Eingelangt am 24.02.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper,
Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Abschiebung eines
13-jährigen und seiner Eltern nach Aserbaidschan
Bei Entscheidungen, die Familien und Kinder
betreffen, ist im besonderen Maße das Kindeswohl zu beachten:
Gemäß Art 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von
Kindern, Art 3 UN-Kinderrechtskonvention und Art 24 EU-Grundrechtecharta muss
das Wohl des Kindes bei jeder Maßnahme durch öffentliche oder
private Stellen vorrangige Erwägung sein. Auch bei aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen ist das Kindeswohl daher vorrangig zu berücksichtigen.
Auch gilt es gemäß Art 4 BVG über die Rechte von
Kindern, dass jedes Kind ein Recht auf angemessene Beteiligung und
Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden
Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden
Weise, hat.
Bereits im Januar 2021 sorgten die
Abschiebungen von der damals 12-jährige Schülerin Tina samt ihrer
Familie nach Georgien und einer Familie mit Kindern nach Armenien für
massive Proteste. Daraufhin wurde die Kindeswohlkommission eingesetzt, die in
ihrem Abschlussbericht im Juli 2021 einen umfangreichen Empfehlungskatalog zur
Stärkung der Kinderrechte und des Kindeswohls im Asylverfahren
veröffentlichte. Vor allem bedarf es in allen Entscheidungen im Rahmen des
Asyl- und Fremdenrechts, die Kinder betreffen, einer „umfassenden
Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die
Rechte des Kindes“. Dies beinhaltet auch eine eigenständige
Berücksichtigung der Situation und Integration von Kindern. Vor allem
besteht diese Notwendigkeit bei Rückkehrentscheidungen und Entscheidungen
über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen
Gründen. Die Kindeswohlkommission empfahl ebenfalls, in Entscheidungen
über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen
die Erfahrungen von Personen zu berücksichtigen, die die Schutzsuchenden
als Nachbarn, bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, in der Schule, in Vereinen
kennengelernt und mit ihnen gelebt haben. Desweiteren wurde empfohlen, Schubhaft
für Minderjährige und Familien einzustellen. Generell sollten
Abschiebungen nicht während des Schuljahres stattfinden.
Und trotzdem passierte es erneut. Am 15.
Februar 2022 wurde Husein Salimov, ein 13-jähriger Junge, mit seinen
Eltern nach Aserbaidschan abgeschoben. Husein Salimov ist 2016 – im Alter
von acht Jahren – mit seinen Eltern aus dem Süden von Aserbaidschan
nach Österreich gekommen. Die Familie stellte damals einen Asylantrag und
wohnte seither in dem Quartier der Grundversorgung in der Salzburger
Alpenstraße. Bis zum vergangenen Wochenende lebte der 13-Jährige
dort mit Mutter und Vater. Husein Salimov besuchte die Mittelschule und
engagierte sich im UTTC Tischtennisverein in Salzburg, wo er als
Nachwuchstalent galt. Er und seine Mutter sprechen fließend deutsch
– die Mutter hatte laut ihrem Anwalt Kurt Jelinek auch einen
Arbeitsvorvertrag sowie einen Mietvorvertrag für den Fall, dass ihnen Asyl
gewährt wird (https://salzburg.orf.at/stories/3143057/). Auch
Personen, die Husein Salimov gut kannten, wie etwa der Vizepräsident des
UTTC Salzburg, Walter Windischbauer, betonten, dass er in Salzburg bestens
integriert ist und bemühten sich, die Abschiebung zu verhindern. Da der
Antrag auf internationalen Schutz der Familie Salimov von mehreren Instanzen
abgelehnt wurde, stellte die Familie einen Antrag auf Erteilung eines
Aufenthaltstitels in besonderen berücksichtigungswürdigen
Fällen gemäß §56 AsylG. Jedoch wurde dieser ebenfalls
abgelehnt. Am Wochenende wurde die Familie nach Wien gebracht. Der 13-jährige
Junge hatte nicht einmal die Zeit, sich von seinen Freund_innen zu
verabschieden. Aus dem Abschiebezentrum berichtete Husein, die Handys seien
ihnen abgenommen worden. Es ginge ihm schlecht, „wie im
Gefängnis“. Behandelt seien sie "wie die Tiere" geworden -
Österreich wollte er überhaupt nicht verlassen – ähnlich
ging es seiner Mutter. Seinen Vater konnte er nicht einmal sehen, weil
letzterer in einem anderen Abschiebezentrum saß. Aus
"datenschutzrechtlichen Gründen" hat das BMI keine Auskunft erteilen
wollen. Es käme jedoch in jedem Einzelfall zu einer "objektiven
Prüfung des relevanten Sachverhalts". Seitdem die Abschiebung
vollzogen wurde hofft Husein, dass er mithilfe eines Schülervisums
nach Salzburg zurückkehren kann. Dadurch wäre er jedoch in
einer Gastfamilie untergebracht und somit von seiner Mutter
getrennt (https://www.sn.at/salzburg/chronik/trotz-grosser-bemuehungen-13-jaehriger-wurde-nach-aserbaidschan-abgeschoben-117088897#login,
https://www.puls24.at/video/cafe-puls/tischtennisverein-kaempft-fuer-husein/v-chwi021ywoa9).
