8884/J XXVII. GP

Eingelangt am 03.12.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort

betreffend Rot-Weiß-Rot-Karte (plus)

Im Regierungsprogramm 2020-2024 wurde die dringend nötige Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte vereinbart. Die wichtigsten Punkte, wie die Konsolidierung der gesetzlichen Grundlage, die Vereinfachung und Straffung von Verfahren sowie die Senkung von Gehaltsgrenzen, werden dort ausdrücklich adressiert. Auch die Einrichtung eines One-Stop-Shops wird als Vorhaben festgehalten.

De facto sammeln sich neben den Ankündigungen für Änderungen aber nur die Beschwerden über die Handhabung der Rot-Weiß-Rot-Karte (1). Die Verfahren sind zu langwierig und kompliziert, Antragsteller:innen können nicht immer physisch bei einer Botschaft vorsprechen, die Fachkräfteverordnung wird oft erst zu langsam angepasst und die Beratungen und Entscheidungen der Ausländerausschüsse des Arbeitsmartkservice sind ebenso langwierig und intransparent.

Umso wichtiger wäre es, die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte entschlossen und faktenbasiert anzugehen. Selbst BM Kocher hat mittlerweile zugegeben, dass die Ausgestaltung der RWR-Karte einen Wettbewerbsnachteil darstellt (2). Alleine die permanenten Erweiterungen der Fachkräfteverordung zeigen aber anschaulich, wie dringend nötig es ist, diesen Wettbewerbsnachteil aus dem Weg zu räumen und langfristigen Aufschwung sicherzustellen - nachdem sogar Wirtschaftsvertreter:innen einen besser gesteuerten Zugang zum Arbeitsmarkt fordern (3). 

Bisherige Maßnahmen haben gezeigt, dass Reformen gute Ergebnisse bringen und sich auch in den Zahlen wieder spiegeln. So hat die Reform 2019 zu einer deutlich höheren Zahl an ausgestellten Rot-Weiß-Rot und Rot-Weiß-Rot+Karten geführt.

Jahr

RWR-Karte

RWR-Karte +

Veränderung zum Vorjahr in %

2011

600

29970

 

 

2012

1500

71481

150,0

138,5

2013

1592

77916

6,1

9,0

2014

1640

84382

3,0

8,3

2015

1640

99972

0,0

18,5

2016

1873

96139

14,2

-3,8

2017

1820

96881

-2,8

0,8

2018

2264

96929

24,4

0,0

2019

5257

104827

132,2

8,1

2020

4514

102457

-14,1

-2,3

Quellen: Aufenthaltsstatistiken des BMI

Allerdings hat mit der Grünen Wirtschaft selbst die Wirtschaftsorganisation des jetzigen Regierungspartners die letzten tiefergreifenden Reformen 2019 als "Beruhigungspille für die Wirtschaft" bezeichnet - die wahren Hürden würden beim Punktesystem der Qualifikation liegen (4). Auch die damalige (und heutige) Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck nannte die bisherigen Regelungen "schlichtweg absurd" und eine digitale Zugangsplattform einen wichtigen weiteren Schritt für die Verbesserung der Rot-Weiß-Rot-Karte (5). 

Zwar hat die Pandemie in der Zwischenzeit auch im Wirtschaftsbereich andere Prioritäten notwendig gemacht, gleichzeitig hat sie aber auch gezeigt, dass die österreichische Wirtschaft ohne ausländische Arbeitskräfte Probleme hat. Dennoch hat BM Schramböck in der Zwischenzeit abseits einer erneuten Ankündigung im Februar 2020 (6) wenig gemacht, um die Umsetzung einer solchen Plattform voranzutreiben. Nun soll es bald so weit sein und die Austrian Business Agency (ABA) soll als Betriebsansiedelungsagentur dafür zuständig sein. Alleine das sorgt aber für mehr Verwirrung bei den Kompetenzen, da die ABA eigentlich ausländischen Unternehmen dabei helfen sollte, in Österreich Fuß zu fassen und nicht österreichischen Unternehmen bei der Suche nach Fachkräften im Ausland. 

Bei allen Reformen, die auch innerhalb der Abwicklung über das AMS nötig sind, würde eine derartige Änderung aber nicht eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karten (plus), sondern würde zu einer grundsätzlichen Änderung der Zuständigkeiten bei den Ministerien bedeuten und damit keine Erleichterung des Systems. Einerseits ist an diesen Plänen also die Verschiebung bei den Ministerien zu kritisieren, andererseits stellen diese Pläne auch die Funktionsweise der Rot-Weiß-Rot-Karte in Frage. Immerhin ist diese ein Instrument, um Arbeitskräften außerhalb der EU einen Weg nach Österreich zu ermöglichen. Dabei zeigen die Statistiken, dass knapp 30% der Personen mit Rot-Weiß-Rot-Karte aus Bosnien-Herzegowina und Serbien stammen und schon alleine aufgrund der geographischen Nähe und der historischen Zusammenhänge für diese Personen ohnehin ein Arbeitsanreiz in Österreich besteht. Auch die Statistiken der Rot-Weiß-Rot-Karte Plus legen ähnliche Schlüsse nahe: bei dieser hatten in den vergangenen drei Jahren rund 55 % der Inhaber:innen eine Staatsbürgerschaft der Türkei, Bosnien-Herzegowinas oder Serbien.

