9634/J XXVII. GP

Eingelangt am 01.02.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Dolmetscher in Gerichtsverfahren

 

Das Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK schließt das Recht auf Unterstützung durch Dolmetscher mit ein, wenn Angeklagte die Verfahrenssprache nicht verstehen. Die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verlangt, dass Dolmetschleistungen „eine für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen“. Es bedarf keiner Begründung, dass in einer Zeit zunehmender Internationalisierung und Personenfreizügigkeit qualifizierte Dolmetschleistungen für das Funktionieren des Rechtsstaats und die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs unabdingbar sind.

Die Gebührensätze des GebAG, nach denen die Leistungen der Gerichtsdolmetscher/Gerichtsdolmetscherinnen in der Mehrzahl der Gerichts- und Behördenverfahren entlohnt werden, wurden seit dem Jahr 2007 bis heuer nicht erhöht. Durch die aktuelle Gebührenreform wird zwar die Tätigkeit („Mühewaltung“) der Gerichtsdolmetscher ab Mitte diesen Jahres deutlich besser bezahlt. Bei der An- und Abreise („Zeitversäumnis“) wurde jedoch das Gebührensystem so geändert, dass viele der Gerichtsdolmetscher in ziemlich alltäglichen Situationen schlechter aussteigen als vorher. Die „Zeitversäumnis“ war bis zum 1.7.2022 noch in Wege unter 30 km (Euro 22,70 pro Stunde) und Wege über 30 km (Euro 28,20 pro Stunde) geteilt. Es wurde, nachdem die „Zeitversäumnis“ ebenso wie die „Mühewaltung“ 15 Jahre hindurch unverändert geblieben war, der höhere Wert gestrichen und der niedrigere nicht einmal inflationsbereinigt.

Der niedrige Verdienst und die langen Zahlungsfristen (im Regelfall mehrere Monate bis mehrere Jahre) führen dazu, dass sich immer weniger Dolmetscherinnen und Dolmetscher in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher eintragen lassen. Das Durchschnittsalter der eingetragenen Dolmetscher und Dolmetscherinnen liegt bereits über 60 Jahre.

Dass der Einsatz von unqualifizierten Dolmetschern den Rechtsstaat gefährdende Ausmaße annehmen kann, zeigte jüngst wieder der in den Medien berichtete Fall am Landesgericht Salzburg.

Eine der Ursachen für den vermehrten Einsatz von ungeprüften Dolmetschern liegt in der Tätigkeit von Vermittlungsdiensten, denen es nicht um die Zurverfügungstellung von qualifizierten Dolmetschern an die Gerichte, sondern vor allem um das Lukrieren von Vermittlungsprovisionen geht.

Die Justiz betreibt ein System der gerichtlichen Prüfung und im Fall der positiven Ablegung sodann der gerichtlichen Zertifizierung von (Sachverständigen und) Dolmetschern. Diese Dolmetscher finden sich auf der von der Justizverwaltung herausgegebenen und gewarteten Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher (SDG-Liste). Neuerdings allerdings existiert im Justiz-Intranet neben der offiziellen SDG-Liste auch eine als „SDG Liste und Ad hoc Sachverständige und Dolmetscher:innen“ bezeichnete Liste, die neben den zertifizierten (Sachverständigen und) Dolmetscher auch eine Reihe von unzertifizierten „Hausdolmetschern“, darunter solche, die (mitunter mehrmals) die Zertifizierungsprüfung nicht bestanden haben, aufweist. Damit entwertet die Justiz den selbst verliehenen Befähigungsnachweis und konterkariert auch den jüngst durch BGBl I Nr. 135/2020 in § 86 GOG normierten gesetzlichen Auftrag der vorrangigen Bestellung von zertifizierten (Sachverständigen und) Dolmetschern.

