9932/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.02.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Abschiebung eines 13-jährigen und seiner Eltern nach Aserbaidschan

 

Bei Entscheidungen, die Familien und Kinder betreffen, ist im besonderen Maße das Kindeswohl zu beachten: Gemäß Art 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, Art 3 UN-Kinderrechtskonvention und Art 24 EU-Grundrechtecharta muss das Wohl des Kindes bei jeder Maßnahme durch öffentliche oder private Stellen vorrangige Erwägung sein. Auch bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ist das Kindeswohl daher vorrangig zu berücksichtigen. Auch gilt es gemäß Art 4 BVG über die Rechte von Kindern, dass jedes Kind ein Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise, hat. 

Bereits im Januar 2021 sorgten die Abschiebungen von der damals 12-jährige Schülerin Tina samt ihrer Familie nach Georgien und einer Familie mit Kindern nach Armenien für massive Proteste. Daraufhin wurde die Kindeswohlkommission eingesetzt, die in ihrem Abschlussbericht im Juli 2021 einen umfangreichen Empfehlungskatalog zur Stärkung der Kinderrechte und des Kindeswohls im Asylverfahren veröffentlichte. Vor allem bedarf es in allen Entscheidungen im Rahmen des Asyl- und Fremdenrechts, die Kinder betreffen, einer „umfassenden Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die Rechte des Kindes“. Dies beinhaltet auch eine eigenständige Berücksichtigung der Situation und Integration von Kindern. Vor allem besteht diese Notwendigkeit bei Rückkehrentscheidungen und Entscheidungen über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Die Kindeswohlkommission empfahl ebenfalls, in Entscheidungen über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen die Erfahrungen von Personen zu berücksichtigen, die die Schutzsuchenden als Nachbarn, bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, in der Schule, in Vereinen kennengelernt und mit ihnen gelebt haben. Desweiteren wurde empfohlen, Schubhaft für Minderjährige und Familien einzustellen. Generell sollten Abschiebungen nicht während des Schuljahres stattfinden.

Und trotzdem passierte es erneut. Am 15. Februar 2022 wurde Husein Salimov, ein 13-jähriger Junge, mit seinen Eltern nach Aserbaidschan abgeschoben. Husein Salimov ist 2016 – im Alter von acht Jahren – mit seinen Eltern aus dem Süden von Aserbaidschan nach Österreich gekommen. Die Familie stellte damals einen Asylantrag und wohnte seither in dem Quartier der Grundversorgung in der Salzburger Alpenstraße. Bis zum vergangenen Wochenende lebte der 13-Jährige dort mit Mutter und Vater. Husein Salimov besuchte die Mittelschule und engagierte sich im UTTC Tischtennisverein in Salzburg, wo er als Nachwuchstalent galt. Er und seine Mutter sprechen fließend deutsch – die Mutter hatte laut ihrem Anwalt Kurt Jelinek auch einen Arbeitsvorvertrag sowie einen Mietvorvertrag für den Fall, dass ihnen Asyl gewährt wird (https://salzburg.orf.at/stories/3143057/). Auch Personen, die Husein Salimov gut kannten, wie etwa der Vizepräsident des UTTC Salzburg, Walter Windischbauer, betonten, dass er in Salzburg bestens integriert ist und bemühten sich, die Abschiebung zu verhindern. Da der Antrag auf internationalen Schutz der Familie Salimov von mehreren Instanzen abgelehnt wurde, stellte die Familie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonderen berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß §56 AsylG. Jedoch wurde dieser ebenfalls abgelehnt. Am Wochenende wurde die Familie nach Wien gebracht. Der 13-jährige Junge hatte nicht einmal die Zeit, sich von seinen Freund_innen zu verabschieden. Aus dem Abschiebezentrum berichtete Husein, die Handys seien ihnen abgenommen worden. Es ginge ihm schlecht, „wie im Gefängnis“. Behandelt seien sie "wie die Tiere" geworden - Österreich wollte er überhaupt nicht verlassen – ähnlich ging es seiner Mutter. Seinen Vater konnte er nicht einmal sehen, weil letzterer in einem anderen Abschiebezentrum saß. Aus "datenschutzrechtlichen Gründen" hat das BMI keine Auskunft erteilen wollen. Es käme jedoch in jedem Einzelfall zu einer "objektiven Prüfung des relevanten Sachverhalts". Seitdem die Abschiebung vollzogen wurde hofft Husein, dass er mithilfe eines Schülervisums nach Salzburg zurückkehren kann. Dadurch wäre er jedoch in einer Gastfamilie untergebracht und somit von seiner Mutter getrennt (https://www.sn.at/salzburg/chronik/trotz-grosser-bemuehungen-13-jaehriger-wurde-nach-aserbaidschan-abgeschoben-117088897#login, https://www.puls24.at/video/cafe-puls/tischtennisverein-kaempft-fuer-husein/v-chwi021ywoa9). 