Unklar ist allerdings, in welchen Branchen diese Personen tätig sind und wie viele Anträge es eigentlich geben könnte. Immerhin wurde schon vor Jahren kritisiert, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte so kompliziert sei, dass das Asylsystem einen leichteren Zugang zum österreichischen Markt darstellt als die Rot-Weiß-Rot-Karte (7). In einigen Branchen ist der Arbeitskräftemangel mittlerweile so schwerwiegend, dass Erleichterungen beim Zugang zu einer Rot-Weiß-Rot-Karte bzw. den Nostrifizierungsverfahren speziell für diese Branchen eingeführt werden (8) - obwohl es gleichzeitig Abschiebungen von Lehrkräften in diesen Branchen gibt (9,10). In Hinblick auf all diese Überschneidungen von verschiedenen Zugangssystemen und Zuständigkeiten stellen sich einige Fragen bezüglich der Ausgestaltung der Rot-Weiß-Rot-Karte.

 

  1. https://www.derstandard.at/story/2000131557679/start-up-investor-hansmann-rot-weiss-rot-karte-war-ein
  2. https://brutkasten.com/neue-arbeitswelten-interview-kocher-mei-pochtler/
  3. https://volksblatt.at/wirtschaftskammer-fordert-breiteren-zugang-zum-arbeitsmarkt/
  4. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190329_OTS0177/gruene-wirtschaft-reform-der-rot-weiss-rot-karte-ist-beruhigungspille-fuer-die-wirtschaft
  5. https://brutkasten.com/reform-rot-weiss-rot-karte-neuerungen/
  6. https://www.bmdw.gv.at/Presse/Archiv/2020/Februar-2020/Rot-Wei%C3%9F-Rot-Karte-.html#:~:text=26.%20Februar%202020%20Schramb%C3%B6ck%3A%20Rot,besteht%20ein%20Mangel%20an%20Fachkr%C3%A4ften.
  7. https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:787f95bd-8c43-4e04-8ce2-61cef0c792a1/integrationsbericht_2017.pdf
  8. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210418_OTS0029/hilfswerk-begruesst-erleichterungen-fuer-pflegekraefte-bei-rot-weiss-rot-card-und-fordert-verbesserungen-bei-nostrifizierung
  9. https://www.furche.at/politik/trotz-corona-krise-pfleger-droht-abschiebung-2829338
  10. https://www.noen.at/st-poelten/in-ausbildung-pflegekraft-in-st-poelten-droht-abschiebung-st-poelten-asyl-abschiebung-barak-bismillah-print-273437264 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Welche Überlegungen führten dazu, die Abwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte zukünftig bei der ABA anzusiedeln?
  2. Handelt es sich bei der nunmehr angekündigten Abwicklung über die ABA um die bereits 2020 angekündigte Plattform für Antragsteller?
  3. Welche konkreten Abwicklungsschritte der Rot-Weiß-Rot-Karte soll die ABA in Zukunft von Aufenthaltsbehörden bzw. dem Arbeitsmarktservice übernehmen?
  4. Welche konkreten Abwicklungsschritte der Rot-Weiß-Rot-Karte Plus soll die ABA in Zukunft von Aufenthaltsbehörden bzw. dem Arbeitsmarktservice übernehmen?
  5. Auf welcher gesetzlichen Grundlage übernimmt die ABA einzelne Verfahrensschritte in der Abwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte?
  6. Welche konkreten Aufgaben des Arbeitsministeriums sollen mit der Einrichtung eines One-Stop-Shops für die Rot-Weiß-Rot-Karte bei der ABA in den Aufgabenbereich des Wirtschaftsministeriums fallen?
  7. Nach Ausführungen von BM Schramböck im Budgetausschuss am 9.11.2021 sollen spezifisch Bürger:innen der Europäischen Union angesprochen werden. Wurde dabei berücksichtigt, dass EU-Bürger:innen ohnehin unter die Personenfreizügigkeit fallen?
    1. Falls ja: Welche konkreten Aufgaben soll die ABA in der Abwicklung des Antrages auf einen Aufenthaltstitel für Personen ohne die Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels übernehmen?
  1. In welchen Bereichen soll die ABA besondere Schwerpunkte bei der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften setzen?
    1. Wie viele Personen aus welchen Regionen sollen angesprochen werden und für welche Branchen gibt es spezifische Pläne?
    2. Wie viele Fachkräfte (Zielwert) sollen nach Österreich vermittelt werden?

                                          i.    aus EU-Mitgliedstaaten?

                                        ii.    aus Drittstaaten?

    1. Falls ja: Wie sehen diese für die nächsten fünf Jahre aus und wie verteilen diese sich auf die unterschiedlichen Branchen? (Bitte um Aufschlüsselung der Zielwerte für ÖNACE-Codes)
  1. Wirkungsziele:
    1. Warum wurde trotz gestiegener Mittel für die ABA eine geringere Zahl an Betriebsansiedlungsprojekten (Kennzahl 40.2.1) und Beschäftigten (Kennzahl 40.2.2) in den Wirkungszielen im Budget 2022 festgelegt?
    2. Warum wurde trotz gestiegener Mittel für die ABA (mit Fokus auf mehr Mittel für das Programm "Work in Austria") eine deutlich geringere Zahl an Fachkraftkontakten (Kennzahl 40.2.3), als im Krisenjahr 2020 erreicht, in den Wirkungszielen im Budget 2022 festgelegt? 
    3. Inwiefern kann festgestellt werden, wie viele der Fachkraftkontakte nach der Kennzahl 40.2.3 tatsächlich dann in Österreich beschäftigt werden?