8990/J XXVII. GP
Eingelangt am 16.12.2021
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Anfrage
des Abgeordneten Mario Lindner, Petra Bayr, Genossinnen und Genossen,
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Ermittlungsversagen nach Hassangriff auf schwules Paar
Am 15. Dezember 2021 berichtete die Tageszeitung „Der Standard“ über einen besonders schlimmen Fall von LGBTIQ-feindlicher Gewalt.[1] Im Jahr 2018 wurde ein schwules Paar in einem Wiener Hotel angegriffen und schwer verletzt. Bei den Tätern handelte es sich laut Zeugenaussagen um drei ukrainische Staatsbürger, darunter ein Parlamentsabgeordneter. Die Berichte über die Einstellung des Verfahrens gegen diese Person weckt den schweren Verdacht von Ermittlungsversagen:
„Die Eheleute waren erheblich verletzt und riefen die Polizei, die die Sache aufnahm und die Verletzungen dokumentierte. Eine Hotelangestellte, die den Vorfall miterlebt hat, bestätigte die Angaben des Ehepaares. Mit den Tätern, die im selben Hotel wohnten, nahmen die Polizeibeamten keinen Kontakt auf. Sie stellten weder die Gästeblätter der Täter sicher noch die vom Hotel angefertigten Ausweiskopien. Obwohl die Hotelangestellte mitteilte, dass eine Videoaufnahme existiert, haben die Polizeibeamten diese nicht sichergestellt oder angeschaut, sondern lediglich angekündigt, dass sie die Aufnahme per E-Mail vom Hotel anfordern würden. (…) In der Folge forderte die Polizei vom Hotel die Videoaufnahme der Tat an. Nach Übermittlung durch das Hotel hat sie den Datenträger jedoch nicht sofort, sondern erst nach geraumer Zeit gesichtet, um dann festzustellen, dass er leer war. Zu diesem Zeitpunkt war dann die Videoaufnahme im Hotel bereits gelöscht. In ihrem Abschlussbericht vom Oktober 2018 gibt die Polizei an, dass "über die Hotelverwaltung" nur einer der drei Täter, ein ukrainischer Parlamentsabgeordneter (Block Petro Poroschenko), ausgeforscht werden hätte können. Die Identität der beiden Mittäter war angeblich nicht klärbar. Warum, blieb unbeantwortet. (…) Zum tätlichen Angriff wiederum hat die Staatsanwaltschaft alle Ermittlungsschritte zur Ausforschung der beiden unbekannten Mittäter nur auf hartnäckiges Betreiben der Opfer gesetzt. So beispielsweise die Beischaffung der Ausweiskopien der Hotelgäste der betreffenden Nacht. Da war es allerdings bereits Ende November 2019 und das Hotel teilte mit, dass es die Ausweiskopien der Hotelgäste vom August 2018 bereits vernichtet habe.“[2]
Gerade angesichts des Ansteigens von LGBTIQ-feindlicher Gewalt, der in Österreich in den letzten Jahren zu beobachten ist, zeigen diese Berichte inakzeptable Ermittlungsfehler. Der Vorwurf, dass entweder angesichts der politischen Funktion eines der mutmaßlichen Täter, und/oder aufgrund des Tatgrundes – der sexuellen Orientierung der Opfer – bewusst auf rasche und umfassende Ermittlungsschritte verzichtet wurde, liegt nahe.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Ist Ihrem Ministerium der gegenständliche Fall bekannt?
2. Deckt sich das Vorgehen der Polizei in diesem Fall mit der Schilderung im zitierten Artikel des „Der Standard“?
a. Wenn ja: Genügt das den Vorgaben des Innenministeriums?
b. Sind aus Ihrer Sicht ermittlungstechnische Pannen passiert?
c. Wenn nein: Inwiefern wurde anders vorgegangen?
