9687/J XXVII. GP

Eingelangt am 09.02.2022
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Folgeanfrage Empfehlungen der Kindeswohlkommission und Alternativbericht des BMI

 

Die Kindeswohlkommission, welche Anfang 2021 nach den öffentlichen Diskussionen rund um die Abschiebung von zwei Familien mit in Österreich aufgewachsenen und teils hier geborenen Kindern nach Georgien und Armenien (https://www.derstandard.at/story/2000123744391/die-stilleren-abschiebungen-von-sona-und-ashot) eingesetzt wurde, hat am 13.7.2021 ihren Abschlussbericht präsentiert, welcher auf der Homepage des BMJ öffentlich zugänglich ist (https://www.bmj.gv.at/themen/Kindeswohlkommission.html). Der Bericht hält insbesondere fest, dass, während die Kinderrechte in Österreich zwar ausreichend abgesichert sind, es erhebliche Schwierigkeiten im Vollzug gibt. Insbesondere wurde die rechtliche Anwendungspraxis bei Asyl- und Bleiberechtsverfahren kritisiert, welche laut Kommission den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs nur unzureichend gerecht wird. Weiters gab es Kritik an den unterschiedlichen Vorgangsweisen der Kinder- und Jugendhilfe in den verschiedenen Bundesländern, die sich aus mangelnden einheitlichen Standards ergeben.

Abschließend beinhaltet der Bericht Empfehlungen an die Bundesregierung in den folgenden Themenbereichen:

Es muss bei allen Kinder betreffenden Entscheidungen eine umfassende Prüfung des Kindeswohls geben. Dies ist besonders notwendig bei Entscheidungen im Zulassungsverfahren (insbesondere bei der Prüfung von Überstellungen im Dublin-Verfahren), Entscheidungen über Asyl im Hinblick auf kindspezifische Fluchtgründe, Entscheidungen über subsidiären Schutz bei der Beurteilung der Situation im Herkunftsland, der Prüfung der Zulässigkeit von Rückkehrentscheidungen (einschließlich der Möglichkeit, auch bei Abschiebungen bis zuletzt aktuelle Entwicklungen und Umstände in der Situation betroffener Kinder gebührend zu berücksichtigen) sowie Entscheidungen über einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen.

Weiters sollen u.a. Handlungsanleitungen erarbeitet werden, die Struktur und Kriterien einer solchen Kindewohlprüfung beinhalten.

Alle Kinder sollen von Anfang an Rechtsberatung erhalten und darüber in einer für sie verständlichen Sprache informiert werden.

Zusätzlich zu medizinischen Faktoren sollen gleichberechtigt psychosoziale und kognitive Faktoren in die Beurteilung einfließen; ebenso soll es eine Möglichkeit geben, die Entscheidung über Altersfeststellung anzufechten.

Hier geht es vorrangig darum, dass die Personen, welche für die Kindeswohlprüfung und Verfahren, die auch Kinder betreffen, zuständig sind, dementsprechende Qualifikationen vorweisen sollen. Kinder sollen kindgerecht beteiligt und gehört werden, auch wenn diese unter 14 Jahre alt sind.

Bei Abschiebungen soll die Prüfung des Kindeswohls immer bis zum letzten Zeitpunkt geprüft werden können, wenn es Anzeichen für geänderte Umstände gibt. Die Menschenrechtsbeobachter_innen, die Verfahren mit Kindern zugezogen werden, müssen ebenfalls für die Arbeit mit Kindern und die Beobachtung von Kinderrechten qualifiziert sein. Schubhaft für Minderjährige sowie die Abschiebung schulpflichtiger Kinder während des Schuljahres sollen nicht mehr möglich sein.

Die Obsorge für UMF muss von Beginn an und für ganz Österreich einheitlich sichergestellt werden.

Es braucht eine angemessene Unterbringung von Minderjährigen, die den Standards der KJH entsprechen, bei Bedarf auch bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Es benötigt auch hier einheitliche Standards für alle Bundesländer. Therapieangebote, eine den jeweiligen Bedürfnissen angepasste Tagesstruktur sowie der Zugang zu Lehre und anderen Bildungsabschlüssen müssen zur Verfügung gestellt werden. Ebenso ist die Erarbeitung von Kinderschutzkonzepten mit sozialpädagogischen Strategien und Strukturen in Einrichtungen ein zentraler Faktor, um dem "Untertauchen" von Kindern entgegenzuwirken.

Die aktuelle Regelung zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft für hier staatenlos geborene Kinder entspricht nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs und muss daher angepasst werden.

Das bereits 2012 unterschriebene Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zur Schaffung eines Beschwerdemechanismus für Kinder soll ratifiziert werden, die EU-Kinderrechtsstrategie und die EU-Kindergarantie sichergestellt werden.

Die Erfassung statistischer Daten im Asyl- und Fremdenrecht soll ausgebaut werden und ein jährlicher Lagebericht der befassten Behörden soll Auskunft über die Situation asylsuchender Kinder und Familien geben.

Ein umfassendes und unabhängiges Kinderrechte-Monitoring für die gesamte Gesetzgebung und Vollziehung soll eingerichtet werden.

