8893/J XXVII. GP

Eingelangt am 06.12.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Julia Herr,
Genossinnen und Genossen

 

an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort

 

betreffend Österreichs Position in den ECT-Verhandlungen

 

Der Energiecharta-Vertrag steht im völligen Widerspruch zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Da durch den Vertrag Investitionen von Konzernen in den Energiesektor geschützt sind, müssen Staaten mit ambitionierter Klimaschutzpolitik stets Klagen von Konzernen fürchten, die durch Klimaschutz ihre Profite gefährdet sehen. Beispielsweise klagte der Energiekonzern RWE die Niederlande, nachdem diese den Kohleausstieg bis 2030 beschlossen hat. Solche Klagen führen zu Verfahrenskosten in Millionenhöhe und können mit teuren Schadenersatzzahlungen und führen in der Praxis oft auch zur Rücknahme von Klimaschutzgesetzen. Manche Regierungen schrecken daher bereits im Vorhinein vor ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen zurück., wie das Beispiel des Konzerns Vermilion zeigt: Als der damalige französische Umweltminister Nicolas Hulot 2017 ein starkes Klimagesetz einführen wollte, drohte Vermilion Frankreich auf Basis des Energiecharta-Vertrags mit Klagen. Schlussendlich wurde das Gesetz stark verwässert.[1] Angesichts der immer stärker werdenden Klimakrise ist der Energiecharta-Vertrag daher eine Bedrohung für unsere Zukunft auf diesem Planeten!

 

Deshalb wird eine Modernisierung des Energiecharta-Vertrags angestrebt. Für die Verhandlungsrunde vergangenen März legte die Europäische Kommission einen Vorschlag vor, der ein Ende für den Investitionsschutz im Bereich der fossilen Energie vorsieht. Bereits erfolgte Investitionen wären dem Vorschlag zufolge aber weiterhin 10 Jahre lang geschützt, manche Investitionen in bestimmte Gas-Infrastruktur sogar 20 Jahre! Außerdem sieht der Vorschlag im Gegenzug eine Ausdehnung des Investitionsschutzes auf andere Bereiche wie Wasserstoff und Biomasse vor. Angesichts der grundsätzlichen demokratiepolitischen Probleme des Investitionsschutzes ein fragwürdiges Vorhaben. Denn über die Schiedsgerichte (ISDS = Investor-state dispute settlement) können ausschließlich Konzerne Staaten unter Umgehung der ordentlichen Gerichte verklagen und so ihre Profite über demokratische Entscheidungen stellen.

 

Auch das ECT Sekretariat legte einen Vorschlag zur Reform vor, der beteiligten Staaten die Flexibilität geben würde, unilateral Energieträger aus dem Bereich des Investitionsschutzes zu exkludieren.

 

Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise und der immanenten Widersprüche des Energiecharta-Vertrags zu jeglichen Klimaschutzmaßnahmen kommt für die AnfragestellerInnen nur ein rascher Ausstieg in Frage. Entsprechend ist die Position der österreichischen Bundesregierung für die laufenden Verhandlungen von besonderem Interesse.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE

 

1.       Was ist der aktuelle Stand der Verhandlungen zur Modernisierung des Energiecharta-Vertrags?

a.       Inwieweit wurde auf den Vorschlag der Europäischen Kommission zum Verhandlungspunkt „definition of the economic activity in the energy sector“ in den Verhandlungen eingegangen?

b.       Wurden im Zuge der Verhandlungen Punkte aus dem Vorschlag der Europäischen Kommission zum Nachteil des Klimaschutzes verändert?

c.       Wenn ja, welche?

d.       Inwieweit wurde auf den Vorschlag des ECT Sekretariats eingegangen?

e.       Wer ist seitens Österreich an den Verhandlungen beteiligt?

f.        Wer ist seitens Österreich im Austausch mit der Europäischen Kommission bez. der Verhandlungen?

 

2.       Wäre nach aktuellem Stand bei einer Modernisierung des Energiecharta-Vertrags eine Ratifizierung durch das Österreichische Parlament notwendig?

3.       Wie würde ein System funktionieren, in dem nur manche Mitgliedsstaaten des ECT eine Modernisierung übernehmen und andere nicht?

a.       Ist das überhaupt möglich?

b.       Wenn nein, zeichnet sich bei den aktuellen Verhandlungen Einstimmigkeit unter den Vertragsstaaten ab?

c.       Wenn ebenso nein, wie kann dann eine Modernisierung erzielt werden?

d.       Wenn eine solche Modernisierung zum aktuellen Verhandlungsstand unwahrscheinlich ist, bereitet sich Österreich auf einen Ausstieg vor?

 

4.       Wenn Frage 3.a bejaht wurde: Wie kann verhindert werden, dass Konzerne aus Staaten, die die Modernisierung nicht übernommen haben, Staaten, die dies getan haben, auf Basis des alten ECT-Vertrags verklagen?

