9635/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.02.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Fiona Fiedler, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Soziales‚ Gesundheit‚ Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Sexuelle Übergriffe und Sexismus bei medizinischen Behandlungen

 

Am 14. Jänner 2022 hat eine Twitter-Userin unter dem Hashtag #FrauenBeimArzt Frauen dazu aufgerufen, von erlebten sexuellen Übergriffen bei Arztbesuchen bzw. medizinischen Behandlungen zu erzählen. Seitdem teilen hunderte Frauen verschiedenste Erfahrungen zu herabwürdigenden, beleidigenden, gewalttätigen und sexuellen Übergriffen bei medizinischen Behandlungen oder Spitalsaufenthalten. Die Geschichten sind unglaublich vielfältig und weisen gleichzeitig überraschend viele Ähnlichkeiten auf: Frauen werden häufig in ihrem Schmerz nicht ernst genommen, sondern als "hysterisch" bezeichnet, sie werden aufgrund geschlechtsspezifischer Vorurteile falsch diagnostiziert, sollen sich bei Untersuchungen ausziehen, bei denen nicht die geringste Notwendigkeit dafür besteht, sie werden "gestreichelt", begrapscht, missbraucht und beschimpft, wenn sie Einspruch erheben und erleben häufig Gewalt im Rahmen einer Schwangerschaft und Geburt1. Wie schamlos, frauenverachtend und respektlos diese Übergriffe sein können, kann sehr detailliert in diesen hunderten bedrückenden Twitter-Berichten mutiger Frauen nachgelesen werden, die sich trauen, über das erfahrene Unrecht, die Gewalt und Demütigung öffentlich zu sprechen: https://twitter.com/Joanalistin/status/1482066990093189124.

Aber selbst das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Gewalt, des Missbrauchs und der Demütigungen im medizinischen Bereich, die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Die Betroffenen solcher Übergriffe, oft auch Kinder, können das Erlebte lange Zeit gar nicht richtig einordnen, sie sind traumatisiert, schämen sich und stellen wichtige medizinische Untersuchungen und Behandlungen aufgrund dieser negativen Erfahrungen oft jahrelang hintan. Es handelt sich hier um Machtmissbrauch einer angesehenen Berufsgruppe gegenüber Personen in verletzlichen und intimen Situationen. Hinzu kommt, dass solche Übergriffe häufig unter vier Augen passieren und Betroffene Angst haben, ihrer Aussage würde gegenüber der eines Arztes oder einer Ärztin kein Glauben geschenkt. Der Fall einer Frau, die wegen Schulterschmerzen zum Osteopathen ging und die bei der Behandlung einen Vaginalriss und mehrere Blutungen erlitt, zeigt den massiven Handlungs- und Aufklärungsbedarf besonders drastisch auf.2 Der Fall wurde am 14. Jänner 2022 nach jahrelangem Beharren der Betroffenen vor dem Wiener Straflandesgericht verhandelt - der angeklagte Arzt wurde freigesprochen, er hätte mit dem "vaginal touché" nämlich eine anerkannte Behandlungsmethode angewandt. Laut Aussage der betroffenen Frau, übrigens eine von fünf Betroffenen, hätte der Arzt sie ohne Vorwarnung und zur Behandlung von Schulterschmerzen gewaltvoll mit dem Finger vaginal penetriert und ihr dabei oben genannte Verletzungen zugefügt. Wenn so ein Fall einen Freispruch nach sich zieht und Ärztekammer und Patient_innenanwaltschaft großteils untätig blieben, dann wundert es nicht, wenn laut Standard3 nur extrem wenige Übergriffe auch tatsächlich gemeldet werden.

 

Diese Situation ist untragbar und verdient unsere vollste Aufmerksamkeit. Mit dieser Twitter-Debatte haben Betroffene und Gesellschaft einen wichtigen ersten Schritt gemacht und massive Missstände aufgezeigt. Nun sind Politik, Berufsverbände und Justiz gefordert, gegenüber den Betroffenen Rechtssicherheit zu gewährleisten und Themen wie "Gewalt beim Arzt" oder "Gewalt bei der Geburt" zu enttabuisieren.

