8891/J XXVII. GP

Eingelangt am 03.12.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Familienzusammenführung aus Afghanistan

 

Das Recht auf Familie ist menschenrechtlich in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt. Daraus ergibt sich zwar nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK kein uneingeschränktes Recht auf Familiennachzug; eine pauschale Ablehnung ist jedoch unzulässig. Ob ein solches Recht besteht, ist abhängig von der jeweiligen Fallkonstellation und in jedem Einzelfall zu prüfen. Von besonderer Relevanz ist dabei nach dem "elsewhere approach", ob die Familie zumutbar im Herkunftsland gemeinsam leben könnte. Im Fall international Schutzberechtigter ist dies in der Regel auf unabsehbare Zeit aufgrund der Verfolgungssituation, drohender schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen oder eines jahrelang andauernden Bürgerkriegs im Herkunftsland ausgeschlossen.

Sind Kinder betroffen, ist das Kindeswohl im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Kinderrechtskonvention (KRK) von zentraler Bedeutung und muss bei staatlichen Entscheidungen über den Familiennachzug vorrangig berücksichtigt werden. Anträge von Kindern oder ihren Eltern auf Familienzusammenführung sind gemäß Art. 10 KRK außerdem beschleunigt zu bearbeiten.

Seit 15. August 2021 haben die radikal-islamistischen Taliban nach einer 20-jährigen Besetzung durch internationale Truppen in Afghanistan wieder die Macht übernommen. Seither verschlimmert sich die Lage im Land täglich. Flugzeuge können mangels Erlaubnis nicht mehr in Afghanistan landen und der Militärflughafen in Kabul, von wo aus noch Evakuierungen durchgeführt werden können, wird nun von Bombenangriffen durch den IS für fliehende Zivilist_innen unerreichbar. Menschen, die in Österreich aufenthaltsberechtigt sind, sowie österreichische Staatsangehörige sitzen weiterhin in Kabul fest und warten vergebens auf eine Evakuierung. Ebenso warten Angehörige von in Österreich anerkannten Schutzberechtigten auf die Bearbeitung ihres Antrages auf Familienzusammenführung, die Ausstellung ihrer Visa und die Möglichkeit einer Ausreise aus Afghanistan. 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. In Österreich gibt es eine große Community afghanischer Staatsangehöriger, viele davon sind asylberechtigt oder subsidiär schutzberechtigt. Unter gewissen Voraussetzungen sind deren enge Familienangehörige berechtigt, einen Einreisetitel gem. §§34, 35 AsylG zu erlangen. Wie laufen diese Verfahren afghanischer Staatsbürger_innen ab, zumal es keine österreichische Vertretungsbehörde in Afghanistan gibt (um genaue Ausführungen wird ersucht)?
  2. Inwiefern hat sich dieses Verfahren nach der Machtübernahme der Taliban verändert (bitte um vergleichende Beschreibung des aktuellen Verfahrens)?
  3. Welche Maßnahmen zur Erleichterung der Bearbeitung der Anträge sowie der tatsächlichen Ausreise haben Sie seit der Machtübernahme der Taliban getroffen?
    1. wann jeweils welche Maßnahme im Sinne einer Beschleunigung des Verfahrens?

                                          i.    Wie wird die aktuelle Reiseunmöglichkeit von Zivilist_innen bei der Terminvergabe berücksichtigt?

                                        ii.    Müssen die Betroffenen weiterhin zweimal persönlich bei der österreichischen Vertretung vorsprechen (einmal zur Überprüfung des Vorliegens aller notwendigen Dokumente, ein zweites Mal zur Abholung des Titels)?

1.    Wenn ja, weshalb wurden die Termine nicht zusammengelegt?

                                       iii.    Welche digitalen Lösungen werden zur Beschleunigung des Verfahrens verwendet?

    1. wann jeweils welche Maßnahme im Sinne einer Erleichterung hinsichtlich der Dokumentenbeschaffung?

                                          i.    Wird auf eine Neuausstellung von Dokumenten wie Heiratsurkunde, Pass/Tazkira aktuell verzichtet?

1.    Wenn ja, seit wann?

2.    Wenn nein, inwiefern ist eine Neuausstellung von Dokumenten Ihren Informationen nach weiterhin möglich?

a.    Wann wurden Sie von wem darüber informiert?

b.    Wie häufig holen Sie aktuelle Informationen über die Lage ein?

