977/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.02.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für EU und Verfassung

betreffend EU-rechtswidrige Bestrafung regierungs- oder systemkritischer Richter_innen in Polen

Die in Polen regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat in den vergangenen Jahren das Justizwesen grundlegend geschwächt. Die EU-Kommission hat wegen der vielen strittigen Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Polen eröffnet und Klagen beim EuGH eingereicht. Diese zeigt sich bisher aber weitgehend unbeeindruckt: Am 4. Februar 2020 unterzeichnete Polens Präsident Andrzej Duda nun ein umstrittenes Gesetz, durch das angeblich korrupte Richter_innen diszipliniert werden sollen. "Dies ist ein trauriger Tag für Polen, die EU, den Rechtsstaat und die Rechtssicherheit der Bürger", zitiert die Wiener Zeitung Adam Bodnar, Polens Ombudsmann für Bürger_innen-Rechte; sein Land habe einen Schritt in Richtung eines "rechtlichen Polexits" aus der EU gemacht. Noch am selben Tag suspendierte die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs Richter Paweł Juszczyszyn, sein Gehalt wurde für die Dauer der Suspendierung um 40 Prozent reduziert. Juszczyszyn war der erste Richter, der das EuGH-Urteil vom 19. November 2019 anwendete, das die Kriterien festlegt, nach denen die Kammer als unabhängig und unparteiisch angesehen werden kann. (https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/2048708-Polen-Gesetz-zur-Richter-Disziplinierung-unterzeichnet.html)

Juszczyszyn ist Richter des Bezirksgerichts in Olsztyn, wo er unter anderem Berufungen gegen Entscheidungen von Bezirksgerichten bearbeitete. Während der Prüfung einer Beschwerde in einem Zivilverfahren entschloss er sich aus gegebenem Anlass, den Rechtsstatus jenes Richters zu untersuchen, der das Urteil in erster Instanz erlassen hatte. Da besagter Richter ein einflussreiches Mitglied des neugegründeten Nationalen Justizrats ist, beantragte Juszczyszyn sämtliche Unterlagen (u.a. Anträge, Kandidat_innen-Listen und Unterstützungserklärungen), die der Kanzlei des polnischen Unterhauses (Sejm) bezüglich der Entsendung von Richter_innen in das Gremium vorlagen. Zudem bat er den Leiter der Sejm-Kanzlei, ihm die Originale oder amtlich beglaubigten Kopien der Erklärungen von Bürger_innen und Richter_innen vorzulegen, die sich gegen Kandidat_innen ausgesprochen hatten. (https://www.rechtersvoorrechters.nl/suspension-and-salary-reduction-for-critical-polish-judge-juszczyszyn/)

Rechtsexpert_innen aus Polen wie auch anderen europäischen Ländern werfen sowohl der Disziplinarkammer als auch dem Nationalen Justizrat mangelnde Unabhängigkeit vor. Unter Berufung auf EU- sowie nationales Recht sprach das Arbeitsrechtsreferat des Obersten Gerichtshofs beiden Gremien im Dezember 2019 ihre Kompetenz als vollwertige Gerichte ab. In seiner Begründung wies Richter Bohdan Bieniek darauf hin, dass der Nationale Justizrat keine ausreichenden Garantien für seine Unabhängigkeit von Gesetzgebungs- und Exekutivbehörden gegeben habe. Dies sei auch der Ausgangspunkt für die Beurteilung über die Unabhängigkeit der Disziplinarkammer gewesen. "Es ist ersichtlich, dass vor allem Personen, die eng mit Legislative oder Exekutive verbunden sind, für die neue Disziplinarkammer ausgewählt wurden", so der Richter. Wie der Sprecher des Obersten Gerichtshofs, Michał Laskowski, zudem vor polnischer Presse betonte, gilt die Entscheidung des Arbeitsrechtsreferats für alle Gerichte des Landes: „Sie werden die Entscheidung berücksichtigen und Richter_innen werden weiter dem Obersten Gerichtshof Fragen stellen oder Entscheidungen einfach selbst fällen. Das wird zu verschiedensten Positionen und konkurrierenden Urteilen führen, dem Staat ist das mit Sicherheit nicht dienlich." In anderen Worten: Die Ermächtigung von Nationalem Justizrat und Disziplinarkammer führt zur Schaffung zweier unterschiedlicher Rechtssysteme.

In der Begründung ihrer Klagseinbringung beim EuGH im Oktober 2019 stellte die EU-Kommission umfassend fest:

"Nach polnischem Recht können Richter an ordentlichen Gerichten wegen des Inhalts ihrer richterlichen Entscheidungen disziplinarrechtlich verfolgt werden, einschließlich ihres Rechts gemäß Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidungen zu ersuchen. Außerdem garantiert die neue Disziplinarregelung auch nicht die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts, die ausschließlich aus Richtern besteht, die vom Landesrat für Gerichtswesen ausgewählt wurden, der seinerseits vom polnischen Parlament (Sejm) nach politischen Kriterien ernannt wird. Ferner stellt die neue Disziplinarregelung nicht sicher, dass in Disziplinarverfahren gegen Richter an ordentlichen Gerichten in erster Instanz ein „durch Gesetz errichtetes“ Gericht entscheidet.