3. Wie beurteilen Sie aus Sicht der gerichtlichen Verfolgung das Vorgehen der Polizei in diesem Fall?
a. Haben mögliche Fehler in den polizeilichen Ermittlungen die gerichtliche Verfolgung dieses Falles erschwert? Wenn ja, wie?
4. Warum brauchte es das „hartnäckige Betreiben der Opfer“, damit die Staatsanwaltschaft in den Ermittlungen bez. des tätlichen Angriffs erst im November 2019 und damit nach deren Löschung die Beschaffung der Ausweiskopien des Hotels anordnete? Entspricht dieses Vorgehen den Ermittlungsstandards der österreichischen Justiz?
5. Entspricht nach Rechtsmeinung Ihres Ministeriums die Ablehnung einer Auswertung des Gästeverzeichnisses des besagten Hotels den Rechtsstandards – vor allem dahingehend, dass gem § 10(2) Meldegesetz solche Verzeichnisses insbesondere für polizeiliche Ermittlungen zu führen sind? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.
6. Erst durch eine erneuten Antrag der Opfer veranlasste die Staatsanwaltschaft in diesem Fall die Einvernahme einer „Hotelangestellten, die dem Ehepaar am Morgen nach der Tat mitgeteilt hatte, dass die Namen der Täter bekannt sind“. Entspricht dieses Vorgehen den Ermittlungsstandards der österreichischen Justiz?
7. Nach der Einvernahme des Parlamentsabgeordneten durch die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft sofort eingestellt (StA Wien 10 St 304/19y), ohne die Einvernahme des zweiten Beschuldigten abzuwarten. Entspricht dieses Vorgehen den Ermittlungsstandards der österreichischen Justiz?
8. Nach Übermittlung der Videoaufnahmen des Hotels an die Polizei wurde der „Datenträger jedoch nicht sofort, sondern erst nach geraumer Zeit gesichtet, um dann festzustellen, dass er leer war. Zu diesem Zeitpunkt war dann die Videoaufnahme im Hotel bereits gelöscht.“ Wurde der Datenträger durch die Staatsanwaltschaft analysiert, um festzustellen, wann und von wem möglicherweise darauf befindliche Videodateien gelöscht wurden?
a. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
b. Wenn nein, warum nicht?
c. Wenn nein, gäbe es dazu zum jetzigen Zeitpunkt noch die Möglichkeit und werden Sie diese veranlassen?
9. Gab es bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in diesem Fall Kontakt mit ukrainischen Behörden oder der ukrainischen Botschaft?
a. Wenn ja, welcher Art waren diese Kontakte?
10. Welche Standards gibt es innerhalb der Staatsanwaltschaft für Fälle, in denen beispielsweise ausländische Politiker*innen als Verdächtige in Ermittlungsverfahren geführt werden?
11. Gab es gegen die, an den Ermittlungen in diesem Fall beteiligten Mitarbeiter*innen der Staatsanwaltschaft dienstrechtliche oder andersgeartete interne Ermittlungen?
12. Warum wurde gegen die mutmaßlichen Täter keine internationale Fahndung ausgeschrieben?
13. Welche Maßnahmen setzen Sie generell, um Verständnis und Bewusstsein für LGBTIQ-feindliche Hassverbrechen in der Staatsanwaltschaft zu stärken? Bitte um detaillierte Auflistung der Maßnahmen.
a. Gibt es hier eine*n Ansprechpartner*in, der für Sensibilisierung und Unterstützung bei der Behandlung derart gelagerter Fälle den Kolleg*innen zur Verfügung steht und diese berät?
14. Welche Richtlinien oder Standards gibt es innerhalb der Staatsanwaltschaft für den Umgang mit Einsätzen wegen LGBTIQ-feindlichen Hassverbrechen? Bitte um detaillierte Antwort.
a. Gibt es hier eine*n Ansprechpartner*in, der für Sensibilisierung und interne Maßnahmen auch für die Kolleg*innen zur Verfügung steht und diese berät?