9542/J XXVII. GP

Eingelangt am 25.01.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Folgeanfrage systematische Anwendung von illegalen Push-Backs an österreichischer Südgrenze

Das Non-Refoulement-Gebot besagt, dass Menschen nicht in Länder zurückgeschickt werden dürfen, in denen ihnen Gefahr von Folter oder einer anderen sehr schweren Menschenrechtsverletzung droht. Push-Backs – also sofortige Zurückweisungen von Fremden an der Grenze ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen – sind ein Verstoß gegen das Non-Refoulement-Gebot und daher menschenrechtswidrig und unzulässig.

Seit Monaten wird von den Medien über solche illegalen Push-Backs an den europäischen Außengrenzen sowie entlang der Balkanroute bis nach Bosnien berichtet. Das Black Book of Pushbacks dokumentiert alleine rund 15.000 illegale und teils gewaltsame Zurückschiebungen entlang der Balkanroute. Insbesondere gibt es zahlreiche Berichte von Menschenrechtsverletzungen an der kroatisch-bosnischen Grenze. Im November 2020 wurde über zwei Fälle von September berichtet, in welchen zwei Gruppen von Asylwerbern von österreichischen Beamt_innen ohne Verfahren an die slowenischen Behörden übergeben wurden. Die Betroffenen wurden von den slownischen und kroatischen Behörden weiter bis nach Bosnien abgeschoben (https://www.derstandard.at/story/2000121752241/berichte-ueber-illegale-push-backs-von-migranten-anoesterreichischer-grenze). In der Anfragebeantwortung auf unsere daraufhin eingebrachte Anfrage 4300/J verneinte Innenminister Nehammer das Vorliegen von Absprachen zu Push-Backs mit den slowenischen Behörden und beteuerte, interne Ermittlungen hätten kein Fehlverhalten der österreichischen Beamt_innen ergeben. Von weiteren Abschiebungen der slowenischen Behörden an die kroatischen und dann bis nach Bosnien hätten diese nichts gewusst (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_04300/index.shtml).

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat im Rahmen einer Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde (GZ LVwG 20.3-2725/2020) in einem der oben genannten Fälle (Ayoub N.) Anfang Juli 2021 festgestellt, dass der Asylantrag eines Schutzsuchenden „überhört“ und dieser illegal nach Slowenien zurückgewiesen worden war: „Aus dem geschilderten Verfahrensablauf (...) kommt das Gericht zum Schluss, dass Push-Backs in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden.“ Das Innenministerium dementierte einen systematischen Rechtsbruch weiterhin. Auch im Rahmen der am 8. Juli 2021 eingeleiteten internen Evaluierung stellt das BMI laut Anfragebeantwortung 7881/AB „kein Fehlverhalten der Exekutivbeamt_innen" fest. 

In dem Fall Ayoub N. erging vom LVwG Steiermark ein weiteres Erkenntnis über eine Richtlinienbeschwerde (GZ LVwG 22.3-2726/2020). Es wurde festgestellt, dass Ayoub N. bei der Amtshandlung am 28. September 2020 in seinem Recht auf Achtung der Menschenwürde (§ 5 Abs 1 Richtlinien-Verordnung – RLV) und dem Recht auf ausreichende Dokumentation (§ 10 RLV) verletzt wurde. Im Gegensatz zur Entscheidung über die Maßnahmenbeschwerde hat die Landespolizeidirektion Steiermark gegen dieses Erkenntnis keine Revision erhoben - somit ist es rechtskräftig. Das BMI geht in der Beantwortung 7881/AB auf die Dokumentation ein und behauptetet weiterhin, die Polizeibediensteten hätten die Dokumentationsverpflichtung eingehalten. Das BMI äußert sich jedoch nicht zur Entkleidung des Körpers des Ayoub N., welche Anlass zur Feststellung der Verletzung der Achtung der Menschenwürde war. Weiterhin begründet das LVwG im Rahmen der Feststellung der Verletzung der Achtung der Menschenwürde wie folgt: “sehr wohl hat der Beschwerdeführer mehrmals während der Amtshandlung das Wort „Asyl“ verwendet, jedoch erfolgte keine Reaktion von Seiten der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes”. Dennoch negierte auch Sektionschef Peter Webinger die Feststellung des Gerichts indem er im Innenausschuss behauptete, der Betroffene hätte nicht um Asyl ersucht. 