 

5.       Was ist die Position Österreichs in Bezug auf den Vorschlag der Europäischen Kommission zum Verhandlungspunkt „definition of the economic activity in the energy sector“?

a.       Ist der Vorschlag der Europäischen Kommission den Investitionsschutz für neue Investitionen in fossile Energieträger auslaufen zu lassen ausreichend?

                                                              i.      Wenn ja, warum?

                                                            ii.      Wenn nein, warum nicht?

b.       Ist der Vorschlag der Europäischen Kommission den Investitionsschutz für bereits bestehende Investitionen in fossile Energieträger noch 10 weitere Jahre laufen zu lassen ausreichend?

                                                              i.      Wenn ja, wie ist dies mit dem EU-Ziel der Emissionsreduktion um 55 Prozent bis 2030 vereinbar?

                                                            ii.      Wenn ja, wie sind damit die Pariser Klimaziele einzuhalten?

                                                          iii.      Wenn nein, was fordert die Bundesregierung?

                                                           iv.      Wenn nein, wird die Bundesregierung einem modernisierten Energiecharta-Vertrag, der diesen Punkt inkludiert, zustimmen?

                                                             v.      Wird die Bundesregierung einem modernisierten Energiecharta-Vertrag zustimmen, der sogar noch hinter diesen Punkt zurückfällt?

c.       Ist der Vorschlag der Europäischen Kommission den Investitionsschutz für bereits bestehende Investitionen in spezielle Gas-Infrastruktur sogar noch 20 Jahre laufen zu lassen ausreichend?

                                                              i.      Wenn ja, wie ist dies mit dem EU-Ziel der Emissionsreduktion um 55 Prozent bis 2030 vereinbar?

                                                            ii.      Wenn ja, wie sind damit die Pariser Klimaziele einzuhalten?

                                                          iii.      Wenn nein, was fordert die Bundesregierung?

                                                           iv.      Wenn nein, wird die Bundesregierung einem modernisierten Energiecharta-Vertrag, der diesen Punkt inkludiert, zustimmen?

                                                             v.      Wird die Bundesregierung einem modernisierten Energiecharta-Vertrag zustimmen, der sogar noch hinter diesen Punkt zurückfällt?

d.       Befürwortet Österreich die Ausdehnung des Investitionsschutzes auf neue Bereiche wie Wasserstoff und Biomasse?

                                                              i.      Wenn ja, warum?

e.       Wird Österreich einer Modernisierung des Energiecharta-Vertrags auf Basis des Vorschlages der Europäischen Kommission zustimmen?

                                                              i.      Wenn ja, warum?

f.        Wenn der Vorschlag der Europäischen Kommission in einem der oben abgefragten Punkte nicht ausreicht, bereitet sich Österreich auf einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag vor?

g.       Wenn am Ende der Verhandlungen der modernisierte Energiecharta-Vertrag hinter die Vorschläge der Europäischen Kommission zurückfällt, wird Österreich seine Zustimmung verweigern?

                                                              i.      Wo sehen Sie rote Linien, bei denen in den Verhandlungen keineswegs hinter die Vorschläge der Europäischen Kommission zurückgefallen werden darf?

                                                            ii.      Wird Österreich den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag vorbereiten, wenn diese roten Linien überschritten werden?

 

6.       Was ist die Position Österreichs in Bezug auf den Vorschlag des ECT Sekretariats?

a.       Ist der Vorschlag des ECT Sekretariats für unilaterale Flexibilität beim Investitionsschutz ausreichend?

                                                              i.      Wenn ja, wie ist dies mit dem EU-Ziel der Emissionsreduktion um 55 Prozent bis 2030 vereinbar?

                                                            ii.      Wenn ja, wie sind damit die Pariser Klimaziele einzuhalten?

                                                          iii.      Wenn nein, was fordert die Bundesregierung?

                                                           iv.      Wenn nein, wird die Bundesregierung einem modernisierten Energiecharta-Vertrag, der diesen Punkt inkludiert, zustimmen?

                                                             v.      Wird die Bundesregierung einem modernisierten Energiecharta-Vertrag zustimmen, der sogar noch hinter diesen Punkt zurückfällt?

b.       Wird Österreich einer Modernisierung auf Basis des Vorschlages des ECT Sekretariats zustimmen?

c.       Wie können Probleme wie in den Fragen 3 und 4 thematisiert verhindert werden?

d.       Wenn der Vorschlag des ECT Sekretariats nicht ausreicht, bereitet sich Österreich auf einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag vor?

e.       Wenn am Ende der Verhandlungen der modernisierte Energiecharta-Vertrag hinter die Vorschläge des ECT Sekretariats zurückfällt, wird Österreich seine Zustimmung verweigern?

                                                              i.      Wo sehen Sie rote Linien, bei denen in den Verhandlungen keineswegs hinter den Vorschlag des ECT Sekretariats zurückgefallen werden darf?

                                                            ii.      Wird Österreich den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag vorbereiten, wenn diese roten Linien überschritten werden?

