielen Personen wurde Zwangsgewalt durch österreichische Beamt_innen angedroht?
    1. Auf Basis welcher rechtlichen Grundlage?
  1. Welche Rechtsschutzinstrumente stehen den Betroffenen offen?
    1. Ist das Einbringen einer Maßnahmenbeschwerde möglich?
    2. Steht den Betroffenen ansonsten nach ungarischem Recht ein Rechtschutzinstrument zur Verfügung? 

                                          i.    wenn ja, welches Rechtsmittel kann der/die Betroffene geltend machen?

    1. Wurden die Personen von den österreichischen Beamt_innen darüber aufgeklärt? Wenn ja, in welcher Sprache?
    2. Wurden die österreichischen Beamt_innen in ihren Amtshandlungen durch Dolmetscher_innen unterstützt?
  1. Wurden Rechtsmittel eingebracht?
    1. Wenn ja, wieviele wegen welchen Vorfalls gegen wen jeweils? 
  1. Wie oft wurde in welchen Fällen von den österreichischen Beamt_innen die ungarische Einsatzzentrale kontaktiert?
  2. Wie wurde bzw. wir mit den angehaltenen Personen in der Folge verfahren (bitte um detaillierte Schilderung der unterschiedlichen möglichen Verfahrensschritte ab Anhalten der Person)?
  3. Wie wird mit Personen verfahren, die im Rahmen des Kontaktes mit Beamt_innen um Asyl ansuchten (bitte um detaillierte Schilderung der folgenden Verfahrensschritte bis zur Einbringung des Asylantrages)?
    1. Wie viele Personen haben im Kontakt mit österreichischen Beamt_innen um Asyl angesucht (bitte um Aufschlüsselung nach Geschlecht, Alter und Nationalität)?

                                          i.    Wann erfolgte dieser Antrag (bei Erstkontakt,...)?

                                        ii.    Wie wurde in der Folge verfahren?

    1. Wie viele Personen haben in Kontakt mit ungarischen Beamt_innen um Asyl angesucht?

                                          i.    Wie wurde in der Folge verfahren?

    1. Welches Verwaltungsverfahrensrecht war die Grundlage für das Handeln der österreichischen Beamt_innen?

                                          i.    Falls das österreichische Verfahrensrecht: Warum?

                                        ii.    Falls das ungarische Verfahrensrecht: Wie lauten die konkreten anzuwendenden Verfahrensgesetze? Wie, von wem und in welchem Ausmaß wurden die österreichischen Beamt_innen darin geschult?

    1. Wie stellen Sie sicher, dass es zu keinen Menschenrechtsverletzungen kommt, wenn österreichische Polizeibeamt_innen Antragsteller_innen an ungarische Behörden übergeben?
  1. Wurden Personen bereits durch die ungarischen Behörden in Folge einer Anhaltung durch österreichische Beamt_innen abgeschoben bzw. in Transitzonen/Lager oder Nachbarländer gebracht?
    1. Wenn ja, Menschen welcher Nationalität jeweils wann wohin? Bitte um Auflistung nach Destination.
    2. Wenn ja, wurde vor der Abschiebung ein Verfahren durchgeführt? Welches nach welcher Rechtsgrundlage?

                                          i.    Wenn nein, welche Maßnahmen haben Sie wann gesetzt, nachdem Sie von den illegalen Push-Backs erfahren haben?

    1. Wohin wurden die schutzsuchenden Personen nach Antragstellung gebracht? Nach welchem Prozedere gingen die österreichischen Beamt_innen hier vor?
    2. Haben die österreichischen Beamt_innen Kenntnis davon, dass der EuGH am 17.12.2020 festgestellt hat, dass die ungarische Praxis der Push-Backs EU-rechtswidrig ist?

                                          i.    Welche Auswirkungen hat die Kenntnis der gerichtlich als rechtswidrig festgestellten Praxis der ungarischen Behörden auf die österreichischen Behörden?

1.    Wurden Schulungsmaßnahmen durchgeführt? Wenn ja, durch wen und in welchem Ausmaß?

2.    Wurden rechtswidrige Praktiken beobachtet? Wenn ja, wie gingen die österreichischen Beamt_innen dagegen vor?

    1. Sind die österreichischen Behörden bei ihrem Handeln im Ausland an das Non-Refoulement-Gebot gebunden?
  1. Wie stellen Sie sicher, dass es zu keinen illegalen Push-Backs durch die ungarischen Behörden kommt?
    1. Inwiefern haben Sie sich wann dafür durch welche Maßnahme eingesetzt?
  1. Wann haben Sie von illegalen Push-Backs durch ungarische Beamt_innen erfahren?
    1. Welche Maßnahmen haben Sie in der Folge wann gesetzt?
  1. Wer entscheidet anhand welcher Kriterien, welche konkreten Personen auf ungarischem Staatsgebiet aufgehalten werden?
  2. Wie viel kostet(e) das Vorhaben dieser "Schwerpunktaktionen" insgesamt aufgrund welcher Kostenpunkte?
  3. Für wie lange ist die Durchführung der "Schwerpunktaktionen" geplant?
  4. Seit wann existiert der Kooperationsvertrag mit Ungarn? Wurde dieser primär zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität unterzeichnet? Von wem ging die Initiative aus?
  5. Warum werden österreichische Beamt_innen zu derartigen Aktionen versandt, wo es doch bei der Exekutive aufgrund von Versäumnissen in der Personalpolitik seit vielen Jahren unter insb. ÖVP-Innenminister_innen an Personal in Österreich selbst mangelt?
  6. Mit welcher Begründung wurde das BMLV um Unterstützung beim Einsatz an der ungarisch-österreichischen Grenze gebeten?
    1. Wie lange wird die Unterstützung durch Beamt_innen des BMLV aus Sicht Ihres Ressorts noch benötigt werden?
    2. Sind die Ressourcen Ihres Ressorts ausreichend um den Grenzeinsatz ohne Hilfe des Bundesheeres durchzuführen?
    3. Aus welchen Ressourcen kann die österreichische Polizei den Einsatz in Ungarn decken, während Sie in Österreich das Bundesheer um Assistenz bitten muss?