9099/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.12.2021
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Polizeieinsatz beim Bundesquartier für minderjährige Flüchtlinge in Steinhaus am Semmering

 

Minderjährige brauchen besonderen Schutz. Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, ist das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen. In Österreich stehen die Rechte von Kindern im Verfassungsrang. Es gilt gemäß Art. 1 BVG Kinderrechte und Art. 3 Abs. 1 der Kinderrechtskonvention das Vorrangigkeitsprinzip in allen Belangen. Auch im gesamten Asylverfahren ist das Kindeswohl daher vorrangig zu berücksichtigen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMFs) stellen - auf Grund der Tatsache, dass sie ohne Eltern oder zuständiger Begleitperson in Österreich sind - eine besonders vulnerable Gruppe dar, auf die im Asylverfahren deshalb ausdrücklich Rücksicht zu nehmen ist.  

Jedes Kind hat Anspruch auf den "Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen" (Art 1 BVG Kinderrechte). Jedes Kind, das aus seinem familiären Umfeld herausgelöst ist, hat außerdem Anspruch auf "besonderen Schutz und Beistand des Staates" (Art 2 Abs 2 leg cit). Laut der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) müssen UMF in für "Minderjährige geeigneten Unterkünften" untergebracht werden (Art 24 Abs. 2). Weiters sieht die EU-Aufnahmerichtlinie vor, dass das Betreuungspersonal "im Hinblick auf die Bedürfnisse von Minderjährigen adäquat ausgebildet sein und sich angemessen fortbilden" muss (Art 24 Abs 4).

Für die Unterbringung und Betreuung der UMF sind im Zulassungsverfahren - vorgesehen als vorübergehende Unterkunft  - die Bundesbetreuungsstellen zuständig. Die Betreuung für Kinder und Jugendliche in den Bundesbetreuungsstellen weist Mängel auf: Unterkünfte sind oft überfüllt und nicht kinderrechtskonform gestaltet, Verfahren sind langwierig, die Übergabe in die Länderbetreuung verzögert sich oftmals und auch Tagessätze sind zu niedrig. Für Kinder und Jugendliche bringt dies schwerwiegende Konsequenzen mit sich: ungenügende Versorgung, wenig pädagogische Aktivitäten, Isolation, Abschottung und psychische Belastung. Derzeit sind ungefähr 600 unbegleitete minderjährige Asylsuchende in Bundesbetreuungseinrichtungen (Stand 12. Oktober 2021). Die Betreuungseinrichtung in Steinhaus am Semmering ist eines der Quartiere, das 2021 "wiederbelebt" worden ist. Seitdem beklagen zahlreiche Hilfsorganisationen die kinderrechtswidrige Betreuung unbegleiteter minderjähriger Asylsuchende (siehe: https://www.derstandard.at/story/2000130369376/warum-immer-mehr-junge-asylwerber-ohne-ausreichend-unterstuetzung-bleiben).  

Am 14. Dezember 2021 soll eine Protest-Wanderung vom NGO-Verbund #Fairlassen vor dem Bundesquartier für minderjährige Geflüchtete in Steinhaus am Semmering stattgefunden haben. Diese Initiative hatte zum Ziel, gegen die schlechte Betreuung und Isolation von Minderjährigen im Asylverfahren zu protestieren. An diesem Tag soll ebenfalls eine interreligiöse Feier mit Übergabe von Geschenken an die Kinder und Jugendlichen vonseiten zivilgesellschaftlicher Akteure geplant gewesen sein. Diese konnte laut Angaben des NGO-Verbunds nicht stattfinden, da Besucher_innen von Polizeieinheiten aufgehalten wurden und die Zufahrt zur Flüchtlingseinrichtung gesperrt wurde. Den anwesenden Personen aus der Zivilgesellschaft wurde vonseiten des BBU-Personals erklärt, dass die UMFs kein Interesse an einem Treffen hätten. Das Aufgebot an Polizeiautos und Beamt_innen soll groß gewesen sein. Eine derartige Eskalation ist bedauerlich und die Entwicklung der Ereignisse daher zu hinterfragen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Zu welchem Zeitpunkt und von wem hat das Bundesministerium für Inneres von dieser Protestwanderung erfahren?
  2. Welche Maßnahmen wurden in der Folge wann durch wen angeordnet? 
  3. Wer hat daher insb. diesen Polizeieinsatz angeordnet?
  4. Wer hat wann diesen Polizeieinsatz geplant?
  5. Inwiefern war die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen BBU GmbH, die die Unterbringungseinrichtung leitet, in den Einsatz involviert? Gab es eine Kommunikation zwischen Polizei und BBU GmbH und wenn ja, mit welchen Personen?
  6. Wie viele Kräfte welcher Einheit waren im Einsatz bzw. welche Mittel wurden für diesen Einsatz zur Verfügung gestellt?
  7. Wie viele Betreuungspersonen der BBU GmbH waren zum Zeitpunkt des Einsatzes vor Ort anwesend?
  8. Warum wurde den NGO-Vertreter_innen der Kontakt zu den untergebrachten Jugendlichen verwehrt und aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage geschah dies?
  9. Wurden die in der Unterkunft anwesenden Jugendlichen über den Besuch, und dass ihnen Geschenke übergeben werden sollten, informiert?
    1. Wenn ja, von wem?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wurden die in der Unterkunft anwesenden Jugendlichen gefragt, ob sie Interesse an einem Treffen mit den NGO-Vertreter_innen und den Vertreter_innen der Glaubensgemeinschaften (unter Einhaltung sämtlicher Covid -Maßnahmen) interessiert seien?
    1. Wenn ja, wie viele wurden gefragt und wie viele hatten Interesse an einem Treffen?