  1. Welche Wartefrist für einen Termin für einen Antrag auf Einreisegenehmigung besteht bei der Botschaft in Islamabad?
  2. Wie viele Personen sind bei der Botschaft in Islamabad mit der Bearbeitung dieser Anträge beschäftigt (bitte um Angabe seit Beginn des Jahres pro Monat in Vollzeitäquivalenten)?
    1. Wurden diese Ressourcen in den letzten 12 Monaten aufgestockt?
    2. Wie viel Zeit wird für die Bearbeitung eines Antrags berechnet?
  1. Gibt es die Möglichkeit für afghanische Staatsangehörige, bei der Botschaft in Teheran einen derartigen Antrag zu stellen?
    1. Wenn ja, seit wann?
    2. Wenn ja, wie viele Personalressourcen stehen dafür zur Verfügung?
    3. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wie viele Familienangehörige von in Österreich lebenden Schutzberechtigten, deren Verfahren aktuell noch anhängig sind und die sich noch nicht in Österreich befinden, haben jeweils wann bei welcher österreichischen Vertretung ihren Antrag auf Familienzusammenführung gestellt (bitte um Auflistung nach Art des Schutzes (Asyl, subsidiärer Schutz), Monat und Jahr der Antragstellung)?
    1. Wie viele waren zum Zeitpunkt der Antrages minderjährig?
    2. Wie viele sind zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung minderjährig?
    3. Wie viele Personen, deren Einreisegenehmigung bewilligt war, konnten aufgrund des Umsturzes nicht nach Österreich einreisen?
    4. Bekommen diese Personen eine weitere Einreisegenehmigung?
  1. Der EGMR hat mit Urteil zu 6697/18 M.A. gegen Dänemark festgestellt, dass die dreijährige Wartefrist bei Familienzusammenführungsverfahren für subsidiär Schutzberechtigte gegen Art. 8 EMRK verstößt.
    1. Ist Ihnen dieses Urteil bekannt?
    2. Die österreichische Regelung sieht ebenso wie die dänische eine dreijährige Wartefrist vor. Welche Schlussfolgerungen zieht der Minister aus dem Urteil des EGMR für die österreichische Regelung?
    3. Ist die dänische Regelung vergleichbar mit der österreichischen?

                                          i.    Wenn ja, ist eine gesetzliche Änderung geplant? Für wann und mit welchem Inhalt?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Es gibt Fälle, in denen Eheleute von in Österreich lebenden afghanischen StaatsbürgerInnen durch Beibehalten jeglicher Antragsvoraussetzungen der Weg nach Österreich verunmöglicht und sie in Lebensgefahr gehalten werden. So wurde laut unseren Informationen Frau Rahele M., die Frau eines in Österreich lebenden afghanischen Staatsbürgers mit der Karte "Daueraufenthalt - EU", die im Iran lebt, von der österreichischen Botschaft in Islamabad für die neuerliche Beglaubigung eines ihrer Deutschzertifikate aufgefordert, sich in das Innenministerium nach Kabul zu begeben, da die letzte Beglaubigung bereits ein Jahr alt war und damit ihre Gültigkeit verloren hatte. Um der Aufforderung Folge zu leisten, reiste sie nach Kabul, wo einen Tag später die Taliban die Macht übernommen haben. Am 27.9.2021 hatte sie einen neuen Termin bei der Botschaft in Islamabad, den sie nicht wahrnehmen konnte, da sie sich in Kabul vor den Taliban versteckt hielt. Nach einem zweiten Termin befindet sie sich nun in Islamabad und wartet, ob die Familienzusammenführung genehmigt wird, trotz fehlender Beglaubigung, deren Besorgung unmöglich ist. Wird vonseiten der österreichischen Behörden die Unmöglichkeit, der Verpflichtung unter einem Taliban-Regime nachzukommen, die für das Verfahren der Familienzusammenführung erforderlichen Dokumente, Bestätigungen bzw. Beglaubigungen durch afghanische Behörden beizuschaffen, wahrgenommen und entsprechend reagiert?
    1. Wenn ja, inwiefern?
    2. Wurde Frau Rahele M. bereits Familienzusammenführung genehmigt?

                                          i.    Wenn ja, wann? Wo befindet sie sich aktuell?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht? 

    1. Wenn nein, aus welchen Gründen wird weiterhin von AntragstellerInnen gefordert, sich auf eine gefährliche Reise für die Beglaubigung ihrer Dokumente oder sonstige Amtswege in Afghanistan zu begeben?