9278/J XXVII. GP

Eingelangt am 14.01.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend BMEIA_800 Tage Regierungsprogramm - 100 Tage Bundesregierung Nehammer: Außenpolitik

 

Chancen nutzen heißt Verantwortung übernehmen“ stellte die Bundesregierung klar, als sie im Zuge ihrer Angelobung am 7. Jänner 2020 das Regierungsprogramm 2020-2024 präsentierte. Bereits vor Ausbruch der Pandemie wurde darin festgehalten, dass es „auch und gerade in politisch, wirtschaftlich und global unsicheren Zeiten“ nötig ist, neue Wege zu gehen. Unterschiedliche Reformvorhaben stehen in diesem Übereinkommen, das trotz zahlreicher Neubesetzungen seither die Arbeitsgrundlage der österreichischen Bundesregierung bildet. Über diese innenpolitisch turbulente Zeit hindurch wurde von unterschiedlichen Kanzlern und Bundesminister_innen stets die Wichtigkeit der Abarbeitung des Regierungsprogrammes betont. Bei seiner Antrittsrede versprach der am 6. Dezember 2021 angelobte Bundeskanzler Nehammer, rasch in die Arbeit einzusteigen und sich nicht vom Virus davon abhalten zu lassen, die Arbeit für die Menschen in diesem Land fortzusetzen. Knapp 800 Tage nach Präsentation des Regierungsprogramms 2020 – 2024 und 100 Tage nach Antritt der Regierung Nehammer stellt sich die Frage, was aus all diesen Versprechen geworden ist. Diese Jubiläumsanfrage bietet Gelegenheit, im Rahmen einer Zwischenbilanz ausführlich festzustellen, welche Vorhaben erledigt wurden und wann die verbliebenen Projekte umgesetzt werden sollen. Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen sollte das im Programm formulierte Ziel der Stärkung der Position Österreichs in Europa und in der Welt rasch durch mutige Reformen umgesetzt werden.