                                          i.    Wurde denjenigen, die Interesse hatten dennoch der Kontakt untersagt?

1.    Wenn ja, warum?

2.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden im Rahmen des Einsatzes getroffen?
    1. Wurde die Zufahrt zum Bundesquartier für minderjährige Geflüchtete in Steinhaus am Semmering gesperrt?

                                          i.    Wenn ja, warum?

    1. Wurden Vertreter_innen der Zivilgesellschaft angehalten?

                                          i.    Wenn ja, warum?

  1. Wurde der Einsatz im Nachhinein evaluiert bzw. diskutiert?
    1. Wenn ja, zwischen wem wann mit welchem Ergebnis?
  1. Gab es während des Einsatzes Kontakt zwischen der Polizei und den in der Bundesbetreuungsstelle untergebrachten Jugendlichen?
    1. Wenn ja, welche Informationen sind Ihnen diesbezüglich bekannt?
    2. Wenn ja, haben Jugendliche bezüglich des Besuchs der zivilgesellschaftlichen Akteure Wünsche geäußert?

                                          i.    Wenn ja, welche?

  1. Gibt es vonseiten der Polizei eine Stellungnahme zu diesem Einsatz?
  2. Ergingen Beschwerden gegen (eine) von der Polizei gesetzte(n) Maßnahme(n)?
    1. Wenn ja, wann durch wen?
  1. Wie viele unbegleitete minderjährige Asylsuchende befinden sich zum Zeitpunkt der Anfrage in der Bundesbetreuungseinrichtung in Steinhaus am Semmering? Bitte um Aufschlüsselung nach Geschlecht, Herkunftsland, Alter und Stand des Verfahrens (zugelassen/nicht zugelassen zum Verfahren). 
  2. Wie viele unbegleitete minderjährige Asylsuchende befinden sich zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung in der Bundesbetreuungseinrichtung in Steinhaus am Semmering? Bitte um Aufschlüsselung nach Geschlecht, Herkunftsland, Alter und Stand des Verfahrens (zugelassen/nicht zugelassen zum Verfahren). 
  3. Wie viel Betreuungspersonal mit welcher fachlichen Qualifikation wurde zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung zur ausschließlichen Betreuung der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden eingesetzt? Bitte um Aufschlüsselung nach Vollzeitäquivalenten, Anzahl der physischen Personen und Angabe der Qualifikation.
  4. Wie viele Betreuungsplätze stehen in Steinhaus am Semmering für unbegleitete minderjährige Asylsuchende insgesamt zur Verfügung? 
  5. Wie viele Betreuungsplätze stehen zum Zeitpunkt der Anfrage für UMF in Bundesbetreuungseinrichtungen insgesamt zur Verfügung? Bitte um Aufschlüsselung nach Ort der Einrichtung, Kapazitäten, Zeitpunkt des Beginn des Betriebs.
  6. Wie viele Betreuungsplätze stehen zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung für UMF in Bundesbetreuungseinrichtungen insgesamt zur Verfügung?
  7. Gibt es darüber hinaus noch verfügbare Kapazitäten für die Unterbringung für UMF im Bereich der Bundesbetreuung?
  8. Welche konkreten Maßnahmen wurden seit Wiederöffnung der Betreuungseinrichtung Steinhaus am Semmering getroffen, um die kinderrechtskonforme Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sicherzustellen?
  9. Welche konkreten Maßnahmen wurden seit Wiederöffnung der Betreuungseinrichtung Steinhaus am Semmering getroffen, um Isolation und Abschottung der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden zu vermeiden?
  10. Wurde vom BMI bzw. von der BBU GmbH von der Möglichkeit des § 2 Abs 2 BBU-Errichtungsgesetz bereits Gebrauch gemacht?

a.    Wenn nein, ist dies geplant?

b.    Wenn ja, mit welchen Organisationen wurde hier Kontakt aufgenommen?

c.    Wenn ja, was sind die außergewöhnlichen Umstände, die dies erforderlich machen?

d.    Betrifft dies auch die Unterbringung von UMF?

e.    Wie viele Personen haben sich zu den Stichtagen der Anfrage und Anfragebeantwortung in den Vorjahren (2018, 2019, 2020, 2021) insgesamt in der Grundversorgung befunden? Bitte um Aufschlüsselung nach Status der Grundversorgten (Asylberechtigt, subsidiär schutzberechtigt, Asylwerber, illegalisiert, Bundesland der Landesgrundversorgung, Quotenerfüllung, Unterbringung in Bundesbetreuungseinrichtung, UMF).

  1. Wie oft wurde den in Steinhaus am Semmering untergebrachten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen seit Wiederöffnung der Betreuungseinrichtung bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung Besuch gestattet? 
    1. Wenn keine Besuche erlaubt wurden, aus welchen Gründen? 
  1. Gibt es von Seite der BBU GmbH im Bereich der Grundversorgung eine Kommunikation bzw. Austausch mit Nichtregierungsorganisationen?
  2. Welche Maßnahmen wurden von Seite des BMI und der BBU GmbH gesetzt um ehrenamtliche Tätigkeiten, die von der Zivilgesellschaft in Orten, in denen eine Bundesbetreuungseinrichtung angesiedelt ist, angeboten werden, zu koordinieren und zu ermöglichen? Welche Maßnahmen und Austausch mit NGOs sind zukünftig geplant?