Eingelangt am 02.02.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Henrike Brandstötter,
Fiona Fiedler, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für
Soziales‚ Gesundheit‚ Pflege und Konsumentenschutz
betreffend Sexuelle Übergriffe und
Sexismus bei medizinischen Behandlungen
Am 14. Jänner 2022 hat eine
Twitter-Userin unter dem Hashtag #FrauenBeimArzt Frauen dazu aufgerufen, von
erlebten sexuellen Übergriffen bei Arztbesuchen bzw. medizinischen
Behandlungen zu erzählen. Seitdem teilen hunderte Frauen verschiedenste
Erfahrungen zu herabwürdigenden, beleidigenden, gewalttätigen und
sexuellen Übergriffen bei medizinischen Behandlungen oder
Spitalsaufenthalten. Die Geschichten sind unglaublich vielfältig und
weisen gleichzeitig überraschend viele Ähnlichkeiten auf: Frauen
werden häufig in ihrem Schmerz nicht ernst genommen, sondern als
"hysterisch" bezeichnet, sie werden aufgrund geschlechtsspezifischer
Vorurteile falsch diagnostiziert, sollen sich bei Untersuchungen ausziehen, bei
denen nicht die geringste Notwendigkeit dafür besteht, sie werden
"gestreichelt", begrapscht, missbraucht und beschimpft, wenn sie
Einspruch erheben und erleben häufig Gewalt im Rahmen einer
Schwangerschaft und Geburt1. Wie schamlos, frauenverachtend und
respektlos diese Übergriffe sein können, kann sehr detailliert in
diesen hunderten bedrückenden Twitter-Berichten mutiger Frauen nachgelesen
werden, die sich trauen, über das erfahrene Unrecht, die Gewalt und
Demütigung öffentlich zu sprechen: https://twitter.com/Joanalistin/status/1482066990093189124.
Aber selbst das ist nur ein kleiner Ausschnitt
der Gewalt, des Missbrauchs und der Demütigungen im medizinischen Bereich,
die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Die Betroffenen solcher
Übergriffe, oft auch Kinder, können das Erlebte lange Zeit gar nicht
richtig einordnen, sie sind traumatisiert, schämen sich und stellen
wichtige medizinische Untersuchungen und Behandlungen aufgrund dieser negativen
Erfahrungen oft jahrelang hintan. Es handelt sich hier um Machtmissbrauch einer
angesehenen Berufsgruppe gegenüber Personen in verletzlichen und intimen
Situationen. Hinzu kommt, dass solche Übergriffe häufig unter vier
Augen passieren und Betroffene Angst haben, ihrer Aussage würde
gegenüber der eines Arztes oder einer Ärztin kein Glauben geschenkt.
Der Fall einer Frau, die wegen Schulterschmerzen zum Osteopathen ging und die
bei der Behandlung einen Vaginalriss und mehrere Blutungen erlitt, zeigt den
massiven Handlungs- und Aufklärungsbedarf besonders drastisch auf.2
Der Fall wurde am 14. Jänner 2022 nach jahrelangem Beharren der
Betroffenen vor dem Wiener Straflandesgericht verhandelt - der angeklagte Arzt
wurde freigesprochen, er hätte mit dem "vaginal touché"
nämlich eine anerkannte Behandlungsmethode angewandt. Laut Aussage der
betroffenen Frau, übrigens eine von fünf Betroffenen, hätte der
Arzt sie ohne Vorwarnung und zur Behandlung von Schulterschmerzen gewaltvoll
mit dem Finger vaginal penetriert und ihr dabei oben genannte Verletzungen
zugefügt. Wenn so ein Fall einen Freispruch nach sich zieht und
Ärztekammer und Patient_innenanwaltschaft großteils untätig blieben,
dann wundert es nicht, wenn laut Standard3 nur extrem wenige
Übergriffe auch tatsächlich gemeldet werden.
Diese Situation ist untragbar und verdient
unsere vollste Aufmerksamkeit. Mit dieser Twitter-Debatte haben Betroffene und
Gesellschaft einen wichtigen ersten Schritt gemacht und massive Missstände
aufgezeigt. Nun sind Politik, Berufsverbände und Justiz gefordert,
gegenüber den Betroffenen Rechtssicherheit zu gewährleisten und
Themen wie "Gewalt beim Arzt" oder "Gewalt bei der Geburt"
zu enttabuisieren.
1 https://twitter.com/Joanalistin/status/1482066990093189124
2 https://www.puls24.at/news/chronik/vaginale-verletzungen-nach-schulterbehandlung-freispruch-fuer-arzt/254086
3 https://www.derstandard.at/story/2000132644445/frauenbeimarztnoch-immer-gilt-es-als-hysterie?ref=rss
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
Anfrage:
- Welche Statistiken und Datenerhebungen gibt
es, die sexualisierte Gewalt, Missbrauch, (geschlechtsspezifische)
Diskriminierung und andere Arten von Übergriffen und Gewalt durch medizinisches
Personal im Spital und im niedergelassenen Bereich erfassen?
