9867/J XXVII. GP

Eingelangt am 22.02.2022
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Robert Laimer, Eva-Maria Bolzleitner, Phillip Kucher, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Inneres

betreffend Smartphone-App „Stiller Notruf"

Gewalt gegen Frauen ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat. Die Formen von Gewalt, die Frauen erleiden, sind vielfältig und reichen von sexueller Belästigung bis zum Femizid. Laut ExpertInnen wird Gewalt an Frauen jedoch oftmals tabuisiert und ist bei vielen Opfern angst- bzw. schambesetzt. Häufig wird sie weder angesprochen noch zur Anzeige gebracht.

Aufgrund der alarmierenden, stark steigenden Zahlen von Gewaltdelikten an Frauen, sind im Vorjahr rund 25 Millionen Euro für den Frauengewaltschutz budgetiert worden. Eine Maßnahme, die in Notsituationen zum Einsatz gelangen soll, ist der „Stille Notruf". Hierbei handelt es sich um eine App (für Smartphones), die einen Notruf direkt bei der Polizei absetzt. Ab März 2022 soll die App zum Einsatz gelangen.

„Der stille Notruf kann von betroffenen Frauen per App am Handy aktiviert werden, ohne dass die Polizei einen Rückruf machen muss", sagte Karner. Zuvor muss eine Registrierung durchgeführt werden, die Adresse angegeben werden, im Notfall muss dann nur noch ein Button in der App gedrückt werden, und die Polizei rückt sofort zum Tatort aus und ermittelt', sagte Karner."[1]

Bemerkenswert in diesem Kontext ist, dass es bereits seit 2013 eine wesentlich funktionsreichere und praxiserprobte Frauenhilfe-App namens „fem:HELP" gibt, die sich im Eigentum der Republik Österreich befindet.[2] Diese wurde von der damals amtierenden Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst im Bundeskanzleramt - Gabriele Heinisch-Hosek - der Öffentlichkeit vorgestellt.[3] Konzipiert wurde diese von einem österreichischen Psychologen, der die zeitlich unbegrenzten Nutzungsrechte gegen eine Einmalzahlung an die Republik Österreich abtrat. Dabei waren von Beginn an neben einem umfangreichen und interaktiven Informationsangebot in der App außerdem Barrierefreiheit, standardmäßige Verschlüsselung von Personendaten und eine optionale Cloud- Anbindung vorgesehen.

Um eine qualitätvolle Umsetzung zu garantieren, wurden in Folge eine Reihe von Workshops mit ExpertInnen aus den Bereichen Sozialarbeit und Frauenberatung durchgeführt, um die Ergebnisse aus der Praxis der Frauenberatung und des Frauenschutzes in die App einfließen zu lassen. Das Ergebnis dieser multiprofessionellen Bemühungen wurde anschließend von der Firma CSS Computer- Systems-Support GmbH im Sommers 2013 in Form einer Android- und wenig später auch einer iPhone-App programmiert. Die Koordination zwischen dem Erfinder der App, dem Ministerium und der IT-Firma Firma CSS Computer-Systems-Support GmbH wurde von Dl Günter Tschabuschnigg vom BKA durchgeführt.[4]

Kolportierterweise wurden die Konzeption und Programmierung der App mit einem Betrag von 83.000C entlohnt und es gab Pläne, diesen Code auch im Rahmen der Open Data-Strategie der Republik zur allgemeinen Nutzung freizugeben.[5]

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek präsentierte die App der Öffentlichkeit schließlich am 11. September 2013. Zu diesem Zeitpunkt war diese App europaweit die Einzige ihrer Art.[6]

Begleitet wurde die App von einer Informationskampagne, die neben Zeitungsinseraten, Tutorial­Videos auch Druckwerke in mehreren Sprachen beinhaltete. Bereits ab dem Erscheinen der App wurde diese von vielen Frauenhilfeinstitutionen beworben und gelobt.[7]

Im Herbst 2014 war die App auf der Shortlist der „Top 10 Apps des Jahres" von der Redaktion der ORF Futurezone gelistet[8] und erreichte Platz 5 beim Innovationswettbewerb MERCUR 14 der Wiener Wirtschaftskammer.[9] Im selben Jahr wurde die App auch in den Sprachen Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Türkisch und Englisch zur Verfügung gestellt.[10]