Dass in dem Fall von Husein Salimov eine umfassende Prüfung des Kindeswohls stattgefunden hat, ist stark zu bezweifeln. Zahlreiche Empfehlungen der Kindeswohlkommission wurden in diesem Fall offensichtlich missachtet. Dies wird sowohl durch den Vollzug der Abschiebung während des laufenden Schuljahres als auch durch die - noch dazu getrennte - Inschubhaftnahme Huseins und seiner Familie verdeutlicht. Die Situation und Integration von Husein, inklusive Erfahrungen von Nahestehenden, blieben offenbar unbeachtet. Aus welchen Gründen ihm das humanitäre Bleiberecht gemäß §56 AsylG verweigert worden ist, bleibt genauso unverständlich.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Seit wann wurde die Abschiebung vom 15.2.2022 geplant?
    1. Wer entschied jeweils wann, dass die Abschiebungen der aserbaidschanischen Familie in Planung zu nehmen ist?
    2. Wer entschied jeweils wann, dass die Abschiebung der aserbaidschanischen Familie für den 15.2.2022 avisiert wird?
    3. Wann wurde der Flug durch wen fix gebucht?
  1. Welche konkreten Vorbereitungen wurden für die Abschiebung wann und durch wen getroffen?
    1. Wie lange haben die konkreten Vorbereitungsmaßnahmen gedauert? Bitte um Aufschlüsselung nach Datum, Uhrzeit und Dauer der Vorbereitungsmaßnahme. 
  1. Wurde in dem gegenständlichen Fall ein Festnahmeauftrag ausgestellt?
    1. Wenn ja, von wem, wann und auf welcher rechtlichen Grundlage?
  1. Wann erfolgte die Festnahme (bitte um Bekanntgabe von Tag und genauer Uhrzeit)?
  2. Wie viele Autos, Beamt_innen, Hunde etc. waren im Einsatz?
  3. Inwiefern hat eine gründliche Prüfung Ihrerseits, Herr Innenminister Karner, der Verhältnismäßigkeit und daher Zulässigkeit der Abschiebung stattgefunden? Bitte um genaue Erläuterung.
    1. Wann hat die von Ihnen durchgeführte gründliche Prüfung jeweils stattgefunden? Bitte um Aufschlüsselung nach Datum, Dauer der Prüfung, Ergebnisse und Familienmitglied.
  1. Wer hat vonseiten des Ministeriums für Ihre Auseinandersetzung mit diesem Fall wann (inkl. Uhrzeit) das inhaltliche Briefing zur Verfügung gestellt? 
  2. Hat im Rahmen Ihrer Prüfung eine ausreichende inhaltliche Prüfung iSd Art. 8 EMRK, der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta und dem BVG über die Rechte von Kindern bzw. eine umfassende Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die Rechte des Kindes iSd Empfehlungen der Kindeswohlkommission stattgefunden?
    1. Wenn ja, wie genau hat diese Prüfung ausgesehen?
    2. Wenn ja, wie viel Zeit hat diese Prüfung in Anspruch genommen?
    3. Wenn ja, welche konkreten Umstände im Leben des 13-jährigen Kindes haben Sie im Rahmen der inhaltlichen Prüfung iSd Art. 8 EMRK, der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta und des BVG über die Rechte von Kindern in Ihre Abwägung miteinbezogen und gegen welches öffentliche Interesse abgewogen?

