Eingelangt am 03.12.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dr.
Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für
europäische und internationale Angelegenheiten
betreffend Familienzusammenführung
aus Afghanistan
Das Recht auf Familie ist menschenrechtlich in
Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt.
Daraus ergibt sich zwar nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK kein
uneingeschränktes Recht auf Familiennachzug; eine pauschale Ablehnung ist
jedoch unzulässig. Ob ein solches Recht besteht, ist abhängig von der
jeweiligen Fallkonstellation und in jedem Einzelfall zu prüfen. Von
besonderer Relevanz ist dabei nach dem "elsewhere approach", ob die
Familie zumutbar im Herkunftsland gemeinsam leben könnte. Im Fall
international Schutzberechtigter ist dies in der Regel auf unabsehbare Zeit
aufgrund der Verfolgungssituation, drohender schwerwiegender
Menschenrechtsverletzungen oder eines jahrelang andauernden Bürgerkriegs
im Herkunftsland ausgeschlossen.
Sind Kinder betroffen, ist das Kindeswohl im
Sinne von Art. 3 Abs. 1 Kinderrechtskonvention (KRK) von zentraler Bedeutung
und muss bei staatlichen Entscheidungen über den Familiennachzug vorrangig
berücksichtigt werden. Anträge von Kindern oder ihren Eltern auf
Familienzusammenführung sind gemäß Art. 10 KRK außerdem
beschleunigt zu bearbeiten.
Seit 15. August 2021 haben die
radikal-islamistischen Taliban nach einer 20-jährigen Besetzung durch
internationale Truppen in Afghanistan wieder die Macht übernommen. Seither
verschlimmert sich die Lage im Land täglich. Flugzeuge können mangels
Erlaubnis nicht mehr in Afghanistan landen und der Militärflughafen in
Kabul, von wo aus noch Evakuierungen durchgeführt werden können, wird
nun von Bombenangriffen durch den IS für fliehende Zivilist_innen
unerreichbar. Menschen, die in Österreich aufenthaltsberechtigt sind,
sowie österreichische Staatsangehörige sitzen weiterhin in Kabul fest
und warten vergebens auf eine Evakuierung. Ebenso warten Angehörige von in
Österreich anerkannten Schutzberechtigten auf die Bearbeitung ihres
Antrages auf Familienzusammenführung, die Ausstellung ihrer Visa und die
Möglichkeit einer Ausreise aus Afghanistan.
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- In Österreich gibt
es eine große Community afghanischer Staatsangehöriger, viele
davon sind asylberechtigt oder subsidiär schutzberechtigt. Unter
gewissen Voraussetzungen sind deren enge Familienangehörige
berechtigt, einen Einreisetitel gem. §§34, 35 AsylG zu erlangen.
Wie laufen diese Verfahren afghanischer Staatsbürger_innen ab, zumal
es keine österreichische Vertretungsbehörde in Afghanistan gibt
(um genaue Ausführungen wird ersucht)?
- Inwiefern hat sich
dieses Verfahren nach der Machtübernahme der Taliban
verändert (bitte um vergleichende Beschreibung des aktuellen
Verfahrens)?
- Welche Maßnahmen
zur Erleichterung der Bearbeitung der Anträge sowie der
tatsächlichen Ausreise haben Sie seit der Machtübernahme der
Taliban getroffen?
- wann
jeweils welche Maßnahme im Sinne einer Beschleunigung des Verfahrens?
i. Wie wird die aktuelle Reiseunmöglichkeit von
Zivilist_innen bei der Terminvergabe berücksichtigt?
ii. Müssen die Betroffenen weiterhin zweimal
persönlich bei der österreichischen Vertretung vorsprechen (einmal
zur Überprüfung des Vorliegens aller notwendigen Dokumente, ein
zweites Mal zur Abholung des Titels)?
1. Wenn ja, weshalb wurden die Termine nicht
zusammengelegt?
iii. Welche digitalen Lösungen werden zur
Beschleunigung des Verfahrens verwendet?
- wann
jeweils welche Maßnahme im Sinne einer Erleichterung
hinsichtlich der Dokumentenbeschaffung?
i. Wird auf eine Neuausstellung von Dokumenten wie
Heiratsurkunde, Pass/Tazkira aktuell verzichtet?
1. Wenn ja, seit wann?
2. Wenn nein, inwiefern ist eine Neuausstellung von
Dokumenten Ihren Informationen nach weiterhin möglich?
a. Wann wurden Sie von wem darüber informiert?
b. Wie häufig holen Sie aktuelle Informationen
über die Lage ein?