Trotz dieser erfolgreichen Implementierung wurde die Frauenhilfe-App fem:HELP am Frauentag 2019 von der Regierung eingestellt.[11] Zuletzt wurde ein selbständiger Entschließungsantrag der Abgeordneten Birgit Silvia Sandler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Wiedereinführung der fem:HELP-App (711/A(E)) im Ausschuss für Familie und Jugend in der Sitzung vom 29. April 2019 vertagt.[12]

Im Jahr 2020 übte das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Kritik an der Einstellung der fem:HELP-App und schrieb wie folgt: „Besonders bei staatlichen Angeboten, wie z.B. Fem:HELP spielt die Erwartungssicherheit in Hinblick auf ein dauerhaftes und langfristiges Angebot eine große Rolle.''[13]

Zusammengefasst kann die fem:HELP als innovativer, psychosozialer und mehrsprachiger Service für Frauen in Österreich gesehen werden, der zum damaligen Zeitpunkt einzigartig war und schon implementiert war. Entwickelt von einem multiprofessionellen Team und ausgelegt auf besondere Bedürfnisse war dieser staatliche Service ein Meilenstein auf dem Weg in die Digitalisierung sozialer Agenden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1.       Wie hoch sind die einmaligen (Konzeption, Consulting, Projektmanagement und

Programmierung) und voraussichtlichen laufenden Kosten (Hosting, Wartung, Support, Bereitschaft) der App „Stiller Notruf''?

2.       Welche Gründe haben dafür gesprochen, die fenrHELP-App, deren Source Code bereits im Eigentum der Republik ist und die bereits mehrsprachig verfügbar ist und zudem in der Praxis zur Anwendung gelangt ist, nicht zum Schutz für Frauen vor Gewaltdelikten, angereichert mit dem Feature „Stiller Notruf" zu erweitern?

3.       Wurde gewissenhaft geprüft ob eine Implementierung der Einzelfunktion „Stiller Notruf" in die fem:HELP-App prinzipiell möglich wäre? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?

4.       Warum wurde bei der Erstellung der App „Stiller Notruf" auf ein multiprofessionelles BeraterInnenteam verzichtet?

5.       Warum wurden bei der Entwicklung der App „Stiller Notruf" keine VertreterInnen von Frauenorganisationen miteingebunden?

6.       „Stiller Notruf" im Kern eine Notruf-App, die keine weiteren frauenrelevanten Informationen und Serviceangebote bzw. Features zur Dokumentation von Gewaitereignissen oder Ereignissen wie Mobbing oder Stalking beinhaltet (wie die fem:HELP-App). Warum wurde darauf verzichtet, zumal Frauen durch solche Funktionen mehr Informationen zur Hand haben bzw. mehr Rechtssicherheit erlangen können?

7.       Worin liegt die auf Bedürfnisse von Frauen ausgelegte Spezifität der App „Stiller Notruf", die es rechtfertigt als digitaler Service für Frauen ausgewiesen zu werden?

8.       Wurde der Use-Case der vorherigen BenutzerInnen-Registrierung bei der Polizei auf seine Akzeptanz, Praktikabilität und Sinnhaftigkeit geprüft?

9.       Welche personenbezogenen Daten genau werden von der App „Stiller Notruf" im Vorfeld der Nutzung der Notruffunktion erhoben?

10.    Wie erfolgt die Authentifizierung der registrierten BenutzerInnen bzw. wie können irreführende bzw. unwahre Anmeldungen ausgeschlossen werden?

11.    In welche datenverarbeitenden Systeme fließen die Daten, die aus der BenutzerInnen­Anmeldung bzw. Nutzung der App „Stiller Notruf" entstehen, in welcher Form ein?

12.   Wie sind die von den BenutzerInnen mittels der App hinterlegten und ggf. darüber hinaus entstehenden Daten vor der Einsicht und Manipulation Dritter geschützt?

13.    Bei welchem/r Anbieterin werden die BenutzerInnen-Daten, die in der App „Stiller Notruf" eingegeben werden bzw. möglicherweise entstehen, gehostet und wie ist dies vertraglich geregelt?

