9607/J XXVII. GP
Eingelangt am 28.01.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort
betreffend Vertragsverletzungsverfahren, Studien und Reformaufrufe: Stillstand der Berufsreglementierung in Österreich
Das bekannte Problem: Gewerbeordnung
Wenige Reformvorhaben wurden so oft vorgeschlagen, diskutiert und dann wieder fallen gelassen wie die Neugestaltung der Gewerbeordnung 1994. Der Zugang zu gewerblicher Berufsausübung ist in Österreich detailreich geregelt, das diesbezügliche Gesetz ein Musterbeispiel an anachronistisch anmutendem Bürokratismus. Die Debatten um die dringende Notwendigkeit der Reformierung waren somit stets berechtigt, der Wille, alte Privilegien und Pfründe aufzugeben, ist besonders bei jenen sehr gering ausgeprägt, die am meisten davon profitieren. Eine umfassende Entlastung der Unternehmer_innen in Österreich bleibt somit aus. Aktuell fallen 75 Gewerbearten unter reglementierte Gewerbe und bedürfen somit eines Befähigungsnachweises. Während es unzweifelhaft Gewerbearten gibt, bei denen es eine strenge Qualifikationskontrolle braucht, ist das in vielen anderen Gewerben nicht nötig und auch nicht zeitgemäß. Zahlreiche nationale wie internationale Experten haben das derzeitige System mehrfach kritisiert und zu Reformen aufgerufen. Zuletzt analysierte der Rechnungshof 2019 in einem Bericht den Zugang zur gewerblichen Berufsausübung (1). Aufbauend auf die jahrelangen Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters nach Reformen hielt der Rechnungshof fest, dass eine Evaluierung nach bürokratischen Hemmnissen und ökonomischen Auswirkungen zu erfolgen hätte. In dem Bericht empfiehlt der Rechnungshof eine Neukodifizierung der Gewerbeordnung mit dem Ziel, ein zeitgemäßes, übersichtliches und anwenderfreundliches Regelwerk zu schaffen. Dies wird auch als wichtiger Schritt ausgewiesen, um eine verstärkte Nutzung digitaler Anmeldungen zu ermöglichen. Der Rechnungshof kritisiert auch die Untätigkeit bisheriger Wirtschaftsminister_innen, indem eine verstärkte Nutzung der bestehenden Kompetenzen zur Steuerung im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung im Hinblick auf eine transparente, bundesweit einheitliche Vollziehung der Gewerbeordnung angeregt wurde. Auch die OECD hat in ihrer Country Note 2021 die Reform der Regulierungen im Dienstleistungssektor angeregt (2). Genutzt haben all diese sachlichen Empfehlungen leider nicht.
Trotz Wirtschaftskrise keine Entlastung der Unternehmen geplant
Die pandemiebedingten Schließungen belasten die Unternehmen in Österreich schwer. Gerade jetzt wäre eine umfassende Entbürokratisierung und eine Verschlankung der Gewerbeordnung dringender notwendig denn je, um den strauchelnden Unternehmen wieder Luft zum Atmen zu geben. Die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort hat immer wieder in Ausschüssen wie auch öffentlich betont, dass keine Reform der Gewerbeordnung geplant sei. Laut der zuständigen Bundesministerin Schramböck gebe es laufende Evaluierungen, trotz zahlreicher Verbesserungsvorschläge sehe sie aber keinen Reformbedarf (3). Fadenscheinig werden die Qualitätssicherung der Lehre und der Erhalt des Erfolgsmodells "Duale Ausbildung" als Grund für mangelnde Reformen genannt. Noch absurder erscheint dieses Argument angesichts der jüngsten Forderungen von Arbeitsminister Kocher und Tourismusministerin Köstinger nach einer umfassenden Reform der Lehre wegen konstant sinkender Lehrlingszahlen. Eine schlanke, neue Gewerbeordnung würde nicht nur eine bürokratische und finanzielle Entlastung von Unternehmer_innen in Österreich bedeuten. NEOS hat daher einen Vorschlag zur Reform der Gewerbeordnung in Richtung eines schlanken Rahmens inklusive Qualitätssicherung in den Wirtschaftsausschuss eingebracht (4), der wieder einmal diskussionslos am 29.6.2021 vertagt wurde. Diese protektionistische und unzeitgemäße Limitierung der Erwerbstätigkeit in Österreich muss endlich aufhören und durch einen modernen Rechtsrahmen ersetzt werden.
Vertragsverletzungsverfahren und die trübe Aussicht auf ambitionierte Reformen
Ein funktionierender Binnenmarkt mit möglichst wenig Schranken ist für eine starke europäische Wirtschaft essenziell. Daher wurden im Verlauf der Zeit immer wieder europäische Instrumente entwickelt, um die nationalen Barrieren zu reduzieren. Österreich tritt auf europäischer Ebene für gewöhnlich sehr protektionistisch auf. Am 2.12.2021 hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet (5). Kritisiert wird, dass die geltenden Unionsvorschriften zur Bewertung der Verhältnismäßigkeit neuer Berufsreglementierungen nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden. Diese erneute Kritik sollte das zuständige Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort zum Anlass nehmen, um endlich umfassende Erleichterungen im Bereich der Berufsreglementierung voranzubringen. Eine neue OECD-Studie unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf. Darin wird festgehalten, dass der Europäischen Union über 9 Millionen Unternehmer_innen fehlen und es in Österreich 66 % mehr Gründer_innen geben könnten (6).
Quellen:
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende