9230/J XXVII. GP
Eingelangt am 05.01.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS
Genossinnen und Genossen,
an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort
betreffend globale Impfsolidarität stärken - globale Ungleichverteilung der Impfstoffe stoppen
Während die Impfkampagnen innerhalb der Europäischen Union endlich an Fahrt aufgenommen haben und ca. 70% der europäischen Bevölkerung bereits geimpft ist, sind im Globalen Süden lediglich rund 4% der Bevölkerung geimpft. Länder mit den niedrigsten ökonomischen Kennzahlen weisen ein 20 Mal geringeres Impftempo auf als reiche Regionen. Insbesondere vor dem Auftreten immer neuer Virusvarianten - aktuell Omikron - eine besondere Gefahr.
Um eine erhöhte Impfstoffproduktion für die und in Ländern des Globalen Südens und kontrollierte Verkaufspreise von COVID-19 Medikamenten, Impfstoffen, Diagnostika und anderen Technologien, einschließlich Masken und Beatmungsgeräten zu erreichen, ging bereits im Oktober 2020 von Südafrika und Indien ein offizieller Antrag für eine Ausnahmegenehmigung des TRIPS-Abkommen, das Patente und geistiges Eigentum regelt, bei der WTO ein (vgl. Keine Patente in Pandemiezeiten - Die wichtigsten Fragen und Antworten | Ärzte ohne Grenzen - MSF (aerzte-ohne-grenzen.at) Stand: 12.02.2021).
Sie forderten damit frühzeitig einen Verzicht auf einige Bestimmungen des TRIPS-Abkommens zur Prävention, Eindämmung und Behandlung von COVID-19. Wenn die Ausnahmegenehmigung erteilt werden würde, könnten in den Ländern, die Mitglieder der WTO sind, für die Dauer der Pandemie Patente und andere geistige Eigentumsrechte im Zusammenhang mit den genannten Produkten ausgesetzt werden. Damit würden vor allem auch untereinander die Rechtssicherheit für entsprechende Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung erhöht und in der WTO auf Klagemöglichkeiten im Falle von Patentstreitigkeiten verzichtet werden (vgl. https://www.southcentre.int/wp- content/uploads/2021/04/PB-92.pdf).
Zwar bietet das Welthandelsrecht im Rahmen der Welthandelsorganisation schon jetzt sogenannte TRIPS-Flexibilitäten, welche z.B. Zwangslizenzen und damit die Möglichkeit, einen baugleichen Wirkstoff ohne Patentzahlung herzustellen, möglich machen würde. Diese sind jedoch nicht ausreichend und für viele Länder gibt es Hürden, sie schnell und effektiv umsetzen zu können (vgl. Keine Patente in Pandemiezeiten - Die wichtigsten Fragen und Antworten I Ärzte ohne Grenzen - MSF (aerzte-ohne-grenzen.at) Stand: 12.02.2021).
Auch US Präsident Biden hat sich für eine zeitlich befristete Aussetzung des Patentschutzes für Corona- Impfstoffe ausgesprochen. In der EU signalisierte man Gesprächsbereitschaft. Vordem Sozialgipfel in Porto hat die spanische Regierung in einem Papier offen dafür geworben, sich in der WTO Bidens Vorstoß anzuschließen.
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi äußerten sich offen gegenüber der Initiative, räumten aber ein, dass diese kurzfristig keine Lösung sei (vgl. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eu-will-patentschutz-fuer-impfstoff-nicht-aussetzen-17333283.html; Stand 17.05.2021). Aus den Niederlanden kommen Signale, einen TRIPS-Waiver zu unterstützen und auch das Europäische Parlament hat in einer WTO Resolution dafür gestimmt den TRIPS-Waiver zu unterstützen. Die Unterstützer*innen dieses Vorschlages nehmen weltweit und auch in Europa immer weiter zu. Auch die immer neu auftretenden Mutationen tragen dazu bei, dass es langsam aber sicher zu einem Umdenken kommt. Bislang war die Position der EU Kommission diesbezüglich leider eine ablehnende.