                                          i.    Wenn ja, auf Basis welcher Rechtsgrundlage sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Umstände für ein Bleiberecht nicht ausreichend sind? Bitte um detaillierte und nachvollziehbare Erläuterung der Entscheidungsfindung nach den von Ihnen herangezogenen Kriterien.

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Hat im Rahmen Ihrer Prüfung eine ausreichende inhaltliche Prüfung einer Verletzung des Kindeswohls iSd Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta und des BVG über die Rechte von Kindern durch eine Abschiebung nach Aserbaidschan stattgefunden?
    1. Wenn ja, wie genau hat diese Prüfung ausgesehen?
    2. Wenn ja, wie viel Zeit hat diese Prüfung in Anspruch genommen?
    3. Wenn ja, welche Umstände im Leben des Kindes haben Sie im Rahmen dieser Prüfung in Ihre Abwägung miteinbezogen und gegen welches öffentliche Interesse abgewogen?
    4. Inwieweit wurde die Meinung von Husein Salimov iSd Art 4 BVG über die Rechte von Kindern berücksichtigt? Inwieweit wurde er angehört bzw. inwieweit war er beteiligt?
    5. Wenn ja, auf Basis welcher Rechtsgrundlage sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass es durch eine Abschiebung nach Aserbaidschan zu keiner Verletzung des Kindeswohls kommen würde? Bitte um detaillierte und nachvollziehbare Erläuterung der Entscheidungsfindung nach den von Ihnen herangezogenen Kriterien.
    6. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wann genau wurde die Abschiebung eingeleitet? Bitte um Nennung des Datums.
  2. Wie wurde der Antrag auf Aufenthaltstitel gemäß §56 AsylG, der für Husein Salimov und seine Familie gestellt wurde, von der zuständigen Behörde bearbeitet?
    1. Aus welchen Gründen wurde er abgelehnt? Bitte um detaillierte Erläuterung.
    2. Wann wurde die Entscheidung der Familie mitgeteilt und wie?
  1. Wie ist die Beratung zur freiwilligen Rückkehr verlaufen?
    1. Wann fand die Beratung unter Teilnahme welcher Personen statt?
    2. Wurde die freiwillige Ausreise abgelehnt oder wäre eine Ausreise am Ende des Schuljahres denkbar gewesen? 
  1. Welche Empfehlungen der Kindeswohlkommission planen Sie wann umzusetzen?
    1. Welche konkreten Maßnahmen zu welchen Empfehlungen sind dafür wann geplant?
    2. Wann sollen diese jeweils umgesetzt werden und durch wen?
    3. Planen Sie die Einrichtung eines umfassenden und unabhängigen Kinderrechte-Monitorings im asyl- und fremdenrechtlichen Bereich?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

                                        ii.    Wenn ja, inwiefern?