Stattdessen wird der Präsident der Disziplinarkammer ermächtigt, für ein konkretes Verfahren gegen einen ordentlichen Richter das Disziplinargericht erster Instanz ad hoc und nach fast freiem Ermessen zu bestimmen. Die neue Regelung garantiert nicht mehr, dass Disziplinarsachen innerhalb einer angemessenen Frist bearbeitet werden, so dass der Justizminister über die Möglichkeit verfügt, über von ihm ernannte Disziplinarbeamte anhängige Verfahren nach Belieben in die Länge zu ziehen. Außerdem beeinträchtigt die neue Regelung die Verteidigungsrechte der Richter. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Richter nicht vor politischer Kontrolle geschützt sind und folglich die Unabhängigkeit der Justiz verletzt wird." (https://ec.europa.eu/germany/news/20191010-polen-eugh_de)

Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind unverrückbare Schlüsselprinzipien demokratischer Staaten. Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) definiert die Achtung der Rechtsstaatlichkeit als einen jener grundlegenden Werte, auf denen unsere gemeinsame Union basiert. Für eine effektive Zusammenarbeit unter den Mitgliedsstaaten und weitere Integration innerhalb der Union ist sie unerlässlich.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage:



1.    Als Europaministerin sitzen Sie im Rat für Allgemeine Angelegenheiten, in dem Artikel-7(1)-Verfahren behandelt werden.

a.    Wie lautet der derzeitige Verfahrensstand im Fall von Polen?

b.    Teilen Sie die Meinung der EU-Kommission?

c.    Gibt es eine akkordierte österreichische Position zum Artikel-7(1)-Verfahren gegen Polen?

                                  i.    Wenn ja, wie lautet diese?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht? Wird aktuell eine erarbeitet?

2.    Während Ihrer Tour durch die Visegrád-Staaten, auf der Sie für die ÖVP-Position zum EU-Budget warben, hat es von Ihrer Seite keine öffentliche Kritik am Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Polen gegeben. Am 11.02.2020 trafen Sie Ihren polnischen Amtskollegen Konrad Szymański, mit dem sie Ihrem Twitter-Account zufolge u.a. über "Rechtsstaatlichkeit und die Zukunft Europas" sprachen. Eine öffentliche Äußerung zu den besorgniserregenden Entwicklungen in seinem Land blieb allerdings aus.

a.    Wie stehen Sie als Europaministerin zur Situation in Polen und dem laufenden Artikel-7(1)-Verfahren der EU?

b.    Haben Sie sich seit Ihrer Angelobung öffentlich zu den EU-rechtswidrigen Entwicklungen in Polen geäußert?

                                  i.    Wenn ja, wo und wann wurden diese Äußerungen veröffentlicht?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?

c.    Haben Sie sich gegenüber der polnischen Regierung - etwa in Person von Konrad Szymański - für die Einhaltung grundlegender EU-Rechtsprinzipien und gegen den Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung stark gemacht?

                                  i.    Wenn ja, was genau haben Sie der polnischen Regierung kommuniziert?

                                ii.    Wenn nein, wie und wann gedenken Sie sich in Ihrer Rolle als Europaministerin gegenüber der polnischen Regierung für die Einhaltung grundlegender EU-Rechtsprinzipien und gegen den Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung stark zu machen?

1.    Wenn ja, wie und wann gedenken Sie dies zu tun?

2.    Wenn nein, wieso nicht?

3.    Im aktuellen Regierungsprogramm steht auf Seite 175: "Europa ist eine Verantwortungs- und Solidargemeinschaft. Wer sich nicht an die gemeinsamen Regeln hält, muss mit Sanktionen rechnen. (...) Stärkung des bestehenden Rechtsstaatlichkeitsrahmens und wirksamere Sanktionen bei Verstößen."

a.    Welche konkreten Maßnahmen befürwortet und unterstützt die österreichische Regierung angesichts der offensichtlichen Verstöße gegen die gemeinsamen Regeln von Seiten der polnischen Regierung?

b.    Haben Sie bereits oder werden Sie sich in näherer Zukunft bilateral mit der polnischen Regierung bezüglich im Raum stehender Sanktionen austauschen?

                                  i.    Wenn ja, welche Ergebnisse brachten die Gespräche?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?

c.    Haben oder werden Sie sich auf EU-Level für Sanktionen gegen Polen einsetzen?

                                  i.    Wenn ja, wie sollen diese Sanktionen im Detail aussehen?

                                ii.    Wenn nein, wieso nicht?