8747/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.11.2021
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Michael Schnedlitz, Rosa Ecker, Mag. Christian Ragger, Mag. Harald Stefan

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration
betreffend
Kindesabnahmen durch das Jugendamt

Der Standard berichtete am 12.11.2021 in seinem Online-Medium folgenden Artikel:

„Fälschliche Kindesabnahme: Schadenersatz für psychische Probleme

Wenn das Jugendamt eingreift, werden häufig die Auswirkungen auf die Eltern vergessen

Im Familienrecht hat man es oft mit dem Jugendamt (Kinder- und Jugendhilfeträger) zu tun. Dieses vertritt offiziell die Interessen des Kindes und stellt sicher, dass diese ausreichend gewahrt werden. Auch wenn dieser Grundgedanke ein positiver ist, so kann die Intervention des Jugendamtes manchmal "zu gut" gemeint sein und nach hinten losgehen. In der Praxis kommt es zuweilen immer öfter vor, dass Personen ihre unliebsamen Nachbarn beim Jugendamt (zu Unrecht) anzeigen.

So wird häufig die (körperliche) Misshandlung von Kindern behauptet und lautstarke familiäre Auseinandersetzungen gemeldet. Natürlich ist das Jugendamt verpflichtet, all diesen Vorwürfen lückenlos nachzugehen, um eine allfällige Gefährdung des Kindeswohls zu unterbinden. Was passiert nun, wenn das Jugendamt eingreift und die betroffenen Kinder zwangsweise wegbringt? Welche Auswirkungen hat dies auf die Kinder und die Eltern, und welche Ansprüche können daraus resultieren?

Folgen der Kindesabnahme

Einen solchen Fall hatte kürzlich der Oberste Gerichtshof (OGH) zu entscheiden. Konkret ging es um zwei minderjährige Kinder im Alter von sieben beziehungsweise neun Jahren und ihre zwangsweise Abnahme und Unterbringung in einem Krisenzentrum für die Dauer von circa acht Monaten. Das Jugendamt ist zu einem solchen – zweifellos – drastischen Schritt ermächtigt, wenn Gefahr in Verzug herrscht, weil die Kinder zum Beispiel zu Hause mit einem gewalttätigen Elternteil konfrontiert sind oder missbraucht wurden.

Im gegenständlichen Fall war es nach einer anonymen Anzeige, wonach die betroffenen Eltern psychisch instabil und die Kinder oft krank und armutsgefährdet seien, zur Abnahme der beiden gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater aufgrund einer polizeilichen Wegweisung nicht anwesend. Er argumentierte, dass er mit der Betreuung seiner Kinder zu keiner Zeit überfordert gewesen sei. Er sei auch bereit gewesen, mit dem Jugendamt zu kooperieren, und es hätte durch ein einzuholendes Sachverständigengutachten erwiesen werden können, dass die Kinder zu keinem Zeitpunkt gefährdet waren. Der Vater argumentierte weiter, dass durch die ungerechtfertigte Kindesabnahme ein massiver Eingriff in sein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfolgt sei. Dies hätte bei ihm zu einer massiven psychischen Störung geführt.

So leide er an emotionalem Stress, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, was sich insbesondere an seinem Arbeitsplatz negativ auswirke. Der Vater brachte vor, er habe Freunde und Bekannte verloren, fühle sich ausgelaugt, müde, ängstlich und stimmungsschwankend. Seine psychischen Störungen hätten Krankheitswert erreicht. Die Kindesabnahme sei auch an seinem Arbeitsplatz Thema geworden, sodass er diesen, durch einvernehmliche Auflösung, verloren habe, was zu einem Verdienstentgang geführt habe. Dieser stehe auch in kausalem Zusammenhang mit der rechtswidrigen Kindesabnahme.

Leiden der Eltern

In seiner gegen die Stadt Wien (als Träger des Jugendamtes) geführten Klage beantragte der Vater Schmerzengeld und Verdienstentgang sowie die Feststellung der Haftung für künftige, noch nicht bekannte Schäden "aus der unrechtmäßigen Kindesabnahme". Der OGH gesteht einem durch die unzulässige "Kindesabnahme" psychisch beeinträchtigten Elternteil unter bestimmten Voraussetzungen einen Schadenersatzanspruch zu.

Vorwiegend vertritt der OGH die Ansicht, dass es beim Schutz des Eltern-Kind-Verhältnisses gerade um den Schutz immaterieller Werte geht und dies auch den Schutz vor gravierenden psychischen Beeinträchtigungen nahelegt. Eine widerrechtliche "Kindesabnahme" kann, aufgrund der für gewöhnlich innigen Gefühlsbeziehung zwischen Eltern und Kindern, eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert bei den Eltern auslösen.