1 https://twitter.com/Joanalistin/status/1482066990093189124

2 https://www.puls24.at/news/chronik/vaginale-verletzungen-nach-schulterbehandlung-freispruch-fuer-arzt/254086

3 https://www.derstandard.at/story/2000132644445/frauenbeimarztnoch-immer-gilt-es-als-hysterie?ref=rss

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Welche Statistiken und Datenerhebungen gibt es, die sexualisierte Gewalt, Missbrauch, (geschlechtsspezifische) Diskriminierung und andere Arten von Übergriffen und Gewalt durch medizinisches Personal im Spital und im niedergelassenen Bereich erfassen?
    1. Wie regelmäßig werden diese Daten erhoben, durch wen werden sie erhoben und wo werden sie veröffentlicht?
    2. Welche Arten von Übergriffen werden hier genau erfasst?
    3. Wenn es solche Daten nicht gibt, warum nicht?
    4. Wenn es solche Daten nicht gibt, plant das Gesundheitsministerium, diese Daten umfassend zu erheben und in welcher Form und Regelmäßigkeit?
  1. Welche Anlaufstellen für von Gewalt, Missbrauch, Diskriminierung und anderen Übergriffen betroffene Patient_innen gibt es?
    1. Gibt es auch beim Gesundheitsministerium eine solche Anlaufstelle speziell für Übergriffe und Gewalt bei medizinischen Behandlungen bzw. durch medizinisches Personal?
  1. Findet ein regelmäßiger Datenaustausch zwischen diesen Anlaufstellen und dem Gesundheitsministerium statt?
  2. Hat das Ministerium einen Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die in Beschwerdestellen an Krankenhäusern eingehen?
    1. Wenn ja, welche Beschwerde-Kategorien gibt es und sind diese in allen Krankenhäusern einheitlich gestaltet?
    2. Wie sind die Beschwerden jährlich seit dem Jahr 2010 auf die einzelnen Kategorien verteilt (bitte um Angabe nach Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
    3. Wie viele Beschwerden speziell zu sexualisierter Gewalt oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung gab es seit 2010 jährlich (bitte um Angabe nach Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
    4. Wird auch erfasst, gegen welche Berufsgruppe und welches Geschlecht sich die Beschwerden jeweils richten (wenn ja, bitte um Auflistung)?
    5. Wenn nein, warum nicht und soll der Datenaustausch hier verbessert werden?
  1. Hat das Ministerium konkret einen Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die bei der Patient_innenanwaltschaft eingehen?
    1. Wenn ja, welche Beschwerde-Kategorien gibt es und wie sind die Beschwerden jährlich seit dem Jahr 2010 auf die einzelnen Kategorien verteilt (bitte um Angabe nach Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
    2. Wie viele Beschwerden speziell zu sexualisierter Gewalt oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung gab es seit 2010 jährlich (bitte um Angabe nach Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
    3. Wird auch erfasst, gegen welche Berufsgruppe und welches Geschlecht sich die Beschwerden jeweils richten (wenn ja, bitte um Auflistung)?
    4. Wenn nein, warum nicht und soll der Datenaustausch hier verbessert werden?
  1. Hat das Ministerium konkret einen Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die bei der Ärztekammer eingehen?
    1. Wenn ja, welche Beschwerde-Kategorien gibt es und wie sind die Beschwerden jährlich seit dem Jahr 2010 auf die einzelnen Kategorien verteilt (bitte um Angabe nach Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
    2. Wie viele Beschwerden speziell zu sexualisierter Gewalt oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung gab es seit 2010 jährlich (bitte um Angabe nach Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
    3. Wenn nein, warum nicht und soll der Datenaustausch hier verbessert werden?
  1. Bei sexualisierter Gewalt ist natürlich auch die Polizei eine wichtige Anlaufstelle - hat das Ministerium konkret einen Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die bei der Polizei zu sexualisierter Gewalt im medizinischen Bereich bzw. durch medizinisches Personal eingehen?
    1. Wenn nein, warum nicht und wie möchte das Gesundheitsministerium ohne Daten und daher ohne einen Überblick über die Problematik effektive Gegenmaßnahmen setzen?
  1. Nehmen Sie und Ihr Ressort die unzähligen Berichte zu traumatisierendem Verhalten von Mediziner_innen gegenüber ihren Patient_innen und hier ganz speziell Frauen zum Anlass, um Gegenmaßnahmen, Sensibilisierungs- und Aufklärungsmaßnahmen zu setzen, um Patient_innen und - besonders häufig betroffen - Frauen in Zukunft besser zu schützen und ihnen Rechtssicherheit zu garantieren?
  2. Halten Sie als zuständiger Fachminister die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen und Strukturen für ausreichend, um Patient_innen und speziell Frauen vor Übergriffen, Demütigung und Diskriminierung durch medizinisches Personal zu schützen und wenn ja, warum?