Das Aussetzen der Patente ist nicht die einzige Möglichkeit, eine gerechtere globale Impfstoffverteilung voranzubringen. Zusätzlich bleiben eigens zur Pandemiebekämpfung geschaffene Plattformen zum Technologietransfer ungenutzt (wie etwa der C-TAP im Rahmen WHO) und es behindern diverse Exportbeschränkungen die Produktion der Impfstoffe und deren gerechte Verteilung. Pandemiebedingte Ausnahmeregelungen in den Bereichen COVID-19 relevanter Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe müssen daher begleitet werden von anderen Maßnahmen wie etwa mehr Geld für die Covax-Initiative, ein Ende der Exportbeschränkungen, krisensichere Lieferketten, eine erhöhte Produktionskapazität, erschwingliche Preise für Vakzine sowie tatsächlicher Technologietransfers, damit Länder mit bestehender gut entwickelter pharmazeutischer Industrie in der Lage sind, Medikamente und Impfstoffe zur Bekämpfung der Pandemie selbst herstellen zu können, ohne Patentrechte abzugelten. Sicher ist jedenfalls, dass es mehr als an der Zeit ist, die Pandemie global zu bekämpfen - und das ist nur mit einer weitaus schnelleren und gerechteren globalen Verteilung von Impfstoffen möglich.
Die Pharmaindustrie des Globalen Norden hat in kürzester Zeit Großartiges bei der Erforschung, Entwicklung und Produktion effektiver Corona Impfstoffe geleistet. Dies gelang weltweit nur mit der Unterstützung durch öffentliche Gelder in Milliardenhöhe. Auch deshalb sollten diese Behandlungsmethoden und Schutzimpfungen als global public goods gesehen werden, auf die alle Menschen ein Anrecht haben, ohne dass Profitinteressen einzelner Shareholder über die Zugänglichkeit und Verteilung den Ausschlag geben.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Wie ist die Position des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend für die Dauer der Covid~19 Pandemie begrenzten Aussetzung von Patenten für Corona bedingte Medikamente, Impfstoffe, Medizinprodukte etc.?
2. Wie ist die Position des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffen Ausnahmegenehmigung des TRIPS Abkommens, wie von Indien und Südafrika bei der WTO beantragt?
3. Entspricht diese Position der offiziellen und akkordierten Position der gesamten österreichischen Bundesregierung insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesundheitsminister einen TRIPS Waiver sehr wohl begrüßen würde?
4. Welche Position hat die österreichische Bundesregierung bzw. haben Sie bislang in europäischen und internationalen Gremien betreffend zeitweise Patentfreigabe vertreten?
5. In welchen europäischen bzw. internationalen Gremien wurde diese Frage im Beisein einer/s österreichischen Vertreter*in diskutiert?
6. In welchen EU-Ministerräten wurde diese Frage erläutert und die EU-Position in der WTO festgelegt? (mit der Bitte um Aufzählung der Räte mit Datum)
a. Haben Sie an diesen Sitzungen teilgenommen und welche Position haben Sie bzw. Ihre Vertretung dort vertreten?
7. Wie oft wurde diese Frage bereits im Handelsministerrat unter den Mitgliedstaaten diskutiert?
8. Aus welchen Gründen ist die Position der EU Kommission betreffend Ausnahmegenehmigung des TRIPS Abkommens eine ablehnende?
9. Wie wird diese Position begründet und durch welche Argumente ist - insbesondere vor der immer wieder kehrenden Betonung der internationalen Solidarität der Staats- und Regierungschef*innen am Europäischen Rat und in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates - diese Position gedeckt?