Aufgrund dieser neuen Entwicklung der Judikatur erscheint es aus der Sicht des Jugendamts sinnvoll, das Vorliegen der Voraussetzungen für die zwangsweise Unterbringung von Kindern in einem Krisenzentrum streng zu prüfen. Wenn dies nicht erfolgt, können sie Schadenersatzansprüchen betroffener Eltern ausgesetzt sein, welche auch eine beträchtliche Höhe erreichen können (OGH 23. 3. 2021, 1 Ob 211/20s).“

 

https://www.derstandard.at/story/2000131043150/faelschliche-kindesabnahme-schadenersatz-fuer-psychische-probleme

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration nachstehende

 

ANFRAGE

 

1.     Wie viele Kindesabnahmen wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 von den Jugendämtern in den einzelnen Bundesländern durchgeführt? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

2.     Bei wie vielen erfolgten Kindesabnahmen wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern Exekutivbeamte der Polizei von den Jugendämtern angefordert? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

3.     Bei wie vielen erfolgten Kindesabnahmen waren, im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern Exekutivbeamte und Beamte den Jugendämtern anwesend? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

4.     Bei wie vielen erfolgten Kindesabnahmen wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern Straftaten der betroffenen Eltern, geordnet nach deren Geschlecht, die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Abnahme standen, dokumentiert? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

5.     Bei wie vielen erfolgten Kindesabnahmen wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern Zwangsmaßnahmen von Exekutivbeamten der Polizei angewandt? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

6.     Bei wie vielen erfolgten Kindesabnahmen waren im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern die jeweiligen Erziehungsberechtigten zum Zeitpunkt der Abnahme nicht anwesend? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

7.     Bei wie vielen erfolgten Kindesabnahmen waren im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern zum Zeitpunkt der Abnahme andere Angehörige als die Eltern anwesend? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

8.     Wie viele Kindesabnahmen im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern erfolgten ohne Gerichtsbeschluss bei „Gefahr in Verzug“? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

9.     Bei wie vielen Fällen von Kindesabnahmen ohne Gerichtsbeschluss bestand  im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern im Nachhinein gesehen „Gefahr im Verzug“ nicht? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

10.  Wie viele Kinder wurden im Zusammenhang mit Kindesabnahmen ohne Gerichtsbeschluss im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern anschließend wieder in die Obhut der Eltern gebracht? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

11.  Bei wie vielen Kindesabnahmen im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern wurde erst nach der erfolgten Abnahme eine Meldung, das Obsorgerecht betreffend, an ein Gericht erstattet? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

12.  Bei wie vielen Kindesabnahmen im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern wurde nach der erfolgten Abnahme keine Meldung, das Obsorgerecht betreffend, an ein Gericht erstattet? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

13.  Wie viele dieser, von einer Abnahme betroffenen Kinder wurden in diesem Zusammenhang anschließend wieder in die Obhut der Eltern gebracht?

14.  Wie lange waren die einzelnen, von einer Abnahme betroffenen Kinder im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern von ihren Eltern getrennt? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

15.  Wie viele, von einer Abnahme betroffene Kinder wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern in einem Krisenzentrum untergebracht? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

16.  Wie viele, von einer Abnahme betroffene Kinder wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern bei Pflegeeltern untergebracht? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

17.  Wie viele, von einer Abnahme betroffene Kinder wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern wieder, nach einer Unterbringung in einem Krisenzentrum, in die Obsorge der Eltern überführt? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

18.  Wie viele, von einer Abnahme betroffene Kinder wurden im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern wieder, nach einer Unterbringung bei einer Pflegefamilie, in die Obsorge der Eltern überführt? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

19.  Welche rechtlichen Möglichkeiten und Kompetenzen haben Sozialarbeiter, eine Kindesabnahme einzuleiten?

20.  Welche rechtlichen Möglichkeiten und Kompetenzen haben Sozialarbeiter, Exekutivbeamte der Polizei bei Kindesabnahmen anzufordern?

21.  Welche Ansprüche hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten und/oder staatliche Unterstützungsleistungen haben betroffene Eltern im Zeitraum von 2001 bis 2021 geltend gemacht, um sich rechtlich gegen eine Kindesabnahme zu wehren?

22.  Welche Ansprüche und rechtlichen Möglichkeiten haben Eltern, einen Kinderbeistand zur Feststellung des Willens des Kindes bei einer Kindesabnahme anzufordern?

23.  In wie vielen Fällen einer Kindesabnahme im Zeitraum von 2001 bis 2021 in den einzelnen Bundesländern wurde zur Feststellung des Willens des Kindes ein Kinderbeistand gestellt? (geordnet nach Kalenderwoche, Bezirk, Alter des abgenommenen Kindes und Nationalität der Eltern)

24.  Wie hoch lagen die jährlichen Kosten Ihres Ministeriums im Zusammenhang mit Kindesabnahmen im Zeitraum von 2001 bis 2021?