9276/J XXVII. GP
Eingelangt am 14.01.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten
betreffend 800 Tage Regierungsprogramm -100 Tage Bundesregierung Nehammer: Entwicklungszusammenarbeit
„Chancen nutzen heißt Verantwortung übernehmen “ stellte die Bundesregierung klar, als sie im Zuge ihrer Angelobung am 7. Jänner 2020 das Regierungsprogramm 2020-2024 präsentierte. Bereits vor Ausbruch der Pandemie wurde darin festgehalten, dass es „auch und gerade in politisch, wirtschaftlich und global unsicheren Zeiten" nötig ist, neue Wege zu gehen. Unterschiedliche Reform Vorhaben stehen in diesem Übereinkommen, das trotz zahlreicher Neubesetzungen seither die Arbeitsgrundlage der österreichischen Bundesregierung bildet. Über diese innenpolitisch turbulente Zeit hindurch wurde von unterschiedlichen Kanzlern und Bundesministerjnnen stets die Wichtigkeit der Abarbeitung des Regierungsprogrammes betont. Bei seiner Antrittsrede versprach der am 6. Dezember 2021 angelobte Bundeskanzler Nehammer, rasch in die Arbeit einzusteigen und sich nicht vom Virus davon abhalten zu lassen, die Arbeit für die Menschen in diesem Land fortzusetzen. Knapp 800 Tage nach Präsentation des Regierungsprogramms 2020 - 2024 und 100 Tage nach Antritt der Regierung Nehammer stellt sich die Frage, was aus all diesen Versprechen geworden ist.
Diese Jubiläumsanfrage bietet Gelegenheit, im Rahmen einer Zwischenbilanz ausführlich festzustellen, welche Vorhaben erledigt wurden und wann die verbliebenen Projekte umgesetzt werden sollen. Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen sollte das im Programm formulierte Ziel der Stärkung der Position Österreichs in Europa und in der Welt rasch durch mutige Reformen umgesetzt werden.
In der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit wird derzeit ein neues Dreijahresprogramm fertiggestellt. Es ist anzunehmen, dass die Vorgaben des Regierungsprogramms in diesem Dreijahresprogramm abgebildet sein werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Die österreichische Bundesregierung bekennt sich seit langer Zeit zu einer schrittweisen Annäherung der EZA an die internationale geforderte Summe von 0,7% des BIP. In der Realität steigen und sinken die Beiträge je nach Tagespolitik oder Zufallsereignissen (Stichwort Sudan Entschuldung), teilweise ohne direkten Einfluss auf eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung oder Armutsbekämpfung (Stichwort Sudan Entschuldung). Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung gesetzt, um die schrittweise Anhebung in Richtung 0,7% zur Realität werden zu lassen? Bitte um die konkreten Schritte sowie die konkreten Anhebungen pro Jahr zwischen 2022 und dem Jahr, in dem 0,7% erreicht sein werden.
a. Welche neue Initiativen wurden seit der Angelobung der Regierung Nehammer zu diesem Thema bereits implementiert oder ins Auge gefasst?
2. Das Regierungsprogramm spricht von substantieller Erhöhung der Hilfe vor Ort und u.a. von "Flüchtlingslagern vor Ort". Nach welchen Kriterien (der österreichischen Bundesregierung oder internationaler Entwicklungsorganisationen) ist die Erhaltung von Flüchtlingslagern als Entwicklungszusammenarbeit zu betrachten?
3. Zum Thema Dreijahresprogramm ist im Regierungsprogramm u.a. zu lesen:
a. "Bei der Mittelvergabe muss das Primat der Zusammenarbeit vor Ort und das Prinzip der gezielten Hilfe gelten." Trotz mehrerer Aufforderungen und Kritik hat die Bundesregierung eine Neuevaluierung der Projekte in Äthiopien, wo seit vielen Monaten ein brutaler Bürgerkrieg herrscht, verweigert. Die USA haben hingegen im Jänner 2022 festgestellt, dass internationale Hilfe nicht alle Landesteile und nicht die Bedürftigen erreicht. Wie ist das Primat der Zusammenarbeit vor Ort und der gezielten Hilfe mit Projekten in unzugänglichen Kriegsgebieten vereinbar?
