9717/J XXVII. GP

Eingelangt am 10.02.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried,

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für  Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Bestellung einer Pharma-Lobbyistin zur obersten Aufsicht für Arzneimittel

 

Die Medizinmarktaufsicht wurde 2006 gegründet und ist ein Geschäftsbereich der AGES. Die Aufsicht ist u.a. zuständig für die Arzneimittelzulassung oder auch für die klinische Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Auftraggeber und Eigentümer ist die Republik Österreich, vertreten durch Ihr Ministerium.

Seit 2013 obliegt die Leitung der Medizinmarktaufsicht der Biochemikerin Christa Wirthumer-Hoche, die nun in den Ruhestand tritt, womit Ende März die Stelle frei wird.

Die Neubesetzung ist gerade in Pandemiezeiten eine sensible Entscheidung – auch angesichts der aufgeheizten Stimmung in Teilen der Bevölkerung; gerade die absurden Theorien und Mythen von Verschwörungstheoretiker*innen, welche hinter Covid-19 eine Verschwörung der Pharmaindustrie vermuten, werden dadurch bestärkt.

Die bisherigen Leiterinnen und Leiter der Medizinmarktaufsicht waren Expert*innen mit wissenschaftlichem und medizinischem Hintergrund. Jetzt soll die Leitung dieses sensiblen Bereichs ausgerechnet Helga Tieben, einer Lobbyistin der Pharmabranche übergeben werden.

Helga Tieben ist seit 18 Jahren bei der Pharmalobbying-Organisation Pharmig, der freiwilligen Interessensvertretung der österreichischen Pharmaindustrie, tätig.

Eine Besetzung mit einer Lobbyistin der Pharmaindustrie gefährdet die Unabhängigkeit der Medizinmarktaufsicht, da das AGES-Geschäftsfeld von der Pharmig zum Teil finanziert wird.

Zudem gibt es Kritik, da ihr die nötigen Qualifikationen fehlen dürften. Laut Bericht der „Salzburger Nachrichten“ wird ein „abgeschlossenes Studium der Humanmedizin oder einem naturwissenschaftlichen Studium und Führungserfahrung“ gefordert – Helga Tieben studierte hingegen Publizistik und hat einen Mastertitel in Legal-Studies und Business.

Auch Wiens Pflege- und Patient*innenanwältin Sigrid Pilz twitterte: „Ich halte es für unakzeptabel, dass als neue #AGES Chefin jemand aus der #PHARMIG rekrutiert wurde. Die Medizinmarktaufsicht muss strikt unabhängig sein. Gerade jetzt darf kein Zweifel an der Transparenz und Objektivität in der AGES aufkommen.“

Dem können wir uns nur anschließen, die Medizinmarktaufsicht muss diese Unabhängigkeit gewährleisten.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE

1.       Die bisherigen Leiter*innen der Medizinmarktaufsichtsbehörde waren bis 2013 Marcus Müllner und seit 2013 Christa Wirthumer-Hoche. Zwar hat Helga Tieben durch ihren Beruf Erfahrung im Pharmabereich, hat aber weder ein Medizin- noch ein naturwissenschaftliches Studium. Laut ihrem Lebenslauf ist sie Publizistikabsolventin und hat einen Legal-Studies- und Business-Mastertitel.

Gibt es gewisse Voraussetzungen die die Leiterin bzw. der Leiter der Medizinmarktaufsicht zu erfüllen hat?

a. Wenn ja, bitte listen Sie diese auf.

b. Wenn nein, warum nicht?

2.       Laut Medienberichten gab es einen Auswahlprozess mittels Ausschreibung und Hearingkommission.

a.       Wie verlief der konkrete Ausschreibungsprozess?

b.       Wie lautet der Ausschreibungstext?

c.       Wie lange war die Bewerbungsfrist?

d.       Wenn es Bewerbungsgespräche gab, von wem wurden diese durchgeführt?

3.       Wie viele Bewerbungen gab es insgesamt für die Stelle der Leitung der Medizinmarktaufsicht?

4.       Zu welchem Zeitpunkt sind deren Bewerbungen bei der AGES eingelangt? Bitte um Auflistung für jeden/jede Bewerber*in.

5.       Welche/r Bewerber*innen erfüllte die Ausschreibungskriterien?

6.       Erfüllt Helga Tieben die Ausschreibungskriterien?

a.       Wenn nein: Welche Gründe lagen vor, trotzdem  Helga Tieben den Vorzug vor den anderen Bewerber*innen zu geben? Bitte um konkrete Auflistung.

7.       Hat es im Vorfeld von Seiten des BMSGPK Gespräche mit Helga Tieben bezüglich der Bewerbung bzw. der Besetzung der Leitung der Medizinmarktaufsicht gegeben?

a.       Wenn ja, wann und von wem wurden diese Gespräche geführt? Bitte um genaue Auflistung.

8.       Hat es im Vorfeld mit anderen Vertreter*innen der Pharmig, dem Unternehmen bei dem Helga Tieben beschäftigt ist, Gespräche von Seiten des BMSGPK diesbezüglich gegeben?

a.       Wenn ja, wann und von wem wurden diese Gespräche geführt? – bitte um genaue Auflistung.

9.       Hat es im Vorfeld von Seiten des BMSGPK diesbezüglich Gespräche mit den anderen  Bewerber*innen gegeben?

 

10.   Wann haben Sie persönlich von der Auswahl von Helga Tieben erfahren?

11.   Die aktuelle Leiterin Christa Wirthumer-Hoche ist langjährige Vorsitzende des Management Board der Europäischen Arzneimittelbehörde. Voraussetzung, um hier Vorstandsmitglied zu sein, braucht es Managementkompetenz und Erfahrung im Bereich der Human- oder Veterinärmedizin. Wäre Helga Tieben die automatische Nachfolgerin für dieses Amt?

a. Wenn ja, erfüllt Helga Tieben hierfür die Kriterien und wurde dies im Vorfeld ausreichend geprüft?

12.   Auf Grund der Compliance-Regelungen der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird wohl eine Nachfolge von Christa Wirthumer-Hoche durch Frau Helga Tieben nicht in Frage kommen. Dadurch wir es wohl zu eine Schwächung Österreichs im Bereich der EMA kommen. Wird dieser Umstand von Ihnen einfach in Kauf genommen?

13.   Gerade in Zeiten einer Pandemie, in der viele Verschwörungstheoretiker*innen Mythen und Theorien glauben und verbreiten, dass Corona eine Verschwörung der Pharmaindustrie ist. Glauben Sie nicht auch, dass diese Denkweise bestärkt wird und die Menschen noch mehr das Vertrauen in die Pharmaindustrie verlieren?

14.   Ist die Bestellung einer Pharmalobbyistin für die Leitung der Medizinmarktaufsicht Bestandteil einer geheimen Absprache oder eines Sideletters mit der ÖVP?

        a) Wenn ja, gab es eine Gegenleistung dafür und was war die Gegenleistung?