- Welche Wartefrist
für einen Termin für einen Antrag auf Einreisegenehmigung
besteht bei der Botschaft in Islamabad?
- Wie viele Personen sind
bei der Botschaft in Islamabad mit der Bearbeitung dieser Anträge
beschäftigt (bitte um Angabe seit Beginn des Jahres pro Monat in
Vollzeitäquivalenten)?
- Wurden diese Ressourcen
in den letzten 12 Monaten aufgestockt?
- Wie viel Zeit wird
für die Bearbeitung eines Antrags berechnet?
- Gibt es die
Möglichkeit für afghanische Staatsangehörige, bei der
Botschaft in Teheran einen derartigen Antrag zu stellen?
- Wenn ja, seit wann?
- Wenn ja, wie viele
Personalressourcen stehen dafür zur Verfügung?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wie viele
Familienangehörige von in Österreich lebenden
Schutzberechtigten, deren Verfahren aktuell noch anhängig sind und
die sich noch nicht in Österreich befinden, haben jeweils wann bei
welcher österreichischen Vertretung ihren Antrag auf Familienzusammenführung
gestellt (bitte um Auflistung nach Art des Schutzes (Asyl,
subsidiärer Schutz), Monat und Jahr der Antragstellung)?
- Wie viele waren zum
Zeitpunkt der Antrages minderjährig?
- Wie viele sind zum
Zeitpunkt der Anfragebeantwortung minderjährig?
- Wie viele Personen,
deren Einreisegenehmigung bewilligt war, konnten aufgrund des Umsturzes
nicht nach Österreich einreisen?
- Bekommen diese Personen
eine weitere Einreisegenehmigung?
- Der EGMR hat mit Urteil
zu 6697/18 M.A. gegen Dänemark festgestellt, dass die dreijährige
Wartefrist bei Familienzusammenführungsverfahren für
subsidiär Schutzberechtigte gegen Art. 8 EMRK verstößt.
- Ist Ihnen dieses Urteil
bekannt?
- Die
österreichische Regelung sieht ebenso wie die dänische eine
dreijährige Wartefrist vor. Welche Schlussfolgerungen zieht der
Minister aus dem Urteil des EGMR für die österreichische
Regelung?
- Ist die dänische
Regelung vergleichbar mit der österreichischen?
i. Wenn ja, ist eine gesetzliche Änderung
geplant? Für wann und mit welchem Inhalt?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Es gibt Fälle, in denen Eheleute von in Österreich lebenden afghanischen
StaatsbürgerInnen durch Beibehalten jeglicher Antragsvoraussetzungen
der Weg nach Österreich verunmöglicht und sie in Lebensgefahr
gehalten werden. So wurde laut unseren Informationen Frau Rahele M.,
die Frau eines in Österreich lebenden afghanischen Staatsbürgers
mit der Karte "Daueraufenthalt - EU", die im Iran lebt, von der
österreichischen Botschaft in Islamabad für die neuerliche
Beglaubigung eines ihrer Deutschzertifikate aufgefordert, sich in das
Innenministerium nach Kabul zu begeben, da die letzte Beglaubigung bereits
ein Jahr alt war und damit ihre Gültigkeit verloren hatte. Um der
Aufforderung Folge zu leisten, reiste sie nach Kabul, wo einen Tag
später die Taliban die Macht übernommen haben. Am 27.9.2021
hatte sie einen neuen Termin bei der Botschaft in Islamabad, den sie nicht
wahrnehmen konnte, da sie sich in Kabul vor den Taliban versteckt hielt.
Nach einem zweiten Termin befindet sie sich nun in Islamabad und wartet,
ob die Familienzusammenführung genehmigt wird, trotz fehlender
Beglaubigung, deren Besorgung unmöglich ist. Wird vonseiten der
österreichischen Behörden die Unmöglichkeit, der
Verpflichtung unter einem Taliban-Regime nachzukommen, die für das
Verfahren der Familienzusammenführung
erforderlichen Dokumente, Bestätigungen bzw. Beglaubigungen
durch afghanische Behörden beizuschaffen, wahrgenommen und
entsprechend reagiert?
- Wenn ja, inwiefern?
- Wurde Frau Rahele M.
bereits Familienzusammenführung genehmigt?
i. Wenn ja, wann? Wo befindet sie sich aktuell?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, aus welchen
Gründen wird weiterhin von AntragstellerInnen gefordert, sich auf
eine gefährliche Reise für die Beglaubigung ihrer Dokumente
oder sonstige Amtswege in Afghanistan zu begeben?