b. Das Regierungsprogramm spricht auch von "Unterstützung der Zivilgesellschaft vor Ort und staatlicher Programme zur Demokratisierung, Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Armutsbekämpfung und Kampf gegen Korruption." Wie werden diese Ziele in einem Bürgerkriegsland verfolgt?
i. Gibt es eine Neuausrichtung der Äthiopien-Hilfspolitik unter der Regierung Nehammer?
c. Zum Thema "Verstärkte Fokussierung auf das Thema Migration, etwa durch Prüfung der Verwendung zusätzlicher und freiwerdender österreichischer EZA-Mittel in Herkunfts- und Transitländern von Migrantinnen und Migranten nach Österreich."
i. Um welche freiwerdenden Mittel handelt es sich? Sind EZA Mittel nicht langfristig programmatisch verplant?
ii. Das Regierungsprogramm definiert Österreichs EZA-Ziele als Armutsbekämpfung, Verbot der Kinderarbeit, Einhaltung gewisser Standards im Arbeitsrecht, Klimaschutz, Unterstützung der Zivilgesellschaft vor Ort und staatlicher Programme zur Demokratisierung, Förderung der Rechtsstaatlichkeit, und Kampf gegen Korruption. Keines dieser Ziele wird auf den ersten Blick mit Umschichtung von Mitteln in Länder mit Migrationsbewegungen erreicht. Ebenso führt die Erreichung der obengenannten Ziele nicht automatisch zu einer Verringerung der Migrationsbewegungen. Daher stellt sich die Frage, stellt nach Sicht der österreichischen Bundesregierung Verhinderung von Migration per se Entwicklungshilfe dar? Wie unterstützt Verhinderung von Migrationsbewegungen die im Regierungsprogramm genannten, hier zitierten Ziele der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit?
4. Das Regierungsprogramm sieht eine stärkere Verknüpfung von EZA-Mitteln an den Fortschritt bei der Erreichung von gemeinsamen Zielen vor. Im vergangenen Jahr wurden Anträge zur Evaluierung ebendieser Verknüpfung nicht angenommen. Wie will die neue Regierung Nehammer diese Verknüpfung sicherstellen, vor allem in Staaten wie Äthiopien (Bürgerkrieg) oder Uganda (massive Unterdrückung der Opposition mit international verurteilten Menschenrechtsverletzungen)?
5. Welche Maßnahmen wurden in den 800 Tagen seit Verlautbarung des Regierungsprogramms gesetzt, um eine verstärkte Mitarbeit des Privatsektors zur Erreichung der Ziele der österreichischen EZA zu erwirken? Bitte um numerische Maßstäbe, wie Gesamtvolumen der Bankgarantien, Anzahl der österreichischen Firmen in EZA Projekten etc.
a. Welche neuen Maßnahmen wurden seit der Angelobung der Regierung Nehammer gesetzt oder begonnen?
6. Österreich unterhält besondere Beziehungen mit den EZA-Fokusländern Albanien, Kosovo, Moldau, Burkina Faso, Äthiopien, Uganda, Mosambik, Bhutan (auslaufend) und der Palästinensischen Authority. ln mehreren dieser Schwerpunktländer gibt es keine Botschaft. Gibt es Bestrebungen, in Schwerpunktländern Vertretungen zu eröffnen?
a. Wenn ja, in welchen?
b. Wenn nein, weshalb nicht?
7. Das Regierungsprogramm avisiert eine österreichische Initiative in der EU für einen EU-Zukunftspakt mit Afrika. Welche konkreten Maßnahmen wurden in dieser Hinsicht in den letzten 800 Tagen bzw. den 100 Tagen seit Amtsübernahme der Regierung Nehammer gesetzt?
8. Das Regierungsprogramm sieht die Unterstützung eines Fonds zur Erhaltung des Regenwalds vor. Welche konkreten Maßnahmen wurden zu diesem Thema gesetzt?
a. Welche neuen Maßnahmen wurden seit der Angelobung der Regierung Nehammer gesetzt oder begonnen?