Im Mai 2021, kurz nachdem die Kindeswohlkommission eingesetzt und mit der Erarbeitung eines Berichtes beauftragt wurde, hat das BMI einen eigenen Beirat mit einem weiteren Gutachten zur Stellung der Kinderrechte in Österreich beauftragt- dies bis zur Veröffentlichung des Gutachtens ohne Wissen der Kindeswohlkommission. Der Bericht des BMI-Beirates unter der Leitung von Walter Obwexer stimmte mit dem Bericht der Kindeswohlkommission nicht in allen Punkten überein und betont die Selbstverständlichkeit: dass das Kindeswohl "keinen absoluten Stellenwert" hätte; weiters ventiliert er, dass "ein übergeordnetes öffentliches Interesse an einem funktionierenden Migrationsmanagement" bestehe (siehe https://www.derstandard.at/story/2000128149646/kindeswohlkommission-praesentiert-abschlussbericht). Laut Anfragebeantwortung 8229/AB (zu 8321/J) wären im Zusammenhang mit der Einsetzung dieses Beirates und dessen Berichterstellung für das BMI keine Kosten entstanden. 

In derselben Beantwortung wird ebenfalls erläutert, dass Maßnahmen bezüglich kindergerechten Verfahren bereits gesetzt worden sind, beispielsweise durch die Aufbereitung und Überarbeitung diverser Arbeitsbehelfe (z.B. verbindliche Arbeitsanleitungen, Leitfaden), die Weiterentwicklung der Länderinformationsblätter, sowie Schulungen für Referent_innen. Ebenfalls verweist das BMI auf eine laufende Adaptierung der Verfahren und der Prozesse zur Gewährleistung und Sicherstellung des Kindeswohls im Asylverfahren, sowie auf einen vom BFA erarbeiteten Leitfaden mit den wesentlichen Kriterien zur Prüfung des Kindeswohls und auf die bundesweite Umsetzung der Ausstattung von kindergerechten Einvernahmeräumen im BFA. Zur Rechtsberatung von Minderjährigen stünden gesonderte Parteienverkehrszeiten in einigen Bundesbetreuungseinrichtungen zur Verfügung. Hinsichtlich der Unterbringung, Betreuung und Versorgung der Minderjährigen fänden regelmäßige Evaluierungen in allen Bundesbetreuungseinrichtungen statt. Empfehlungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen werden laut BMI generell hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit im Rahmen des Regierungsprogramms überprüft. Vielen Empfehlungen würde "im Vollzug sowie aufgrund höchstgerichtlicher Rechtsprechung bereits umfassend Rechnung getragen" werden. Welche Empfehlungen - die der Kindeswohlkommission oder die des Beirates - bei Widersprüchen bevorzugt bzw. prioritär umgesetzt werden sollen, bleibt offen. Einige Antworten und einige vom BMI genannten Maßnahmen zum Kindeswohl verlangen demnach weitere Präzisierung. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Was beinhalten die in der Beantwortung 8229/AB genannten verbindlichen Arbeitsanleitungen und Leitfaden?
    1. Was beinhalten die vom BFA erarbeiteten und im Leitfaden enthaltenen "wesentlichen Kriterien", anhand derer das Kindeswohl zu prüfen ist?
  1. Welche Inhalte werden den Referent_innen des BFA während der Schulungen bezüglich Kindeswohl vermittelt? 
    1. Wie oft finden derartige Schulungen statt?
    2. Wie viele Referent_innen haben wann an einer Schulung zum Kindeswohl teilgenommen? 
    3. Sind Schulungen zum Kindeswohl für Referent_innen des BFA verpflichtend? 
  1. Wie werden die Einvernahmeräume im BFA ausgestattet, um kindergerecht zu sein?
  2. In welchen Bundesbetreuungseinrichtungen stehen gesonderte Parteienverkehrszeiten zur Rechtsberatung von Minderjährigen zur Verfügung? In welchen nicht? 
  3. Wie wird sichergestellt, dass Minderjährige, die in Bundesbetreuungseinrichtungen untergebracht sind, in denen dieses Angebot nicht zur Verfügung steht, Zugang zu einer Rechtsberatung gewährt wird?
  4. Durch welche konkreten Maßnahmen bzw. Vorgehensweisen werden die Verfahren und Prozesse zur Gewährleistung und Sicherstellung des Kindeswohls „laufend adaptiert“?
  5. Wie oft finden Evaluierungen hinsichtlich der Unterbringung, Versorgung und Betreuung in den Bundesbetreuungseinrichtungen statt? Von wem werden sie durchgeführt? Bitte um Angabe der durchgeführten Evaluierungen je Bundesbetreuungsstelle, sowie Zeiträume der Evaluierungen und Ergebnisse der Evaluierungen. 
  6. Welche Empfehlungen der Kindeswohlkommission bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen sind im Rahmen des Regierungsprogramms nicht umsetzbar? Aus welchen Gründen nicht?
    1. Welchen dieser Empfehlungen wird bereits "umfassend Rechnung getragen"? 
  1. Auf welche Höhe beliefen sich die Kosten für die Einsetzung des Beirates und dessen Erstellung eines Berichtes über das Kindeswohl in Österreich?
    1. Wer hat diese Kosten getragen, wenn nicht das BMI? 
  1. Werden Sie die Empfehlungen beider Berichte umsetzen?
    1. Wenn ja, wie werden Sie bei widersprüchlichen Empfehlungen vorgehen? 
    2. Werden Sie Empfehlungen eines der beiden Berichte prioritär umsetzen?

                                          i.    Wenn ja, Empfehlungen welches Berichtes werden Sie warum prioritär umsetzen?

    1. Wenn nein, mit welcher Begründung?
    2. Wenn nein, Empfehlungen welches Berichtes werden Sie mit welcher Begründung umsetzen bzw. nicht umsetzen?
  1. Anhand der Beantwortung 8348/AB zu 8506/J stellte sich heraus, dass im Zeitraum Januar 2016 bis Oktober 2021 11.731 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen Asylantrag stellten, davon verschwanden 4.416 im Zulassungsverfahren, sprich 38% aller Anträge - ein Phänomen, das ebenfalls von der Kindeswohlkommission kritisiert wird. Wie alt sind die verschwundenen UMF?