Die Initiative Push-Back Alarm Austria hat einen weiteren Fall eines rechtswidrigen Push-Backs an der österreichischen Südgrenze dokumentiert: Am 25. Juli 2021 hat der minderjährige Somali Amin N. gemeinsam mit fünf anderen in Bad Radkersburg Asyl beantragt. Anstatt sie – wie anfangs von der österreichischen Polizei zugesichert – zu einer Erstaufnahmestellte zu bringen, wurden sie getäuscht und nach Slowenien überstellt. Eine Maßnahmenbeschwerde wurde bereits eingebracht. Eine gerichtliche Entscheidung wird in diesem Fall Anfang 2022 erwartet.

Die Dokumentation dieses weiteren Falles scheint das Erkenntnis des LVwG zur teilweise methodischen Anwendung von push-backs zu bestätigen. Deshalb erging Seitens der NEOS eine weitere Anfrage (8039/J). Auch in dieser Beantwortung (7881/AB) hält das Innenministerium daran fest, es gäbe weder vonseiten der Beamt_innen Fehlverhalten, noch methodische push-backs an der österreichischen Südgrenze. Einige Antworten verlangen jedoch weitere Präzisierung.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. In der Anfragebeantwortung 7881/AB wird angegeben, es seien keine Bemühungen vorgenommen worden, damit Ayoub N. und Amin N. wieder nach Österreich zurückkehren können und hier zum Asylverfahren zugelassen zu werden. Dies wäre laut BMI damit gerechtfertigt, da „in beiden Fällen kein Verfahren auf internationalen Schutz in Österreich anhängig ist“ und somit „keine Rechtsgrundlage für eine dahingehende Handlung“ bestünde. Hat das BMI über eine rechtliche Verpflichtung hinaus für diese beiden Fälle die Möglichkeit einer Wiedergutmachung in Erwägung gezogen?
    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Zu der Frage „wann haben Sie von diesem Push-back durch wen erfahren?“ wurde lediglich in Bezug auf Ayoub N. beantwortet. Können Sie bitte auch im Fall Amin N. detaillieren, wann und durch wen das BMI von dem Push-back erfahren hat?
  2. Warum hat das BMI auf ein Gerichtsgeschehen gewartet, um eine interne Evaluierung anzuordnen, anstatt bereits aufgrund der ausführlichen Dokumentation von Medien (siehe Begründung) Maßnahmen zu ergreifen?
  3. Können Sie die zur Evaluierung angewandten Methoden, sowie die zur Verfügung gestellten Ressourcen (Personal, Budget usw.) und Zeitraum der Evaluierung präzisieren?
  4. Wie wird im Rahmen der Dokumentationspflicht sichergestellt, dass die betroffenen Personen kein Asyl beantragen wollen?
  5. Werden Betroffene, die offenkundig Hilfe benötigen, über Ihre Rechte aufgeklärt? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?
    1. Wie wird dies in der Dokumentation festgehalten?
  1. Gegen die Beamt_innen, die in den Amtshandlungen betreffend Ayoub N. und Amin N. beteiligt waren, wurden keine disziplinarrechtlichen Schritte eingeleitet. Jedoch waren „aufgrund der geografischen Nähe der Aufgriffe und der Abhandlung der Zurückweisungen in derselben Grenzübergangsstelle“ Exekutivbeamt_innen, die an beiden Zurückweisungen beteiligt waren. Sieht das BMI eine wiederholte Beteiligung an illegalen Zurückweisungen als Anlass, disziplinarrechtliche Schritte einzuleiten?
    1. Wenn nein, warum nicht?
    2. Sieht das BMI die Beteiligung derselben Beamt_innen in beiden Fällen als Anlass zur Anordnung weiterer Evaluierungen des Verhaltens von Grenzbeamt_innen?
