9459/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.01.2022
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Anfrage

 

des Abgeordneten Hermann Gahr,

Kolleginnen und Kollegen,

an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie

betreffend die Situation mit großen Beutegreifern in Österreich.

 

Laut aktuellen Informationen des Österreich-Zentrums Bär, Wolf, Luchs gab es im Jahr 2021 in Österreich 497 Schafsrisse verursacht von Wölfen. Alleine in Tirol fielen rund 256 Schafe Wölfen zum Opfer, zählt man Risse durch Bären dazu waren es 323 tote Nutztiere. Aufgrund der von Jahr zu Jahr steigenden Wolfsrisse nutzten mehrere Bundesländer den Rechtsrahmen der FFH-Richtlinie um Regelungen zu schaffen, die es ermöglichen, Problemwölfe entnehmen zu können.

Im Jahr 2021 mussten alleine in Tirol mehr als 2.500 Schafe vorzeitig, zum Teil bereits kurz nach Beginn der Almsaison, von den Almen abgetrieben werden bzw. mussten Tierhalter ihre Tiere verkaufen. Die Haltung der Tiere auf Weiden und Almen stellt jedoch die artgerechteste Form der Nutztierhaltung dar. Auch leiden die Tiere unter den hohen Sommertemperaturen im Tal.

Werden Almen nicht mehr bewirtschaftet, verwuchern die Almflächen und Naturgefahren wie Murenabgänge oder Lawinen nehmen stark zu. Auch sind mittel- bis langfristig extrem negative Auswirkungen auf den Schutz vor Naturgefahren, auf die Artenvielfalt und auch auf den Tourismus und die Freizeitmöglichkeiten im Gebirge zu erwarten. Auf diesen Flächen werden qualitativ hochwertige und regionale Lebensmittel produziert, die einen wichtigen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung und Lebensmittelversorgungssicherheit leisten. Dies ist eine große Bedrohung für den Siedlungsraum und ländliche Infrastruktur.

Nach Art 16 Abs 1 der FFH Richtlinie sind Ausnahmen vom strengen Artenschutz möglich, insbesondere zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie zur Verhütung ernster Schäden, insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung oder auch im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen haben mehrere Bundesländer in Anwendung der in Art. 16 Abs. 1 der FFH-Richtlinie vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten landesgesetzliche Regelungen getroffen und im Jahr 2021 Entnahmebescheide für einzelne schadenstiftende Wölfe erlassen.

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie folgende

 

Anfrage

 

1.    Mehrere Bundesländer haben zwischenzeitlich Ausnahmeregelungen im Rahmen des Art. 16 Abs. 1 FFH vorgesehen. Gibt es von Ihrem Ressort aus Bestrebungen einen Leitfaden für eine österreichweite harmonisierte Vorgangsweise zu schaffen?

a.          Wie beurteilen Sie die in den einzelnen Bundesländern geschaffenen Ausnahmeregelungen nach Art. 16 FFH-Richtlinie, insbesondere in den jeweiligen Jagd-, Almschutz- und Naturschutzgesetzen?

b.          Welche Kriterien muss ein Wolf oder Bär erfüllen, damit er unter die in der FFH vorgesehene Ausnahmebestimmung vom strengen Artenschutz fällt und entnommen werden kann?

 

2.    Gibt es in ihrem Ressort genaue Kriterien, die eine solche Entnahme gem. FFH-RL erlauben? Arbeitet ihr Ressort bereits an der genauen Definition von Ausnahmeregelungen zur Entnahme von Wölfen?

a.    Wenn ja, wann werden diese Regelungen präsentiert bzw. wurden sie präsentiert?

b.    Wenn nein, warum nicht?

c.     Wie beurteilen Sie den neuen Leitfaden der EK zu der Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie?