Dass in dem Fall von Husein Salimov eine
umfassende Prüfung des Kindeswohls stattgefunden hat, ist stark zu
bezweifeln. Zahlreiche Empfehlungen der Kindeswohlkommission wurden in diesem
Fall offensichtlich missachtet. Dies wird sowohl durch den Vollzug der
Abschiebung während des laufenden Schuljahres als auch durch die - noch
dazu getrennte - Inschubhaftnahme Huseins und seiner Familie verdeutlicht. Die
Situation und Integration von Husein, inklusive Erfahrungen von Nahestehenden,
blieben offenbar unbeachtet. Aus welchen Gründen ihm das humanitäre
Bleiberecht gemäß §56 AsylG verweigert worden ist, bleibt
genauso unverständlich.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
Anfrage:
- Seit wann wurde die
Abschiebung vom 15.2.2022 geplant?
- Wer entschied jeweils
wann, dass die Abschiebungen der aserbaidschanischen Familie in Planung
zu nehmen ist?
- Wer entschied jeweils
wann, dass die Abschiebung der aserbaidschanischen Familie für den
15.2.2022 avisiert wird?
- Wann wurde der Flug
durch wen fix gebucht?
- Welche konkreten
Vorbereitungen wurden für die Abschiebung wann und durch wen
getroffen?
- Wie lange haben die
konkreten Vorbereitungsmaßnahmen gedauert? Bitte um
Aufschlüsselung nach Datum, Uhrzeit und Dauer der Vorbereitungsmaßnahme.
- Wurde in dem
gegenständlichen Fall ein Festnahmeauftrag ausgestellt?
- Wenn ja, von wem, wann
und auf welcher rechtlichen Grundlage?
- Wann erfolgte die
Festnahme (bitte um Bekanntgabe von Tag und genauer Uhrzeit)?
- Wie viele Autos,
Beamt_innen, Hunde etc. waren im Einsatz?
- Inwiefern hat eine
gründliche Prüfung Ihrerseits, Herr Innenminister Karner, der
Verhältnismäßigkeit und daher Zulässigkeit der
Abschiebung stattgefunden? Bitte um genaue Erläuterung.
- Wann hat die von Ihnen
durchgeführte gründliche Prüfung jeweils stattgefunden?
Bitte um Aufschlüsselung nach Datum, Dauer der Prüfung,
Ergebnisse und Familienmitglied.
- Wer hat vonseiten des
Ministeriums für Ihre Auseinandersetzung mit diesem Fall wann (inkl.
Uhrzeit) das inhaltliche Briefing zur Verfügung gestellt?
- Hat im Rahmen Ihrer
Prüfung eine ausreichende inhaltliche Prüfung iSd Art. 8 EMRK,
der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta und dem BVG
über die Rechte von Kindern bzw. eine umfassende Prüfung des
Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die Rechte des
Kindes iSd Empfehlungen der Kindeswohlkommission stattgefunden?
- Wenn ja, wie genau hat
diese Prüfung ausgesehen?