  1. Waren bei der Organisation der Abschiebung, wie von der Kindeswohlkommission empfohlen, qualifizierte Menschenrechtsbeobachter_innen mit spezieller Zuständigkeit für Kinder und Kinderrechte, beteiligt?
    1. Wenn ja, gibt es dazu eine Dokumentation? 
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wurde in diesem Rahmen, wie von der Kindeswohlkommission empfohlen, Vorsorge für eine psychologische Krisenintervention getroffen?
    1. Wenn ja, inwieweit?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wieso wurde entgegen der Empfehlungen der Kindeswohlkommission
    1. Die Familie Salimov in Schubhaft genommen?
    2. Husein Salimov während der Schubhaft von seinem Vater getrennt?
  1. Inwieweit war die Trennung der Familie während der Schubhaft mit §13 Abs 2 FPG, laut welchem auch Art. 8 der EMRK in jedem Stadium einer fremdenpolizeilichen Amtshandlung besonders zu beachten ist, vereinbar? 
  2. Sie, Herr Innenminister, haben am 21.02.2022 gesagt, das Kindeswohl habe im Verfahren einen hohen Stellenwert (https://kurier.at/politik/inland/beamte-vom-balkan-lernen-in-oesterreich-wie-man-rechtskonform-abschiebt/401913226). Inwiefern hat sich dieser hoher Stellenwert konkret für Husein Salimov ausgedrückt?  
  3. Wie viele Beamt_innen waren zur Festnahme der Familie an ihrem Wohnort wie lange im Einsatz?
  4. Wie viele Beamt_innen waren zur Verbringung der Familie in die Schubhaft wie lange im Einsatz?
  5. Wie viele Beamt_innen waren zur Verbringung der Familie von der Schubhaft zum Flughafen wie lange im Einsatz?
  6. Wie viele Beamt_innen waren zur Verbringung der Familie von Wien bis zum Zielflughafen wie lange im Einsatz?
  7. Warum waren soviele Beamt_innen für die Begleitung notwendig?
  8. Waren noch andere Personen beim Flug dabei? 
    1. Wenn ja, welche und warum?
  1. Nach welchen Entscheidungskriterien wurde die Fluglinie und Route des Abschiebefluges ausgewählt?
  2. Nach welchen Entscheidungskriterien wurde die Fluglinie und Route des Rückfluges der Beamt_innen nach Wien ausgewählt?
  3. Wie lang dauerte die Wartezeit der Beamt_innen bis zum Rückflug?
  4. Welche Kosten sind im Rahmen der Abschiebung, abseits dem Heranziehen der Arbeitszeit der eingesetzten Beamt_innen, angefallen?
  5. Erhielten Personen außerhalb des Ministeriums Informationen zu diesem Fall?
    1. Wenn ja, welche Personen durch wen wann und auf Basis welcher Rechtsgrundlage?
  1. Welche Stelle erteilte die Weisung, die Familie abzuschieben?
  2. Wird danach getrachtet, bei Festnahme, Inschubhaftnahme und sonstigen Verfahrensschritten bei einer Abschiebung bzw. Rückführung von Familien mit Kindern auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen?
    1. Wenn ja, inwiefern wird dies gewährleistet?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Manche Fragen konnten in einer vorhergehenden Beantwortung (5193/AB zu 5204/J) nicht beantwortet werden, weil entsprechende Statistiken nicht geführt werden. Wird mittlerweile erhoben, in wie vielen Fällen Abschiebungen bzw. Rückführungen von Familien mit minderjährigen Kindern durchgeführt werden? 
    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wird mittlerweile erhoben, in wie vielen Fällen bei Abschiebungen bzw. Rückführungen von Familien mit minderjährigen Kindern Familienmitglieder getrennt werden?
    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wird mittlerweile erhoben, in wie vielen Fällen bei Abschiebungen bzw. Rückführungen Kinder von dem zur Obsorge berechtigten Elternteil getrennt werden?
    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wird mittlerweile erhoben, wie viele Aufenthaltstitel das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl 
    1. gem. §55 AsylG ausstellt?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

    1. gem. §56 AsylG ausstellt?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

    1. gem. §57 AsylG ausstellt?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Wie viele dieser Aufenthaltstitel wurden aufgrund einer erstinstanzlichen Entscheidung ausgestellt?
  2. Wie viele dieser Aufenthaltstitel wurden aufgrund von einer zweitinstanzlichen Entscheidung ausgestellt?
  3. Wie viele dieser Aufenthaltstitel wurden aufgrund separater Anträge - abseits des Asylverfahrens - ausgestellt? Bitte um Aufschlüsselung nach Aufenthaltstitel.