Insbesondere im Fall der österreichischen Außenpolitik stellt die Amtsübergabe an die Regierung Nehammer eine mögliche Zäsur dar. Die vorhergegangene Regierung galt in Europa als Bremser. Die neue Regierung hat die Möglichkeit, sich wieder als konstruktiver Partner zu etablieren, die Österreichs rhetorisch pro-europäische Haltung auch in Taten umsetzt. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Das Regierungsprogramm sieht vor, dass sich Österreich in Brüssel für die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in außenpolitischen Fragen einsetzen wird. Ein derartiger Antrag im Hauptausschuss fand keine Zustimmung unter den Regierungsparteien. Welche konkreten Impulse hat die Bundesregierung in den letzten 800 Tagen gesetzt, um auf europäischer Ebene das Einstimmigkeitsprinzip durch ein Mehrheits- oder qualifiziertes Mehrheitsprinzip zu ersetzen?
    1. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung in den letzten 100 Tagen in der Regierung Nehammer in dieser Hinsicht gesetzt?
  1. Das Regierungsprogramm sieht vor, das österreichische Vertretungsnetz im Ausland zu stärken.
    1. Wie viele neue Vertretungen wurden in den letzten 800 Tagen eröffnet?
    2. Gibt es in der Regierung Nehammer Pläne in diese Richtung?
    3. Welche anderen Maßnahmen (neben Neueröffnung von Vertretungen) wurden in den letzten 800 Tagen gesetzt? Welche neuen Impulse wurden von der Regierung Nehammer angedacht?
    4. Österreich spricht im Regierungsprogramm von einer österreichischen Initiative in der EU für einen EU-Zukunftspakt mit Afrika. Allerdings unterhält die Republik in Afrika nur 10 Botschaften. Zum Vergleich, die Türkei, die Afrika ebenfalls zu einem Zukunftskontinent erhoben hat, hat die Anzahl ihrer Botschaften am Kontinent seit 2002 von 12 auf 43 erhöht; keine nicht-afrikanische Fluglinie fliegt so viele afrikanische Ziele an wie Turkish Airlines. Plant die Bundesregierung im Zuge ihrer Afrikafokuspolitik sowie der geplanten Stärkung des Vertretungsnetzes eine Ausweitung der Botschaften in Afrika?
  1. Österreich hat den Migrationspakt mitverhandelt und ist dann zu großem internationalen Unmut im letzten Moment ausgestiegen. Seiher gibt es mehrere europäische Initiativen, die von Österreich regelmäßig abgelehnt werden. Welche Maßnahmen plant die neue Bundesregierung, um wieder an einer konstruktiven internationalen Regelung der Migrationsproblematik teilzunehmen?
  2. Im Regierungsprogramm spricht sich die Bundesregierung für "Initiativen für eine internationale Positionierung der EU als starke Akteurin" aus. Welche derartige Initiativen wurden in den letzten 800 Tagen bzw. seit der Angelobung der Regierung Nehammer ins Leben gerufen?
  3. Im Regierungsprogramm steht dass sich Österreich für die EU-Westbalkanerweiterung einsetzen wird. Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung in dieser Hinsicht gesetzt?
    1. Welche neuen Initiativen sind in der Regierung Nehammer geplant, um die Erweiterung voranzutreiben?
  1. Im Regierungsprogramm steht ein Bekenntnis für die Unterstützung einer EU-Handelspolitik, die sich für umfassende internationale Handelsabkommen einsetzt, Mercosur in der derzeitigen Form ablehnt und sich protektionistischen Tendenzen entschlossen entgegenstellt, da eine starke Exportwirtschaft in Österreich Arbeit und Wohlstand schafft. Nur Teile der Landwirtschaft stehen Mercosur aus protektionistischen Gründen negativ gegenüber, Klimafragen sollen nachverhandelt werden. 
    1. Wird Österreich die Nachverhandlungen des Mercosur Vertrages konstruktiv unterstützen und einen klimapolitisch verbesserten Mercosur Vertrag akzeptieren?
  1. Die Bundesregierung trat im Regierungsprogramm für eine Annäherung der Ukraine an Europa ein. Welche konkreten Maßnahmen sind in dieser Hinsicht geplant bzw. bereits gesetzt?
  2. Die Bundesregierung spricht sich für harte Sanktionen gegen Russland wegen des völkerrechtswidrigen Anschlusses der Krim und der militärischen Einmischung im Donbass aus. Gleichzeitig ist die Regierung nicht gewillt, NordStream II in ein Sanktionspaket aufzunehmen. Welche Sanktionen ist die Regierung Nehammer bereit mitzutragen, welche sind für die Bundesregierung zu teuer?
  3. Die Bundesregierung tritt für das Ende der unzeitgemäßen Einstufung Chinas als Entwicklungsland auf, auch weil damit unfaire Handels- und Beihilfepraxen ermöglicht werden, die europäische und damit auch österreichische Unternehmen gegenüber chinesischen Konkurrenten schlechterstellen. Wird die neue Bundesregierung auf eine Neu-Einstufung Chinas als Bedingung für Handels- und Investitionsabkommen bestehen?
    1. Welche anderen Maßnahmen sind in der Regierung Nehammer geplant, um die Neueinstufung Chinas voranzutreiben?
  1. China wird in europäischen Analysen, aber auch in anderen liberalen Demokratien, mittlerweile nicht mehr als Partner oder Konkurrent, sondern als Systemrivale eingestuft. China nimmt in diesen Analysen eine revisionistische Haltung ein und versucht, die globale Ordnung in Chinas Sinn und zum Vorteil des dortigen Regimes zu ändern. Wie steht die Nehammer Regierung zur Frage, ob China als Systemrivale einer Containment-Politik unterliegen muss?
  2. Die deutsche Bundesregierung spricht von einer "wertebasierten Außenpolitik." Kann sich die österreichischen Regierung mit diesem Konzept identifizieren, und wird die Regierung Nehammer einen deutschen Vorstoß in diese Richtung auf europäischer Ebene unterstützen?
    1. Wird die österreichische Bundesregierung eine auf Werte (wie Menschenrechte, Völkerrecht etc.) basierende Politik auch dann unterstützen, wenn daraus Kosten für Österreich entstehen (zum Beispiel NordStream II Sanktionen)?