- Wenn ja, wie viel Zeit
hat diese Prüfung in Anspruch genommen?
- Wenn ja, welche
konkreten Umstände im Leben des 13-jährigen Kindes haben Sie im
Rahmen der inhaltlichen Prüfung iSd Art. 8 EMRK, der
UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta und des BVG
über die Rechte von Kindern in Ihre Abwägung miteinbezogen und
gegen welches öffentliche Interesse abgewogen?
i. Wenn ja, auf Basis welcher Rechtsgrundlage sind Sie
zu dem Ergebnis gekommen, dass die Umstände für ein Bleiberecht nicht
ausreichend sind? Bitte um detaillierte und nachvollziehbare Erläuterung
der Entscheidungsfindung nach den von Ihnen herangezogenen Kriterien.
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, warum nicht?
- Hat im Rahmen Ihrer
Prüfung eine ausreichende inhaltliche Prüfung einer Verletzung
des Kindeswohls iSd Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24
EU-Grundrechtecharta und des BVG über die Rechte von Kindern durch
eine Abschiebung nach Aserbaidschan stattgefunden?
- Wenn ja, wie genau hat
diese Prüfung ausgesehen?
- Wenn ja, wie viel Zeit
hat diese Prüfung in Anspruch genommen?
- Wenn ja, welche
Umstände im Leben des Kindes haben Sie im Rahmen dieser Prüfung
in Ihre Abwägung miteinbezogen und gegen welches
öffentliche Interesse abgewogen?
- Inwieweit wurde die
Meinung von Husein Salimov iSd Art 4 BVG über die Rechte von
Kindern berücksichtigt? Inwieweit wurde er angehört bzw.
inwieweit war er beteiligt?
- Wenn ja, auf Basis
welcher Rechtsgrundlage sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass es durch
eine Abschiebung nach Aserbaidschan zu keiner Verletzung des Kindeswohls
kommen würde? Bitte um detaillierte und nachvollziehbare
Erläuterung der Entscheidungsfindung nach den von Ihnen
herangezogenen Kriterien.
- Wenn nein, warum nicht?
- Wann genau wurde die
Abschiebung eingeleitet? Bitte um Nennung des Datums.
- Wie wurde der Antrag auf
Aufenthaltstitel gemäß §56 AsylG, der für Husein
Salimov und seine Familie gestellt wurde, von der zuständigen
Behörde bearbeitet?
- Aus welchen
Gründen wurde er abgelehnt? Bitte um detaillierte Erläuterung.
- Wann wurde die
Entscheidung der Familie mitgeteilt und wie?
- Wie ist die Beratung zur
freiwilligen Rückkehr verlaufen?
- Wann fand die Beratung
unter Teilnahme welcher Personen statt?
- Wurde die freiwillige
Ausreise abgelehnt oder wäre eine Ausreise am Ende des Schuljahres
denkbar gewesen?
- Welche Empfehlungen der
Kindeswohlkommission planen Sie wann umzusetzen?
- Welche konkreten
Maßnahmen zu welchen Empfehlungen sind dafür wann geplant?
- Wann sollen diese
jeweils umgesetzt werden und durch wen?
- Planen Sie die
Einrichtung eines umfassenden und unabhängigen
Kinderrechte-Monitorings im asyl-
und fremdenrechtlichen Bereich?
i. Wenn nein, warum nicht?
ii. Wenn ja, inwiefern?
- Waren bei der
Organisation der Abschiebung, wie von der Kindeswohlkommission empfohlen,
qualifizierte Menschenrechtsbeobachter_innen mit spezieller
Zuständigkeit für Kinder und Kinderrechte, beteiligt?
- Wenn ja, gibt es dazu
eine Dokumentation?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wurde in diesem Rahmen,
wie von der Kindeswohlkommission empfohlen, Vorsorge für eine
psychologische Krisenintervention getroffen?
- Wenn ja, inwieweit?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wieso wurde entgegen der Empfehlungen
der Kindeswohlkommission
- Die Familie Salimov in
Schubhaft genommen?
- Husein Salimov
während der Schubhaft von seinem Vater getrennt?