  1. Die interne Evaluierung hat laut Angaben des BMI nicht zur Feststellung von Fehlverhalten seitens der Beamt_innen geführt. Wieso wurde dann gegen das zweite Erkenntnis des LVwG Steiermark über die Richtlinienbeschwerde (GZ LVwG 20.3-2725/2020) kein Rechtsmittel erhoben?
    1. Wie ist es möglich, dass hier kein Fehlverhalten festgestellt worden ist?
    2. Wieso wurden keine Disziplinarverfahren gegen die verantwortlichen Beamt_innen eingeleitet?
  1. Werden Statistiken dazu geführt, wie viele Aufgriffe, Zurückweisungen und Asylanträge im Bereich Südoststeiermark erfolgen?
    1. Wenn nein, warum nicht?
    2. Wenn ja, bitte um Aufschlüsselung von Aufgriffen, Zurückweisungen und Asylanträgen im Bereich SO nach Monat, Geschlecht, Herkunftsland für die Jahre 2016 – 2021.
    3. Wenn ja, wie werden diese Statistiken geführt? Nach Bezirk, Grenzpolizeistation, Bundesland?
    4. Wenn ja, bitte um Auflistung der Aufgriffe, Zurückweisungen und Asylanträge im Rahmen der jeweiligen Fremden- und Grenzpolizeilichen Abteilungen der Landespolizeidirektionen für sämtliche Einheiten (Grenzpolizeistation, Bundesland, Bezirk).
  1. Ist Ihnen bekannt, dass es im Fall des Amin N. unstrittig ist, dass der Betroffene von sich aus nach einer Polizeistation gefragt hat, offensichtlich Hilfe gesucht hat und nach Aussage eines einvernommenen Inspektors auch Hilfe benötigte, und die Beamt_innen in Kenntnis der somalischen Staatsbürgerschaft des Betroffenen waren?
    1. Wenn ja, wie wäre hier der vorgesehene Ablauf?
  1. Bitte schildern Sie den vorgesehenen Ablauf, wenn für Polizeibeamte erkennbar hilfesuchende Person, die sich nur schwer auf Deutsch verständigen kann, in der Nähe der Grenze aufgegriffen wird.
    1. Auf welcher Sprache erfolgt die Verständigung?
    2. Welche Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere Englischkenntnisse, müssen Beamt_innen vorweisen können, die im Grenzbereich Dienst tun?
    3. Werden diese Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere Englisch, in irgendeiner Form überprüft?
    4. Gibt es hier vorgeschriebene Schulungen im Bereich Grundkenntnisse der Fremdsprachen für Beamt_innen? Gibt es überhaupt ein Schulungsangebot?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Welche fremden- und asylrechtlichen Schulungen werden für Beamt_innen, die im Grenzkontrollgebiet Dienst tun, angeboten? In welchem Ausmaß und in welchem Intervall? Sind diese Schulungen verpflichtend?
  1. Wenn illegal aufhältige Personen aufgegriffen werden und zurückgewiesen werden: Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgen hier Rückschiebungen nach Slowenien?
    1. Bitte schildern Sie den mit slowenischen Behörden akkordierten Ablauf bezüglich der Rückübernahme von illegal aufhältigen Personen. Wo werden diese Personen wem übergeben? Welche Papiere und Dokumente erhalten die Betroffenen über die Amtshandlungen der österreichischen Behörden? Gibt es diesbezüglich einen regelmäßigen Austausch mit den slowenischen Behörden? Wenn ja, in welchen Abständen und mit welchem Inhalt?
    2. Haben slowenische Behörden schon einmal mitgeteilt, dass eine Person angegeben hat, eigentlich in Österreich internationalen Schutz beantragt zu haben? Wenn ja, wann und wie oft?