14.   Werden Daten zum BenutzerInnenverhalten der App „Stiller Notruf" erhoben?

15.   Welche Körperschaften, Behörden, Firmen, Institutionen, etc. haben Zugriff auf die Registrierungsdaten bzw. auf andere möglicherweise erhobene und entstehende Daten?

16.   Welche technischen Mechanismen schützen die BenutzerInnen der App „Stiller Notruf" vor Missbrauch der von Ihnen preisgegebenen Daten durch Dritte?

17.   Welche Audits und Sicherheitschecks wurden vor der Veröffentlichung der App „Stiller Notruf" von wem wann und mit welchen Ergebnissen durchgeführt?

18.   Welche regelmäßigen Maßnahmen der technischen Qualitätssicherung (Audits) und Kompatibilität mit neuen Softwareversionen der Smartphones, der Sicherstellung der permanenten Verfügbarkeit (Monitoring), der Datenschutzkonformität, der Beschaffenheit der Nutzung und des möglichen Missbrauchs werden nach der Veröffentlichung gesetzt werden und von wem werden diese wie oft durchgeführt?

19.   Welche Supportverträge wurden mit wem und auf Basis welcher Reaktionszeiten im Falle einer Downtime der App oder ihrer Schnittstellen bzw. ihrer Infrastruktur geschlossen?

20.   Gibt es Wartungsfenster in der App „Stiller Notruf" oder der dahinterliegenden Infrastruktur, die zu einem Nichtfunktionieren der App für eine bestimmte Zeit führen können? Wenn ja, wie werden die BenutzerInnen darüber informiert?

21.    Wird der Status der Funktionsbereitschaft der App „Stiller Notruf" für BenutzerInnen jederzeit ersichtlich sein, so dass sich diese darauf verlassen können, dass der stille Notruf zu diesem Zeitpunkt technisch möglich ist?

22.    Ist beabsichtigt, den Source Code der App „Stiller Notruf" und der Schnittstellen im Rahmen der digitalen Strategie der Republik Österreich zu Zwecken der Weiterentwicklung und Qualitätssicherung zur Verfügung zu stellen? Wenn ja: Wann, Wein nein: Warum nicht?

23.    Ist beabsichtigt die App „Stiller Notruf" in andere Sprachen zu übersetzen? Wenn ja: Wann? Wenn nein: Warum nicht?

24.   Wieviele NutzerInnen und stille Notrufe werden für das erste Jahr in etwa erwartet?

25.   Auf welche Laufzeit ist der Einsatz der App „Stiller Notruf" ausgelegt?

26.   Wie viel Mittel sind zur Bewerbung der App „Stiller Notruf" im ersten Jahr geplant?



[1]     „Stiller Notruf" per App ab März - https://orf.at/stories/3246713/ vom 08. Febfuar 2022

[2]      https://www.data.gv.at/anwendungen/femhelp/

[3]     https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130910„0TS0104/heinisch-hosek-mit-der-femheip-app-schutz-fuer- frauen-vor-gewalt-gewaehrleisten

[4]      https://www.cssteam.at/

[5]      https://www.data.gv.at/anwendungen/femhelp/

[6]      https://www.derstandard.at/story/lB78248639399/neue-app-fem-help-soll-in-notsituationen-schnell-helfen

[7]      https://frauenberatung.co.at/femhelp-app-gegen-gewalt-an-frauen/

[8]      https://futurezone.at/digital-life/die-wahl-der-app-des-jahres-powered-by-orf-tvthek/89.039.290

[9]      http://www.rolandernst.com/pdf/Folder_Mercur_web_4-ll-14.pdf (Seite 10)

[10]    https://frauen.spoe.at/2014/08/19/heinisch-hosek-femhelp-app-bietet-schutz-fuer-frauen-vor-gewalt/

[11]    https://www.derstandard.3t/story/2000099205274/femhelp-app-fuer-hilfe-bei-gewalt-wird-eingestellt

[12]   https://www. parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/A/A_00711/index.shtml

[13]   Foresight und Technikfolgenabschätzung: Monitoring von Zukunftsthemen für das Österreichische Parlament http://epub.oeaw.ac.at/0xclaa5576%200x003c3b49.pdf (Seite 152)