 

3.    Zum Begriff des günstigen Erhaltungszustandes bestehen zahlreiche Unklarheiten, weil es keine einheitliche Begriffsdefinition gibt. Die Fachmeinungen in der Literatur gehen von zwei Möglichkeiten der Betrachtung aus, jene auf Ebene der biogeografischen Region des Mitgliedsstaates und jene auf Populationsebene. Das LCIE vertritt wegen der grenzüberschreitenden räumlichen Maßstabebene die Meinung, der GEZ sei auf Populationsebene herzustellen. Der Streit um die Betrachtungsweise ist völlig offen. Welche Rechtsansicht nehmen Sie und ihr Ressort dazu ein?

 

4.    Die internationale Naturschutzunion (IUCN) geht in ihrer aktuellen Einschätzung der europäischen Population davon aus, dass diese zumindest aus mehr als 17.000 Individuen besteht, die Populationsgröße weiterhin ansteigt und daher der Wolf in Europa als nicht gefährdet einzustufen ist. Die Wölfe in Österreich sind Teil der alpinen Teilpopulation, deren Bestand bereits 2017/2018 auf 550 bis 700 Individuen geschätzt wurden. Die Zunahme der Wolfsnachweise im Alpenraum beträgt jährlich zwischen 10 und 40 %. Daher ist davon auszugehen, dass der GEZ des Wolfes in der alpinen Population hergestellt ist. Teilen Sie diese Ansicht?

 

5.    Aufgrund der beschriebenen Problematik muss ein nachhaltiges Wolfsmanagement in Europa, aber insbesondere im sensiblen Raum der Alpen, grenzüberschreitend gesehen werden. Gibt es in Ihrem Ministerium Bemühungen auf europäischer Ebene, aber insbesondere mit den Nachbarstaaten Österreich, ein nachhaltiges, grenzübergreifendes Wolfsmanagement zu erarbeiten?

6.    Wird derzeit an einem länderübergreifenden, wirkungsvollen Wolfs- und Bärenmanagementplan in Österreich gearbeitet?

a.    Wenn ja, wann soll dieses präsentiert werden?

b.    Wenn ja, wer erstellt diesen?

c.     Wenn nein, warum nicht?

 

7.    Wie gewichten Sie das Interesse am Erhalt einer über Jahrhunderte gepflogenen Almbewirtschaftung im alpinen Raum (Kulturgut der hochalpinen Schafweidehaltung) gegenüber dem Interesse an der Ansiedelung der großen Beutegreifer?

8.    Ein Bericht des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2018 über die Lage und Zukunftsperspektive der Schaf- und Ziegenhaltung (EP-Bericht Schaf- und Ziegenhaltung, in Rz 96 ff) betont, dass angesichts der deutlich gestiegenen Zahl der gerissenen Tiere Herdenschutzmaßnahmen an ihre Grenzen stoßen und spricht sich das EP dafür aus, die einschlägigen Anhänge der Habitat-Richtlinie mit dem Ziel zu überprüfen, die Ausbreitung von Raubtieren in bestimmten Weideflächen zu kontrollieren und zu steuern. Ausdrücklich wird die Einrichtung von Weideschutzgebieten gefordert, in denen eine Regulierung der großen Beutegreifer stattfinden kann, damit deren Rückkehr nicht zu Rückschritten bei der artgerechten Tierhaltung sowie bei der traditionellen Land- und Weidewirtschaft (insbesondere Sommerweiden in Hochlagen) führe.

a. Wie ist Ihre Rechtsansicht zur Ausweisung solcher Weideschutzzonen, in denen nach sachlich objektiven Kriterien (u.a. Steilheit, Unwegbarkeit, Größe, Lawinen- und Murenstriche etc.) ein Herdenschutz faktisch nicht möglich ist?

b. Unterstützen Sie die vom EU-Parlament beschlossene Forderung, dass die Ausbreitung von Raubtieren in bestimmten Weideflächen kontrolliert bzw. gesteuert (gemanagte) werden muss?