- Wie regelmäßig werden diese
Daten erhoben, durch wen werden sie erhoben und wo werden sie
veröffentlicht?
- Welche Arten von Übergriffen werden
hier genau erfasst?
- Wenn es solche Daten nicht gibt, warum
nicht?
- Wenn es solche Daten nicht gibt, plant das
Gesundheitsministerium, diese Daten umfassend zu erheben und in welcher
Form und Regelmäßigkeit?
- Welche Anlaufstellen für von Gewalt,
Missbrauch, Diskriminierung und anderen Übergriffen betroffene
Patient_innen gibt es?
- Gibt es auch beim Gesundheitsministerium
eine solche Anlaufstelle speziell für Übergriffe und Gewalt bei
medizinischen Behandlungen bzw. durch medizinisches Personal?
- Findet ein regelmäßiger
Datenaustausch zwischen diesen Anlaufstellen und dem
Gesundheitsministerium statt?
- Hat das Ministerium einen Überblick
über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die in
Beschwerdestellen an Krankenhäusern eingehen?
- Wenn ja, welche Beschwerde-Kategorien gibt
es und sind diese in allen Krankenhäusern einheitlich gestaltet?
- Wie sind die Beschwerden jährlich seit
dem Jahr 2010 auf die einzelnen Kategorien verteilt (bitte um Angabe nach
Geschlecht der Beschwerdesteller_in)?
- Wie viele Beschwerden speziell zu
sexualisierter Gewalt oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung gab es
seit 2010 jährlich (bitte um Angabe nach Geschlecht der
Beschwerdesteller_in)?
- Wird auch erfasst, gegen welche
Berufsgruppe und welches Geschlecht sich die Beschwerden jeweils richten
(wenn ja, bitte um Auflistung)?
- Wenn nein, warum nicht und soll der
Datenaustausch hier verbessert werden?
- Hat das Ministerium konkret einen
Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die
bei der Patient_innenanwaltschaft eingehen?
- Wenn ja, welche Beschwerde-Kategorien gibt
es und wie sind die Beschwerden jährlich seit dem Jahr 2010 auf die
einzelnen Kategorien verteilt (bitte um Angabe nach Geschlecht der
Beschwerdesteller_in)?
- Wie viele Beschwerden speziell zu
sexualisierter Gewalt oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung gab es
seit 2010 jährlich (bitte um Angabe nach Geschlecht der
Beschwerdesteller_in)?
- Wird auch erfasst, gegen welche
Berufsgruppe und welches Geschlecht sich die Beschwerden jeweils richten
(wenn ja, bitte um Auflistung)?
- Wenn nein, warum nicht und soll der
Datenaustausch hier verbessert werden?
- Hat das Ministerium konkret einen
Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden, die
bei der Ärztekammer eingehen?
- Wenn ja, welche Beschwerde-Kategorien gibt
es und wie sind die Beschwerden jährlich seit dem Jahr 2010 auf die
einzelnen Kategorien verteilt (bitte um Angabe nach Geschlecht der
Beschwerdesteller_in)?
- Wie viele Beschwerden speziell zu
sexualisierter Gewalt oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung gab es
seit 2010 jährlich (bitte um Angabe nach Geschlecht der
Beschwerdesteller_in)?
- Wenn nein, warum nicht und soll der
Datenaustausch hier verbessert werden?
- Bei sexualisierter Gewalt ist natürlich
auch die Polizei eine wichtige Anlaufstelle - hat das Ministerium konkret
einen Überblick über die Anzahl und Kategorien der Beschwerden,
die bei der Polizei zu sexualisierter Gewalt im medizinischen Bereich bzw.
durch medizinisches Personal eingehen?
- Wenn nein, warum nicht und wie möchte
das Gesundheitsministerium ohne Daten und daher ohne einen Überblick
über die Problematik effektive Gegenmaßnahmen setzen?
- Nehmen Sie und Ihr Ressort die
unzähligen Berichte zu traumatisierendem Verhalten von
Mediziner_innen gegenüber ihren Patient_innen und hier ganz speziell
Frauen zum Anlass, um Gegenmaßnahmen, Sensibilisierungs- und
Aufklärungsmaßnahmen zu setzen, um Patient_innen und -
besonders häufig betroffen - Frauen in Zukunft besser zu
schützen und ihnen Rechtssicherheit zu garantieren?
- Halten Sie als zuständiger Fachminister
die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen und Strukturen für
ausreichend, um Patient_innen und speziell Frauen vor Übergriffen,
Demütigung und Diskriminierung durch medizinisches Personal zu
schützen und wenn ja, warum?