 

7.       Ist Ihnen die von der Arbeiterkammer beauftragte und von RA Dr. Florian Stangl, LL.M. durchgeführte Studie zum Energiecharta-Vertrag bekannt, wonach der Energiecharta-Vertrag für Österreich keine nennenswerten Vorteile bringt und ein Ausstieg keine Nachteile?

a.       Wenn ja, stimmen Sie dem Ergebnis der Studie zu?

b.       Wenn ja, hat die Studie Einfluss auf Österreichs Position und wenn ja, inwiefern?

c.       Wenn nein, werden Sie dies nachholen?

 

8.       Was ist für Sie das Minimum einer Energiecharta-Vertragsreform, um dieser eine Zustimmung zu geben?

a.       Bez. Investitionsschutz für bestehende Investitionen in fossile Energie?

b.       Bez. Investitionsschutz für künftige Investitionen in fossile Energie?

c.       Bez. Investitionsschutz für neue Bereiche wie Wasserstoff und Biomasse?

d.       Bez. ISDS und der Möglichkeit für Konzerne Staaten zu verklagen?

 

9.       Was sind für Sie Verhandlungsergebnisse, die eine Zustimmung seitens Österreich unmöglich machen?

a.       Bez. Investitionsschutz für bestehende Investitionen in fossile Energie?

b.       Bez. Investitionsschutz für künftige Investitionen in fossile Energie?

c.       Bez. Investitionsschutz für neue Bereiche wie Wasserstoff und Biomasse?

d.       Bez. ISDS und der Möglichkeit für Konzerne Staaten zu verklagen?

 

10.   Nach aktuellem Verhandlungsstand: Wie lange werden die Verhandlungen dauern?

 

11.   Wie lange wird eine vollständige Ratifizierung und Implementierung eines modernisierten Energiecharta-Vertrags dauern?

 

12.   Können Sie die EU-interne Deadline bestätigen, laut der bis Sommer 2022 eine Einigung mit anderen ECT-Staaten erreicht werden soll?

a.       Wenn nein, wie lange wollen Sie auf eine Einigung warten?

 

13.   Wenn bis Sommer 2022 keine Einigung mit anderen ECT-Staaten erzielt wird, wird Österreich den Ausstieg inkl. Ende der Sunset Clause anstreben?

a.       Wenn nein, wie lange wollen Sie auf eine Einigung warten?

 

14.   Wenn eine der obigen Fragen bez. Vorbereitungen auf einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag mit Ja beantwortet wurde, wie läuft diese Vorbereitung ab?

a.       Wer ist dafür zuständig?

 

15.   Angesichts dessen, dass noch völlig offen ist, ob Verhandlungen zu einem positiven Abschluss kommen: Bereitet sich Österreich auf einen Ausstieg vor?

a.       Wenn ja, wie laufen diese Vorbereitungen ab?

b.       Wenn ja, wer ist dafür zuständig?

c.       Wenn nein, warum nicht?

 

16.   Italien hat vor wenigen Jahren den Ausstieg vollzogen. Haben Sie oder eine MitarbeiterIn Ihres Ministeriums Kontakt zu Verantwortlichen in Italien aufgenommen, um über den Ausstieg Italiens zu sprechen?

a.       Wenn ja, was wurde bez. der Vorbereitungen Italiens auf den Ausstieg besprochen?

b.       Wenn ja, was wurde bez. des Ausstiegs selbst besprochen?

c.       Wenn ja, was wurde bez. der Folgen für Italien nach dem Ausstieg besprochen?

d.       Wenn ja, mit wem wurde gesprochen?

e.       Wenn ja, wer hat mit Italien gesprochen?

f.        Wenn ja, wenn Treffen stattfanden, wie viele?

g.       Wenn nein, warum nicht?

 

17.   Wie wirkt sich das Komstroy-Urteil, welches die Achmea-Entscheidung von 2018 zu Bilateral Investment Treaties auch auf den Energiecharta-Vertrag ausweitet und somit alle ECT-Verfahren zwischen einem EU-Mitgliedsstaaten und einem Investor aus einem anderen EU-Mitgliedstaat für unionsrechtswidrig erklärt, auf die laufenden Verhandlungen aus?

 

18.   Das Gutachten C 1/17 zum CETA-Freihandelsabkommen eröffnet die Frage, ob nicht auch Schiedsverfahren im Verhältnis zu Drittstaaten gegen Unionsrecht verstoßen. Zur Klärung dieser Frage im Zusammenhang mit dem Energiecharta-Vertrag kann ein weiteres Gutachten beitragen, für welches Belgien einen Antrag an den EuGH einbrachte (Avis 1/20).[2] Entscheidungen des EuGH werden für 2022 erwartet. Wie werden diese Entscheidungen in den Verhandlungen berücksichtigt werden?

a.       Wird es dadurch zu Verzögerungen bei den Verhandlungen geben?



[1] https://10isdsstories.org/cases/case5/

[2] https://diplomatie.belgium.be/en/newsroom/news/2020/belgium_requests_opinion_intra_european_application_arbitration_provisions