 

9.    Wie hoch sind die direkten und indirekten Schäden aufgrund dieser Wolfs- und Bärenrisse? Wie viele Entschädigungen wurden ausbezahlt in den Jahren 2018, 2019, 2020 und 2021? Bitte um Aufschlüsselung nach einzelnen Bundesländern.

 

10.  Risse von großen Beutegreifern verursachen nicht nur großen finanziellen Schaden, sondern vor allem großes Tierleid. Viele Tiere sterben nicht sofort nach einem Angriff eines großen Beutegreifers, sie leiden oft stunden- oder tagelang bis sie verenden. Wie beurteilen sie dieses Tierleid (Interessensabwägung Tierleid der Weidetiere gegenüber Ansiedlung der großen Beutegreifer)? Haben Haus- und Weidetiere weniger Schutz verdient als Raubtiere?

 

11.  Plant ihr Ressort aufgrund der steigenden Problematik mit großen Beutegreifern österreichweite Maßnahmen?

 

12.  Wie viele nachgewiesene Bären gibt es derzeit in Österreich?

 

13.  Die bestoßenen Almen sind wesentliche Voraussetzung für die Biodiversität in den Alpen. Gibt es in Ihrem Ministerium Studien darüber, wie sich das Ende der Almwirtschaft auswirkt? Welche Ausformungen der Biodiversität hängen unmittelbar mit einer funktionierenden Almwirtschaft zusammen?

 

14.  Welche Aufgaben hat das Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs?

 

15.  Hat das ÖZ Bär, Wolf, Luchs in den vergangenen Jahren Studien in Bezug auf dem Umgang mit großen Beutegreifern in Auftrag gegeben?

 

a.    Wenn ja, welche und wann werden diese veröffentlicht bzw. wo kann man diese bereits jetzt nachlesen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

 

16.  Gibt es von ihrem Ressort Bestrebungen, sich auf europäischer Ebene für eine Senkung des Schutzstatus der Wölfe einzusetzen?

 

a)    Wenn ja, wie konkret sehen diese Bestrebungen aus?

b)    Wenn nein, warum nicht?

 

17.  Sind sie bereits mit anderen ihrer europäischen Amtskollegen in Kontakt getreten, um sich über die steigende Wolfsproblematik auszutauschen?

 

a) Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, warum nicht?

 

18.  In Finnland und Schweden gibt es aufgrund der Erhaltung der Kultur der Samen zum Schutz der Rentierzucht in weiten Teilen des Landes (z.B. gibt es in ganz Nordschweden keine Wolfsvorkommen) Entnahmemöglichkeiten von Wölfen. Wie beurteilen Sie diese Ausnahmeregelung? Ist die Schaffung einer Weidezone in Österreich oder in Teilen von Österreich aus Gründen des Schutzes der traditionellen Almwirtschaft eine Möglichkeit?

a.    Wenn ja, welche Zonen würden infrage kommen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

 

19.  Ist die traditionelle österreichische Almwirtschaft ihrer Meinung nach, ähnlich zu beurteilen wie die traditionelle Rentierzucht in Finnland und Schweden?

a.    Wenn ja, warum gibt es dann keine Ausnahmeregelung zur Entnahme von Wölfen?

b.    Wenn ja, werden sie sich auf europäischer Ebene für die Schaffung einer Weidezone einsetzen?

c.     Wenn nein, worin besteht für Sie genau der Unterschied?

 

20.  Wie viele Fördermittel ihres Ressorts sind in den Jahren 2019, 2020 und 2021 in den Herdenschutz geflossen?

 

21.  In den alpinen Gebieten in Österreich ist nachweislich ein Herdenschutz faktisch und rechtlich nicht möglich bzw. unzumutbar oder unverhältnismäßig. Wie sollen Ihrer Meinung nach, die Almbäuerinnen und Bauern ihre Weidetiere vor großen Beutegreifern schützen? Was plant ihr Ressort um die heimischen Almbäuerinnen und Bauern in dieser Problematik zu unterstützen?