9425/J XXVII. GP
Eingelangt am 20.01.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. a Selma Yildirim,
Genossinnen und Genossen,
an die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt
Die Grundwerte der Europäischen Union gelten als höchstes Gut und sind in ihrer Form und Funktion unantastbar. Nur durch die Wahrung von Rechtstaatlichkeit und anderer Instrumente zur Sicherung einer funktionierenden Demokratie, kann die EU Gerechtigkeit und Gleichheit garantieren.
Diese Sicherheit wird jedoch durch Abmilderungen in Recht und Einhalt der Werte der EU gefährdet. Ein wichtiges Werkzeug für die Verteidigung und Schutz von Rechtsstaatlichkeit ist das Art. 7-Verfahren, welches dann eingesetzt werden, wenn ein Mitgliedstaat die Grundwerte der Union systematisch verletzt. Es handelt sich um das Verfahren, welches deutlich zu verstehen geben muss, dass die Grundwerte der EU nicht verhandelbar sind. Wird ein Art. 7-Verfahren jedoch nicht konsequent geführt, riskiert die EU nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern gefährdet selbst die Werte auf denen sie vertraglich basiert.
Derzeit laufen Artikel 7-Verfahren gegen Polen und Ungarn, aufgrund systematischer Angriffe auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, vor allem im Bereich Justiz, Verfassungs- und Wahlsysteme sowie eine Reihe von Menschenrechten wie Meinungs-Versammlungsfreiheit und Schutz von Minderheitenrechten. Das Europäische Parlament stuft die dargestellten „Sachverhalte und Tendenzen in ihrer Gesamtheit“ als eine systemrelevante Bedrohung ein.
2018 eröffnete das Europäische Parlament ein Artikel 7-Verfahren gegen Ungarn. Seitdem hat sich die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn keineswegs gebessert. Ungarn weitet ihre Kontrolle auf Medien und Justiz immer weiter aus. Gegen Polen laufen seit Jahren verschiedenste Verfahren wegen Missachtung europäischer Prinzipien, allen voran Aspekte der Justizreform. Am 7. Oktober 2021 erklärte der polnische Verfassungsgerichtshof bestimmte Artikel des EU-Rechts für unvereinbar mit der polnischen Verfassung, was zu Folge hat, dass sich die EU auf Säulen des polnischen Staates, wie beispielsweise unabhängige Richter*innen, nicht mehr verlassen kann. Dadurch geraten funktionierende europäische Instrumente, wie der europäische Haftbefehl und andere Mittel ins Wanken. Wird europäisches Recht von den Mitgliedstaaten nicht mehr geachtet, droht die EU als Rechtsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit nicht mehr zu funktionieren.
Bisher fanden zu Ungarn im Rat für Allgemeine Angelegenheiten drei Anhörungen, zwei 2019, eine 2021, statt. Im Falle Polens fanden bisher vier Anhörungen, drei 2018 und eine 2021 statt. Während der slowenischen Ratspräsidentschaft fand bedauerlicherweise gar keine Anhörung statt. Fortschritte auf Seiten des Rates sind nicht zu vernehmen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. Die slowenische Ratspräsidentschaft hat die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit betont. Trotzdem fand keine einzige Artikel-7 Anhörung weder zu Polen noch zu Ungarn während der slowenischen Ratspräsidentschaft statt.
a. Haben Sie sich als zuständige Bundesministerin dafür eingesetzt, dass die Artikel 7-Verfahren vorangetrieben werden?
b. Haben Sie sich dafür eingesetzt, dass es während der slowenischen Ratspräsidentschaft zu einer Anhörung im Rat Allgemeine Angelegenheiten kommt? Falls ja wie und wo und wenn nein, weshalb nicht?
2. Haben Sie sich als zuständige Bundesministerin aktiv dafür eingesetzt, dass die slowenische Ratspräsidentschaft bei den Artikel 7-Verfahren zügiger voranschreitet und diese auf die Tagesordnung einer Ratssitzung setzen lassen?
3. Am 14.12.2021 fand eine Debatte/Sachstand über die Artikel 7-Verfahren statt, jedoch keine Anhörung. Die zuständigen Abgeordneten des EU-Parlaments haben unter anderem Sie als zuständige Bundesministerin in einem Brief dazu aufgefordert, diese zu verlangen. Sind Sie diesem Ersuchen nachgekommen?
c. Wenn nein, aus welchem Grund nicht?
d. Warum haben Sie auf das Schreiben im Gegensatz zu anderen Adressat*innen bislang nicht reagiert?
4. Wurde im Zuge des Sachstand Berichtes beim Rat Allgemeine Angelegenheiten am 14.12.2021 eine weitere Vorgehensweise diskutiert bzw. ein Fahrplan betreffend weiterer Vorgehensweise präsentiert?
5. Was erwarten Sie sich konkret von der französischen Ratspräsidentschaft angesichts der zwei laufenden Art. 7-Verfahren? Vor allem angesichts der Tatsache, dass Emmanuel Macron bei dem Gipfeltreffen der Visegrad-Gruppe mit Ungarn gewissermaßen eine Art Annäherung an Viktor Orbans Flüchtlingspolitik anklingen hat lassen?
6. Rechnen Sie damit, dass es während der französischen Ratspräsidentschaft zu weiteren Anhörungen im Rat Allgemeine Angelegenheiten kommen wird bzw. werden Sie dies forcieren?
7. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verwies in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ministerpräsident Viktor Orban auf „Dialog und gegenseitigen Respekt“, wenn es um Rechtstaatlichkeitsfragen geht. Im Programm des Vorsitzes wird die Rechtsstaatlichkeit jedoch stark hervorgehoben. Ist davon auszugehen, dass die französische Präsidentschaft weitere Anhörungen forcieren wird?
8. Als weitere Sanktion im Rechtstaatsverfahren gilt der Stimmrechtsentzug im Rat der Europäischen Union. Dies braucht jedoch einen einstimmigen Beschluss im Rat. Nicht nur Ungarn und Polen, sondern auch Slowenien stehen einem solchen Beschluss entgegen. Haben Sie als zuständige Bundesministerin das Gespräch mit slowenischen Kolleg*innen gesucht bzw. werden Sie diesbezüglich das Gespräch mit französischen Kolleg*innen suchen?
a. Wenn ja, wie sind diese Gespräche bisher verlaufen?
b. Wenn nein, warum nicht?
9. Was ist Ihnen persönlich wichtig, im Artikel 7 Verfahren zu erreichen und wie setzen Sie sich (und damit Österreich) für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte in Europa ein?
10. Seit 1. Jänner 2021 ist der Konditionalitäts-Mechanismus in Kraft. Es handelt sich um eine Verordnung, welche EU-Gelder vor Missbrauch durch EU-Regierungen schützt, wenn die Prinzipien von Rechtsstaat, Demokratie und Grundrechte untergraben werden. Die Verordnung ist rechtlich bindend, im Gegensatz zu den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von 10. und 11. Dezember 2020. Sprechen Sie sich dafür aus, das Gesetz auch rückwirkend anzuwenden?
a. Falls nein, weshalb nicht?
b. Wie zeichnen sich die Mehrheitsverhältnisse im Rat in der Frage ab?
11. Welche Lehren ziehen Sie aus dem Rechtsstaatsbericht zu Österreich und welche konkreten Maßnahmen setzen Sie bzw. die gesamte Bundesregierung, um das im Rechtsstaatsbericht zu Österreich angeführte Verbesserungspotential gänzlich auszuschöpfen?