Der Österreichische Gerichtsdolmetscherverband hat das Justizministerium wiederholt auf die prekäre Lage der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher und Dolmetscherinnen aufmerksam gemacht. Bisher ohne konkretes Ergebnis.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Welche Maßnahmen sind geplant, um der Überalterung der eingetragenen Dolmetscher und Dolmetscherinnen entgegenzuwirken?
  2. Welche Maßnahmen sind geplant, um der Verringerung der Zahl der Dolmetscher und Dolmetscherinnen entgegenzuwirken?
  3. Welche Maßnahmen sind geplant, um kurz-, mittel- und langfristig die Versorgung der Justiz mit Dolmetschern und Dolmetscherinnen mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen, entsprechender Dolmetsch- und Übersetzerkompetenz und dem für die korrekte Ausübung der Tätigkeit unbedingt erforderlichen Berufsethos sicherzustellen?
  4. In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2021 - bitte mit Aufgliederung nach OLG-Sprengeln
    1. in Strafverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
    2. in Zivilverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
    3. in arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
    4. in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
  1. In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2021 - bitte mit Aufgliederung nach OLG-Sprengeln
    1. in Strafverfahren eingetragene Dolmescher/Dolmetscherinnen beigezogen?
    2. in Zivilverfahren eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
    3. in arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
    4. in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?
  1. In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2021 - bitte mit Aufgliederung nach OLG-Sprengeln
    1. in Strafverfahren Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?
    2. in Zivilverfahren Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?
    3. in arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?
    4. in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?
  1. In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2021 - bitte mit Aufgliederung nach OLG-Sprengeln
    1. in Strafverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc beeidet?
    2. in Zivilverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc beeidet?
    3. in arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc beeidet?
    4. in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc beeidet?
  1. Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2021 insgesamt durch die Beiziehung von Dolmetscher und Dolmetscherinnen in der Justiz (einschließlich BVwG)?
    1. Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2021 durch die Beiziehung von eingetragenen Dolmetscher/Dolmetscherinnen?
    2. Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2021 durch die Beiziehung von Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur?
    3. Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2021 durch die Beiziehung von ad-hoc beeideten Dolmetschern/Dolmetscherinnen?
  1. In wie vielen Fällen konnte 2021 der Bedarf an Dolmetschern/Dolmetscherinnen nicht durch die Beiziehung von eingetragenen Dolmetschern gedeckt werden (einschließlich BVwG)?
  2. In wie vielen Fällen konnte 2021 der Bedarf an Dolmetschern/Dolmetscherinnen nicht durch die Beiziehung von Amtsdolmetschern/Amtsdolmetscherinnen gedeckt werden (einschließlich BVwG)?
  3. In wie vielen Fällen mussten 2021 ad hoc beeidete Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen werden (einschließlich BVwG)?
  4. Wird beabsichtigt,  die Gebührensätze des Gebührenanspruchsgesetzes für Dolmetscher/Dolmetscherinnen zu erhöhen?
    1. Wenn ja, in welcher Höhe?
    2. Wenn nein, warum nicht? 
  1. Warum wurde die "Zeitversäumnis" nie inflationsbereinigt und wenn es schon zwei Tarife für „Zeitversäumnis“ gabt, (nämlich 22,70 unter 30 km und 28,20 über 30 km) wie ist es dann möglich, dass nach 15 Jahren Tarifstagnation der höhere Wert gestrichen wird - und nicht im Sinne einer Indexanpassung der niedrigere Betrag?
  2. Warum existiert neben der SDG-Liste eine als „SDG Liste und Ad hoc Sachverständige und Dolmetscher:innen“ bezeichnete Liste, die neben den zertifizierten (Sachverständigen und) Dolmetschern auch eine Reihe von unzertifizierten Dolmetschern, darunter auch solche, die (mitunter mehrmals) die Zertifizierungsprüfung nicht bestanden haben, nennt?
  3. Wie viele zertifizierte Sachverständige gibt es derzeit in Österreich verglichen mit den Jahren 2016-2021 (wir bitten um Auflistung nach Jahren und Gerichtssprengeln)?
  4. Wieviele unbeeidete Sachverständige wurden in den Jahren 2016-2021 in Verfahren eingesetzt (wir bitten um Auflistung nach Jahren und Gerichtssprengeln)? Widerspricht diese Zahl nicht dem §86 GOG, der die vorrangige Bestellung von zertifizierten Sachverständigen und Dolmetschern aufträgt?
  5. Wieviele beeidete Sachverständige wurden in den Jahren 2016-2021 in Verfahren eingesetzt (wir bitten um Auflistung nach Jahren und Gerichtssprengeln)?
  6. Ist dem Ministerium bekannt, ob und in welcher Höhe ad hoc beauftragte Dolmetscher:innnen Vermittlungsprovisionen an einschlägige Agenturen (zB Büro Micolini in Graz) zu bezahlen haben?
  7. Warum wird die „SDG Liste und Ad hoc Sachverständige und Dolmetscher:innen“ nicht aus dem Intranet zu entfernt?