10. In ihrem Aufritt am 19.12.2021 in der ZIB 2 sprechen Sie sich für den EU-Antrag für Zwangslizenzen aus. Aus welchem Grund unterstützen Sie inhaltlich diesen Vorschlag der EU und nicht den bereits vorliegenden Antrag zur Aussetzung des TRIPS Waivers?
11. Handelt es sich dabei schon um eine akkordierte EU-Position?
a. Wenn ja wann und in welchem Gremium ist sie mit welcher Mehrheit entstanden?
b. Falls nein, wann erfolgt die Positionierung dazu?
12. Eine langwierige und komplizierte Zwangslizenzierung wäre in den meisten Ländern ein Präzedenzfall. Es ist daher davon auszugehen, dass rechtliche Details fehlen und die Klärung dieser viel Zeit in Anspruch nehmen könnte - Zeit die wir angesichts der immer neuen Virusmutationen nicht haben.
a. Aus welchem Grund präferieren Sie trotzdem diese Variante?
b. Wie lange könnte die von Ihnen in der ZIB 2 ins Spiel gebrachte Zwangslizensierung dauern bzw. ab wann könnte damit in Produktionsstätten in mit Impfstoff und Coronamedikamenten unterversorgten Ländern produziert werden?
c. Für die Herstellung eines COVID-19 Impfstoffes benötigt man mehrere Patente. Ist dem Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort bekannt um wie viele Patente es sich pro Impfstoff und Produktion des Impfstoffes pro Hersteller handelt?
- Wenn ja um wie viele?
- Wenn nein, weshalb nicht?
d. Nachdem es mehrere Patente und mehrere Produzenten gibt, müssten in mehreren Ländern gleichzeitig Zwangslizenzen beantragt und durchgesetzt werden.
Wie schätzen Sie bzw. Ihr Ressort den zu leistenden Zeit- und Koordinationsaufwand ein?
13. Zwangslizenz bedeutet nicht entschädigungsloses Verfügen über die geistigen Eigentumsrechte. Es ist daher davon auszugehen, dass hohe Lizenzgebühren die Produkte erheblich verteuern würden.
a. Welche Kosten entstehen durch solch angedachte Zwangslizenzen?
b, Was bedeutet dies für die Entwicklung des Preises der Produkte?
14. Im TRIPS-Abkommen sind bereits sogenannte „TRIPS-Flexibilitäten" vorgesehen, welche die Vergabe von Zwangslizenzen für Patente schon jetzt ermöglichen. Um die Covid- Arzneimittelproduktion rasch auszubauen, müssen zusätzlich zu Patenten aber viele weitere geistige Eigentumsrechte ausgesetzt werden - darunter Geschäftsgeheimnisse, industrielle Designs, Forschungsergebnisse oder Urheberrechte. Der EU-Vorschlag berührt all diese Bereiche nicht.
Aus welchem Grund sprechen Sie sich trotzdem für den EU-Vorschlag aus?
15. In Ihrem ZIB 2 Interview am 19.12.2021 betonen Sie mehrmals, dass die Zwangslizensierungen eine Freigabe der Patente auf eine bestimmte Zeit bedeuten würde. Ist Ihnen bekannt, dass dies auch bei einer Freigabe der Patente bzw. dem gestellten Antrag auf Aussetzung des TRIPS Waivers der Fall wäre?
16. Sie leiten Ihr Statement in der ZIB 2 unter anderem damit ein, dass die Hersteller*innen und Entwickler*innen, die viel geleistet haben, nicht im Regen stehen gelassen werden dürfen. Kommt es im Falle einer zeitlich befristeten Aufhebung der Patente zu einer Entschädigung eben dieser Hersteller*innen und Entwickler*innen?
17. Ist Ihnen bekannt, wieviel Gewinn die teils von Ihnen titulierten „mittelständischen Unternehmen" mit Corona Impfstoffen bisher erwirtschaftet haben?
18. Angesichts der Dauer, der Komplexität, der Kosten und der rechtlichen Unsicherheiten: warum präferieren Sie Zwangslizenzen?