- Inwieweit war die
Trennung der Familie während der Schubhaft mit §13 Abs 2 FPG,
laut welchem auch Art. 8 der EMRK in jedem Stadium einer
fremdenpolizeilichen Amtshandlung besonders zu beachten ist,
vereinbar?
- Sie, Herr Innenminister,
haben am 21.02.2022 gesagt, das Kindeswohl habe im Verfahren einen hohen
Stellenwert (https://kurier.at/politik/inland/beamte-vom-balkan-lernen-in-oesterreich-wie-man-rechtskonform-abschiebt/401913226). Inwiefern hat sich dieser hoher Stellenwert
konkret für Husein Salimov ausgedrückt?
- Wie viele Beamt_innen
waren zur Festnahme der Familie an ihrem Wohnort wie lange im Einsatz?
- Wie viele
Beamt_innen waren zur Verbringung der Familie in die Schubhaft wie
lange im Einsatz?
- Wie viele
Beamt_innen waren zur Verbringung der Familie von der Schubhaft zum
Flughafen wie lange im Einsatz?
- Wie viele
Beamt_innen waren zur Verbringung der Familie von Wien bis zum
Zielflughafen wie lange im Einsatz?
- Warum waren soviele
Beamt_innen für die Begleitung notwendig?
- Waren noch andere
Personen beim Flug dabei?
- Wenn ja, welche und
warum?
- Nach welchen
Entscheidungskriterien wurde die Fluglinie und Route des Abschiebefluges
ausgewählt?
- Nach welchen
Entscheidungskriterien wurde die Fluglinie und Route des Rückfluges
der Beamt_innen nach Wien ausgewählt?
- Wie lang dauerte die
Wartezeit der Beamt_innen bis zum Rückflug?
- Welche Kosten sind im
Rahmen der Abschiebung, abseits dem Heranziehen der Arbeitszeit der
eingesetzten Beamt_innen, angefallen?
- Erhielten Personen
außerhalb des Ministeriums Informationen zu diesem Fall?
- Wenn ja, welche
Personen durch wen wann und auf Basis welcher Rechtsgrundlage?
- Welche Stelle erteilte
die Weisung, die Familie abzuschieben?
- Wird danach getrachtet,
bei Festnahme, Inschubhaftnahme und sonstigen Verfahrensschritten bei
einer Abschiebung bzw. Rückführung von Familien mit Kindern auf
das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen?
- Wenn ja, inwiefern
wird dies gewährleistet?
- Wenn nein, warum nicht?
- Manche Fragen
konnten in einer vorhergehenden Beantwortung (5193/AB zu 5204/J) nicht
beantwortet werden, weil entsprechende Statistiken nicht geführt
werden. Wird mittlerweile erhoben, in wie vielen Fällen Abschiebungen bzw. Rückführungen von Familien mit
minderjährigen Kindern durchgeführt werden?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wird mittlerweile
erhoben, in wie vielen Fällen bei Abschiebungen bzw.
Rückführungen von Familien mit minderjährigen
Kindern Familienmitglieder getrennt werden?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wird mittlerweile
erhoben, in wie vielen Fällen bei Abschiebungen bzw.
Rückführungen Kinder von dem zur Obsorge berechtigten
Elternteil getrennt werden?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wird mittlerweile
erhoben, wie viele Aufenthaltstitel das Bundesamt
für Fremdenwesen und Asyl
- gem. §55 AsylG
ausstellt?
i. Wenn nein, warum nicht?
- gem. §56 AsylG
ausstellt?
i. Wenn nein, warum nicht?
- gem. §57 AsylG
ausstellt?
i. Wenn nein, warum nicht?
- Wie viele dieser
Aufenthaltstitel wurden aufgrund einer erstinstanzlichen Entscheidung
ausgestellt?
- Wie viele dieser
Aufenthaltstitel wurden aufgrund von einer zweitinstanzlichen Entscheidung
ausgestellt?
- Wie viele dieser
Aufenthaltstitel wurden aufgrund separater Anträge - abseits des Asylverfahrens
- ausgestellt? Bitte um Aufschlüsselung nach Aufenthaltstitel.